Ulrich Plenzdorf - Die neuen Leiden chapter 5 lyrics

Published

0 220 0

Ulrich Plenzdorf - Die neuen Leiden chapter 5 lyrics

Aber er meinte das ernst, Leute! Ich hätte ihn noch eine Weile durch den Ring treiben können, aber ich beschloß, sofort meine schärfste Waffe einzusetzen. Ich überlegte kurz und schoß dann folgendes Ding ab: Man kann zum Vorteile der Regeln viel sagen, ungefähr was man zum Wohle der bürgerlichen Gesellschaft sagen kann. Ein Mensch, der sich nach ihnen bildet, wird nie etwas Abgeschmacktes und Schlechtes hervorbringen, wie einer, der sich durch Gesetze und Wohlstand modeln läßt, nie ein unerträglicher Nachbar, nie ein merkwürdiger Bösewicht werden kann; dagegen wird aber auch alle Regel, man rede, was man wolle, das wahre Gefühl von Natur und den wahren Ausdruck derselben zerstören! Dieser Werther hatte sich wirklich nützliche Dinge aus den Fingern gesaugt. Ich sah sofort, daß ich die Fäuste runternehmen konnte. Der Mann hatte nichts mehr zu bestellen. Charlie hatte ihn mindestens auf allerhand vorbereitet, aber das war zuviel für ihn. Er tat zwar so, als hätte er es mit einem armen Irren zu tun, den man keinesfalls reizen darf, bloß damit konnte er mich nicht täuschen. Jeder vernünftige Trainer hätte ihn aus dem Kampf genommen. Technischer K. o. Charlie wollte denn auch gehen. Aber Dieter hatte noch was: Andererseits ist es recht originell, was er da macht, und auch dekorativ. Ich weiß nicht, was er sich dabei dachte. Wahrscheinlich glaubte er, er hätte mich ausgeknockt, und wollte mir jetzt die Pille versüßen! Du armer Arsch! Der Mann tat mir leid. Ich ließ ihn gehen. Blöderweise fiel ihm in dem Moment dieser Schattenriß ins Auge, den ich seinerzeit von Charlie gemacht hatte. Charlie sagte sofort: Das sollte für dich sein. Er hat ihn mir bloß nicht gegeben. Angeblich, weil er noch nicht fertig war. Bloß gemacht hat er nichts daran seitdem. Und Dieter: Ich hab dich ja jetzt in natura. Leute! Das sollte wahrscheinlich charmant sein. Das war ein Charmebolzen, der liebe Dieter. Dann zogen sie ab. Charlie hing die ganze Zeit an seinem Hals. Ich meine, nicht wirklich. Mit ihren Scheinwerfern. Damit ich es bloß sah. Aber das lief ab an mir wie Wa**er. Nicht daß einer denkt, ich hatte was gegen Dieter, weil er von der Armee kam. Ich hatte nichts gegen die Armee. Ich war zwar Pazifist, vor allem, wenn ich an die unvermeidlichen achtzehn Monate dachte. Dann war ich ein hervorragender Pazifist. Ich durfte bloß keine Vietnambilder sehen und das. Dann wurde mir rot vor Augen. Wenn dann einer gekommen wäre, hätte ich mich als Soldat auf Lebenszeit verpflichtet. Im Ernst. Zu Dieter will ich noch sagen: Wahrscheinlich war er ganz pa**abel. Es konnte schließlich nicht jeder so ein Idiot sein wie ich. Und wahrscheinlich war er sogar genau der richtige Mann für Charlie. Aber es hatte keinen Zweck, darüber nachzudenken. Ich kann euch nur raten, Leute, in so einer Situation nicht darüber nachzudenken. Wenn man gegen einen Gegner antritt, kann man nicht darüber nachdenken, was er für ein sympathischer Junge ist und so. Das führt zu nichts.Ich griff nach dem Mikro und teilte Willi den neusten Stand der Dinge mit: Er will mir wohl, und ich vermute, das ist Lottens Werk ..., denn darin sind die Weiber fein und haben recht; wenn sie zwei Verehrer in gutem Vernehmen miteinander erhalten können, ist der Vorteil immer ihr, so selten es auch angeht. Ende. Langsam gewöhnte ich mich an diesen Werther, aber ich mußte den beiden nach. Ich wußte, daß man dranbleiben muß, Leute. Die erste Runde kann an dich gehen, aber dann am Gegner dranbleiben. Ich wetzte hinter ihnen her und hängte mich einfach mit rein. »Ich bringe euch noch«, in diesem Stil. Charlie hing an Dieters Arm. Den ändern gab sie fast sofort mir. Ich wurde beinah nicht wieder. Ich mußte sofort an Old Werther denken. Der Mann wußte Bescheid. Dieter sagte keinen Ton. Wir landeten auf Dieters Bude. In einem Altbau. Ein Zimmer und Küche. Das war das aufgeräumteste Zimmer, das es überhaupt geben konnte. Mutter Wibeau hätte ihre Freude dran gehabt. Es war ungefähr so gemütlich wie der Wartesaal auf dem Bahnhof Mittenberg. Bloß, der war wenigstens nie aufgeräumt. Das konnte ich leiden. Ich weiß nicht, ob das einer kennt, diese Zimmer, die ewig so aussehen, als sind sie nur zwei Tage im Jahr bewohnt und dann vom Chef der Hygieneinspektion. Und das schönste war: Charlie dachte plötzlich genau da**elbe. Sie sagte: Das wird hier alles anders. Laß uns erst mal heiraten, ja? Ich fing mit einer Art Stubendurchgang an. Zuerst nahm ich mir die Bilder vor, die er hatte. Das eine war ein mieser Druck von Old Goghs Sonnenblumen. Ich hatte nichts gegen Old Gogh und seine Sonnenblumen. Aber wenn ein Bild anfängt, auf jedem blöden Klo rumzuhängen, dann machte mich das immer fast gar nicht krank. Bestenfalls tat es mir dann ekelhaft leid. Meistens konnte ich es für den Rest meines Lebens nicht mehr ausstehen. Das andere war in einem Wechselrahmen. Ich will nichts weiter darüber sagen. Wer es kennt, weiß, welches ich meine. Ein echtes Brechmittel, im Ernst. Dieses prachtvolle Paar da am Strand. Überhaupt: Wechselrahmen. Wenn ich alle Bilder der Welt sehen will, geh ich ins Museum. Oder mir geht ein Bild an die Nieren, dann häng ich es mir dreimal ins Zimmer, damit ich es von überall sehen kann. Wenn ich Wechselrahmen sah, dachte ich immer, die Leute haben sich verpflichtet, im Jahr zwölf Bilder anzusehen.Plötzlich sagte Charlie: Die Bilder stammen noch aus unserer Schulzeit. Dabei hatte ich den Mund nicht einmal aufgemacht. Ich hatte auch nicht gestöhnt oder die »Augen verdreht, nichts. Ich sah mich nach Dieter um. Ich möchte sagen, der Mann stand in seiner Ecke, hatte die Fäuste unten und bewegte sich nicht. Kann sein, er hatte noch nicht begriffen, daß die zweite Runde längst lief. Charlie entschuldigte sich ständig für ihn, und er bewegte sich nicht. Leute, ich wußte jedenfalls, was ich zu tun hatte. Als nächstes nahm ich mir seine Bücher vor. Er hatte die Ma**e. Alles unter Glas. Alle der Größe nach geordnet. Ich sackte zusammen. Immer wenn ich so was sah, sackte ich zusammen. Meine Meinung zu Büchern hab ich wohl schon gesagt. Ich weiß nicht, was er alles hatte. Garantiert alle diese guten Bücher. Reihenweise Marx, Engels, Lenin. Ich hatte nichts gegen Lenin und die. Ich hatte auch nichts gegen den Kommunismus und das, die Abschaffung der Ausbeutung auf der ganzen Welt. Dagegen war ich nicht. Aber gegen alles andere. Daß man Bücher nach der Größe ordnet zum Beispiel. Den meisten von uns geht es so. Sie haben nichts gegen den Kommunismus. Kein einigermaßen intelligenter Mensch kann heute was gegen den Kommunismus haben. Aber ansonsten sind sie dagegen. Zum Dafürsein gehört kein Mut. Mutig will aber jeder sein. Folglich ist er dagegen. Das ist es. Charlie sagte: Dieter wird Germanistik studieren. Er hat eine Menge aufzuholen. Andere, die nicht so lange bei der Armee waren, sind längst Dozenten heute. Ich sah Dieter an. Spätestens jetzt wäre ich an seiner Stelle losgegangen. Aber er hatte immer noch die Fäuste unten. Eine hervorragende Situation. Langsam begriff ich, daß es zu einem ungeheuren Bums kommen mußte, wenn ich so weitermachte und wenn Charlie nicht aufhörte, sich für ihn zu entschuldigen. Das einzige in dem ganzen Zimmer war noch Dieters Luftgewehr, ein Knicklauf. Er hatte es über das Bett gehängt. Ich holte es lässig runter, ohne zu fragen, und fing an damit rumzufummeln. Ich hielt die Spritze auf dieses Paar am Strand, auf Dieter, auf Charlie. Bei Charlie kam Dieter endlich in Bewegung. Er drehte mir den Lauf weg. Ich fragte: Geladen? Und Dieter: Trotzdem. Ist schon zu viel vorgekommen. Solche Opa-Sprüche brachten mich immer fast gar nicht um. Trotzdem sagte ich nichts. Ich hielt mir bloß den Lauf an die Schläfe und drückte ab. Das brachte ihn endlich aus der Reserve: Das Ding ist kein Spielzeug! Soviel Grips wirst du doch haben! Dabei riß er mir die Flinte aus der Hand. Ich ließ sofort meine schärfste Waffe sprechen, Old Werther: Mein Freund ..., der Mensch ist Mensch, und das bißchen Verstand, das einer haben mag, kommt wenig oder nicht in Anschlag, wenn Leidenschaft wütet und die Grenzen der Menschheit einen drängen. Vielmehr - Ein andermal davon. Die Grenzen der Menschheit, unter dem machte es Old Werther nicht. Aber ich hatte Dieter voll getroffen. Er machte den Fehler, darüber nachzudenken. Charlie hörte gar nicht mehr hin. Aber Dieter machte den Fehler nachzudenken. Ich konnte an sich gehen. Da fing Charlie an: Ich mach uns noch was zu schnabulieren, ja? Und Dieter: Von mir aus! Aber ich hab zu tun. Er war in Fahrt. Er pflanzte sich hinter seinen Schreibtisch. Mit dem Rücken zu uns. Charlie: Er hat in drei Tagen Aufnahmeprüfung. Charlie hatte wohl einen schlechten Tag. Sie konnte es nicht la**en. Ich stand immer noch rum. In dem Moment ging Dieter in die Luft. Er sagte eisig: Kannst ihm ja unterwegs noch was von mir erzählen. Charlie wurde bleich. Das war ein glatter Rauswurf für uns beide. Ich hatte sie in eine herrliche Lage gebracht, ich Idiot freute mich noch. Charlie war bleich, und ich Idiot stand da und freute mich noch. Dann ging ich. Charlie kam mir nach. Auf der Straße kriegte ich es, fertig, den Arm um ihre Schultern zu legen. Charlie boxte mir sofort in die Rippen und fauchte mich an: Bist du noch normal, ja? Darin rannte sie weg. Sie rannte weg, aber ich kam in eine völlig verrückte Stimmung. Ich begriff zwar langsam, daß ich bei Charlie vorläufig nichts zu bestellen hatte. Trotzdem war ich irgendwie echt high. Jedenfalls stand ich plötzlich vor meiner Laube und hatte ein Band von Old Willi in den Pfoten. Folglich mußte ich auf der Post gewesen sein. Ich weiß nicht, ob einer so was kennt, Leute. Lieber Edgar. Ich weiß nicht, wo du bist. Aber wenn du jetzt zurückkommen willst, der Schlüssel liegt unter dem Fußabtreter. Ich werde dich nichts fragen. Und ab jetzt kannst du nach Hause kommen, wann du willst. Und wenn du deine Lehre in einem anderen Betrieb fertig machen willst, auch. Hauptsache, du arbeitest und gammelst nicht. Ich dachte, mich tritt ein Pferd. Das war Mutter Wibeau. Dann kam Willi: Salute, Eddie. Ich hab deine Mutter einfach nicht abwimmeln können. Tut mir leid. Sie ist ganz schön am Boden. Sie wollte mir sogar Geld geben für dich. Vielleicht ist der Gedanke mit dem Arbeiten gar nicht so schlecht. Denk mal an van Gogh oder einen. Was die alles machen mußten, um malen zu können. Ende. Ich hörte mir das an. Ich wußte sofort, was von Old Werther darauf paßte : Das war eine Nacht! Wilhelm! nun überstehe ich alles. Ich werde sie nicht wiedersehn!... Hier sitz ich und schnappe nach Luft, suche mich zu beruhigen, erwarte den Morgen, und mit Sonnenaufgang sind die Pferde... Länger war das Band blöderweise nicht, und ich hatte keinen Nachschub mehr. Ich hätte ein Stück Musik löschen müssen, aber das wollte ich nicht. Aus der Bude gehen und neues Band ranschaffen wollte ich auch nicht. Ich an*lysierte mich kurz und begriff, daß die ganze Kolchose und das. nicht mehr popte. Ich dachte nicht daran, zurück nach Mittenberg zu gehen, das nicht. Aber es popte einfach nicht mehr. »Aber irgendwann muß Edgar dann doch angefangen haben zu arbeiten, beim Bau. Beim WIK.« »Ja, sicher. Ich hab ihn dann einfach aus den Augen verloren. Ich hatte genug eigene Dinge. Die Hochzeit. Dann fing Dieter an zu studieren. Germanistik. Es fiel ihm nicht ganz leicht zu Anfang. Ich arbeitete nur noch halbtags, um ihm den Start zu erleichtern. Dann zogen wir mit dem Kindergarten in den Neubau um, das alte Haus kam weg, wegen der Neubauten, auch der Auslauf neben Edgars Grundstück. Wir hätten einfach zur Polizei gehen sollen. Da wohnt einer unerlaubt in einer Laube. Ich weiß '• nicht, ob ihm das geholfen hätte. Jedenfalls wäre es dann nicht pa**iert.« »Darf ich Sie etwas fragen? - Haben Sie Edgar gemocht?« »Wie gemocht? Edgar war noch nicht achtzehn, ich war über zwanzig. Ich hatte Dieter. Das war alles. Was denken Sie?« Richtig, Charlie, nicht alles sagen. Es hat keinen Zweck, alles zu sagen. Ich hab das mein Leben lang nicht gemacht. Nicht mal dir hab ich alles gesagt, Charlie. Man kann auch nicht alles sagen. Wer alles sagt, ist vielleicht kein Mensch mehr. »Sie müssen mir nicht antworten.« »Gemocht hab ich ihn natürlich. Er konnte sehr komisch sein. Rührend. Er war immerzu in Bewegung .. . ich ...« Heul nicht, Charlie. Tu mir den Gefallen und heul nicht. Mit mir war nicht die Bohne was los. Ich war bloß irgend so ein Idiot, ein Spinner, ein Angeber und all das. Nichts zum Heulen. Im Ernst. »Guten Tag! Ich soll mich an Kollegen Berliner wenden.« »Ja. Das bin ich.« »Wibeau ist mein Name.« »Haben Sie was mit Edgar zu tun? Edgar Wibeau, der bei uns war?« »Ja. Der Vater.« Addi! Alte Streberleiche! Ich grüße dich! Du warst von Anfang an mein bester Feind. Ich hab dich getriezt, wo ich konnte, und du hast mich geschurigelt, wenn es irgendwie ging. Aber jetzt, wo alles vorbei ist, kann ich es rausla**en: Du warst ein Steher! Unsere unsterblichen Seelen waren verwandt. Bloß deine Gehirnwindungen waren rechtwinkliger als meine. »Das war eine tragische Sache mit Edgar. Erst waren wir ziemlich am Boden. Heute ist uns vieles klarer. Edgar war ein wertvoller Mensch.« Addi, du enttäuschst mich, und ich dachte, du bist ein Steher. Ich dachte, du machst das nicht mit, über einen, der über den Jordan gegangen ist, diesen Mist zu reden. Ich und ein wertvoller Mensch. Schiller und Goethe und die, das waren vielleicht wertvolle Menschen. Oder Zaremba. Es hat mich sowieso zeitlebens immer fast gar nicht getötet, wenn sie über einen Abgegangenen dieses Zeug redeten, was er für ein wertvoller Mensch war und so. Ich möchte wissen, wer das aufgebracht hat. »Wir haben Edgar leider von Anfang an falsch angefaßt, einwandfrei. Wir haben ihn unterschätzt, vor allem ich als Brigadeleiter. Ich hab in ihm von Anfang an nur den Angeber gesehen, den Nichtskönner, der nur auf unsere Knochen Geld verdienen wollte.«Klar wollte ich Geld verdienen! Wenn einer keine Tonbänder mehr kaufen kann, muß er Geld verdienen. Und wo geht er in diesem Fall hin? Zum Bau. Motto: Wer nichts will und wer nichts kann, geht zum Bau oder zur Bahn. Bahn war mir zu gefährlich. Da hätten sie garantiert nach Ausweis und Aufenthaltsgenehmigung gefragt und dem Käse. Also Bau. Auf dem Bau nehmen sie jeden. Das wußte ich. Sauer war ich bloß, als ich zu Addi und Zaremba und der Truppe reinkam, sie renovierten olle Berliner Wohnungen, immer gleich hausweise, und Addi sagte sofort: »Morgen«, sagt man, wenn man reinkommt! Den Typ kannte ich. Frag so einen mal nach Salinger oder einem. Da kommt garantiert nichts. Da denkt er, das ist ein Fachbuch, das ihm entgangen ist. Vielleicht war alles anders gekommen, wenn Addi an dem Tag blaugemacht hätte oder was. Auf die Art war ich natürlich gleich kontra. Kann auch sein, daß meine Nerven nicht die besten waren zu der Zeit, wegen der Sache mit Charlie. Es ging mir doch mehr an die Nieren als ich gedacht hatte. Das nächste, was Addi machte, war, daß er mir eine von diesen Malerrollen hinhielt und mich fragte, ob ich so was schon mal in der Hand gehabt habe. Jeder Pionier kennt diese Dinger. Folglich verweigerte ich glatt die Aussage. Danach hielt er mir einen Pinsel hin und schickte mich zu Zaremba. Fenster vorstreichen. Alle glotzten natürlich, wie ich mich anstellen würde. Aber mir wurde sofort besser, als ich Zaremba sah. Sozusagen Liebe auf den ersten Blick. Ich sah sofort, der Alte war ein Vieh. Zaremba war über siebzig. Er konnte längst auf Rente sein, aber er rackerte hier noch rum. Und nicht etwa als Lückenbüßer. Er konnte sich eine Bockleiter zwischen die Beine klemmen und damit regelrecht durch die Stube tanzen und wurde nicht die Bohne naß dabei. Abgesehen davon, daß er sowieso nur aus Haut, Knochen und Muskeln bestand. Wo sollte da Wa**er herkommen. Einer seiner Tricks war, sich von jemand ein offenes Taschenmesser auf den Bizeps fallen zu la**en. Es sprang weg wie aus Gummi. Oder er spielte den Glöckner von Notre-Dame. Dazu nahm er ein Auge raus, er hatte ein Glasauge, knickte in der Hüfte ein und wa*kte durch die Gegend. Wir lagen regelmäßig am Boden. Das Glasauge hatte er sich in Spanien eingehandelt. Das heißt: Gemacht hatte es ihm einer in Philadelphia. Außerdem fehlten ihm noch ein Stück von einem kleinen Finger und zwei Rippen. Dafür hatte er noch alle Zähne und beide Arme und die Brust voll Tätowierungen. Aber nicht diese dicken Weiber und Herzen und das und Anker. Das wimmelte bloß so von Fahnen, Sternen und Hammer und Sichel, da war sogar ein Stück Kremlmauer. An sich war er wohl aus Böhmen oder so. Aber das schönste war, daß er es noch mit Frauen hatte. Ich weiß nicht, ob das einer glaubt, es war aber Tatsache. Zaremba betreute unseren Bauwagen. Er machte da sauber und hatte immer den Schlüssel. Es war ein ziemlich schmuckes Fahrzeug. Mit zwei Kojen und allem Drum und Dran. Einmal, es war schon dunkel, schlich ich mich da ran. Ich wußte bis dahin gar nichts, sondern ich hatte aus einem ganz bestimmten Grund etwas unter dem Wagen zu machen. Da hörte ich deutlich, wie er eine Frau am Wickel hatte. Ihrem Lachen nach muß sie sehr nett gewesen sein. Es soll aber keiner denken, ich wäre Zaremba wegen alledem gleich um den Hals gefallen. Das nun nicht. Schon nicht, weil er mich als erstes fragte, ob ich mit der Gewerkschaft auf dem laufenden wäre. Er war Ka**ierer. Das tötete mich immer fast gar nicht. Wenn es nicht Zaremba gewesen wäre, hätte ich sofort kehrtgemacht. So hielt ich ihm kurz mein Buch hin. Er nahm es mir weg und fing an es durchzuschnüffeln. Wahrscheinlich wollte er nur Bescheid wissen über mich. Natürlich hatte ich in Berlin nicht bezahlt. Sofort hatte er seine komische Blechschachtel draußen, und ich sollte nachzahlen. Kunststück, wenn einer nicht mal Tonbänder kaufen kann. Wahrscheinlich wollte er das nur wissen. Dann fing ich also an, freiweg eins von diesen Fenstern vorzustreichen. Die Farbe lief nur so über das Glas. Ich hatte zu Hause x-mal die Fenster gestrichen, aber ich brachte es einfach nicht anders fertig. Hätten sie nicht so geglotzt, wie ich mich anstelle, hätte ich das sauberste Fenster hingelegt. Nicht so sauber wie Zaremba. Zaremba malte wie eine Maschine. Aber so sauber wie irgendein anderer von ihnen immer noch, einschließlich Addi. Addi wurde sichtlich nervös. Er ging bloß deshalb nicht gleich in die Luft, weil ja Zaremba neben mir war. Daß ich Zaremba nicht aus der Ruhe bringen würde, war mir ziemlich schnell klar. Er sah mich gar nicht. Jedenfalls hielt es Addi nicht mehr aus und keifte los: Ich würde das ganze Fenster zuschmieren! Was ich machte, ist wohl klar. Ich fing an, das ganze Fenster zuzuschmieren. Ich dachte, Addi fällt von der Leiter. Aber dann fiel ich fast von der Leiter, wenn ich auf einer gewesen wäre. Direkt neben mir fing Zaremba plötzlich an zu singen! Ich dachte, mich tritt ein Pferd und streift ein Bus und alles zusammen. Zaremba dröhnte, und die anderen machten fast sofort mit, und zwar nicht irgendeinen Schlager oder was, sondern eins von diesen Liedern, von denen man immer nur die erste Strophe kennt. Aber diese Truppe dröhnte den ganzen Song runter. Ich glaube: Auf, Sozialisten, schließt die Reihen. Die Trommel ruft, die Fahnen wehn... Das war eine Truppe, Leute! Auf, Sozialisten! Mir fiel fast der Pinsel aus den Pfoten. Das war so Zarembas Methode, wenn der liebe Addi in die Luft gehen wollte. Das stellte sich bei der nächsten Gelegenheit heraus. Es war in irgendeiner ollen Küche. Die Wand war da ziemlich rissig, und ich sollte sie ausgipsen. Sagte Addi: Gelegentlich mit Gips zu tun gehabt? - Dann sieh dir mal die Wand an. In diesem Stil. Ich fing also an, in irgendeinem Eimer Gips anzurühren. Ich weiß nicht, wer das kennt, Leute. Ich nahm jedenfalls zeitlebens immer erst zuviel Wa**er, dann zuviel Gips und so weiter. Auf diese Art wurde langsam der Eimer voll, und ich hätte schon ein As sein müssen, wenn das Zeug nicht hart werden sollte. Ich sah schon ziemlich alt aus, da kam die Rettung. Addi verlor die Nerven. Er fauchte: Ich würde den ganzen Eimer voll machen. Was Besseres fiel ihm nicht ein. Ich parierte natürlich aufs Wort und kippte den ganzen Gips in den Eimer. Fast in derselben Sekunde fing Zaremba zu singen an. Er konnte uns gar nicht sehen aus dem Klo oder wo er gerade steckte. Aber er mußte es wohl gerochen haben, was los war. Es war wieder so eine Schote, diesmal mit Partisanen, und wieder zog die ganze Truppe mit. Er hatte sie gut im Griff. Addi riß sich fast sofort zusammen und schickte mich in eins der Zimmer, den Boden fegen, wegen Vorstreichen. Ich an seiner Stelle hätte mir wahrscheinlich den ganzen ollen Eimer mit dem Gips über die Bonje gekippt. Aber Addi riß sich zusammen. Da ging mir das Licht auf, was es mit dem Gesinge auf sich hatte. Ich schob ab. Ich war bloß gespannt, was Zaremba machen würde, wenn ich ihm selber so kam. Ob er da auch singen würde. Vorher hörte ich noch, wie Zaremba zu Addi in die Küche tobte und ihn anknurrte: Mußt ruhiger werden, Kerl. Viel ruhiger. No? Und Addi: Sag mir mal, was der bei uns will?Der will doch bloß auf unsere Knochen Geld verdienen, einwandfrei. Die Flasche, die. Und Zaremba machte: No ... Flasche?! Ich sagte wohl schon, daß Zaremba aus Böhmen war. Deswegen wohl dieses »no«. Er brachte es in jedem Satz mindestens dreimal unter. Der Mann konnte mit diesem »no« mehr sagen als andere in ganzen Romanen. Sagte er: No? und legte dabei den Kopf schräg, hieß das: Darüber denk noch mal nach, Kollege! Machte er: No?! und zog dabei seine Filzbrauen hoch, hieß das: Das sag nicht noch mal, Kumpel! Kniff er dabei seine Schweinsritzen zu, wußten alle, jetzt bringt er gleich den Glöckner von Notre-Dame. Ich weiß nicht, ob es stimmt. Irgendeiner hatte mir erzählt, Zaremba soll gleich nach fünfundvierzig für drei Wochen Oberster Richter oder so von Berlin gewesen sein. Er soll ganz ulkige und ganz scharfe Urteile gefällt haben. No? Herr Angeklagter, Sie waren also schon immer ein großer Freund der Kommunisten, he-rich?! In dem Stil. »Herich«, das war auch so ein Wort von ihm. Ich brauchte ewig, bis ich kapiert hatte, daß »herich« »hör ich« heißt. Zaremba war schon ein Vieh. Ich weiß nicht, ob er genug vom Singen hatte oder ob er einsah, daß ich und Addi nicht zurechtkamen. Jedenfalls fing er an, mir die Aufträge zu geben. Das erste war, daß ich in irgendeinem ollen Klo das Paneel oder vielmehr das, was über dem Paneel kommt, tünchen sollte und die Decke. Er ließ mich allein dabei, und ich mixte mir die schönste blaue Soße und fing an, mit der Rolle die Wände und die Decke zu verzieren, und zwar auf diese Pop-art. Am Ende sah das aus wie eine Serie von Entwürfen für Autobahnschleifen. Und das alles schön blau. Ich war noch gar nicht ganz fertig, da stand Zaremba da und der Rest der Truppe hinter ihm. Sie waren wahrscheinlich höllisch gespannt, was er jetzt mit mir anstellen würde, vor allem Addi. Aber er machte bloß: No?! Das war wohl das längste »no«, was ich je von ihm gehört habe. Außerdem legte er dabei noch den Kopf schräg, zog die Filzbrauen hoch und kniff seine Schweinsritzen zu. Ich hätte mich beölen können. Ich bin heute noch stolz auf diese neue »no«-Variante. »Klar, er benahm sich komisch. Einwandfrei. Aber ebendas hätte Uns stutzig machen müssen, vor allem mich. Statt dessen jagte ich ihn weg, daran konnte auch Zaremba nichts ändern. Zaremba war vielleicht der einzige von uns, der ahnte, was in Edgar steckte. Aber ich war wie vernagelt. Es ging um unser NFG, nebelloses Farbspritzgerät. Wir hatten schon mehrere Sachen gebaut, aber das sollte unsere größte werden. Ein Gerät, das Farben jeder Art versprüht, ohne daß dieser unverträgliche Farbnebel entsteht, der bis jetzt noch bei jedem Gerät dieser Art auftritt. Das wäre eine einmalige Sache gewesen, sogar auf dem Weltmarkt. Leider waren wir damals ins Stocken gekommen damit. Nicht mal Experten, die wir schließlich ranholten, kamen damit weiter. Und in dieser Situation stellte sich Edgar hin und machte Bemerkungen. Da platzte mir leider der Kragen. Ich will mich nicht entschuldigen. Ich war einfach nicht voll da.« Jetzt tu mir einen Gefallen, Addi, und halt endlich die Luft an damit. Was in mir steckte, kann ich dir genau sagen: nichts. Und in Sachen NFG überhaupt nichts. Deine Idee mit der Druckluft und der Hohldüse war nichts, und meine Idee mit der Hydraulik war auch nichts. Also wozu das Geplärre. Ich gebe zu, daß ich mir von der Hydraulik allerhand versprochen hatte, eigentlich von Anfang an, kaum daß ich das Ding gesehen hatte. Es lag da unter unserem Salonwagen rum. Ich war schon mindestens dreimal darüber gestolpert und hatte es auch schon beschnarcht. Aber ich hätte mir doch lieber sonstwas abgebissen, als einen danach zu fragen, was das für ein Apparat war und so. Schon gar nicht Addi. Bis dann eines Tages Zaremba selber den Mund aufmachte. Ich glaube, dieser Hund sah durch mich durch wie durch Glas. Hast du noch nicht gesehen, no? Kannst du auch nicht. Ist einmalig. Diese Farbspritze versprüht Farben jeder Art auf der Erde, im Wa**er und in der Luft, schafft wie drei Maler am Tag in drei Stunden, no, arbeitet ohne diesen Farbnebel und ist damit allen vergleichbaren Sachen auf dem Weltmarkt überlegen, selbst amerikanischen, herich. - Wenn sie erst funktioniert, verstehst, no?

You need to sign in for commenting.
No comments yet.