Natürlich stellt Kennys ungewöhnliches Sterben ein Alleinstellungsmerkmal von South Park im Vergleich zu anderen (intertextuellen) Cartoonserien dar und ist deshalb immer wieder Grundlage wissenschaftlicher Überlegungen. In diesem Kapitel werde ich drei Lesarten von Kennys Tod kurz vorstellen und sie anschließend im an*lytischen Teil an den j**eiligen Episoden überprüfen. 4.1 Computerspiel-Logik als narrativer Bruch In „Zurück auf Anfang“ untersucht Britta Neitzel Tod, Sterben und Wiederbelebung in (Computer-)Spielen und stellt dabei fest, „da** der Tod einer Spielfigur im Spiel niemals endgültig ist.“ (Neitzel 2008: 90) Denn „Spiele sind auf der Logik der Wiederholung aufgebaut, was ein Wieder-holen von Spielzeit und Spielfiguren einschließt.“ (ebd.: 84) Das ständige Wiederauftauchen und die Folgenlosigkeit des Sterbens sorgen dafür, da** man den Avatar nicht „als eine Figur in einer Erzählung oder gar als menschliches Wesen“ (ebd.: 88) betrachtet, um das man trauern muss. Auch Kennys Tod und Wiederkehr verläuft laut Neitzel nach dieser Logik von Spielen und bildet somit einen narrativen Bruch innerhalb der Serie (vgl. ebd.: 82). Denn obwohl Figuren in Cartoonserien – wie bereits erwähnt – in der Regel nicht altern und deshalb auch Sterblichkeit selten eine Rolle spielt, ist der Tod dieser Figuren keineswegs folgenlos. Beispielsweise verstarben bei den Simpsons bereits Maude Flanders und Fat Tony, die dann auch nicht mehr wiederkehrten (vgl. Hemmes 2013). Neitzel sieht in der Computerspiel-Logik auch den Grund für die geringe Empathie von Kennys Mitmenschen: „Alle Sorge um Kenny wäre vergeblich – er stirbt auf jeden Fall – und niemand muss um Kenny trauern – er ist in jeder neuen Folge wieder dabei.“ (Neitzel 2008: 82) 4.2 Kennys Tod als Sozialkritik: Kenny als Symbolfigur der unterprivilegierten „poor white trash“-Schicht Einen ganz anderen Grund für das geringe Mitleid der übrigen Figuren erkennt Chidester in seiner Studie „Respect My Authori-tah“: South Park and the Fragmentation/Reification of Whiteness. Er argumentiert, da** die Konstruktion einer sozialen Identität („Whiteness“) der weißen, US-amerikanischen Bevölkerung in der Regel durch die Abgrenzung gegenüber dem „Anderen“ („the racial Other“) abläuft, bei South Park aber trotz der meist stereotypen Darstellung der afro-amerikanischen und anderer Gesellschaftsschichten anders funktioniert (vgl. Chidester 2012: 405). Chidester sieht in den vier Hauptrollen eine Aufsplittung der „Whiteness“, wobei Kenny als Vertreter der weißen Unterschicht die privilegierte Position der übrigen weißen Bevölkerungsschichten, die von Stan, Kyle und Cartman repräsentiert werden, kontrastiert und so auch konstruiert (vgl. ebd.: 411). Immer wieder stärken die drei übrigen Freunde ihre Position, indem sie sich über Kennys Armut lustig machen (vgl. ebd.), und auch die Reaktion von Stan und Kyle auf Kennys Tod drückt weniger die Trauer um einen Freund, sondern vielmehr die Wut aus, da** dieses Ereignis ihr komfortables und privilegiertes Leben durcheinander bringt: Kenny is murdered, in some typically unpredictable way, during every one of the program's early-season episodes, and Stan reacts to the event with an outraged ‘‘Oh my God – they k**ed Kenny!'' The fact that Stan is clearly far less concerned with the fate of his friend than he is with the realization that such an event could be allowed to happen in his comfortable suburban world is among South Park's most telling representations of the privilege of core whiteness to remain distant from, and wholly unaffected by, such material concerns. Stan's whiteness, in the end, is a subject position that is immune to the imminent threats of poverty – a claim that is reinforced every time that the reaper's shadow crosses Kenny's path. (Chidester 2012: 411) 4.3 Philosophischer Ansatz: Kenny als moderner Sisyphus Im Gegensatz zu Chidesters sozialkritischer Perspektive nähert sich Karin Fry dem Tod Kennys von einem philosophischen Ansatz her. Sie erkennt darin Ideen des Existenzialismus und vergleicht Kenny McCormick mit der mythologischen Figur des Sisyphus. Existenzialisten lehnen die Idee eines göttlichen Plans oder einer schicksalhaften Vorbestimmung ab, stattdessen ist jeder Mensch selbst dafür verantwortlich, wer er ist und wie er sein Leben gestaltet (vgl. Fry 2011: 78). Somit muss er sich auch selbst mit der Frage nach dem Sinn des Lebens beschäftigen und mit der Erkenntnis leben, da** es keine tiefere Bedeutung seiner Existenz gibt und diese laut Albert Camus stattdessen „absurd“ erscheint (vgl. ebd.: 83). Als Metapher für diese absurde Existenz dient ihm Sisyphus, der von den Götter dazu verdammt wurde, bis in die Ewigkeit einen Stein auf einen Berg zu rollen, der dann sofort wieder herunterrollt. Für Camus besteht der Alltag des Menschen aus ähnlich überflüssigen oder absurden Handlungen, allerdings sind sich die meisten Menschen im Gegensatz zu Sisyphus dessen nicht bewusst: For Camus, the myth is a metaphor for the absurdity of life. Just as the workman must face each day within the same repetitive task, Sisyphus must push the rock again. This is bearable for the average person because she hasn't thought about it, but Sisyphus is starkly conscious of the absurdity of his task, making his pointless existence even harder to face. (ebd.) Auch Kenny scheint sich seiner absurden Existenz bewusst zu sein, beispielsweise wenn er sich in „Mr. Hankey, der Weihnachtskot“ (Parker & Stone 1997e) freut, eine komplette Episode überlebt zu haben (vgl. Kapitel 3.2). Während Camus die beiden häufigsten Reaktionen auf die Erkenntnis der Absurdität – den Glauben an religiöse Gründe der Existenz oder den Suizid – ablehnt (vgl. ebd.: 84), erkennt er in Sisyphus einen absurden Helden, der sein Schicksal kennt, trotz der Absurdität annimmt und auf diese Weise sogar eine gewisse Freude aus seiner Aufgabe gewinnen kann. Fry sieht hier eine Parallele zu Kenny, den sie deshalb als modernen Sisyphus bezeichnet: Though Kenny seems completely aware of his situation and often intentionally sacrifices himself or nervously awaits his demise he, like Sisyphus, continues to say ‘yes' to his task and makes meaning for himself, despite the absurdity of life. […] If Kenny has come to terms with his repetitive d**h, then Camus would say that Kenny is happy too. (ebd.: 86) Diese Lesart unterscheidet sich gegenüber den vorherigen auch in der Interpretation der Reaktion auf Kennys Tod. Gerade im Fluch „You ba*tards!“, der sich gegen die häufig nicht genauer definierten Verantwortlichen für Kennys Tod richtet, zeigt sich für Fry die Wut über die Absurdität der menschlichen Existenz, und auch die geringe Anteilnahme wird von ihr in dieser Weise interpretiert: „The indifferent attitude towards Kenny's d**h is the attitude of the absurd, since it reflects the indifference of the universe to human mortality.“ (Fry 2011: 85)