V DAS TRAUMMATERIAL UND DIE TRAUMQUELLEN Als wir aus der an*lyse des Traums von Irmas Injektion ersehen hatten, daß der Traum eine Wunscherfüllung ist, nahm uns zunächst das Interesse gefangen, ob wir hiemit einen allgemeinen Charakter des Traums aufgedeckt haben, und wir brachten vorläufig jede andere wissenschaftliche Neugierde zum Schweigen, die sich in uns während jener Deutungsarbeit geregt haben mochte. Nachdem wir jetzt auf dem einen Wege zum Ziel gelangt sind, dürfen wir zurückkehren und einen neuen Ausgangspunkt für unsere Streifungen durch die Probleme des Traumes wählen, sollten wir darüber auch das noch keineswegs voll erledigte Thema der Wunscherfüllung für eine Weile aus den Augen verlieren. Seitdem wir durch Anwendung unseres Verfahrens der Traumdeutung einen latenten Trauminhalt aufdecken können, der an Bedeutsamkeit den manifesten Trauminhalt weit hinter sich läßt, muß es uns drängen, die einzelnen Traumprobleme von neuem aufzunehmen, um zu versuchen, ob sich für uns nicht Rätsel und Widersprüche befriedigend lösen, die, solange man nur den manifesten Trauminhalt kannte, unangreifbar erschienen sind. Die Angaben der Autoren über den Zusammenhang des Traums mit dem Wachleben sowie über die Herkunft des Traummaterials sind im einleitenden Abschnitt ausführlich mitgeteilt worden. Wir erinnern uns auch jener drei Eigentümlichkeiten des Traumgedächtnisses, die so vielfach bemerkt, aber nicht erklärt worden sind: 1. Daß der Traum die Eindrücke der letzten Tage deutlich bevorzugt (Robert, Strümpell, Hildebrandt, auch Weed-Hallam); 2. daß er eine Auswahl nach anderen Prinzipien als unser Wachgedächtnis trifft, indem er nicht das Wesentliche und Wichtige, sondern das Nebensächliche und Unbeachtete erinnert; 3. daß er die Verfügung über unsere frühesten Kindheitseindrücke besitzt und selbst Einzelheiten aus dieser Lebenszeit hervorholt, die uns wiederum als trivial erscheinen und im Wachen für längst vergessen gehalten worden sind. [Fußnote] Diese Besonderheiten in der Auswahl des Traummaterials sind von den Autoren natürlich am manifesten Trauminhalte beobachtet worden. A DAS REZENTE UND DAS INDIFFERENTE IM TRAUM Wenn ich jetzt in betreff der Herkunft der im Trauminhalt auftretenden Elemente meine eigene Erfahrung zu Rate ziehe, so muß ich zunächst die Behauptung aufstellen, daß in jedem Traum eine Anknüpfung an die Erlebnisse des letztabgelaufenen Tages aufzufinden ist. Welchen Traum immer ich vornehme, einen eigenen oder fremden, jedesmal bestätigt sich mir diese Erfahrung. In Kenntnis dieser Tatsache kann ich etwa die Traumdeutung damit beginnen, daß ich zuerst nach dem Erlebnis des Tages forsche, welches den Traum angeregt hat; für viele Fälle ist dies sogar der nächste Weg. An den beiden Träumen, die ich im vorigen Abschnitt einer genauen an*lyse unterzogen habe (von Irmas Injektion, von meinem Onkel mit dem gelben Bart), ist die Beziehung zum Tag so augenfällig, daß sie keiner weiteren Beleuchtung bedarf. Um aber zu zeigen, wie regelmäßig sich diese Beziehung erweisen läßt, will ich ein Stück meiner eigenen Traumchronik daraufhin untersuchen. Ich teile die Träume nur so weit mit, als ich es zur Aufdeckung der gesuchten Traumquelle bedarf. 1. Ich mache einen Besuch in einem Hause, wo ich nur mit Schwierigkeiten vorgela**en werde usw., la**e eine Frau unterdessen auf mich warten. Quelle: Gespräch mit einer Verwandten am Abend, daß eine Anschaffung, die sie verlangt, warten müsse, bis usw. 2. Ich habe eine Monographie über eine gewisse (unklar) Pflanzenart geschrieben. Quelle: Am Vormittag im Schaufenster einer Buchhandlung eine Monographie gesehen über die Gattung Zyklamen. 3. Ich sehe zwei Frauen auf der Straße, Mutter und Tochter, von denen die letztere meine Patientin war. Quelle: Eine in Behandlung stehende Patientin hat mir abends mitgeteilt, welche Schwierigkeiten ihre Mutter einer Fortsetzung der Behandlung entgegenstellt. 4. In der Buchhandlung von S. und R. nehme ich ein Abonnement auf eine periodische Publikation, die jährlich zwanzig Gulden kostet. Quelle: Meine Frau hat mich am Tage daran erinnert, daß ich ihr zwanzig Gulden vom Wochengelde noch schuldig bin. 5. Ich erhalte eine Zuschrift vom sozialdemokratischen Komitee, in der ich als Mitglied behandelt werde. Quelle: Zuschriften erhalten gleichzeitig vom liberalen Wahlkomitee und vom Präsidium des humanitären Vereins, dessen Mitglied ich wirklich bin. 6. Ein Mann auf einem steilen Fels mitten im Meer, in Böcklinscher Manier. Quelle: Dreyfus auf der Teufelsinsel, gleichzeitig Nachrichten von meinen Verwandten in England usw. Man könnte die Frage aufwerfen, ob die Traumanknüpfung unfehlbar an die Ereignisse des letzten Tages erfolgt oder ob sie sich auf Eindrücke eines längeren Zeitraumes der jüngsten Vergangenheit erstrecken kann. Dieser Gegenstand kann prinzipielle Bedeutsamkeit wahrscheinlich nicht beanspruchen, doch möchte ich mich für das ausschließliche Vorrecht des letzten Tages vor dem Traume (des Traumtages) entscheiden. Sooft ich zu finden vermeinte, daß ein Eindruck vor zwei oder drei Tagen die Quelle des Traumes gewesen sei, konnte ich mich doch bei genauerer Nachforschung überzeugen, daß jener Eindruck am Vortage wieder erinnert worden war, daß also eine nachweisbare Reproduktion am Vortage sich zwischen dem Ereignistage und der Traumzeit eingeschoben hatte, und konnte außerdem den rezenten Anlaß nachweisen, von dem die Erinnerung an den älteren Eindruck ausgegangen sein konnte. Hingegen konnte ich mich nicht davon überzeugen, daß zwischen dem erregenden Tageseindruck und dessen Wiederkehr im Traume ein regelmäßiges Intervall von biologischer Bedeutsamkeit (als erstes dieser Art nennt H. Swoboda achtzehn Stunden) eingeschoben ist [Fußnote] I. Traum vom 1./2. Oktober 1910. (Bruchstück) ... Irgendwo in Italien. Drei Töchter zeigen mir kleine Kostbarkeiten, wie in einem Antiquarladen, setzen sich mir dabei auf den Schoß. Bei einem der Stücke sage ich: Das haben Sie ja von mir. Ich sehe dabei deutlich eine kleine Profilmaske mit den scharfgeschnittenen Zügen Savonarolas. Wann habe ich zuletzt das Bild Savonarolas gesehen? Ich war nach dem Ausweis meines Reisetagebuches am 4. und 5. September in Florenz; dort dachte ich daran, meinem Reisebegleiter das Medaillon mit den Zügen des fanatischen Mönches im Pflaster der Piazza Signoria an der Stelle, wo er den Tod durch Verbrennen fand, zu zeigen, und ich meine, am 3., vormittags, machte ich ihn auf da**elbe aufmerksam. Von diesem Eindruck bis zur Wiederkehr im Traume sind allerdings 27+1 Tage verflossen, eine »weibliche Periode«, nach Fließ. Zum Unglück für die Beweiskraft dieses Beispiels muß ich aber erwähnen, daß an dem Traumtage selbst der tüchtige, aber düster blickende Kollege bei mir war (das erstemal seit meiner Rückkunft), für den ich vor Jahren schon den Scherznamen »Rabbi Savonarola« aufgebracht habe. Er stellte mir einen Unfallkranken vor, der in dem Pontebbazug verunglückt war, in dem ich selbst acht Tage vorher gereist war, und leitete so meine Gedanken zur letzten Italienreise zurück. Das Erscheinen des auffälligen Elementes »Savonarola« im Trauminhalt ist durch diesen Besuch des Kollegen am Traumtage aufgeklärt, das achtundzwanzigtägige Intervall wird seiner Bedeutung für dessen Herleitung verlustig. II. Traum vom 10./11. Oktober. Ich arbeite wieder einmal Chemie im Universitätslaboratorium. Hofrat L. lädt mich ein, an einen Ort zu kommen, und geht auf dem Korridor voran, eine Lampe oder sonst ein Instrument wie scharfsinnig(?) (scharfsichtig?) in der erhobenen Hand vor sich hintragend, in eigentümlicher Haltung mit vorgestrecktem Kopf. Wir kommen dann über einen freien Platz . . . (Rest vergessen). Das Auffälligste in diesem Trauminhalt ist die Art, wie Hofrat L. die Lampe (oder Lupe) vor sich hinträgt, das Auge spähend in die Weite gerichtet. L. habe ich viele Jahre lang nicht mehr gesehen, aber ich weiß jetzt schon, er ist nur eine Ersatzperson für einen anderen, größeren, für den Archimedes nahe bei der Arethusaquelle in Syrakus, der genauso wie er im Traume dasteht und so den Brennspiegel handhabt, nach dem Belagerungsheer der Römer spähend. Wann habe ich dieses Denkmal zuerst (und zuletzt) gesehen? Nach meinen Aufzeichnungen war es am 17. September abends, und von diesem Datum bis zum Traume sind tatsächlich 13 + 10 = 23 Tage verstrichen, eine »männliche Periode« nach Fließ. Leider hebt das Eingehen auf die Deutung des Traumes auch hier ein Stück von der Unerläßlichkeit dieses Zusammenhangs auf. Der Traumanlaß war die am Traumtag erhaltene Nachricht, daß die Klinik, in deren Hörsaal ich als Gast meine Vorlesungen abhalte, demnächst anderswohin verlegt werden solle. Ich nahm an, daß die neue Lokalität sehr unbequem gelegen sei, sagte mir, es werde dann sein, als ob ich überhaupt keinen Hörsaal zur Verfügung habe, und von da an müßten meine Gedanken bis in den Beginn meiner Dozentenzeit zurückgegangen sein, als ich wirklich keinen Hörsaal hatte und mit meinen Bemühungen, mir einen zu verschaffen, auf geringes Entgegenkommen bei den hochvermögenden Herren Hofräten und Professoren stieß. Ich ging damals zu L., der gerade die Würde des Dekans bekleidete und den ich für einen Gönner hielt, um ihm meine Not zu klagen. Er versprach mir Abhilfe, ließ aber dann nichts weiter von sich hören. Im Traum ist er der Archimedes, der mir gibt, που̃ στώ, und mich selbst in die andere Lokalität geleitet. Daß den Traumgedanken weder Rachsucht noch Größenbewußtsein fremd sind, wird der Deutungskundige leicht erraten. Ich muß aber urteilen, daß ohne diesen Traumanlaß der Archimedes kaum in den Traum dieser Nacht gelangt wäre; es bleibt mir unsicher, ob der starke und noch rezente Eindruck der Statue in Siracusa sich nicht auch bei einem anderen Zeitintervall geltend gemacht hätte. III. Traum vom 2./3. Oktober 1910. (Bruchstück) ... Etwas von Prof. Oser, der selbst das Menü für mich gemacht hat, was sehr beruhigend wirkt (anderes vergessen). Der Traum ist die Reaktion auf eine Verdauungsstörung dieses Tages, die mich erwägen ließ, ob ich mich nicht wegen Bestimmung einer Diät an einen Kollegen wenden solle. Daß ich im Traum den im Sommer verstorbenen Oser dazu bestimme, knüpft an den sehr kurz vorher (1. Oktober) erfolgten Tod eines anderen von mir hochgeschätzten Universitätslehrers an. Wann ist aber Oser gestorben, und wann habe ich seinen Tod erfahren? Nach dem Ausweis des Zeitungsblattes am 22. August; da ich damals in Holland weilte, wohin ich die Wiener Zeitung regelmäßig nachsenden ließ, muß ich die Todesnachricht am 24. oder 25. August gelesen haben. Dieses Intervall entspricht aber keiner Periode mehr, es umfaßt 7 + 30 + 2 = 39 Tage oder vielleicht 40 Tage. Ich kann mich nicht besinnen, in der Zwischenzeit von Oser gesprochen oder an ihn gedacht zu haben. Solche für die Periodenlehre nicht mehr ohne weitere Bearbeitung brauchbare Intervalle ergeben sich nun aus meinen Träumen ungleich häufiger als die regulären. Konstant finde ich nur die im Text behauptete Beziehung zu einem Eindrucke des Traumtages selbst. . Auch H. Ellis (1911, 227), der dieser Frage Aufmerksamkeit geschenkt hat, gibt an, daß er eine solche Periodizität der Reproduktion in seinen Träumen »trotz des Achtens darauf« nicht finden konnte. Er erzählt einen Traum, in welchem er sich in Spanien befand und nach einem Ort: Daraus, Varaus oder Zaraus fahren wollte. Erwacht, konnte er sich an einen solchen Ortsnamen nicht erinnern und legte den Traum beiseite. Einige Monate später fand er tatsächlich den Namen Zaraus als den einer Station zwischen San Sebastian und Bilbao, welche er 250 Tage vor dem Traum mit dem Zuge pa**iert hatte. Ich meine also, es gibt für jeden Traum einen Traumerreger aus jenen Erlebnissen, über die »man noch keine Nacht geschlafen hat«. Die Eindrücke der jüngsten Vergangenheit (mit Ausschluß des Tages vor der Traumnacht) zeigen also keine andersartige Beziehung zum Trauminhalte als andere Eindrücke aus beliebig ferner liegenden Zeiten. Der Traum kann sein Material aus jeder Zeit des Lebens wählen, wofern nur von den Erlebnissen des Traumtages (den »rezenten« Eindrücken) zu diesen früheren ein Gedankenfaden reicht. Woher aber die Bevorzugung der rezenten Eindrücke? Wir werden zu Vermutungen über diesen Punkt gelangen, wenn wir einen der erwähnten Träume einer genaueren an*lyse unterziehen. Ich wähle den Traum von der botanischen Monographie Ich habe eine Monographie über eine gewisse Pflanze geschrieben. Das Buch liegt vor mir, ich blättere eben eine eingeschlagene farbige Tafel um. Jedem Exemplar ist ein getrocknetes Spezimen der Pflanze beigebunden, ähnlich wie aus einem Herbarium. an*lYSE Ich habe am Vormittage im Schaufenster einer Buchhandlung ein neues Buch gesehen, welches sich betitelt: Die Gattung Zyklamen – offenbar eine Monographie über diese Pflanze. Zyklamen ist die Lieblingsblume meiner Frau. Ich mache mir Vorwürfe, daß ich so selten daran denke, ihr Blumen mitzubringen, wie sie sich's wünscht. – Bei dem Thema: Blumen mitbringen erinnere ich mich einer Geschichte, welche ich unlängst im Freundeskreise erzählt und als Beweis für meine Behauptung verwendet habe, daß Vergessen sehr häufig die Ausführung einer Absicht des Unbewußten sei und immerhin einen Schluß auf die geheime Gesinnung des Vergessenden gestatte. Eine junge Frau, welche daran gewöhnt war, zu ihrem Geburtstage einen Strauß von ihrem Manne vorzufinden, vermißt dieses Zeichen der Zärtlichkeit an einem solchen Festtag und bricht darüber in Tränen aus. Der Mann kommt hinzu, weiß sich ihr Weinen nicht zu erklären, bis sie ihm sagt: Heute ist mein Geburtstag. Da schlägt er sich vor die Stirne, ruft aus: Entschuldige, hab' ich doch ganz daran vergessen, und will fort, ihr Blumen zu holen. Sie läßt sich aber nicht trösten, denn sie sieht in der Vergeßlichkeit ihres Mannes einen Beweis dafür, daß sie in seinen Gedanken nicht mehr dieselbe Rolle spielt wie einstens. – Diese Frau L. ist meiner Frau vor zwei Tagen begegnet, hat ihr mitgeteilt, daß sie sich wohlfühlt, und sich nach mir erkundigt. Sie stand in früheren Jahren in meiner Behandlung. Ein neuer Ansatz: Ich habe wirklich einmal etwas Ähnliches geschrieben wie eine Monographie über eine Pflanze, nämlich einen Aufsatz über die Cocapflanze, welcher die Aufmerksamkeit von K. Koller auf die anästhesierende Eigenschaft des Kokains gelenkt hat. Ich hatte diese Verwendung des Alkaloids in meiner Publikation selbst angedeutet, aber war nicht gründlich genug, die Sache weiter zu verfolgen. Dazu fällt mir ein, daß ich am Vormittag des Tages nach dem Traume (zu dessen Deutung ich erst abends Zeit fand) des Kokains in einer Art von Tagesphantasie gedacht habe. Wenn ich je Glaukom bekommen sollte, würde ich nach Berlin reisen und mich dort bei meinem Berliner Freunde von einem Arzt, den er mir empfiehlt, inkognito operieren la**en. Der Operateur, der nicht wüßte, an wem er arbeitet, würde wieder einmal rühmen, wie leicht sich diese Operationen seit der Einführung des Kokains gestaltet haben; ich würde durch keine Miene verraten, daß ich an dieser Entdeckung selbst einen Anteil habe. An diese Phantasie schlossen sich Gedanken an, wie unbequem es doch für den Arzt sei, ärztliche Leistungen von Seiten der Kollegen für seine Person in Anspruch zu nehmen. Den Berliner Augenarzt, der mich nicht kennt, würde ich wie ein anderer entlohnen können. Nachdem dieser Tagtraum mir in den Sinn gekommen, merke ich erst, daß sich die Erinnerung an ein bestimmtes Erlebnis hinter ihm verbirgt. Kurz nach der Entdeckung Kollers war nämlich mein Vater an Glaukom erkrankt; er wurde von meinem Freunde, dem Augenarzt Dr. Königstein, operiert, Dr. Koller besorgte die Kokainanästhesie und machte dann die Bemerkung, daß bei diesem Falle alle die drei Personen sich vereinigt fänden, die an der Einführung des Kokains Anteil gehabt haben. Meine Gedanken gehen nun weiter, wann ich zuletzt an diese Geschichte des Kokains erinnert worden bin. Es war dies vor einigen Tagen, als ich die Festschrift in die Hand bekam, mit deren Erscheinen dankbare Schüler das Jubiläum ihres Lehrers und Laboratoriumsvorstandes gefeiert hatten. Unter den Ruhmestiteln des Laboratoriums fand ich auch angeführt, daß dort die Entdeckung der anästhesierenden Eigenschaft des Kokains durch K. Koller vorgefallen sei. Ich bemerke nun plötzlich, daß mein Traum mit einem Erlebnis des Abends vorher zusammenhängt. Ich hatte gerade Dr. Königstein nach Hause begleitet, mit dem ich in ein Gespräch über eine Angelegenheit geraten war, die mich jedesmal, wenn sie berührt wird, lebhaft erregt. Als ich mich in dem Hausflur mit ihm aufhielt, kam Professor Gärtner mit seiner jungen Frau hinzu. Ich konnte mich nicht enthalten, die beiden darüber zu beglückwünschen, wie blühend sie aussehen. Nun ist Professor Gärtner einer der Verfa**er der Festschrift, von der ich eben sprach, und konnte mich wohl an diese erinnern. Auch die Frau L., deren Geburtstagsenttäuschung ich unlängst erzählte, war im Gespräch mit Dr. Königstein, in anderem Zusammenhange allerdings, erwähnt worden. Ich will versuchen, auch die anderen Bestimmungen des Trauminhalts zu deuten. Ein getrocknetes Spezimen der Pflanze liegt der Monographie bei, als ob es ein Herbarium wäre. Ans Herbarium knüpft sich eine Gymnasialerinnerung. Unser Gymnasialdirektor rief einmal die Schüler der höheren Kla**en zusammen, um ihnen das Herbarium der Anstalt zur Durchsicht und zur Reinigung zu übergeben. Es hatten sich kleine Würmer eingefunden – Bücherwurm. Zu meiner Hilfeleistung scheint er nicht Zutrauen gezeigt zu haben, denn er überließ mir nur wenige Blätter. Ich weiß noch heute, daß Kruziferen darauf waren. Ich hatte niemals ein besonders intimes Verhältnis zur Botanik. Bei meiner botanischen Vorprüfung bekam ich wiederum eine Kruzifere zur Bestimmung und – erkannte sie nicht. Es wäre mir schlecht ergangen, wenn nicht meine theoretischen Kenntnisse mir herausgeholfen hätten. – Von den Kruziferen gerate ich auf die Kompositen. Eigentlich ist auch die Artischocke eine Komposite, und zwar die, welche ich meine Lieblingsblume heißen könnte. Edler als ich, pflegt meine Frau mir diese Lieblingsblume vom Markte heimzubringen. Ich sehe die Monographie vor mir liegen, die ich geschrieben habe. Auch dies ist nicht ohne Bezug. Mein visueller Freund schrieb mir gestern aus Berlin: »Mit deinem Traumbuche beschäftige ich mich sehr viel. Ich sehe es fertig vor mir liegen und blättere darin.« Wie habe ich ihn um diese Sehergabe beneidet! Wenn ich es doch auch schon fertig vor mir liegen sehen könnte! Die zusammengelegte farbige Tafel: Als ich Student der Medizin war, litt ich viel unter dem Impuls, nur aus Monographien lernen zu wollen. Ich hielt mir damals, trotz meiner beschränkten Mittel, mehrere medizinische Archive, deren farbige Tafeln mein Entzücken waren. Ich war stolz auf diese Neigung zur Gründlichkeit. Als ich dann selbst zu publizieren begann, mußte ich auch die Tafeln für meine Abhandlungen zeichnen, und ich weiß, daß eine derselben so kümmerlich ausfiel, daß mich ein wohlwollender Kollege ihretwegen verhöhnte. Dazu kommt noch, ich weiß nicht recht wie, eine sehr frühe Jugenderinnerung. Mein Vater machte sich einmal den Scherz, mir und meiner ältesten Schwester ein Buch mit farbigen Tafeln (Beschreibung einer Reise in Persien) zur Vernichtung zu überla**en. Es war erziehlich kaum zu rechtfertigen. Ich war damals fünf Jahre, die Schwester unter drei Jahren alt, und das Bild, wie wir Kinder überselig dieses Buch zerpflücken (wie eine Artischocke, Blatt für Blatt, muß ich sagen), ist nahezu das einzige, was mir aus dieser Lebenszeit in plastischer Erinnerung geblieben ist. Als ich dann Student wurde, entwickelte sich bei mir eine ausgesprochene Vorliebe, Bücher zu sammeln und zu besitzen (an*log der Neigung, aus Monographien zu studieren, eine Liebhaberei, wie sie in den Traumgedanken betreffs Zyklamen und Artischocke bereits vorkommt). Ich wurde ein Bücherwurm (vgl. Herbarium). Ich habe diese erste Leidenschaft meines Lebens, seitdem ich über mich nachdenke, immer auf diesen Kindereindruck zurückgeführt, oder vielmehr, ich habe erkannt, daß diese Kinderszene eine »Deckerinnerung« für meine spätere Bibliophilie ist [Fußnote]. Natürlich habe ich auch frühzeitig erfahren, daß man durch Leidenschaften leicht in Leiden gerät. Als ich siebzehn Jahre alt war, hatte ich ein ansehnliches Konto beim Buchhändler und keine Mittel, es zu begleichen, und mein Vater ließ es kaum als Entschuldigung gelten, daß sich meine Neigungen auf nichts Böseres geworfen hatten. Die Erwähnung dieses späteren Jugenderlebnisses bringt mich aber sofort zu dem Gespräch mit meinem Freunde Dr. Königstein zurück. Denn um dieselben Vorwürfe wie damals, daß ich meinen Liebhabereien zuviel nachgebe, handelte es sich auch im Gespräch am Abend des Traumtages. Aus Gründen, die nicht hieher gehören, will ich die Deutung dieses Traumes nicht verfolgen, sondern bloß den Weg angeben, welcher zu ihr führt. Während der Deutungsarbeit bin ich an das Gespräch mit Dr. Königstein erinnert worden, und zwar von mehr als einer Stelle aus. Wenn ich mir vorhalte, welche Dinge in diesem Gespräch berührt worden sind, so wird der Sinn des Traumes mir verständlich. Alle angefangenen Gedankengänge, von den Liebhabereien meiner Frau und meinen eigenen, vom Kokain, von den Schwierigkeiten ärztlicher Behandlung unter Kollegen, von meiner Vorliebe für monographische Studien und meiner Vernachlässigung gewisser Fächer wie der Botanik, dies alles erhält dann seine Fortsetzung und mündet in irgendeinen der Fäden der vielverzweigten Unterredung ein. Der Traum bekommt wieder den Charakter einer Rechtfertigung, eines Plaidoyers für mein Recht, wie der erstan*lysierte Traum von Irmas Injektion; ja er setzt das dort begonnene Thema fort und erörtert es an einem neuen Material, welches im Intervall zwischen beiden Träumen hinzugekommen ist. Selbst die scheinbar indifferente Ausdrucksform des Traumes bekommt einen Akzent. Es heißt jetzt: Ich bin doch der Mann, der die wertvolle und erfolgreiche Abhandlung (über das Kokain) geschrieben hat, ähnlich wie ich damals zu meiner Rechtfertigung vorbrachte: Ich bin doch ein tüchtiger und fleißiger Student; in beiden Fällen also: Ich darf mir das erlauben. Ich kann aber auf die Ausführung der Traumdeutung hier verzichten, weil mich zur Mitteilung des Traumes nur die Absicht bewogen hat, an einem Beispiele die Beziehung des Trauminhalts zu dem erregenden Erlebnis des Vortages zu untersuchen. Solange ich von diesem Traume nur den manifesten Inhalt kenne, wird mir nur eine Beziehung des Traumes zu einem Tageseindruck augenfällig; nachdem ich die an*lyse gemacht habe, ergibt sich eine zweite Quelle des Traumes in einem anderen Erlebnis desselben Tages. Der erste der Eindrücke, auf welche sich der Traum bezieht, ist ein gleichgültiger, ein Nebenumstand. Ich sehe im Schaufenster ein Buch, dessen Titel mich flüchtig berührt, dessen Inhalt mich kaum interessieren dürfte. Das zweite Erlebnis hatte einen hohen psychischen Wert; ich habe mit meinem Freund, dem Augenarzt, wohl eine Stunde lang eifrig gesprochen, ihm Andeutungen gemacht, die uns beiden nahegehen mußten, und Erinnerungen in mir wachgerufen, bei denen die mannigfaltigsten Erregungen meines Innern mir bemerklich wurden. Überdies wurde dieses Gespräch unvollendet abgebrochen, weil Bekannte hinzukamen. Wie stehen nun die beiden Eindrücke des Tages zueinander und zu dem in der Nacht erfolgenden Traum? Im Trauminhalte finde ich nur eine Anspielung auf den gleichgültigen Eindruck und kann so bestätigen, daß der Traum mit Vorliebe Nebensächliches aus dem Leben in seinem Inhalt aufnimmt. In der Traumdeutung hingegen führt alles auf das wichtige, mit Recht erregende Erlebnis hin. Wenn ich den Sinn des Traumes, wie es einzig richtig ist, nach dem latenten, durch die an*lyse zutage geförderten Inhalt beurteile, so bin ich unversehens zu einer neuen und wichtigen Erkenntnis gelangt. Ich sehe das Rätsel zerfallen, daß der Traum sich nur mit den wertlosen Brocken des Tageslebens beschäftigt; ich muß auch der Behauptung widersprechen, daß das Seelenleben des Wachens sich in den Traum nicht fortsetzt und der Traum dafür psychische Tätigkeit an läppisches Material verschwendet. Das Gegenteil ist wahr; was uns bei Tage in Anspruch genommen hat, beherrscht auch die Traumgedanken, und wir geben uns die Mühe zu träumen nur bei solchen Materien, welche uns bei Tage Anlaß zum Denken geboten hätten. Die naheliegendste Erklärung dafür, daß ich doch vom gleichgültigen Tageseindruck träume, während der mit Recht aufregende mich zum Traume veranlaßt hat, ist wohl die, daß hier wieder ein Phänomen der Traumentstellung vorliegt, welche wir oben auf eine als Zensur waltende psychische Macht zurückgeführt haben. Die Erinnerung an die Monographie über die Gattung Zyklamen erfährt eine Verwendung, als ob sie eine Anspielung auf das Gespräch mit dem Freunde wäre, ganz ähnlich wie im Traum von dem verhinderten Souper die Erwähnung der Freundin durch die Anspielung »geräucherter Lachs« vertreten wird. Es fragt sich nur, durch welche Mittelglieder kann der Eindruck der Monographie zu dem Gespräche mit dem Augenarzt in das Verhältnis der Anspielung treten, da eine solche Beziehung zunächst nicht ersichtlich ist. In dem Beispiele vom verhinderten Souper ist die Beziehung von vornherein gegeben; »geräucherter Lachs« als die Lieblingsspeise der Freundin gehört ohne weiteres zu dem Vorstellungskreise, den die Person der Freundin bei der Träumenden anzuregen vermag. In unserem neuen Beispiel handelt es sich um zwei gesonderte Eindrücke, die zunächst nichts gemeinsam haben, als daß sie am nämlichen Tage erfolgen. Die Monographie fällt mir am Vormittag auf, das Gespräch führe ich dann am Abend. Die Antwort, welche die an*lyse an die Hand gibt, lautet: Solche erst nicht vorhandene Beziehungen zwischen den beiden Eindrücken werden nachträglich vom Vorstellungsinhalt des einen zum Vorstellungsinhalt des anderen angesponnen. Ich habe die betreffenden Mittelglieder bereits bei der Niederschrift der an*lyse hervorgehoben. An die Vorstellung der Monographie über Zyklamen würde sich ohne Beeinflussung von anderswoher wohl nur die Idee knüpfen, daß diese die Lieblingsblume meiner Frau ist, etwa noch die Erinnerung an den vermißten Blumenstrauß der Frau L. Ich glaube nicht, daß diese Hintergedanken genügt hätten, einen Traum hervorzurufen. »There needs no ghost, my lord, come from the grave To tell us this« heißt es im Hamlet. Aber siehe da, in der an*lyse werde ich daran erinnert, daß der Mann, der unser Gespräch störte, Gärtner hieß, daß ich seine Frau blühend fand; ja ich besinne mich eben jetzt nachträglich, daß eine meiner Patientinnen, die den schönen Namen Flora trägt, eine Weile im Mittelpunkt unseres Gespräches stand. Es muß so zugegangen sein, daß sich über diese Mittelglieder aus dem botanischen Vorstellungskreis die Verknüpfung der beiden Tageserlebnisse, des gleichgültigen und des aufregenden, vollzog. Dann stellten sich weitere Beziehungen ein, die des Kokains, welche mit Fug und Recht zwischen der Person des Dr. Königstein und einer botanischen Monographie, die ich geschrieben habe, vermitteln kann, und befestigten diese Verschmelzung der beiden Vorstellungskreise zu einem, so daß nun ein Stück aus dem ersten Erlebnis als Anspielung auf das zweite verwendet werden konnte. Ich bin darauf gefaßt, daß man diese Aufklärung als eine willkürliche oder als eine gekünstelte anfechten wird. Was wäre geschehen, wenn Professor Gärtner mit seiner blühenden Frau nicht hinzugetreten wäre, wenn die besprochene Patientin nicht Flora, sondern Anna hieße? Und doch ist die Antwort leicht. Wenn sich nicht diese Gedankenbeziehungen ergeben hätten, so wären wahrscheinlich andere ausgewählt worden. Es ist so leicht, derartige Beziehungen herzustellen, wie ja die Scherz- und Rätselfragen, mit denen wir uns den Tag erheitern, zu beweisen vermögen. Der Machtbereich des Witzes ist ein uneingeschränkter. Um einen Schritt weiter zu gehen: wenn sich zwischen den beiden Eindrücken des Tages keine genug ausgiebigen Mittelbeziehungen hätten herstellen la**en, so wäre der Traum eben anders ausgefallen; ein anderer gleichgültiger Eindruck des Tages, wie sie in Scharen an uns herantreten und von uns vergessen werden, hätte für den Traum die Stelle der »Monographie« übernommen, wäre in Verbindung mit dem Inhalt des Gesprächs gelangt und hätte dieses im Trauminhalt vertreten. Da kein anderer als der von der Monographie dieses Schicksal hatte, so wird er wohl der für die Verknüpfung pa**endste gewesen sein. Man braucht sich nie wie Hänschen Schlau bei Lessing darüber zu wundern, »daß nur die Reichen in der Welt das meiste Geld besitzen«. Der psychologische Vorgang, durch welchen nach unserer Darlegung das gleichgültige Erlebnis zur Stellvertretung für das psychisch wertvolle gelangt, muß uns noch bedenklich und befremdend erscheinen. In einem späteren Abschnitt werden wir uns vor der Aufgabe sehen, die Eigentümlichkeiten dieser scheinbar inkorrekten Operation unserem Verständnis näherzubringen. Hier haben wir es nur mit dem Erfolge des Vorganges zu tun, zu dessen Annahme wir durch ungezählte und regelmäßig wiederkehrende Erfahrungen bei der Trauman*lyse gedrängt werden. Der Vorgang ist aber so, als ob eine Verschiebung – sagen wir: des psychischen Akzentes – auf dem Wege jener Mittelglieder zustande käme, bis anfangs schwach mit Intensität geladene Vorstellungen durch Übernahme der Ladung von den anfänglich intensiver besetzten zu einer Stärke gelangen, welche sie befähigt, den Zugang zum Bewußtsein zu erzwingen. Solche Verschiebungen wundern uns keineswegs, wo es sich um die Anbringung von Affektgrößen oder überhaupt um motorische Aktionen handelt. Daß die einsam gebliebene Jungfrau ihre Zärtlichkeit auf Tiere überträgt, der Junggeselle leidenschaftlicher Sammler wird, daß der Soldat einen Streifen farbigen Zeuges, die Fahne, mit seinem Herzblute verteidigt, daß im Liebesverhältnis ein um Sekunden verlängerter Händedruck Seligkeit erzeugt, oder im Othello ein verlorenes Schnupftuch einen Wutausbruch, das sind sämtlich Beispiele von psychischen Verschiebungen, die uns unanfechtbar erscheinen. Daß aber auf demselben Wege und nach denselben Grundsätzen eine Entscheidung darüber gefällt wird, was in unser Bewußtsein gelangt und was ihm vorenthalten bleibt, also was wir denken, das macht uns den Eindruck des Krankhaften, und wir heißen es Denkfehler, wo es im Wachleben vorkommt. Verraten wir hier als das Ergebnis später anzustellender Betrachtungen, daß der psychische Vorgang, den wir in der Traumverschiebung erkannt haben, sich zwar nicht als ein krankhaft gestörter, wohl aber als ein vom normalen verschiedener, als ein Vorgang von mehr primärer Natur herausstellen wird. Wir deuten somit die Tatsache, daß der Trauminhalt Reste von nebensächlichen Erlebnissen aufnimmt, als eine Äußerung der Traumentstellung (durch Verschiebung) und erinnern daran, daß wir in der Traumentstellung eine Folge der zwischen zwei psychischen Instanzen bestehenden Durchgangszensur erkannt haben. Wir erwarten dabei, daß die Trauman*lyse uns regelmäßig die wirkliche, psychisch bedeutsame Traumquelle aus dem Tagesleben aufdecken wird, deren Erinnerung ihren Akzent auf die gleichgültige Erinnerung verschoben hat. Durch diese Auffa**ung haben wir uns in vollen Gegensatz zu der Theorie von Robert gebracht, die für uns unverwendbar geworden ist. Die Tatsache, welche Robert erklären wollte, besteht eben nicht; ihre Annahme beruht auf einem Mißverständnis, auf der Unterla**ung, für den scheinbaren Trauminhalt den wirklichen Sinn des Traumes einzusetzen. Man kann noch weiterhin gegen die Lehre von Robert einwenden: Wenn der Traum wirklich die Aufgabe hätte, unser Gedächtnis durch besondere psychische Arbeit von den »Schlacken« der Tageserinnerung zu befreien, so müßte unser Schlafen gequälter sein und auf angestrengtere Arbeit verwendet werden, als wir es von unserem wachen Geistesleben behaupten können. Denn die Anzahl der indifferenten Eindrücke des Tages, vor denen wir unser Gedächtnis zu schützen hätten, ist offenbar unermeßlich groß; die Nacht würde nicht hinreichen, die Summe zu bewältigen. Es ist sehr viel wahrscheinlicher, daß das Vergessen der gleichgültigen Eindrücke ohne aktives Eingreifen unserer seelischen Mächte vor sich geht. Dennoch verspüren wir eine Warnung, von dem Robertschen Gedanken ohne weitere Berücksichtigung Abschied zu nehmen. Wir haben die Tatsache unerklärt gela**en, daß einer der indifferenten Eindrücke des Tages – und zwar des letzten Tages – regelmäßig einen Beitrag zum Trauminhalte liefert. Die Beziehungen zwischen diesem Eindruck und der eigentlichen Traumquelle im Unbewußten bestehen nicht immer von vornherein; wie wir gesehen haben, werden sie erst nachträglich, gleichsam zum Dienste der beabsichtigten Verschiebung, während der Traumarbeit hergestellt. Es muß also eine Nötigung vorhanden sein, Verbindungen gerade nach der Richtung des rezenten, obwohl gleichgültigen, Eindruckes anzubahnen: dieser muß eine besondere Eignung durch irgendeine Qualität dazu bieten. Sonst wäre es ja ebenso leicht durchführbar, daß die Traumgedanken ihren Akzent auf einen unwesentlichen Bestandteil ihres eigenen Vorstellungskreises verschieben. Folgende Erfahrungen können uns hier auf den Weg zur Aufklärung leiten. Wenn uns ein Tag zwei oder mehr Erlebnisse gebracht hat, welche Träume anzuregen würdig sind, so vereinigt der Traum die Erwähnung beider zu einem einzigen Ganzen; er gehorcht einem Zwang, eine Einheit aus ihnen zu gestalten; z. B.: Ich stieg eines Nachmittags im Sommer in ein Eisenbahncoupé ein, in welchem ich zwei Bekannte traf, die einander aber fremd waren. Der eine war ein einflußreicher Kollege, der andere ein Angehöriger einer vornehmen Familie, in welcher ich ärztlich beschäftigt war. Ich machte die beiden Herren miteinander bekannt; ihr Verkehr ging aber die lange Fahrt über mich, so daß ich bald mit dem einen, bald mit dem anderen einen Gesprächsstoff zu behandeln hatte. Den Kollegen bat ich, einem gemeinsamen Bekannten, der eben seine ärztliche Praxis begonnen hatte, seine Empfehlung zuzuwenden. Der Kollege erwiderte, er sei von der Tüchtigkeit des jungen Mannes überzeugt, aber sein unscheinbares Wesen werde ihm den Eingang in vornehme Häuser nicht leicht werden la**en. Ich erwiderte: Gerade darum bedarf er der Empfehlung. Bei dem anderen Mitreisenden erkundigte ich mich bald darauf nach dem Befinden seiner Tante – der Mutter einer meiner Patientinnen –, welche damals schwerkrank daniederlag. In der Nacht nach dieser Reise träumte ich, mein junger Freund, für den ich die Protektion erbeten hatte, befinde sich in einem eleganten Salon und halte vor einer ausgewählten Gesellschaft, in die ich alle mir bekannten vornehmen und reichen Leute versetzt hatte, mit weltmännischen Gesten eine Trauerrede auf die (für den Traum bereits verstorbene) alte Dame, welche die Tante des zweiten Reisegenossen war. (Ich gestehe offen, daß ich mit dieser Dame nicht in guten Beziehungen gestanden hatte.) Mein Traum hatte also wiederum Verknüpfungen zwischen beiden Eindrücken des Tages aufgefunden und mittels derselben eine einheitliche Situation komponiert. Auf Grund vieler ähnlicher Erfahrungen muß ich den Satz aufstellen, daß für die Traumarbeit eine Art von Nötigung besteht, alle vorhandenen Traumreizquellen zu einer Einheit im Traume zusammenzusetzen [Fußnote]. Ich will jetzt die Frage in Erörterung ziehen, ob die traumerregende Quelle, auf welche die an*lyse hinführt, jedesmal ein rezentes (und bedeutsames) Ereignis sein muß oder ob ein inneres Erlebnis, also die Erinnerung an ein psychisch wertvolles Ereignis, ein Gedankengang, die Rolle des Traumerregers übernehmen kann. Die Antwort, die sich aus zahlreichen an*lysen auf das bestimmteste ergibt, lautet im letzteren Sinne. Der Traumerreger kann ein innerer Vorgang sein, der gleichsam durch die Denkarbeit am Tage rezent geworden ist. Es wird jetzt wohl der richtige Moment sein, die verschiedenen Bedingungen, welche die Traumquellen erkennen la**en, in einem Schema zusammenzustellen. Die Traumquelle kann sein: a) Ein rezentes und psychisch bedeutsames Erlebnis, welches im Traume direkt vertreten ist [Fußnote]. b) Mehrere rezente, bedeutsame Erlebnisse, die durch den Traum zu einer Einheit vereinigt werden [Fußnote]. c) Ein oder mehrere rezente und bedeutsame Erlebnisse, die im Trauminhalt durch die Erwähnung eines gleichzeitigen, aber indifferenten Erlebnisses vertreten werden [Fußnote]. d) Ein inneres bedeutsames Erlebnis (Erinnerung, Gedankengang), welches dann im Traume regelmäßig durch die Erwähnung eines rezenten, aber indifferenten Eindruckes vertreten wird [Fußnote]. Wie man sieht, wird für die Traumdeutung durchwegs die Bedingung festgehalten, daß ein Bestandteil des Trauminhalts einen rezenten Eindruck des Vortages wiederholt. Dieser zur Vertretung im Traume bestimmte Anteil kann entweder dem Vorstellungskreise des eigentlichen Traumerregers selbst angehören – und zwar entweder als wesentlicher oder als unwichtiger Bestandteil desselben –, oder er rührt aus dem Bereiche eines indifferenten Eindruckes her, der durch mehr oder minder reichliche Verknüpfung mit dem Kreis des Traumerregers in Beziehung gebracht worden ist. Die scheinbare Mehrheit der Bedingungen kommt hier nur durch die Alternative zustande, daß eine Verschiebung unterblieben oder vorgefallen ist, und wir merken hier, daß diese Alternative uns dieselbe Leichtigkeit bietet, die Kontraste des Traumes zu erklären, wie der medizinischen Theorie des Traumes die Reihe vom partiellen bis zum vollen Wachen der Gehirnzellen (vgl. S. 98 ff.). Man bemerkt an dieser Reihe ferner, daß das psychisch wertvolle, aber nicht rezente Element (der Gedankengang, die Erinnerung) für die Zwecke der Traumbildung durch ein rezentes, aber psychisch indifferentes Element ersetzt werden kann, wenn dabei nur die beiden Bedingungen eingehalten werden, daß 1) der Trauminhalt eine Anknüpfung an das rezent Erlebte erhält; 2) der Traumerreger ein psychisch wertvoller Vorgang bleibt. In einem einzigen Falle (a) werden beide Bedingungen durch denselben Eindruck erfüllt. Zieht man noch in Erwägung, daß dieselben indifferenten Eindrücke, welche für den Traum verwertet werden, solange sie rezent sind, diese Eignung einbüßen, sobald sie einen Tag (oder höchstens mehrere) älter geworden sind, so muß man sich zur Annahme entschließen, daß die Frische eines Eindruckes ihm an sich einen gewissen psychischen Wert für die Traumbildung verleiht, welcher der Wertigkeit affektbetonter Erinnerungen oder Gedankengänge irgendwie gleichkommt. Wir werden erst bei späteren psychologischen Überlegungen erraten können, worin dieser Wert rezenter Eindrücke für die Traumbildung begründet sein kann [Fußnote]. Nebenbei wird hier unsere Aufmerksamkeit darauf gelenkt, daß zur Nachtzeit und von unserem Bewußtsein unbemerkt wichtige Veränderungen mit unserem Erinnerungs- und Vorstellungsmaterial vor sich gehen können. Die Forderung, eine Nacht über eine Angelegenheit zu schlafen, ehe man sich endgültig über sie entscheidet, ist offenbar vollberechtigt. Wir merken aber, daß wir an diesem Punkte aus der Psychologie des Träumens in die des Schlafens übergegriffen haben, ein Schritt, zu welchem sich der Anlaß noch öfter ergeben wird [Fußnote]. Es gibt nun einen Einwand, welcher die letzten Schlußfolgerungen umzustoßen droht. Wenn indifferente Eindrücke nur, solange sie rezent sind, in den Trauminhalt gelangen können, wie kommt es, daß wir im Trauminhalt auch Elemente aus früheren Lebensperioden vorfinden, die zur Zeit, da sie rezent waren – nach Strümpells Worten –, keinen psychischen Wert besaßen, also längst vergessen sein sollten, Elemente also, die weder frisch noch psychisch bedeutsam sind? Dieser Einwand ist voll zu erledigen, wenn man sich auf die Ergebnisse der Psychoan*lyse bei Neurotikern stützt. Die Lösung lautet nämlich, daß die Verschiebung, welche das psychisch wichtige Material durch indifferentes ersetzt (für das Träumen wie für das Denken), hier bereits in jenen frühen Lebensperioden stattgefunden hat und seither im Gedächtnis fixiert worden ist. Jene ursprünglich indifferenten Elemente sind eben nicht mehr indifferent, seitdem sie durch Verschiebung die Wertigkeit vom psychisch bedeutsamen Material übernommen haben. Was wirklich indifferent geblieben ist, kann auch nicht mehr im Traume reproduziert werden. Aus den vorstehenden Erörterungen wird man mit Recht schließen, daß ich die Behauptung aufstelle, es gebe keine indifferenten Traumerreger, also auch keine harmlosen Träume. Dies ist in aller Strenge und Ausschließlichkeit meine Meinung, abgesehen von den Träumen der Kinder und etwa den kurzen Traumreaktionen auf nächtliche Sensationen. Was man sonst träumt, ist entweder manifest als psychisch bedeutsam zu erkennen, oder es ist entstellt und dann erst nach vollzogener Traumdeutung zu beurteilen, worauf es sich wiederum als bedeutsam zu erkennen gibt. Der Traum gibt sich nie mit Kleinigkeiten ab; um Geringes la**en wir uns im Schlaf nicht stören [Fußnote]. Die scheinbar harmlosen Träume erweisen sich als arg, wenn man sich um ihre Deutung bemüht; wenn man mir die Redensart gestattet, sie haben es »faustdick hinter den Ohren«. Da dies wiederum ein Punkt ist, bei dem ich Widerspruch erwarten darf, und da ich gerne die Gelegenheit ergreife, die Traumentstellung bei ihrer Arbeit zu zeigen, will ich eine Reihe von »harmlosen Träumen« aus meiner Sammlung hier der an*lyse unterziehen. I Eine kluge und feine junge Dame, die aber auch im Leben zu den Reservierten, zu den »stillen Wa**ern« gehört, erzählt: Ich habe geträumt, daß ich auf den Markt zu spät komme und beim Fleischhauer sowie bei der Gemüsefrau nichts bekomme. Gewiß ein harmloser Traum, aber so sieht ein Traum nicht aus; ich la**e ihn mir detailliert erzählen. Dann lautet der Bericht folgendermaßen: Sie geht auf den Markt mit ihrer Köchin, die den Korb trägt. Der Fleischhauer sagt ihr, nachdem sie etwas verlangt hat: Das ist nicht mehr zu haben, und will ihr etwas anderes geben mit der Bemerkung: Das ist auch gut. Sie lehnt ab und geht zur Gemüsefrau, die will ihr ein eigentümliches Gemüse verkaufen, das in Bündeln zusammengebunden ist, aber schwarz von Farbe. Sie sagt: Das kenne ich nicht, das nehme ich nicht. Die Tagesanknüpfung des Traumes ist einfach genug. Sie war wirklich zu spät auf den Markt gegangen und hatte nichts mehr bekommen. Die Fleischbank war schon geschlossen, drängt sich einem als Beschreibung des Erlebnisses auf. Doch halt, ist das nicht eine recht gemeine Redensart, die – oder vielmehr deren Gegenteil – auf eine Nachlässigkeit in der Kleidung eines Mannes geht? Die Träumerin hat diese Worte übrigens nicht gebraucht, ist ihnen vielleicht ausgewichen; suchen wir nach der Deutung der im Traume enthaltenen Einzelheiten. Wo etwas im Traum den Charakter einer Rede hat, also gesagt oder gehört wird, nicht bloß gedacht – was sich meist sicher unterscheiden läßt – das stammt von Reden des wachen Lebens her, die freilich als Rohmaterial behandelt, zerstückelt, leise verändert, vor allem aber aus dem Zusammenhange gerissen worden sind [Fußnote]. Man kann bei der Deutungsarbeit von solchen Reden ausgehen. Woher stammt also die Rede des Fleischhauers: Das ist nicht mehr zu haben? Von mir selbst; ich hatte ihr einige Tage vorher erklärt, »daß die ältesten Kindererlebnisse nicht mehr als solche zu haben sind, sondern durch ›Übertragungen‹ und Träume in der an*lyse ersetzt werden«. Ich bin also der Fleischhauer, und sie lehnt diese Übertragungen alter Denk- und Empfindungsweisen auf die Gegenwart ab. – Woher rührt ihre Traumrede: Das kenne ich nicht, das nehme ich nicht? Diese ist für die an*lyse zu zerteilen. »Das kenne ich nicht« hat sie selbst tags vorher zu ihrer Köchin gesagt, mit der sie einen Streit hatte, damals aber hinzugefügt: Benehmen Sie sich anständig. Hier wird eine Verschiebung greifbar; von den beiden Sätzen, die sie gegen ihre Köchin gebraucht, hat sie den bedeutungslosen in den Traum genommen; der unterdrückte aber: »Benehmen Sie sich anständig!« stimmt allein zum übrigen Trauminhalt. So könnte man jemandem zurufen, der unanständige Zumutungen wagt und vergißt, »die Fleischbank zuzuschließen«. Daß wir der Deutung wirklich auf die Spur gekommen sind, beweist dann der Zusammenklang mit den Anspielungen, die in der Begebenheit mit der Gemüsefrau niedergelegt sind. Ein Gemüse, das in Bündeln zusammengebunden verkauft wird (länglich ist, wie sie nachträglich hinzufügt), und dabei schwarz, was kann das anderes sein als die Traumvereinigung von Spargel und schwarzem Rettich? Spargel brauche ich keinem und keiner Wissenden zu deuten, aber auch das andere Gemüse – als Zuruf: Schwarzer, rett' dich! – scheint mir auf das nämliche s**uelle Thema hinzuweisen, das wir gleich anfangs errieten, als wir für die Traumerzählung einsetzen wollten: die Fleischbank war geschlossen. Es kommt nicht darauf an, den Sinn dieses Traumes vollständig zu erkennen; soviel steht fest, daß er sinnreich ist und keineswegs harmlos [Fußnote]. II Ein anderer harmloser Traum derselben Patientin, in gewisser Hinsicht ein Gegenstück zum vorigen: Ihr Mann fragt: Soll man das Klavier nicht stimmen la**en? Sie: Es lohnt nicht, es muß ohnedies neu beledert werden. Wiederum die Wiederholung eines realen Ereignisses vom Vortag. Ihr Mann hat so gefragt und sie so ähnlich geantwortet. Aber was bedeutet es, daß sie es träumt? Sie erzählt zwar vom Klavier, es sei ein kelhafter Kasten, der einen schlechten Ton gibt, ein Ding, das ihr Mann schon vor der Ehe besessen hat [Fußnote] usw., aber den Schlüssel zur Lösung ergibt doch erst die Rede: Es lohnt nicht. Diese stammt von einem gestern gemachten Besuch bei ihrer Freundin. Dort wurde sie aufgefordert, ihre Jacke abzulegen, und weigerte sich mit den Worten: Danke, es lohnt nicht, ich muß gleich gehen. Bei dieser Erzählung muß mir einfallen, daß sie gestern während der an*lysenarbeit plötzlich an ihre Jacke griff, an der sich ein Knopf geöffnet hatte. Es ist also, als wollte sie sagen: Bitte, sehen Sie nicht hin, es lohnt nicht. So ergänzt sich der Kasten zum Brustkasten, und die Deutung des Traumes führt direkt in die Zeit ihrer körperlichen Entwicklung, da sie anfing, mit ihren Körperformen unzufrieden zu sein. Es führt auch wohl in frühere Zeiten, wenn wir auf das »Ekelhaft« und den »schlechten Ton« Rücksicht nehmen und uns daran erinnern, wie häufig die kleinen Hemisphären des weiblichen Körpers – als Gegensatz und als Ersatz – für die großen eintreten – in der Anspielung und im Traum. III Ich unterbreche diese Reihe, indem ich einen kurzen harmlosen Traum eines jungen Mannes einschiebe. Er hat geträumt, daß er wieder seinen Winterrock anzieht, was schrecklich ist. Anlaß dieses Traumes ist angeblich die plötzlich wieder eingetretene Kälte. Ein feineres Urteil wird indes bemerken, daß die beiden kurzen Stücke des Traumes nicht gut zueinander pa**en, denn in der Kälte den schweren oder dicken Rock tragen, was könnte daran »schrecklich« sein. Zum Schaden für die Harmlosigkeit dieses Traumes bringt auch der erste Einfall bei der an*lyse die Erinnerung, daß eine Dame ihm gestern vertraulich gestanden, daß ihr letztes Kind einem geplatzten Kondom seine Existenz verdankt. Er rekonstruiert nun seine Gedanken bei diesem Anla**e: Ein dünner Kondom ist gefährlich, ein dicker schlecht. Der Kondom ist der »Überzieher« mit Recht, man zieht ihn ja über; so heißt man auch einen leichten Rock. Ein Ereignis wie das von der Dame berichtete wäre für den unverheirateten Mann allerdings »schrecklich«. Nun wieder zurück zu unserer harmlosen Träumerin. IV Sie steckt eine Kerze in den Leuchter; die Kerze ist aber gebrochen, so daß sie nicht gut steht. Die Mädchen in der Schule sagen, sie sei ungeschickt; das Fräulein aber, es sei nicht ihre Schuld. Ein realer Anlaß auch hier; sie hat gestern wirklich eine Kerze in den Leuchter gesteckt; die war aber nicht gebrochen. Hier ist eine durchsichtige Symbolik verwendet worden. Die Kerze ist ein Gegenstand, der die weiblichen Genitalien reizt; wenn sie gebrochen ist, so daß sie nicht gut steht, so bedeutet dies die Impotenz des Mannes (»es sei nicht ihre Schuld«). Ob nur die sorgfältig erzogene und allem Häßlichen fremd gebliebene junge Frau diese Verwendung der Kerze kennt? Zufällig kann sie noch angeben, durch welches Erlebnis sie zu dieser Kenntnis gekommen ist. Bei einer Kahnfahrt auf dem Rhein fährt ein Boot an ihnen vorüber, in dem Studenten sitzen, welche mit großem Behagen ein Lied singen oder brüllen: »Wenn die Königin von Schweden, bei geschlossenen Fensterläden mit Apollokerzen . . .« Das letzte Wort hört oder versteht sie nicht. Ihr Mann muß ihr die verlangte Aufklärung geben. Diese Verse sind dann im Trauminhalt ersetzt durch eine harmlose Erinnerung an einen Auftrag, den sie einmal im Pensionat ungeschickt ausführte, und zwar vermöge des Gemeinsamen: eschlossene Fensterläden. Die Verbindung des Themas von der Onanie mit der Impotenz ist klar genug. »Apollo« im latenten Trauminhalt verknüpft diesen Traum mit einem früheren, in dem von der jungfräulichen Pallas die Rede war. Alles wahrlich nicht harmlos. V Damit man sich die Schlüsse aus den Träumen auf die wirklichen Lebensverhältnisse der Träumer nicht zu leicht vorstelle, füge ich noch einen Traum an, der gleichfalls harmlos scheint und von derselben Person herrührt. Ich habe etwas geträumt, erzählt sie, was ich bei Tag wirklich getan habe, nämlich einen kleinen Koffer so voll mit Büchern gefüllt, daß ich Mühe hatte, ihn zu schließen, und ich habe es so geträumt, wie es wirklich vorgefallen ist. Hier legt die Erzählerin selbst das Hauptgewicht auf die Übereinstimmung von Traum und Wirklichkeit. Alle solchen Urteile über den Traum, Bemerkungen zum Traum, gehören nun, obwohl sie sich einen Platz im wachen Denken geschaffen haben, doch regelmäßig in den latenten Trauminhalt, wie uns noch spätere Beispiele bestätigen werden. Es wird uns also gesagt, das, was der Traum erzählt, ist am Tag vorher wirklich vorgefallen. Es wäre nun zu weitläufig, mitzuteilen, auf welchem Wege man zum Einfalle kommt, bei der Deutung das Englische zur Hilfe zu nehmen. Genug, es handelt sich wieder um eine kleine box (vgl. S. 169 f. den Traum vom toten Kind in der Schachtel), die so angefüllt worden ist, daß nichts mehr hineinging. Wenigstens nichts Arges diesmal. In all diesen »harmlosen« Träumen schlägt das s**uelle Moment als Motiv der Zensur so sehr auffällig vor. Doch ist dies ein Thema von prinzipieller Bedeutung, welches wir zur Seite stellen müssen. B DAS INFANTILE ALS TRAUMQUELLE Als dritte unter den Eigentümlichkeiten des Trauminhaltes haben wir mit allen Autoren (bis auf Robert) angeführt, daß im Traume Eindrücke aus den frühesten Lebensaltern erscheinen können, über welche das Gedächtnis im Wachen nicht zu verfügen scheint. Wie selten oder wie häufig sich dies ereignet, ist begreiflicherweise schwer zu beurteilen, weil die betreffenden Elemente des Traumes nach dem Erwachen nicht in ihrer Herkunft erkannt werden. Der Nachweis, daß es sich hier um Eindrücke der Kindheit handelt, muß also auf objektivem Wege erbracht werden, wozu sich die Bedingungen nur in seltenen Fällen zusammenfinden können. Als besonders beweiskräftig wird von A. Maury die Geschichte eines Mannes erzählt, welcher eines Tages sich entschloß, nach zwanzigjähriger Abwesenheit seinen Heimatsort aufzusuchen. In der Nacht vor der Abreise träumte er, er sei in einer ihm ganz unbekannten Ortschaft und begegne daselbst auf der Straße einem unbekannten Herrn, mit dem er sich unterhalte. In seine Heimat zurückgekehrt, konnte er sich nun überzeugen, daß diese unbekannte Ortschaft in nächster Nähe seiner Heimatstadt wirklich existiere, und auch der unbekannte Mann des Traumes stellte sich als ein dort lebender Freund seines verstorbenen Vaters heraus. Wohl ein zwingender Beweis dafür, daß er beide, Mann wie Ortschaft, in seiner Kindheit gesehen hatte. Der Traum ist übrigens als Ungeduldstraum zu deuten, wie der des Mädchens, welches das Billet für den Konzertabend in der Tasche trägt (S. 167 ff.); des Kindes, welchem der Vater den Ausflug nach dem Hameau versprochen hat, u. dgl. Die Motive, welche dem Träumer gerade diesen Eindruck aus seiner Kindheit reproduzieren, sind natürlich ohne an*lyse nicht aufzudecken. Einer meiner Kolleghörer, welcher sich rühmte, daß seine Träume nur sehr selten der Traumentstellung unterliegen, teilte mir mit, daß er vor einiger Zeit im Traume gesehen, sein ehemaliger Hofmeister befinde sich im Bette der Bonne, die bis zu seinem elften Jahre im Hause gewesen war. Die Örtlichkeit für diese Szene fiel ihm noch im Traume ein. Lebhaft interessiert teilte er den Traum seinem älteren Bruder mit, der ihm lachend die Wirklichkeit des Geträumten bestätigte. Er erinnere sich sehr gut daran, denn er sei damals sechs Jahre alt gewesen. Das Liebespaar pflegte ihn, den älteren Knaben, durch Bier betrunken zu machen, wenn die Umstände einem nächtlichen Verkehre günstig waren. Das kleinere, damals dreijährige Kind – unser Träumer –, das im Zimmer der Bonne schlief, wurde nicht als Störung betrachtet. Noch in einem anderen Falle läßt es sich mit Sicherheit ohne Beihilfe der Traumdeutung feststellen, daß der Traum Elemente aus der Kindheit enthält, wenn nämlich der Traum ein sogenannter perennierender ist, der, in der Kindheit zuerst geträumt, später immer wieder von Zeit zu Zeit während des Schlafes des Erwachsenen auftritt. Zu den bekannten Beispielen dieser Art kann ich einige aus meiner Erfahrung hinzufügen, wenngleich ich an mir selbst einen solchen perennierenden Traum nicht kennengelernt habe. Ein Arzt in den Dreißigern erzählte mir, daß in seinem Traumleben von den ersten Zeiten seiner Kindheit an bis zum heutigen Tage häufig ein gelber Löwe erscheint, über den er die genaueste Auskunft zu geben vermag. Dieser ihm aus Träumen bekannte Löwe fand sich nämlich eines Tages in natura als ein lange verschollener Gegenstand aus Porzellan vor, und der junge Mann hörte damals von seiner Mutter, daß dieses Objekt das begehrteste Spielzeug seiner frühen Kinderzeit gewesen war, woran er sich selbst nicht mehr erinnern konnte. Wendet man sich nun von dem manifesten Trauminhalt zu den Traumgedanken, welche erst die an*lyse aufdeckt, so kann man mit Erstaunen die Mitwirkung von Kindheitserlebnissen auch bei solchen Träumen konstatieren, deren Inhalt keine derartige Vermutung erweckt hätte. Dem geehrten Kollegen vom »gelben Löwen« verdanke ich ein besonders liebenswürdiges und lehrreiches Beispiel eines solchen Traumes. Nach der Lektüre von Nansens Reisebericht über seine Polarexpedition träumte er, in einer Eiswüste galvanisiere er den kühnen Forscher wegen einer Ischias, über welche dieser klage! Zur an*lyse dieses Traumes fiel ihm eine Geschichte aus seiner Kindheit ein, ohne welche der Traum allerdings unverständlich bliebe. Als er ein drei- oder vierjähriges Kind war, hörte er eines Tages neugierig zu, wie die Erwachsenen von Entdeckungsreisen sprachen, und fragte dann den Papa, ob das eine schwere Krankheit sei. Er hatte offenbar Reisen mit »Reißen« verwechselt, und der Spott seiner Geschwister sorgte dafür, daß ihm das beschämende Erlebnis nicht in Vergessenheit geriet. Ein ganz ähnlicher Fall ist es, wenn ich in der an*lyse des Traumes von der Monographie über die Gattung Zyklamen auf eine erhalten gebliebene Jugenderinnerung stoße, daß der Vater dem fünfjährigen Knaben ein mit farbigen Tafeln ausgestattetes Buch zur Zerstörung überläßt. Man wird etwa den Zweifel aufwerfen, ob diese Erinnerung wirklich an der Gestaltung des Trauminhalts Anteil genommen hat, ob nicht vielmehr die Arbeit der an*lyse eine Beziehung erst nachträglich herstellt. Aber die Reichhaltigkeit und Verschlungenheit der Assoziationsverknüpfungen bürgt für die erstere Auffa**ung: Zyklamen – Lieblingsblume – Lieblingsspeise – Artischocke; zerpflücken wie eine Artischocke, Blatt für Blatt (eine Wendung, die einem anläßlich der Teilung des chinesischen Reiches täglich ans Ohr schlägt); – Herbarium – Bücherwurm, dessen Lieblingsspeise Bücher sind. Außerdem kann ich versichern, daß der letzte Sinn des Traumes, den ich hier nicht ausgeführt habe, zum Inhalt der Kinderszene in intimster Beziehung steht. Bei einer anderen Reihe von Träumen wird man durch die an*lyse belehrt, daß der Wunsch selbst, der den Traum erregt hat, als dessen Erfüllung der Traum sich darstellt, aus dem Kinderleben stammt, so daß man zu seiner Überraschung im Traum das Kind mit seinen Impulsen weiterlebend findet. Ich setze an dieser Stelle die Deutung eines Traumes fort, aus dem wir bereits einmal neue Belehrung geschöpft haben, ich meine den Traum: Freund R. ist mein Onkel. Wir haben dessen Deutung so weit gefördert, daß uns das Wunschmotiv, zum Professor ernannt zu werden, greifbar entgegentrat, und wir erklärten uns die Zärtlichkeit des Traumes für Freund R. als eine Oppositions- und Trotzschöpfung gegen die Schmähung der beiden Kollegen, die in den Traumgedanken enthalten war. Der Traum war mein eigener; ich darf darum dessen an*lyse mit der Mitteilung fortsetzen, daß mein Gefühl durch die erreichte Lösung noch nicht befriedigt war. Ich wußte, daß mein Urteil über die in den Traumgedanken mißhandelten Kollegen im Wachen ganz anders gelautet hatte; die Macht des Wunsches, ihr Schicksal in betreff der Ernennung nicht zu teilen, erschien mir zu gering, um den Gegensatz zwischen wacher und Traumschätzung voll aufzuklären. Wenn mein Bedürfnis, mit einem anderen Titel angeredet zu werden, so stark sein sollte, so beweist dies einen krankhaften Ehrgeiz, den ich nicht an mir kenne, den ich ferne von mir glaube. Ich weiß nicht, wie andere, die mich zu kennen glauben, in diesem Punkt über mich urteilen würden; vielleicht habe ich auch wirklich Ehrgeiz besessen; aber wenn, so hat er sich längst auf andere Objekte als auf Titel und Rang eines Professor extraordinarius geworfen. Woher dann also der Ehrgeiz, der mir den Traum eingegeben hat? Da fällt mir ein, was ich so oft in der Kindheit erzählen gehört habe, daß bei meiner Geburt eine alte Bäuerin der über den Erstgeborenen glücklichen Mutter prophezeit, daß sie der Welt einen großen Mann geschenkt habe. Solche Prophezeiungen müssen sehr häufig vorfallen; es gibt so viel erwartungsfrohe Mütter und so viel alte Bäuerinnen oder andere alte Weiber, deren Macht auf Erden vergangen ist und die sich darum der Zukunft zugewendet haben. Es wird auch nicht der Schade der Prophetin gewesen sein. Sollte meine Größensehnsucht aus dieser Quelle stammen? Aber da besinne ich mich eben eines anderen Eindrucks aus späteren Jugendjahren, der sich zur Erklärung noch besser eignen würde: Es war eines Abends in einem der Wirtshäuser im Prater, wohin die Eltern den elf- oder zwölfjährigen Knaben mitzunehmen pflegten, daß uns ein Mann auffiel, der von Tisch zu Tisch ging und für ein kleines Honorar Verse über ein ihm aufgegebenes Thema improvisierte. Ich wurde abgeschickt, den Dichter an unseren Tisch zu bestellen, und er erwies sich dem Boten dankbar. Ehe er nach seiner Aufgabe fragte, ließ er einige Reime über mich fallen und erklärte es in seiner Inspiration für wahrscheinlich, daß ich noch einmal »Minister« werde. An den Eindruck dieser zweiten Prophezeiung kann ich mich noch sehr wohl erinnern. Es war die Zeit des Bürgerministeriums, der Vater hatte kurz vorher die Bilder der bürgerlichen Doktoren Herbst, Giskra, Unger, Berger u. a. nach Hause gebracht, und wir hatten diesen Herren zur Ehre illuminiert. Es waren sogar Juden unter ihnen; jeder fleißige Judenknabe trug also das Ministerportefeuille in seiner Schultasche. Es muß mit den Eindrücken jener Zeit sogar zusammenhängen, daß ich bis kurz vor der Inskription an der Universität willens war, Jura zu studieren, und erst im letzten Moment umsattelte. Dem Mediziner ist ja die Ministerlaufbahn überhaupt verschlossen. Und nun mein Traum! Ich merke es erst jetzt, daß er mich aus der trüben Gegenwart in die hoffnungsfrohe Zeit des Bürgerministeriums zurückversetzt und meinen Wunsch von damals nach seinen Kräften erfüllt. Indem ich die beiden gelehrten und achtenswerten Kollegen, weil sie Juden sind, so schlecht behandle, den einen, als ob er ein Schwachkopf, den anderen, als ob er ein Verbrecher wäre, indem ich so verfahre, benehme ich mich, als ob ich der Minister wäre, habe ich mich an die Stelle des Ministers gesetzt. Welch gründliche Rache an Seiner Exzellenz! Er verweigert es, mich zum Professor extraordinarius zu ernennen, und ich setze mich dafür im Traum an seine Stelle. In einem anderen Falle konnte ich merken, daß der Wunsch, welcher den Traum erregt, obzwar ein gegenwärtiger, doch eine mächtige Verstärkung aus tiefreichenden Kindererinnerungen bezieht. Es handelt sich hier um eine Reihe von Träumen, denen die Sehnsucht, nach Rom zu kommen, zugrunde liegt. Ich werde diese Sehnsucht wohl noch lange Zeit durch Träume befriedigen müssen, denn um die Zeit des Jahres, welche mir für eine Reise zur Verfügung steht, ist der Aufenthalt in Rom aus Rücksichten der Gesundheit zu meiden [Fußnote]. So träume ich denn einmal, daß ich vom Coupéfenster aus Tiber und Engelsbrücke sehe; dann setzt sich der Zug in Bewegung, und es fällt mir ein, daß ich die Stadt ja gar nicht betreten habe. Die Aussicht, die ich im Traume sah, war einem bekannten Stiche nachgebildet, den ich tags zuvor im Salon eines Patienten flüchtig bemerkt hatte. Ein andermal führt mich jemand auf einen Hügel und zeigt mir Rom vom Nebel halb verschleiert und noch so ferne, daß ich mich über die Deutlichkeit der Aussicht wundere. Der Inhalt dieses Traumes ist reicher, als ich hier ausführen möchte. Das Motiv, »das gelobte Land von ferne sehen«, ist darin leicht zu erkennen. Die Stadt, die ich so zuerst im Nebel gesehen habe, ist – Lübeck; der Hügel findet sein Vorbild in – Gleichenberg. In einem dritten Traum bin ich endlich in Rom, wie mir der Traum sagt. Ich sehe aber zu meiner Enttäuschung eine keineswegs städtische Szenerie, einen kleinen Fluß mit dunklem Wa**er, auf der einen Seite desselben schwarze Felsen, auf der anderen Wiesen mit großen weißen Blumen. Ich bemerke einen Herrn Zucker (den ich oberflächlich kenne) und beschließe, ihn um den Weg in die Stadt zu fragen. Es ist offenbar, daß ich mich vergebens bemühe, eine Stadt im Traume zu sehen, die ich im Wachen nicht gesehen habe. Wenn ich das Landschaftsbild des Traums in seine Elemente zersetze, so deuten die weißen Blumen auf das mir bekannte Ravenna, das wenigstens eine Zeitlang als Italiens Hauptstadt Rom den Vorrang abgenommen hatte. In den Sümpfen um Ravenna haben wir die schönsten Seerosen mitten im schwarzen Wa**er gefunden; der Traum läßt sie auf Wiesen wachsen wie die Narzissen in unserm Aussee, weil es damals so mühselig war, sie aus dem Wa**er zu holen. Der dunkle Fels, so nahe am Wa**er, erinnert lebhaft an das Tal der Tepl bei Karlsbad. »Karlsbad« setzt mich nun in den Stand, mir den sonderbaren Zug zu erklären, daß ich Herrn Zucker um den Weg frage. Es sind hier in dem Material, aus dem der Traum gesponnen ist, zwei jener lustigen jüdischen Anekdoten zu erkennen, die soviel tiefsinnige, oft bittere Lebensweisheit verbergen und die wir in Gesprächen und Briefen so gerne zitieren. Die eine ist die Geschichte von der »Konstitution«, des Inhalts, wie ein armer Jude ohne Fahrbillet den Einlaß in den Eilzug nach Karlsbad erschleicht, dann ertappt, bei jeder Revision vom Zuge gewiesen und immer härter behandelt wird, und der dann einem Bekannten, welcher ihn auf einer seiner Leidensstationen antrifft, auf die Frage, wohin er reise, zur Antwort gibt: »Wenn's meine Konstitution aushält – nach Karlsbad.« Nahe dabei ruht im Gedächtnis eine andere Geschichte, von einem des Französischen unkundigen Juden, dem eingeschärft wird, in Paris nach dem Wege zur Rue Richelieu zu fragen. Auch Paris war lange Jahre hindurch ein Ziel meiner Sehnsucht, und die Seligkeit, in welcher ich zuerst den Fuß auf das Pflaster von Paris setzte, nahm ich als Gewähr, daß ich auch die Erfüllung anderer Wünsche erreichen werde. Das Um-den-Weg-Fragen ist ferner eine direkte Anspielung an Rom, denn nach Rom führen bekanntlich alle Wege. Übrigens deutet der Name Zucker wiederum auf Karlsbad, wohin wir doch alle mit der konstitutionellen Krankheit Diabetes Behafteten schicken. Der Anlaß dieses Traumes war der Vorschlag meines Berliner Freundes, uns zu Ostern in Prag zu treffen. Aus den Dingen, die ich mit ihm zu besprechen hatte, würde sich eine weitere Beziehung zu »Zucker« und »Diabetes« ergeben. Ein vierter Traum, kurz nach dem letzterwähnten, bringt mich wieder nach Rom. Ich sehe eine Straßenecke vor mir und wundere mich darüber, daß dort so viele deutsche Plakate angeschlagen sind. Tags vorher hatte ich meinem Freund in prophetischer Voraussicht geschrieben, Prag dürfte für deutsche Spaziergänger kein bequemer Aufenthaltsort sein. Der Traum drückte also gleichzeitig den Wunsch aus, ihn in Rom zu treffen anstatt in einer böhmischen Stadt, und das wahrscheinlich aus der Studentenzeit stammende Interesse daran, daß in Prag der deutschen Sprache mehr Duldung gewährt sein möge. Die tschechische Sprache muß ich übrigens in meinen ersten Kinderjahren verstanden haben, da ich in einem kleinen Orte Mährens mit slawischer Bevölkerung geboren bin. Ein tschechischer Kindervers, den ich in meinem siebzehnten Jahre gehört, hat sich meinem Gedächtnis mühelos so eingeprägt, daß ich ihn noch heute hersagen kann, obwohl ich keine Ahnung von seiner Bedeutung habe. Es fehlt also auch diesen Träumen nicht an mannigfaltigen Beziehungen zu den Eindrücken meiner ersten Lebensjahre. Auf meiner letzten Italienreise, die mich unter anderem am Trasimener See vorbeiführte, fand ich endlich, nachdem ich den Tiber gesehen und schmerzlich bewegt achtzig Kilometer weit von Rom umgekehrt war, die Verstärkung auf, welche meine Sehnsucht nach der ewigen Stadt aus Jugendeindrücken bezieht. Ich erwog gerade den Plan, ein nächstes Jahr an Rom vorbei nach Neapel zu reisen, als mir ein Satz einfiel, den ich bei einem unserer kla**ischen Schriftsteller [Fußnote] gelesen haben muß: Es ist fraglich, wer eifriger in seiner Stube auf und ab lief, nachdem er den Plan gefaßt, nach Rom zu gehen, der Konrektor Winckelmann oder der Feldherr Hannibal. Ich war ja auf den Spuren Hannibals gewandelt; es war mir so wenig wie ihm beschieden, Rom zu sehen, und auch er war nach Kampanien gezogen, nachdem alle Welt in Rom ihn erwartet hatte. Hannibal, mit dem ich diese Ähnlichkeit erreicht hatte, war aber der Lieblingsheld meiner Gymnasialjahre gewesen; wie so viele in jenem Alter, hatte ich meine Sympathien während der punischen Kriege nicht den Römern, sondern dem Karthager zugewendet. Als dann im Obergymnasium das erste Verständnis für die Konsequenzen der Abstammung aus landesfremder Ra**e erwuchs und die antisemitischen Regungen unter den Kameraden mahnten, Stellung zu nehmen, da hob sich die Gestalt des semitischen Feldherrn noch höher in meinen Augen. Hannibal und Rom symbolisierten dem Jüngling den Gegensatz zwischen der Zähigkeit des Judentums und der Organisation der katholischen Kirche. Die Bedeutung, welche die antisemitische Bewegung seither für unser Gemütsleben gewonnen hat, verhalf dann den Gedanken und Empfindungen jener früheren Zeit zur Fixierung. So ist der Wunsch, nach Rom zu kommen, für das Traumleben zum Deckmantel und Symbol für mehrere andere heiß ersehnte Wünsche geworden, an deren Verwirklichung man mit der Ausdauer und Ausschließlichkeit des Puniers arbeiten möchte und deren Erfüllung zeitweilig vom Schicksal ebensowenig begünstigt scheint wie der Lebenswunsch Hannibals, in Rom einzuziehen. Und nun stoße ich erst auf das Jugenderlebnis, das in all diesen Empfindungen und Träumen noch heute seine Macht äußert. Ich mochte zehn oder zwölf Jahre gewesen sein, als mein Vater begann, mich auf seine Spaziergänge mitzunehmen und mir in Gesprächen seine Ansichten über die Dinge dieser Welt zu eröffnen. So erzählte er mir einmal, um mir zu zeigen, in wieviel bessere Zeiten ich gekommen sei als er: Als ich ein junger Mensch war, bin ich in deinem Geburtsort am Samstag in der Straße spazierengegangen, schön gekleidet, mit einer neuen Pelzmütze auf dem Kopf. Da kommt ein Christ daher, haut mir mit einem Schlag die Mütze in den Kot und ruft dabei: Jud, herunter vom Trottoir! »Und was hast du getan?« Ich bin auf den Fahrweg gegangen und habe die Mütze aufgehoben, war die gela**ene Antwort. Das schien mir nicht heldenhaft von dem großen starken Mann, der mich Kleinen an der Hand führte. Ich stellte dieser Situation, die mich nicht befriedigte, eine andere gegenüber, die meinem Empfinden besser entsprach, die Szene, in welcher Hannibals Vater, Hamilkar Barkas [Fußnote], seinen Knaben vor dem Hausaltar schwören läßt, an den Römern Rache zu nehmen. Seitdem hatte Hannibal einen Platz in meinen Phantasien. Ich meine, daß ich diese Schwärmerei für den karthagischen General noch ein Stück weiter in meine Kindheit zurück verfolgen kann, so daß es sich auch hier nur um die Übertragung einer bereits gebildeten Affektrelation auf einen neuen Träger handeln dürfte. Eines der ersten Bücher, das dem lesefähigen Kind in die Hände fiel, war Thiers' Konsulat und Kaiserreich; ich erinnere mich, daß ich meinen Holzsoldaten kleine Zettel mit den Namen der kaiserlichen Marschälle auf den flachen Rücken geklebt und daß damals schon Ma**éna (als Jude: Mena**e) mein erklärter Liebling war [Fußnote]. (Diese Bevorzugung wird wohl auch durch den Zufall des gleichen Geburtsdatums, genau hundert Jahre später, aufzuklären sein.) Napoleon selbst schließt sich durch den Übergang über die Alpen an Hannibal an. Und vielleicht ließe sich die Entwicklung dieses Kriegerideals noch weiter zurück in die Kindheit verfolgen bis auf Wünsche, die der bald freundschaftliche, bald kriegerische Verkehr während der ersten drei Jahre mit einem um ein Jahr älteren Knaben bei dem schwächeren der beiden Gespielen hervorrufen mußte. Je tiefer man sich in die an*lyse der Träume einläßt, desto häufiger wird man auf die Spur von Kindheitserlebnissen geführt, welche im latenten Trauminhalt eine Rolle als Traumquellen spielen. Wir haben gehört (S. 47), daß der Traum sehr selten Erinnerungen so reproduziert, daß sie unverkürzt und unverändert den alleinigen manifesten Trauminhalt bilden. Immerhin sind einige Beispiele für dieses Vorkommen sichergestellt, zu denen ich einige neue hinzufügen kann, die sich wiederum auf Infantilszenen beziehen. Bei einem meiner Patienten brachte einmal ein Traum eine kaum entstellte Wiedergabe eines s**uellen Vorfalles, die sofort als getreue Erinnerung erkannt wurde. Die Erinnerung daran war im Wachen zwar nie völlig verloren gewesen, aber doch stark verdunkelt worden, und ihre Neubelebung war ein Erfolg der vorausgegangenen an*lytischen Arbeit. Der Träumer hatte mit zwölf Jahren einen bettlägerigen Kollegen besucht, der sich wahrscheinlich nur zufällig bei einer Bewegung im Bette entblößte. Beim Anblick seiner Genitalien von einer Art Zwang ergriffen, entblößte er sich selbst und faßte das Glied des anderen, der ihn aber unwillig und verwundert ansah, worauf er verlegen wurde und abließ. Diese Szene wiederholte ein Traum dreiundzwanzig Jahre später auch mit allen Einzelheiten der in ihr vorkommenden Empfindungen, veränderte sie aber dahin, daß der Träumer anstatt der aktiven die pa**ive Rolle übernahm, während die Person des Schulkollegen durch eine der Gegenwart angehörige ersetzt wurde. In der Regel freilich ist die Infantilszene im manifesten Trauminhalt nur durch eine Anspielung vertreten und muß durch Deutung aus dem Traum entwickelt werden. Die Mitteilung solcher Beispiele kann nicht sehr beweiskräftig ausfallen, weil ja für diese Kindererlebnisse meistens jede andere Gewähr fehlt; sie werden, wenn sie in ein frühes Alter fallen, von der Erinnerung nicht mehr anerkannt. Das Recht, überhaupt aus Träumen auf solche Kindererlebnisse zu schließen, ergibt sich bei der psychoan*lytischen Arbeit aus einer ganzen Reihe von Momenten, die in ihrem Zusammenwirken verläßlich genug erscheinen. Zum Zwecke der Traumdeutung aus ihrem Zusammenhange gerissen, werden solche Zurückführungen auf Kindererlebnisse vielleicht wenig Eindruck machen, besonders da ich nicht einmal alles Material mitteile, auf welches sich die Deutung stützt. Indes will ich mich darum von der Mitteilung nicht abhalten la**en. I Bei einer meiner Patientinnen haben alle Träume den Charakter des »Gehetzten«; sie hetzt sich, um zurechtzukommen, den Eisenbahnzug nicht zu versäumen u. dgl. In einem Traume soll sie ihre Freundin besuchen; die Mutter hat ihr gesagt, sie soll fahren, nicht gehen; sie läuft aber und fällt dabei in einem fort. – Das bei der an*lyse auftauchende Material gestattet, die Erinnerung an Kinderhetzereien zu erkennen (man weiß, was der Wiener »eine Hetz« nennt), und gibt speziell für den einen Traum die Zurückführung auf den bei Kindern beliebten Scherz, den Satz: »Die Kuh rannte, bis sie fiel« so rasch auszusprechen, als ob er ein einziges Wort wäre, was wiederum ein »Hetzen« ist. Alle diese harmlosen Hetzereien unter kleinen Freundinnen werden erinnert, weil sie andere, minder harmlose, ersetzen. II Von einer anderen folgender Traum: Sie ist in einem großen Zimmer, in dem allerlei Maschinen stehen, etwa so, wie sie sich eine orthopädische Anstalt vorstellt. Sie hört, daß ich keine Zeit habe und daß sie die Behandlung gleichzeitig mit fünf anderen machen muß. Sie sträubt sich aber und will sich in das für sie bestimmte Bett – oder was es ist – nicht legen. Sie steht in einem Winkel und wartet, daß ich sage, es ist nicht wahr. Die anderen lachen sie unterdes aus, es sei Faxerei von ihr. – Daneben, als ob sie viele kleine Quadrate machen würde. Der erste Teil dieses Trauminhalts ist eine Anknüpfung an die Kur und Übertragung auf mich. Der zweite enthält die Anspielung an die Kinderszene; mit der Erwähnung des Bettes sind die beiden Stücke aneinandergelötet. Die orthopädische Anstalt geht auf eine meiner Reden zurück, in der ich die Behandlung ihrer Dauer wie ihrem Wesen nach mit einer orthopädischen verglichen hatte. Ich mußte ihr zu Anfang der Behandlung mitteilen, daß ich vorläufig wenig Zeit für sie habe, ihr aber später eine ganze Stunde täglich widmen würde. Dies machte die alte Empfindlichkeit in ihr rege, die ein Hauptcharakterzug der zur Hysterie bestimmten Kinder ist. Sie sind unersättlich nach Liebe. Meine Patientin war die jüngste von sechs Geschwistern (daher: mit fünf anderen) und als solche der Liebling des Vaters, scheint aber gefunden zu haben, daß der geliebte Vater ihr noch zu wenig Zeit und Aufmerksamkeit widme. – Daß sie wartet, bis ich sage, es ist nicht wahr, hat folgende Ableitung: Ein kleiner Schneiderjunge hatte ihr ein Kleid gebracht und sie ihm dafür das Geld mitgegeben. Dann fragte sie ihren Mann, ob sie das Geld nochmals bezahlen müsse, wenn er es verliere. Der Mann, um sie zu necken, versicherte: ja (die Neckerei im Trauminhalt), und sie fragte immer wieder von neuem und wartete darauf, daß er endlich sage, es ist nicht wahr. Nun läßt sich für den latenten Trauminhalt der Gedanke konstruieren, ob sie mir wohl das Doppelte bezahlen müsse, wenn ich ihr die doppelte Zeit widme, ein Gedanke, der geizig oder schmutzig ist. (Die Unreinlichkeit der Kinderzeit wird sehr häufig vom Traum durch Geldgeiz ersetzt; das Wort »schmutzig« bildet dabei die Brücke.) Wenn all das vom Warten, bis ich sage usw., das Wort »schmutzig« im Traum umschreiben soll, so stimmt das Im-Winkel-Stehen und das Sich-nicht-ins-Bett-Legen dazu als Bestandteil einer Kinderszene, in der sie das Bett schmutzig gemacht hätte, zur Strafe in den Winkel gestellt wird unter der Androhung, daß sie der Papa nicht mehr liebhaben werde, die Geschwister sie auslachen usw. Die kleinen Quadrate zielen auf ihre kleine Nichte, die ihr die Rechenkunst gezeigt, wie man in neun Quadrate, glaube ich, Zahlen so einschreibt, daß sie addiert nach allen Richtungen fünfzehn ergeben. III Der Traum eines Mannes: Er sieht zwei Knaben, die sich balgen, und zwar Faßbinderknaben, wie er aus den herumliegenden Gerätschaften schließt; einer der Knaben hat den anderen niedergeworfen, der liegende Knabe hat Ohrringe mit blauen Steinen. Er eilt dem Missetäter mit erhobenem Stock nach, um ihn zu züchtigen. Dieser flüchtet zu einer Frau, die bei einem Bretterzaun steht, als ob sie seine Mutter wäre. Es ist eine Taglöhnersfrau, die dem Träumer den Rücken zuwendet. Endlich kehrt sie sich um und schaut ihn mit einem gräßlichen Blick an, so daß er erschreckt davonläuft. An ihren Augen sieht man vom unteren Lid das rote Fleisch vorstehen. Der Traum hat triviale Begebenheiten des Vortags reichlich verwertet. Er hat gestern wirklich zwei Knaben auf der Straße gesehen, von denen einer den anderen hinwarf. Als er hinzueilte, um zu schlichten, ergriffen sie die Flucht. – Faßbinderknaben: wird erst durch einen nachfolgenden Traum erklärt, in dessen an*lyse er die Redensart gebraucht: Dem Faß den Boden ausschlagen. – Ohrringe mit blauen Steinen tragen nach seiner Beobachtung meist die Prostituierten. So fügt sich ein bekannter Klapphornvers von zwei Knaben an: Der andere Knabe, der hieß Marie (d. h. war ein Mädchen). – Die stehende Frau: Nach der Szene mit den beiden Knaben ging er am Donauufer spazieren und benützte die Einsamkeit dort, um gegen einen Bretterzaun zu urinieren. Auf dem weiteren Weg lächelte ihn eine anständig gekleidete ältere Dame sehr freundlich an und wollte ihm ihre Adreßkarte überreichen. Da die Frau im Traume so steht wie er beim Urinieren, so handelt es sich um ein urinierendes Weib, und dazu gehört dann der gräßliche »Anblick«, das Vorstehen des roten Fleisches, was sich nur auf die beim Kauern klaffenden Genitalien beziehen kann, die, in der Kinderzeit gesehen, in der späteren Erinnerung als »wildes Fleisch«, als »Wunde« wieder auftreten. Der Traum vereinigt zwei Anlässe, bei denen der kleine Knabe die Genitalien kleiner Mädchen sehen konnte, beim Hinwerfen und bei deren Urinieren, und wie aus dem anderen Zusammenhange hervorgeht, bewahrt er die Erinnerung an eine Züchtigung oder Drohung des Vaters wegen der von dem Buben bei diesen Anlässen bewiesenen s**uellen Neugierde. IV Eine ganze Summe von Kindererinnerungen, zu einer Phantasie notdürftig vereinigt, findet sich hinter folgendem Traum einer älteren Dame. Sie geht in Hetze aus, Kommissionen zu machen. Auf dem Graben sinkt sie dann, wie zusammengebrochen, in die Knie. Viele Leute sammeln sich um sie, besonders die Fiakerkutscher; aber niemand hilft ihr auf. Sie macht viele vergebliche Versuche; endlich muß es gelungen sein, denn man setzt sie in einen Fiaker, der sie nach Hause bringen soll; durchs Fenster wirft man ihr einen großen, schwer gefüllten Korb nach (ähnlich einem Einkaufskorb). Es ist dieselbe, die in ihren Träumen immer gehetzt wird, wie sie als Kind gehetzt hat. Die erste Situation des Traumes ist offenbar von dem Anblick eines gestürzten Pferdes hergenommen, wie auch das »Zusammenbrechen« auf Wettrennen deutet. Sie war in jungen Jahren Reiterin, in noch jüngeren wahrscheinlich auch Pferd. Zu dem Hinstürzen gehört die erste Kindheitserinnerung an den siebzehnjährigen Sohn des Portiers, der, auf der Straße von epileptischen Krämpfen befallen, im Wagen nach Hause gebracht wurde. Davon hat sie natürlich nur gehört, aber die Vorstellung von epileptischen Krämpfen, vom »Hinfallenden« hat große Macht über ihre Phantasie gewonnen und später ihre eigenen hysterischen Anfälle in ihrer Form beeinflußt. – Wenn eine Frauensperson vom Fallen träumt, so hat das wohl regelmäßig einen s**uellen Sinn, sie wird eine »Gefallene«; für unseren Traum wird diese Deutung am wenigsten zweifelhaft sein, denn sie fällt auf dem Graben, jenem Platze von Wien, der als Korso der Prostitution bekannt ist. Der Einkaufskorb gibt mehr als eine Deutung; als Korb erinnert er an die vielen Körbe, die sie zuerst ihren Freiern ausgeteilt und später, wie sie meint, sich auch selbst geholt hat. Dazu gehört dann auch, daß ihr niemand aufhelfen will, was sie selbst als Verschmähtwerden auslegt. Ferner erinnert der Einkaufskorb an Phantasien, die der an*lyse bereits bekannt geworden sind, in denen sie tief unter ihrem Stande geheiratet hat und nun selbst zu Markte einkaufen geht. Endlich aber könnte der Einkaufskorb als Zeichen einer dienenden Person gedeutet werden. Dazu kommen nun weitere Kindheitserinnerungen, an eine Köchin, die weggeschickt wurde, weil sie stahl; die ist auch so in die Knie gesunken und hat gefleht. Sie war damals zwölf Jahre alt. Dann an ein Stubenmädchen, das weggeschickt wurde, weil es sich mit dem Kutscher des Hauses abgab, der sie übrigens später heiratete. Diese Erinnerung ergibt uns also eine Quelle für die Kutscher im Traum (die sich im Gegensatz zur Wirklichkeit der Gefallenen nicht annehmen). Es bleibt aber noch das Nachwerfen des Korbs, und zwar durchs Fenster, zu erklären. Das mahnt sie an das Expedieren des Gepäcks auf der Eisenbahn, an das »Fensterln« auf dem Lande, an kleine Eindrücke von dem Landaufenthalte, wie ein Herr einer Dame blaue Pflaumen durchs Fenster in ihr Zimmer wirft, wie ihre kleine Schwester sich gefürchtet, weil ein vorübergehender Trottel durchs Fenster ins Zimmer sah. Und nun taucht dahinter eine dunkle Erinnerung aus dem zehnten Lebensjahre auf, von einer Bonne, die auf dem Lande Liebesszenen mit einem Diener des Hauses aufführte, von denen das Kind doch etwas gemerkt haben konnte, und die mitsamt ihrem Liebhaber »expediert«, »hinausgeworfen« wurde (im Traum der Gegensatz: »hineingeworfen«), eine Geschichte, der wir uns auch von mehreren anderen Wegen her genähert hatten. Das Gepäck, der Koffer einer dienenden Person, wird aber in Wien geringschätzig als die »sieben Zwetschken« bezeichnet. »Pack' deine sieben Zwetschken zusammen und geh'.« An solchen Träumen von Patienten, deren an*lyse zu dunkel oder gar nicht mehr erinnerten Kindereindrücken, oft aus den ersten drei Lebensjahren, führt, hat meine Sammlung natürlich überreichen Vorrat. Es ist aber mißlich, Schlüsse aus ihnen zu ziehen, die für den Traum im allgemeinen gelten sollen; es handelt sich ja regelmäßig um neurotische, speziell hysterische Personen, und die Rolle, welche den Kinderszenen in diesen Träumen zufällt, könnte durch die Natur der Neurose und nicht durch das Wesen des Traums bedingt sein. Indes begegnet es mir bei der Deutung meiner eigenen Träume, die ich doch nicht wegen grober Leidenssymptome unternehme, ebensooft, daß ich im latenten Trauminhalt unvermutet auf eine Infantilszene stoße und daß mir eine ganze Serie von Träumen mit einemmal in die von einem Kindererlebnis ausgehenden Bahnen einmündet. Beispiele hiefür habe ich schon erbracht, und ich werde noch bei verschiedenen Anlässen weitere erbringen. Vielleicht kann ich den ganzen Abschnitt nicht besser beschließen als durch Mitteilung einiger Träume, in denen rezente Anlässe und langvergessene Kindererlebnisse mitsammen als Traumquellen auftreten. I Nachdem ich gereist bin, müde und hungrig das Bett aufgesucht habe, melden sich im Schlafe die großen Bedürfnisse des Lebens und ich träume: Ich gehe in eine Küche, um mir Mehlspeise geben zu la**en. Dort stehen drei Frauen, von denen eine die Wirtin ist und etwas in der Hand dreht, als ob sie Knödel machen würde. Sie antwortet, daß ich warten soll, bis sie fertig ist (nicht deutlich als Rede). Ich werde ungeduldig und gehe beleidigt weg. Ich ziehe einen Überrock an; der erste, den ich versuche, ist mir aber zu lang. Ich ziehe ihn wieder aus, etwas überrascht, daß er Pelzbesatz hat. Ein zweiter, den ich anziehe, hat einen langen Streifen mit türkischer Zeichnung eingesetzt. Ein Fremder mit langem Gesicht und kurzem Spitzbart kommt hinzu und hindert mich am Anziehen, indem er ihn für den seinen erklärt. Ich zeige ihm nun, daß er über und über türkisch gestickt ist. Er fragt: Was gehen Sie die türkischen (Zeichnungen, Streifen ...) an? Wir sind aber dann ganz freundlich miteinander. In der an*lyse dieses Traums fällt mir ganz unerwartet der erste Roman ein, den ich, vielleicht dreizehnjährig, gelesen, d. h. mit dem Ende des ersten Bandes begonnen habe. Den Namen des Romans und seines Autors habe ich nie gewußt, aber der Schluß ist mir nun in lebhafter Erinnerung. Der Held verfällt in Wahnsinn und ruft beständig die drei Frauennamen, die ihm im Leben das größte Glück und das Unheil bedeutet haben. Pelagie ist einer dieser Namen. Noch weiß ich nicht, was ich mit diesem Einfall in der an*lyse beginnen werde. Da tauchen zu den drei Frauen die drei Parzen auf, die das Geschick des Menschen spinnen, und ich weiß, daß eine der drei Frauen, die Wirtin im Traum, die Mutter ist, die das Leben gibt, mitunter auch, wie bei mir, dem Lebenden die erste Nahrung. An der Frauenbrust treffen sich Liebe und Hunger. Ein junger Mann, erzählt die Anekdote, der ein großer Verehrer der Frauenschönheit wurde, äußerte einmal, als die Rede auf die schöne Amme kam, die ihn als Säugling genährt: es tue ihm leid, die gute Gelegenheit damals nicht besser ausgenützt zu haben. Ich pflege mich der Anekdote zur Erläuterung für das Moment der Nachträglichkeit in dem Mechanismus der Psychoneurosen zu bedienen. – Die eine der Parzen also reibt die Handflächen aneinander, als ob sie Knödel machen würde. Eine sonderbare Beschäftigung für eine Parze, welche dringend der Aufklärung bedarf! Diese kommt nun aus einer anderen und früheren Kindererinnerung. Als ich sechs Jahre alt war und den ersten Unterricht bei meiner Mutter genoß, sollte ich glauben, daß wir aus Erde gemacht sind und darum zur Erde zurückkehren müssen. Es behagte mir aber nicht, und ich zweifelte die Lehre an. Da rieb die Mutter die Handflächen aneinander – ganz ähnlich wie beim Knödelmachen, nur daß sich kein Teig zwischen ihnen befindet – und zeigte mir die schwärzlichen Epidermisschuppen, die sich dabei abreiben, als eine Probe der Erde, aus der wir gemacht sind, vor. Mein Erstaunen über diese Demonstration ad oculos war grenzenlos, und ich ergab mich in das, was ich später in den Worten ausgedrückt hören sollte: »Du bist der Natur einen Tod schuldig.« [Fußnote] So sind es also wirklich Parzen, zu denen ich in die Küche gehe, wie so oft in den Kinderjahren, wenn ich hungrig war und die Mutter beim Herd mich mahnte zu warten, bis das Mittagessen fertig sei. Und nun die Knödel! Wenigstens einer meiner Universitätslehrer, aber gerade der, dem ich meine histologischen Kenntnisse (Epidermis) verdanke, wird sich bei dem Namen Knödl an eine Person erinnern, die er belangen mußte, weil sie ein Plagiat an seinen Schriften begangen hatte. Ein Plagiat begehen, sich aneignen, was man bekommen kann, auch wenn es einem andern gehört, leitet offenbar zum zweiten Teil des Traumes, in dem ich wie der Überrockdieb behandelt werde, der eine Zeitlang in den Hörsälen sein Wesen trieb. Ich habe den Ausdruck Plagiat niedergeschrieben, absichtslos, weil er sich mir darbot, und nun merke ich, daß er als Brücke zwischen verschiedenen Stücken des manifesten Trauminhalts dienen kann. Die Assoziationskette Pelagie – Plagiat – Plagiostomen [Fußnote] (Haifische) – Fischblase verbindet den alten Roman mit der Affäre Knödl und mit den Überziehern, die ja offenbar ein Gerät der s**uellen Technik bedeuten. (Vgl. Maurys Traum von Kilo – Lotto, S. 82.) Eine höchst gezwungene und unsinnige Verbindung zwar, aber doch keine, die ich im Wachen herstellen könnte, wenn sie nicht schon durch die Traumarbeit hergestellt wäre. Ja, als ob dem Drang, Verbindungen zu erzwingen, gar nichts heilig wäre, dient nun der teure Name Brücke (Wortbrücke siehe oben) dazu, mich an da**elbe Institut zu erinnern, in dem ich meine glücklichsten Stunden als Schüler verbracht, sonst ganz bedürfnislos (»So wird's Euch an der Weisheit Brüsten mit jedem Tage mehr gelüsten«), im vollsten Gegensatz zu den Begierden, die mich, während ich träume, plagen. Und endlich taucht die Erinnerung an einen anderen teuren Lehrer auf, dessen Name wiederum an etwas Eßbares anklingt (Fidschi, wie Knödl), und an eine traurige Szene, in der Epidermisschuppen eine Rolle spielen (die Mutter – Wirtin) und Geistesstörung (der Roman) und ein Mittel aus der lateinischen Küche, das den Hunger benimmt, das Kokain. So könnte ich den verschlungenen Gedankenwegen weiter folgen und das in der an*lyse fehlende Stück des Traums voll aufklären, aber ich muß es unterla**en, weil die persönlichen Opfer, die es erfordern würde, zu groß sind. Ich greife nur einen der Fäden auf, der direkt zu einem der dem Gewirre zugrunde liegenden Traumgedanken führen kann. Der Fremde mit langem Gesicht und Spitzbart, der mich am Anziehen hindern will, trägt die Züge eines Kaufmannes in Spalato, bei dem meine Frau reichlich türkische Stoffe eingekauft hat. Er hieß Popovic, ein verdächtiger Name, der auch dem Humoristen Stettenheim zu einer andeutungsvollen Bemerkung Anlaß gegeben hat. (»Er nannte mir seinen Namen und drückte mir errötend die Hand.«) Übrigens derselbe Mißbrauch mit Namen wie oben mit Pelagie, Knödl, Brücke, Fleischl. Daß solche Namenspielerei Kinderunart ist, darf man ohne Widerspruch behaupten; wenn ich mich in ihr ergehe, ist es aber ein Akt der Vergeltung, denn mein eigener Name ist unzählige Male solchen schwachsinnigen Witzeleien zum Opfer gefallen. Goethe bemerkt einmal, wie empfindlich man für seinen Namen ist, mit dem man sich verwachsen fühlt wie mit seiner Haut, als Herder auf seinen Namen dichtete: »Der du von Göttern abstammst, von Gothen oder vom Kote« – »So seid ihr Götterbilder auch zu Staub.« Ich merke, daß die Abschweifung über den Mißbrauch von Namen nur diese Klage vorbereiten sollte. Aber brechen wir hier ab. – Der Einkauf in Spalato mahnt mich an einen anderen Einkauf in Cattaro, bei dem ich allzu zurückhaltend war und die Gelegenheit zu schönen Erwerbungen versäumte. (Die Gelegenheit bei der Amme versäumt, s. o.) Einer der Traumgedanken, die dem Träumer der Hunger eingibt, lautet nämlich: Man soll sich nichts entgehen la**en, nehmen, was man haben kann, auch wenn ein kleines Unrecht dabei mitläuft; man soll keine Gelegenheit versäumen, das Leben ist so kurz, der Tod unvermeidlich. Weil es auch s**uell gemeint ist und weil die Begierde vor dem Unrecht nicht haltmachen will, hat dieses carpe diem die Zensur zu fürchten und muß sich hinter einem Traum verbergen. Dazu kommen nun alle Gegengedanken zu Wort, die Erinnerung an die Zeit, da die geistige Nahrung dem Träumer allein genügte, alle Abhaltungen und selbst die Drohungen mit den ekelhaften s**uellen Strafen. II Ein zweiter Traum erfordert einen längeren Vorbericht: Ich bin auf den Westbahnhof gefahren, um meine Ferienreise nach Aussee anzutreten, gehe aber schon zum früher abgehenden Ischler Zug auf den Perron. Dort sehe ich nun den Grafen Thun dastehen, der wiederum zum Kaiser nach Ischl fährt. Er war trotz des Regens im offenen Wagen angekommen, direkt durch die Eingangstür für Lokalzüge hinausgetreten und hatte den Türhüter, der ihn nicht kannte und ihm das Billet abnehmen wollte, mit einer kurzen Handbewegung ohne Erklärung von sich gewiesen. Ich soll dann, nachdem er im Ischler Zuge abgefahren ist, den Perron wieder verla**en und in den Wartesaal zurückgehen, setze es aber mühselig durch, daß ich bleiben darf. Ich vertreibe mir die Zeit damit aufzupa**en, wer da kommen wird, um sich auf dem Protektionswege ein Coupé anweisen zu la**en; nehme mir vor, dann Lärm zu schlagen, d. h. gleiches Recht zu verlangen. Unterdes singe ich mir etwas vor, was ich dann als die Arie aus Figaros Hochzeit erkenne: »Will der Herr Graf ein Tänzelein wagen, Tänzelein wagen, Soll er's nur sagen, ich spiel' ihm eins auf.« (Ein anderer hätte den Gesang vielleicht nicht erkannt.) Ich war den ganzen Abend in übermütiger, streitlustiger Stimmung gewesen, hatte Kellner und Kutscher gefrozzelt, hoffentlich ohne ihnen wehe zu tun; nun gehen mir allerlei freche und revolutionäre Gedanken durch den Kopf, wie sie zu den Worten Figaros pa**en und zur Erinnerung an die Komödie von Beaumarchais, die ich in der Comédie française aufführen gesehen. Das Wort von den großen Herren, die sich die Mühe gegeben haben, geboren zu werden; das Herrenrecht, das der Graf Almaviva bei Susanne zur Geltung bringen will; die Scherze, die unsere bösen oppositionellen Tagschreiber mit dem Namen des Grafen Thun anstellen, indem sie ihn Graf Nichtsthun nennen. Ich beneide ihn wirklich nicht; er hat jetzt einen schweren Gang zum Kaiser, und ich bin der eigentliche Graf Nichtsthun; ich gehe auf Ferien. Allerlei lustige Ferienvorsätze dazu. Es kommt nun ein Herr, der mir als Regierungsvertreter bei den medizinischen Prüfungen bekannt ist und der sich durch seine Leistungen in dieser Rolle den schmeichelhaften Beinamen »des Regierungsbeischläfers« zugezogen hat. Er verlangt unter Berufung auf seine amtliche Eigenschaft ein Halbcoupé erster Kla**e, und ich höre den Beamten zu einem andern sagen: Wo geben wir den Herrn mit der halben Ersten hin? Eine nette Bevorzugung; ich zahle meine erste Kla**e ganz. Ich bekomme dann auch ein Coupé für mich, aber nicht in einem durchgehenden Wagen, so daß mir die Nacht über kein Abort zur Verfügung steht. Meine Klage beim Beamten hat keinen Erfolg; ich räche mich, indem ich ihm den Vorschlag mache, in diesem Coupé wenigstens ein Loch im Boden anbringen zu la**en, für etwaige Bedürfnisse der Reisenden. Ich erwache auch wirklich um dreiviertel drei Uhr morgens mit Harndrang aus nachstehendem Traum: Menschenmenge, Studentenversammlung. – Ein Graf (Thun oder Taaffe) redet. Aufgefordert, etwas über die Deutschen zu sagen, erklärt er mit höhnischer Gebärde für ihre Lieblingsblume den Huflattich und steckt dann etwas wie ein zerfetztes Blatt, eigentlich ein zusammengeknülltes Blattgerippe ins Knopfloch. Ich fahre auf, fahre also auf [Fußnote], wundere mich aber doch über diese meine Gesinnung. Dann undeutlicher: Als ob es die Aula wäre, die Zugänge besetzt, und man müßte fliehen. Ich bahne mir den Weg durch eine Reihe von schön eingerichteten Zimmern, offenbar Regierungszimmern, mit Möbeln in einer Farbe zwischen braun und violett, und komme endlich in einen Gang, in dem eine Haushälterin, ein älteres dickes Frauenzimmer, sitzt. Ich vermeide es, mit ihr zu sprechen; sie hält mich aber offenbar für berechtigt, hier zu pa**ieren, denn sie fragt, ob sie mit der Lampe mitgehen soll. Ich deute oder sage ihr, sie soll auf der Treppe stehenbleiben, und komme mir dabei sehr schlau vor, daß ich die Kontrolle am Ende vermeide. So bin ich drunten und finde einen schmalen, steil aufsteigenden Weg, den ich gehe. Wieder undeutlich... Als ob jetzt die zweite Aufgabe käme, aus der Stadt wegzukommen, wie früher aus dem Haus. Ich fahre in einem Einspänner und gebe ihm Auftrag, zu einem Bahnhof zu fahren. »Auf der Bahnstrecke selbst kann ich nicht mit Ihnen fahren«, sage ich, nachdem er einen Einwand gemacht hat, als ob ich ihn übermüdet hätte. Dabei ist es, als wäre ich schon eine Strecke mit ihm gefahren, die man sonst mit der Bahn fährt. Die Bahnhöfe sind besetzt; ich überlege, ob ich nach Krems oder Znaim soll, denke aber, dort wird der Hof sein, und entscheide mich für Graz oder so etwas. Nun sitze ich im Waggon, der ähnlich einem Stadtbahnwagen ist, und habe im Knopfloch ein eigentümlich geflochtenes, langes Ding, daran violettbraune Veilchen aus starrem Stoff, was den Leuten sehr auffällt. Hier bricht die Szene ab. Ich bin wieder vor dem Bahnhofe, aber zu zweit mit einem älteren Herrn, erfinde einen Plan, um unerkannt zu bleiben, sehe diesen Plan aber auch schon ausgeführt. Denken und Erleben ist gleichsam eins. Er stellt sich blind, wenigstens auf einem Auge, und ich halte ihm ein männliches Uringlas vor (das wir in der Stadt kaufen mußten oder gekauft haben). Ich bin also ein Krankenpfleger und muß ihm das Glas geben, weil er blind ist. Wenn der Kondukteur uns so sieht, muß er uns als unauffällig entkommen la**en. Dabei ist die Stellung des Betreffenden und sein urinierendes Glied plastisch gesehen. Darauf das Erwachen mit Harndrang. Der ganze Traum macht etwa den Eindruck einer Phantasie, die den Träumer in das Revolutionsjahr 1848 versetzt, dessen Andenken ja durch das Jubiläum des Jahres 1898 erneuert war, wie überdies durch einen kleinen Ausflug in die Wachau, bei dem ich Emmersdorf [Fußnote] kennengelernt hatte, den Ruhesitz des Studentenführers Fischhof, auf den einige Züge des manifesten Trauminhalts weisen mögen. Die Gedankenverbindung führt mich dann nach England, in das Haus meines Bruders, der seiner Frau scherzhaft vorzuhalten pflegte »Fifty years ago« nach dem Titel eines Gedichtes von Lord Tennyson, worauf die Kinder zu rektifizieren gewöhnt waren: Fifteen years ago. Diese Phantasie, die sich an die Gedanken anschließt, welche der Anblick des Grafen Thun hervorgerufen hatte, ist aber nur wie die Fa**ade italienischer Kirchen ohne organischen Zusammenhang dem Gebäude dahinter vorgesetzt; anders als diese Fa**aden ist sie übrigens lückenhaft, verworren, und Bestandteile aus dem Inneren drängen sich an vielen Stellen durch. Die erste Situation des Traumes ist aus mehreren Szenen zusammengebraut, in die ich sie zerlegen kann. Die hochmütige Stellung des Grafen im Traum ist kopiert nach einer Gymnasialszene aus meinem fünfzehnten Jahr. Wir hatten gegen einen mißliebigen und ignoranten Lehrer eine Verschwörung angezettelt, deren Seele ein Kollege war, der sich seitdem Heinrich VIII. von England zum Vorbilde genommen zu haben scheint. Die Führung des Hauptschlags fiel mir zu, und eine Diskussion über die Bedeutung der Donau für Österreich (Wachau!) war der Anlaß, bei dem es zur offenen Empörung kam. Ein Mitverschworener war der einzige aristokratische Kollege, den wir hatten, wegen seiner auffälligen Längenentwicklung die »Giraffe« genannt, und der stand, vom Schultyrannen, dem Professor der deutschen Sprache, zur Rede gestellt, so da wie der Graf im Traume. Das Erklären der Lieblingsblume und Ins-Knopfloch-Stecken von etwas, was wieder eine Blume sein muß (was an die Orchideen erinnert, die ich einer Freundin am selben Tag gebracht hatte, und außerdem an eine Rose von Jericho), mahnt auffällig an die Szene aus den Königsdramen Shakespeares, die den Bürgerkrieg der roten und der weißen Rose eröffnet; die Erwähnung Heinrichs VIII. hat den Weg zu dieser Reminiszenz gebahnt. Dann ist es nicht weit von den Rosen zu den roten und weißen Nelken. (Dazwischen schieben sich in der an*lyse zwei Verslein ein, eines deutsch, das andere spanisch: Rosen, Tulpen, Nelken, alle Blumen welken. Isabelita, no llores, que se marchitan las flores. Das Spanische vom »Figaro« her.) Die weißen Nelken sind bei uns in Wien das Abzeichen der Antisemiten, die roten das der Sozialdemokraten geworden. Dahinter eine Erinnerung an eine antisemitische Herausforderung während einer Eisenbahnfahrt im schönen Sachsenlande (Angelsachsen). Die dritte Szene, welche Bestandteile für die Bildung der ersten Traumsituation abgegeben hat, fällt in meine erste Studentenzeit. In einem deutschen Studentenverein gab es eine Diskussion über das Verhältnis der Philosophie zu den Naturwissenschaften. Ich grüner Junge, der materialistischen Lehre voll, drängte mich vor, um einen höchst einseitigen Standpunkt zu vertreten. Da erhob sich ein überlegener älterer Kollege, der seitdem seine Fähigkeit erwiesen hat, Menschen zu lenken und Ma**en zu organisieren, der übrigens auch einen Namen aus dem Tierreich trägt, und machte uns tüchtig herunter; auch er habe in seiner Jugend die Schweine gehütet und sei dann reuig ins Vaterhaus zurückgekehrt. Ich fuhr auf (wie im Traum), wurde saugrob und antwortete, seitdem ich wüßte, daß er die Schweine gehütet, wunderte ich mich nicht mehr über den Ton seiner Reden. (Im Traum wundere ich mich über meine deutschnationale Gesinnung.) Großer Aufruhr; ich wurde von vielen Seiten aufgefordert, meine Worte zurückzunehmen, blieb aber standhaft. Der Beleidigte war zu verständig, um das Ansinnen einer Herausforderung, das man an ihn richtete, anzunehmen, und ließ die Sache auf sich beruhen. Die übrigen Elemente der Traumszene stammen aus tieferen Schichten. Was soll es bedeuten, daß der Graf den »Huflattich« proklamiert? Hier muß ich meine Assoziationsreihe befragen. Huflattich – lattice – Salat – Salathund (der Hund, der anderen nicht gönnt, was er doch selber nicht frißt). Hier sieht man durch auf einen Vorrat an Schimpfwörtern: Giraffe, Schwein, Sau, Hund; ich wüßte auch auf dem Umweg über einen Namen zu einem Esel zu gelangen und damit wieder zu einem Hohn auf einen akademischen Lehrer. Außerdem übersetze ich mir – ich weiß nicht, ob mit Recht – Huflattich mit »pisse-en-lit«. Die Kenntnis kommt mir aus dem Germinal Zolas, in dem die Kinder aufgefordert werden, solchen Salat mitzubringen. Der Hund – chien – enthält in seinem Namen einen Anklang an die größere Funktion (chier, wie pisser für die kleinere). Nun werden wir bald das Unanständige in allen drei Aggregatzuständen beisammen haben; denn im selben Germinal, der mit der künftigen Revolution genug zu tun hat, ist ein ganz eigentümlicher Wettkampf beschrieben, der sich auf die Produktion gasförmiger Exkretionen, flatus genannt, bezieht [Fußnote]. Und nun muß ich bemerken, wie der Weg zu diesem flatus seit langem angelegt ist, von den Blumen aus über das spanische Verslein, die Isabelita, zu Isabella und Ferdinand, über Heinrich VIII., die englische Geschichte zum Kampf der Armada gegen England, nach dessen siegreicher Beendigung die Engländer eine Medaille prägten mit der Inschrift: Flavit et dissipati sunt, da der Sturmwind die spanische Flotte zerstreut hatte [Fußnote]. Diesen Spruch gedachte ich aber zur halb scherzhaft gemeinten Überschrift des Kapitels »Therapie« zu nehmen, wenn ich je dazu gelangen sollte, ausführliche Kunde von meiner Auffa**ung und Behandlung der Hysterie zu geben. Von der zweiten Szene des Traumes kann ich eine so ausführliche Auflösung nicht geben, und zwar aus Rücksichten der Zensur. Ich setze mich nämlich an die Stelle eines hohen Herrn jener Revolutionszeit, der auch ein Abenteuer mit einem Adler gehabt, an incontinentia alvi gelitten haben soll u. dgl., und ich glaube, ich wäre nicht berechtigt, hier die Zensur zu pa**ieren, obwohl ein Hofrat (Aula, consiliarius aulicus) mir den größeren Teil jener Geschichten erzählt hat. Die Reihe von Zimmern im Traum verdankt ihre Anregung dem Salonwagen Seiner Exzellenz, in den ich einen Moment hineinblicken konnte; sie bedeutet aber, wie so häufig im Traum, Frauenzimmer (ärarische Frauenzimmer). Mit der Person der Haushälterin statte ich einer geistreichen älteren Dame schlechten Dank für die Bewirtung und die vielen guten Geschichten ab, die mir in ihrem Hause geboten worden sind. – Der Zug mit der Lampe geht auf Grillparzer zurück, der ein reizendes Erlebnis ähnlichen Inhaltes notiert und dann in »Hero und Leander« (des Meeres und der Liebe Wellen – die Armada und der Sturm) verwendet hat [Fußnote]. Auch die detaillierte an*lyse der beiden übrigen Traumstücke muß ich zurückhalten; ich werde nur jene Elemente herausgreifen, die zu den beiden Kinderszenen führen, um derentwillen ich den Traum überhaupt aufgenommen habe. Man wird mit Recht vermuten, daß es s**uelles Material ist, welches mich zu dieser Unterdrückung nötigt; man braucht sich aber mit dieser Aufklärung nicht zufriedenzugeben. Man macht doch sich selbst aus vielem kein Geheimnis, was man vor anderen als Geheimnis behandeln muß, und hier handelt es sich nicht um die Gründe, die mich nötigen, die Lösung zu verbergen, sondern um die Motive der inneren Zensur, welche den eigentlichen Inhalt des Traums vor mir selbst verstecken. Ich muß also darum sagen, daß die an*lyse diese drei Traumstücke als impertinente Prahlereien, als Ausfluß eines lächerlichen, in meinem wachen Leben längst unterdrückten Größenwahns erkennen läßt, der sich mit einzelnen Ausläufern bis in den manifesten Trauminhalt wagt (ich komme mir schlau vor), allerdings die übermütige Stimmung des Abends vor dem Träumen trefflich verstehen läßt. Prahlerei zwar auf allen Gebieten; so geht die Erwähnung von Graz auf die Redensart »Was kostet Graz?«, in der man sich gefällt, wenn man sich überreich mit Geld versehen glaubt. Wer an Meister Rabelais' unübertroffene Schilderung von dem Leben und Taten des Gargantua und seines Sohnes Pantagruel denken will, wird auch den angedeuteten Inhalt des ersten Traumstücks unter die Prahlereien einreihen können. Zu den zwei versprochenen Kinderszenen gehört aber folgendes: Ich hatte für diese Reise einen neuen Koffer gekauft, dessen Farbe, ein Braunviolett, im Traum mehrmals auftritt (violettbraune Veilchen aus starrem Stoff neben einem Ding, das man »Mädchenfänger« heißt – die Möbel in den Regierungszimmern). Daß man mit etwas Neuem den Leuten auffällt, ist ein bekannter Kinderglaube. Nun ist mir folgende Szene aus meinem Kinderleben erzählt worden, deren Erinnerung ersetzt ist durch die Erinnerung an die Erzählung. Ich soll – im Alter von zwei Jahren – noch gelegentlich das Bett naß gemacht haben, und als ich dafür Vorwürfe zu hören bekam, den Vater durch das Versprechen getröstet haben, daß ich ihm in N. (der nächsten größeren Stadt) ein neues, schönes rotes Bett kaufen werde. (Daher im Traum die Einschaltung, daß wir das Glas in der Stadt gekauft haben oder kaufen mußten; was man versprochen hat, muß man halten.) (Man beachte übrigens die Zusammenstellung des männlichen Glases und des weiblichen Koffers, box.) Der ganze Größenwahn des Kindes ist in diesem Versprechen enthalten. Die Bedeutung der Harnschwierigkeiten des Kindes für den Traum ist uns bereits bei einer früheren Traumdeutung (vergleiche den Traum S. 211 f.) aufgefallen. Aus den Psychoan*lysen an Neurotischen haben wir auch den intimen Zusammenhang des Bettnässens mit dem Charakterzug des Ehrgeizes erkannt. Dann gab es aber einmal einen anderen häuslichen Anstand, als ich sieben oder acht Jahre alt war, an den ich mich sehr wohl erinnere. Ich setzte mich abends vor dem Schlafengehen über das Gebot der Diskretion hinweg, Bedürfnisse nicht im Schlafzimmer der Eltern in deren Anwesenheit zu verrichten, und der Vater ließ in seiner Strafrede darüber die Bemerkung fallen: Aus dem Buben wird nichts werden. Es muß eine furchtbare Kränkung für meinen Ehrgeiz gewesen sein, denn Anspielungen an diese Szene kehren immer in meinen Träumen wieder und sind regelmäßig mit Aufzählung meiner Leistungen und Erfolge verknüpft, als wollte ich sagen: Siehst du, ich bin doch etwas geworden. Diese Kinderszene gibt nun den Stoff für das letzte Bild des Traumes, in dem natürlich zur Rache die Rollen vertauscht sind. Der ältere Mann, offenbar der Vater, da die Blindheit auf einem Auge sein einseitiges Glaukom bedeutet [Fußnote], uriniert jetzt vor mir, wie ich damals vor ihm. Mit dem Glaukom mahne ich ihn an das Kokain, das ihm bei der Operation zugute kam, als hätte ich damit mein Versprechen erfüllt. Außerdem mache ich mich über ihn lustig; weil er blind ist, muß ich ihm das Glas vorhalten und schwelge in Anspielungen an meine Erkenntnisse in der Lehre von der Hysterie, auf die ich stolz bin [Fußnote]. Wenn die beiden Urinierszenen aus der Kindheit bei mir ohnedies mit dem Thema der Größensucht eng verbunden sind, so kam ihrer Erweckung auf der Reise nach Aussee noch der zufällige Umstand zugute, daß mein Coupé kein Klosett besaß und ich vorbereitet sein mußte, während der Fahrt in Verlegenheit zu kommen, was dann am Morgen auch eintraf. Ich erwachte dann mit den Empfindungen des körperlichen Bedürfnisses. Ich meine, man könnte geneigt sein, diesen Empfindungen die Rolle des eigentlichen Traumerregers zuzuweisen, würde aber einer anderen Auffa**ung den Vorzug geben, nämlich daß die Traumgedanken erst den Harndrang hervorgerufen haben. Es ist bei mir ganz ungewöhnlich, daß ich durch irgendein Bedürfnis im Schlaf gestört werde, am wenigsten um die Zeit dieses Erwachens, drei Viertel drei Uhr morgens. Einem weiteren Einwand begegne ich durch die Bemerkung, daß ich auf anderen Reisen unter bequemeren Verhältnissen fast niemals den Harndrang nach frühzeitigem Erwachen verspürt habe. Übrigens kann ich diesen Punkt auch ohne Schaden unentschieden la**en. Seitdem ich ferner durch Erfahrungen bei der Trauman*lyse aufmerksam gemacht worden bin, daß auch von Träumen, deren Deutung zunächst vollständig erscheint, weil Traumquellen und Wunscherreger leicht nachweisbar sind – daß auch von solchen Träumen wichtige Gedankenfäden ausgehen, die bis in die früheste Kindheit hineinreichen, habe ich mich fragen müssen, ob nicht auch in diesem Zug eine wesentliche Bedingung des Träumens gegeben ist. Wenn ich diesen Gedanken verallgemeinern dürfte, so käme jedem Traum in seinem manifesten Inhalt eine Anknüpfung an das rezent Erlebte zu, in seinem latenten Inhalt aber eine Anknüpfung an das älteste Erlebte, von dem ich bei der an*lyse der Hysterie wirklich zeigen kann, daß es im guten Sinne bis auf die Gegenwart rezent geblieben ist. Diese Vermutung erscheint aber noch recht schwer erweislich; ich werde auf die wahrscheinliche Rolle frühester Kindheitserlebnisse für die Traumbildung noch in anderem Zusammenhange (Abschnitt VII) zurückkommen müssen. Von den drei eingangs betrachteten Besonderheiten des Traumgedächtnisses hat sich uns die eine – die Bevorzugung des Nebensächlichen im Trauminhalt – durch ihre Zurückführung auf die Traumentstellung befriedigend gelöst. Die beiden anderen, die Auszeichnung des Rezenten wie des Infantilen haben wir bestätigen, aber nicht aus den Motiven des Träumens ableiten können. Wir wollen diese beiden Charaktere, deren Erklärung oder Verwertung uns erübrigt, im Gedächtnis behalten; sie werden anderswo ihre Einreihung finden müssen, entweder in der Psychologie des Schlafzustandes oder bei jenen Erwägungen über den Aufbau des seelischen Apparats, die wir später anstellen werden, wenn wir gemerkt haben, daß man durch die Traumdeutung wie durch eine Fensterlücke in das Innere desselben einen Blick werfen kann. Ein anderes Ergebnis der letzten Trauman*lysen will ich aber gleich hier hervorheben. Der Traum erscheint häufig mehrdeutig; es können nicht nur, wie Beispiele zeigen, mehrere Wunscherfüllungen nebeneinander in ihm vereinigt sein; es kann auch ein Sinn, eine Wunscherfüllung die andere decken, bis man zuunterst auf die Erfüllung eines Wunsches aus der ersten Kindheit stößt, und auch hier wieder die Erwägung, ob in diesem Satze das »häufig« nicht richtiger durch »regelmäßig« zu ersetzen ist [Fußnote]. C DIE SOMATISCHEN TRAUMQUELLEN Wenn man den Versuch macht, einen gebildeten Laien für die Probleme des Traumes zu interessieren, und in dieser Absicht die Frage an ihn richtet, aus welchen Quellen wohl nach seiner Meinung die Träume herrühren, so merkt man zumeist, daß der Gefragte im gesicherten Besitz dieses Teils der Lösung zu sein vermeint. Er gedenkt sofort des Einflusses, den gestörte oder beschwerte Verdauung (»Träume kommen aus dem Magen«), zufällige Körperlage und kleine Erlebnisse während des Schlafens auf die Traumbildung äußern, und scheint nicht zu ahnen, daß nach Berücksichtigung all dieser Momente etwas der Erklärung Bedürftiges noch erübrigt. Welche Rolle für die Traumbildung die wissenschaftliche Literatur den somatischen Reizquellen zugesteht, haben wir im einleitenden Abschnitt (C) ausführlich auseinandergesetzt, so daß wir uns hier nur an die Ergebnisse dieser Untersuchung zu erinnern brauchen. Wir haben gehört, daß dreierlei somatische Reizquellen unterschieden werden, die von äußeren Objekten ausgehenden objektiven Sinnesreize, die nur subjektiv begründeten inneren Erregungszustände der Sinnesorgane und die aus dem Körperinnern stammenden Leibreize, und wir haben die Neigung der Autoren bemerkt, neben diesen somatischen Reizquellen etwaige psychische Quellen des Traumes in den Hintergrund zu drängen oder ganz auszuschalten (S. 65 f.). Bei der Prüfung der Ansprüche, welche zugunsten von somatischen Reizquellen erhoben werden, haben wir erfahren, daß die Bedeutung der objektiven Sinnesorganerregungen – teils zufällige Reize während des Schlafes, teils solche, die sich auch vom schlafenden Seelenleben nicht fernehalten la**en – durch zahlreiche Beobachtungen sichergestellt wird und durch das Experiment eine Bestätigung erfährt (S. 50 f.), daß die Rolle der subjektiven Sinneserregungen durch die Wiederkehr der hypnagogischen Sinnesbilder in den Träumen (S. 57 f.) dargetan erscheint und daß die im weitesten Umfang angenommene Zurückführung unserer Traumbilder und Traumvorstellungen auf inneren Leibreiz zwar nicht in ihrer ganzen Breite beweisbar ist, aber sich an die allbekannte Beeinflussung anlehnen kann, welche der Erregungszustand der Digestions-, Harn- und Sexualorgane auf den Inhalt unserer Träume ausübt. »Nervenreiz« und »Leibreiz« wären also die somatischen Quellen des Traumes, d. h. nach mehreren Autoren die einzigen Quellen des Traumes überhaupt. Wir haben aber auch bereits einer Reihe von Zweifeln Gehör geschenkt, welche nicht sowohl die Richtigkeit als vielmehr die Zulänglichkeit der somatischen Reiztheorie anzugreifen schienen. So sicher sich alle Vertreter dieser Lehre bezüglich deren tatsächlichen Grundlagen fühlen mußten – zumal soweit die akzidentellen und äußeren Nervenreize in Betracht kommen, die im Trauminhalt wiederzufinden keinerlei Mühe erfordert –, so blieb doch keiner der Einsicht ferne, daß der reiche Vorstellungsinhalt der Träume eine Ableitung aus den äußeren Nervenreizen allein nicht wohl zula**e. Miß Mary Whiton Calkins (1893) hat ihre eigenen Träume und die einer zweiten Person durch sechs Wochen hindurch von diesem Gesichtspunkte aus geprüft und nur 13,2 Prozent, respektive 6,7 Prozent, gefunden, in denen das Element äußerer Sinneswahrnehmung nachweisbar war; nur zwei Fälle der Sammlung ließen sich auf organische Empfindungen zurückführen. Die Statistik bestätigt uns hier, was uns bereits eine flüchtige Überschau unserer eigenen Erfahrungen hatte vermuten la**en. Man beschied sich vielfach, den »Nervenreiztraum« als eine gut erforschte Unterart des Traumes vor anderen Traumformen hervorzuheben. Spitta trennte die Träume in Nervenreiz- und Assoziationstraum. Es war aber klar, daß die Lösung unbefriedigend blieb, solange es nicht gelang, das Band zwischen den somatischen Traumquellen und dem Vorstellungsinhalt des Traumes nachzuweisen. Neben den ersten Einwand, der Unzulänglichkeit in der Häufigkeit der äußeren Reizquellen, stellt sich so als zweiter die Unzulänglichkeit in der Aufklärung des Traums, die durch die Einführung dieser Art von Traumquellen zu erreichen ist. Die Vertreter der Lehre sind uns zwei solcher Aufklärungen schuldig, erstens, warum der äußere Reiz im Traum nicht in seiner wirklichen Natur erkannt, sondern regelmäßig verkannt wird (vergleiche die Weckerträume, S. 53 f.), und zweitens, warum das Resultat der Reaktion der wahrnehmenden Seele auf diesen verkannten Reiz so unbestimmbar wechselvoll ausfallen kann. Als Antwort auf diese Frage haben wir von Strümpell gehört, daß die Seele infolge ihrer Abwendung von der Außenwelt während des Schlafes nicht imstande ist, die richtige Deutung des objektiven Sinnesreizes zu geben, sondern genötigt wird, auf Grund der nach vielen Richtungen unbestimmten Anregung Illusionen zu bilden, in seinen Worten ausgedrückt (1877, 108 f.): »Sobald durch einen äußeren oder inneren Nervenreiz während des Schlafes in der Seele eine Empfindung oder ein Empfindungskomplex, ein Gefühl, überhaupt ein psychischer Vorgang entsteht und von der Seele perzipiert wird, so ruft dieser Vorgang aus dem der Seele vom Wachen her verbliebenen Erfahrungskreise Empfindungsbilder, also frühere Wahrnehmungen, entweder nackt oder mit zugehörigen psychischen Werten hervor. Er sammelt gleichsam um sich eine größere oder kleinere Anzahl solcher Bilder, durch welche der vom Nervenreiz herrührende Eindruck seinen psychischen Wert bekommt. Man sagt gewöhnlich auch hier, wie es der Sprachgebrauch für das wache Verhalten tut, daß die Seele im Schlaf die Nervenreizeindrücke deute. Das Resultat dieser Deutung ist der sogenannte Nervenreiztraum, d. h. ein Traum, dessen Bestandteile dadurch bedingt sind, daß ein Nervenreiz nach den Gesetzen der Reproduktion seine psychische Wirkung im Seelenleben vollzieht.« In allem Wesentlichen mit dieser Lehre identisch ist die Äußerung von Wundt, die Vorstellungen des Traumes gehen jedenfalls zum größten Teil von Sinnesreizen aus, namentlich auch von solchen des allgemeinen Sinnes, und sind daher zumeist phantastische Illusionen, wahrscheinlich nur zum kleineren Teil reine, zu Halluzinationen gesteigerte Erinnerungsvorstellungen. Für das Verhältnis des Trauminhalts zu den Traumreizen, welches sich nach dieser Theorie ergibt, findet Strümpell das treffliche Gleichnis (1877, 84), es sei, wie »wenn die zehn Finger eines der Musik ganz unkundigen Menschen über die Tasten des Instrumentes hinlaufen«. Der Traum erschiene so nicht als ein seelisches Phänomen, aus psychischen Motiven entsprungen, sondern als der Erfolg eines physiologischen Reizes, der sich in psychischer Symptomatologie äußert, weil der vom Reiz betroffene Apparat keiner anderen Äußerung fähig ist. Auf eine ähnliche Voraussetzung ist z. B. die Erklärung der Zwangsvorstellungen aufgebaut, die Meynert durch das berühmte Gleichnis vom Zifferblatt, auf dem einzelne Zahlen stärker gewölbt vorspringen, zu geben versuchte. So beliebt die Lehre von den somatischen Traumreizen geworden ist und so bestechend sie erscheinen mag, so ist es doch leicht, den schwachen Punkt in ihr aufzuweisen. Jeder somatische Traumreiz, welcher im Schlafe den seelischen Apparat zur Deutung durch Illusionsbildung auffordert, kann ungezählt viele solcher Deutungsversuche anregen, also in ungemein verschiedenen Vorstellungen seine Vertretung im Trauminhalt erreichen [Fußnote]. Die Lehre von Strümpell und Wundt ist aber unfähig, irgendein Motiv anzugeben, welches die Beziehung zwischen dem äußeren Reiz und der zu seiner Deutung gewählten Traumvorstellung regelt, also die »sonderbare Auswahl« zu erklären, welche die Reize »oft genug bei ihrer produktiven Wirksamkeit treffen«. (Lipps, 1883, 170.) Andere Einwendungen richten sich gegen die Grundvoraussetzung der ganzen Illusionslehre, daß die Seele im Schlaf nicht in der Lage sei, die wirkliche Natur der objektiven Sinnesreize zu erkennen. Der alte Physiologe Burdach beweist uns, daß die Seele auch im Schlafe sehr wohl fähig ist, die an sie gelangenden Sinneseindrücke richtig zu deuten und der richtigen Deutung gemäß zu reagieren, indem er ausführt, daß man gewisse, dem Individuum wichtig erscheinende Sinneseindrücke von der Vernachlässigung während des Schlafes ausnehmen kann (Amme und Kind) und daß man durch den eigenen Namen weit sicherer geweckt wird als durch einen gleichgültigen Gehörseindruck, was ja voraussetzt, daß die Seele auch im Schlafe zwischen den Sensationen unterscheidet (Abschnitt I, S. 76). Burdach folgert aus diesen Beobachtungen, daß während des Schlafzustandes nicht eine Unfähigkeit, die Sinnesreize zu deuten, sondern ein Mangel an Interesse für sie anzunehmen ist. Die nämlichen Argumente, die Burdach 1830 verwendet, kehren dann zur Bekämpfung der somatischen Reiztheorie unverändert bei Lipps im Jahre 1883 wieder. Die Seele erscheint uns demnach so wie der Schläfer in der Anekdote, der auf die Frage »Schläfst du?« antwortet »nein«, nach der zweiten Anrede, »dann leih mir zehn Gulden«, aber sich hinter der Ausrede verschanzt: »Ich schlafe.« Die Unzulänglichkeit der Lehre von den somatischen Traumreizen läßt sich auch auf andere Weise dartun. Die Beobachtung zeigt, daß ich durch äußere Reize nicht zum Träumen genötigt werde, wenngleich diese Reize im Trauminhalt erscheinen, sobald und für den Fall, daß ich träume. Gegen einen Haut- oder Druckreiz etwa, der mich im Schlafe befällt, stehen mir verschiedene Reaktionen zu Gebote. Ich kann ihn überhören und dann beim Erwachen finden, daß z. B. ein Bein unbedeckt oder ein Arm gedrückt war; die Pathologie zeigt mir ja die zahlreichsten Beispiele, daß verschiedenartige und kräftig erregende Empfindungs- und Bewegungsreize während des Schlafes wirkungslos bleiben. Ich kann die Sensation während des Schlafes verspüren, gleichsam durch den Schlaf hindurch, wie es in der Regel mit schmerzhaften Reizen geschieht, aber ohne den Schmerz in einen Traum zu verweben; und ich kann drittens auf den Reiz erwachen, um ihn zu beseitigen [Fußnote]. Erst eine vierte mögliche Reaktion ist, daß ich durch den Nervenreiz zum Traum veranlaßt werde; die anderen Möglichkeiten werden aber mindestens ebenso häufig vollzogen wie die der Traumbildung. Diese könnte nicht geschehen, wenn nicht das Motiv des Träumens außerhalb der somatischen Reizquellen läge. In gerechter Würdigung jener oben aufgedeckten Lücke in der Erklärung des Traums durch somatische Reize haben nun andere Autoren – Scherner, dem der Philosoph Volkelt sich anschloß – die Seelentätigkeiten, welche aus den somatischen Reizen die bunten Traumbilder entstehen la**en, näher zu bestimmen gesucht, also doch wieder das Wesen des Träumens ins Seelische und in eine psychische Aktivität verlegt. Scherner gab nicht nur eine poetisch nachempfundene, glühend belebte Schilderung der psychischen Eigentümlichkeiten, die sich bei der Traumbildung entfalten, er glaubte auch das Prinzip erraten zu haben, nach dem die Seele mit den ihr dargebotenen Reizen verfährt. In freier Betätigung der ihrer Tagesfesseln entledigten Phantasie strebt nach Scherner die Traumarbeit dahin, die Natur des Organs, von dem der Reiz ausgeht, und die Art dieses Reizes symbolisch darzustellen. Es ergibt sich so eine Art von Traumbuch als Anleitung zur Deutung der Träume, mittels dessen aus Traumbildern auf Körpergefühle, Organzustände und Reizzustände geschlossen werden darf. »So drückt das Bild der Katze die ärgerliche Mißstimmung des Gemütes aus, das Bild des hellen und glatten Gebäcks die Leibesnacktheit.« Der menschliche Leib als Ganzes wird von der Traumphantasie als Haus vorgestellt, das einzelne Körperorgan durch einen Teil des Hauses. In den »Zahnreizträumen« entspricht dem Mundorgan ein hochgewölbter Hausflur und dem Hinabfall des Schlundes zur Speiseröhre eine Treppe, »im ›Kopfschmerztraum‹ wird zur Bezeichnung der Höhenstellung des Kopfes die Decke eines Zimmers gewählt, welche mit ekelhaften, krötenartigen Spinnen bedeckt ist.« »Diese Symbole werden vom Traum in mehrfacher Auswahl für das nämliche Organ verwendet; so findet die atmende Lunge in dem flammenerfüllten Ofen mit seinem Brausen ihr Symbol, das Herz in hohlen Kisten und Körben, die Harnblase in runden, beutelförmigen oder überhaupt nur ausgehöhlten Gegenständen.« »Besonders wichtig ist es, daß am Schlusse des Traumes öfters das erregende Organ oder dessen Funktion unverhüllt hingestellt wird, und zwar zumeist an dem eigenen Leib des Träumers. So endet der ›Zahnreiztraum‹ gewöhnlich damit, daß der Träumer sich einen Zahn aus dem Munde zieht.« (Ibid., 35.) Man kann nicht sagen, daß diese Theorie der Traumdeutung viel Gunst bei den Autoren gefunden hat. Sie erschien vor allem extravagant; man hat selbst gezögert, das Stück Berechtigung herauszufinden, das sie nach meinem Urteil beanspruchen darf. Sie führt, wie man sieht, zur Wiederbelebung der Traumdeutung mittels Symbolik, deren sich die Alten bedienten, nur daß das Gebiet, aus welchem die Deutung geholt werden soll, auf den Umfang der menschlichen Leiblichkeit beschränkt wird. Der Mangel einer wissenschaftlich faßbaren Technik bei der Deutung muß die Anwendbarkeit der Schernerschen Lehre schwer beeinträchtigen. Willkür in der Traumdeutung scheint keineswegs ausgeschlossen, zumal da auch hier ein Reiz sich in mehrfachen Vertretungen im Trauminhalt äußern kann; so hat bereits Scherners Anhänger Volkelt die Darstellung des Körpers als Haus nicht bestätigen können. Es muß auch Anstoß erregen, daß hier wiederum der Seele die Traumarbeit als nutz- und ziellose Betätigung auferlegt ist, da sich doch nach der in Rede stehenden Lehre die Seele damit begnügt, über den sie beschäftigenden Reiz zu phantasieren, ohne daß etwas wie eine Erledigung des Reizes in der Ferne winkte. Von einem Einwand aber wird die Schernersche Lehre der Symbolisierung von Leibreizen durch den Traum schwer getroffen. Diese Leibreize sind jederzeit vorhanden, die Seele ist für sie nach allgemeiner Annahme während des Schlafens zugänglicher als im Wachen. Man versteht dann nicht, warum die Seele nicht kontinuierlich die Nacht hindurch träumt, und zwar jede Nacht von allen Organen. Will man sich diesem Einwand durch die Bedingung entziehen, es müßten vom Auge, Ohr, von den Zähnen, Därmen usw. besondere Erregungen ausgehen, um die Traumtätigkeit zu wecken, so steht man vor der Schwierigkeit, diese Reizsteigerungen als objektiv zu erweisen, was nur in einer geringen Zahl von Fällen möglich ist. Wenn der Traum vom Fliegen eine Symbolisierung des Auf- und Niedersteigens der Lungenflügel bei der Atmung bedeutet, so müßte entweder dieser Traum, wie schon Strümpell bemerkt, weit häufiger geträumt werden oder eine gesteigerte Atmungstätigkeit während dieses Traumes nachweisbar sein. Es ist noch ein dritter Fall möglich, der wahrscheinlichste von allen, daß nämlich zeitweise besondere Motive wirksam sind, um den gleichmäßig vorhandenen viszeralen Sensationen Aufmerksamkeit zuzuwenden, aber dieser Fall führt bereits über die Schernersche Theorie hinaus. Der Wert der Erörterungen von Scherner und Volkelt liegt darin, daß sie auf eine Reihe von Charakteren des Trauminhalts aufmerksam machen, welche der Erklärung bedürftig sind und neue Erkenntnisse zu verdecken scheinen. Es ist ganz richtig, daß in den Träumen Symbolisierungen von Körperorganen und Funktionen enthalten sind, daß Wa**er im Traum häufig auf Harnreiz deutet, daß das männliche Genitale durch einen aufrecht stehenden Stab oder eine Säule dargestellt werden kann usw. In Träumen, welche ein sehr bewegtes Gesichtsfeld und leuchtende Farben zeigen, im Gegensatz zu der Mattigkeit anderer Träume, kann man die Deutung als »Gesichtsreiztraum« kaum abweisen, ebensowenig den Beitrag der Illusionsbildung in Träumen bestreiten, welche Lärm und Stimmengewirr enthalten. Ein Traum wie der von Scherner, daß zwei Reihen schöner blonder Knaben auf einer Brücke einander gegenüberstehen, sich gegenseitig angreifen, dann wieder ihre alte Stellung einnehmen, bis endlich der Träumer sich auf eine Brücke setzt und einen langen Zahn aus seinem Kiefer zieht; oder ein ähnlicher von Volkelt, in dem zwei Reihen von Schubladen eine Rolle spielen und der wiederum mit dem Ausziehen eines Zahnes endigt: dergleichen bei beiden Autoren in großer Fülle mitgeteilte Traumbildungen la**en es nicht zu, daß man die Schernersche Theorie als müßige Erfindung beiseite wirft, ohne nach ihrem guten Kern zu forschen. Es stellt sich dann die Aufgabe, für die vermeintliche Symbolisierung des angeblichen Zahnreizes eine andersartige Aufklärung zu erbringen. Ich habe es die ganze Zeit über, welche uns die Lehre von den somatischen Traumquellen beschäftigte, unterla**en, jenes Argument geltend zu machen, welches sich aus unseren Trauman*lysen ableitet. Wenn wir durch ein Verfahren, das andere Autoren auf ihr Material an Träumen nicht angewendet hatten, erweisen konnten, daß der Traum einen ihm eigenen Wert als psychische Aktion besitzt, daß ein Wunsch das Motiv seiner Bildung wird und daß die Erlebnisse des Vortages das nächste Material für seinen Inhalt abgeben, so ist jede andere Traumlehre, welche ein so wichtiges Untersuchungsverfahren vernachlässigt und dementsprechend den Traum als eine nutzlose und rätselhafte psychische Reaktion auf somatische Reize erscheinen läßt, auch ohne besondere Kritik gerichtet. Es müßte denn, was sehr unwahrscheinlich ist, zwei ganz verschiedene Arten von Träumen geben, von denen die eine nur uns, die andere nur den früheren Beurteilern des Traumes untergekommen ist. Es erübrigt nur noch, den Tatsachen, auf welche sich die gebräuchliche Lehre von den somatischen Traumreizen stützt, eine Unterbringung innerhalb unserer Traumlehre zu verschaffen. Den ersten Schritt hiezu haben wir bereits getan, als wir den Satz aufstellten, daß die Traumarbeit unter dem Zwange stehe, alle gleichzeitig vorhandenen Traumanregungen zu einer Einheit zu verarbeiten (S. 191 f.). Wir sahen, daß, wenn zwei oder mehr eindrucksfähige Erlebnisse vom Vortage übriggeblieben sind, die aus ihnen sich ergebenden Wünsche in einem Traume vereinigt werden, desgleichen, daß zum Traummaterial der psychisch wertvolle Eindruck und die indifferenten Erlebnisse des Vortages zusammentreten, vorausgesetzt, daß sich kommunizierende Vorstellungen zwischen beiden herstellen la**en. Der Traum erscheint somit als Reaktion auf alles, was in der schlafenden Psyche gleichzeitig als aktuell vorhanden ist. Soweit wir also das Traummaterial bisher an*lysiert haben, erkannten wir es als eine Sammlung von psychischen Resten, Erinnerungsspuren, denen wir (wegen der Bevorzugung des rezenten und des infantilen Materials) einen psychologisch derzeit unbestimmbaren Charakter von Aktualität zusprechen mußten. Es schafft uns nun nicht viel Verlegenheit vorherzusagen, was geschehen wird, wenn zu diesen Erinnerungsaktualitäten neues Material an Sensationen während des Schlafzustandes hinzutritt. Diese Erregungen erlangen wiederum eine Wichtigkeit für den Traum dadurch, daß sie aktuell sind; sie werden mit den anderen psychischen Aktualitäten vereinigt, um das Material für die Traumbildung abzugeben. Die Reize während des Schlafes werden, um es anders zu sagen, in eine Wunscherfüllung verarbeitet, deren andere Bestandteile die uns bekannten psychischen Tagesreste sind. Diese Vereinigung muß nicht vollzogen werden; wir haben ja gehört, daß gegen körperliche Reize während des Schlafes mehr als eine Art des Verhaltens möglich ist. Wo sie vollzogen wird, da ist es eben gelungen, ein Vorstellungsmaterial für den Trauminhalt zu finden, welches für beiderlei Traumquellen, die somatischen wie die psychischen, eine Vertretung darstellt. Das Wesen des Traumes wird nicht verändert, wenn zu den psychischen Traumquellen somatisches Material hinzutritt; er bleibt eine Wunscherfüllung, gleichgültig wie deren Ausdruck durch das aktuelle Material bestimmt wird. Ich will hier gerne Raum la**en für eine Reihe von Eigentümlichkeiten, welche die Bedeutung äußerer Reize für den Traum veränderlich gestalten können. Ich stelle mir vor, daß ein Zusammenwirken individueller, physiologischer und zufälliger, in den j**eiligen Umständen gegebener Momente darüber entscheidet, wie man sich in den einzelnen Fällen von intensiverer objektiver Reizung während des Schlafes benehmen wird; die habituelle akzidentelle Schlaftiefe im Zusammenhalt mit der Intensität des Reizes wird es das eine Mal ermöglichen, den Reiz so zu unterdrücken, daß er im Schlaf nicht stört, ein anderes Mal dazu nötigen aufzuwachen oder den Versuch unterstützen, den Reiz durch Verwebung in einen Traum zu überwinden. Der Mannigfaltigkeit dieser Konstellationen entsprechend, werden äußere objektive Reize bei dem einen häufiger oder seltener im Traum zum Ausdruck kommen als bei dem anderen. Bei mir, der ich ein ausgezeichneter Schläfer bin und hartnäckig daran festhalte, mich durch keinen Anlaß im Schlaf stören zu la**en, ist die Einmengung äußerer Erregungsursachen in die Träume sehr selten, während psychische Motive mich doch offenbar sehr leicht zum Träumen bringen. Ich habe eigentlich nur einen einzigen Traum aufgezeichnet, in dem eine objektive, schmerzhafte Reizquelle zu erkennen ist, und gerade in diesem Traum wird es sehr lehrreich werden nachzusehen, welchen Traumerfolg der äußere Reiz hat. Ich reite auf einem grauen Pferd, zuerst zaghaft und ungeschickt, als ob ich nur angelehnt wäre. Da begegne ich einem Kollegen P., der im Lodenanzug hoch zu Roß sitzt und mich an etwas mahnt (wahrscheinlich, daß ich schlecht sitze). Nun finde ich mich auf dem höchst intelligenten Roß immer mehr zurecht, sitze bequem und merke, daß ich oben ganz heimisch bin. Als Sattel habe ich eine Art Polster, das den Raum zwischen Hals und Kruppe des Pferdes vollkommen ausfüllt. Ich reite so knapp zwischen zwei Lastwagen hindurch. Nachdem ich die Straße eine Strecke weit geritten bin, kehre ich um und will absteigen, zunächst vor einer kleinen offenen Kapelle, die in der Straßenfront liegt. Dann steige ich wirklich vor einer ihr nahe stehenden ab; das Hotel ist in derselben Straße; ich könnte das Pferd allein hingehen la**en, ziehe es aber vor, es bis dahin zu führen. Es ist, als ob ich mich schämen würde, dort als Reiter anzukommen. Vor dem Hotel steht ein Hotelbursche, der mir einen Zettel zeigt, der von mir gefunden wurde, und mich darum verspottet. Auf dem Zettel steht, zweimal unterstrichen: Nichts essen, und dann ein zweiter Vorsatz (undeutlich) wie: nichts arbeiten; dazu eine dumpfe Idee, daß ich in einer fremden Stadt bin, in der ich nichts arbeite. Dem Traum wird man zunächst nicht anmerken, daß er unter dem Einflusse, unter dem Zwange vielmehr, eines Schmerzreizes entstanden ist. Ich hatte aber tags vorher an Furunkeln gelitten, die mir jede Bewegung zur Qual machten, und zuletzt war ein Furunkel an der Wurzel des Skrotum zur Apfelgröße herangewachsen, hatte mir bei jedem Schritt die unerträglichsten Schmerzen bereitet, und fieberhafte Müdigkeit, Eßunlust, die trotzdem festgehaltene schwere Arbeit des Tages hatten sich mit den Schmerzen vereint, um meine Stimmung zu stören. Ich war nicht recht fähig, meinen ärztlichen Aufgaben nachzukommen, aber bei der Art und bei dem Sitz des Übels ließ sich an eine andere Verrichtung denken, für die ich sicherlich so untauglich gewesen wäre wie für keine andere, und diese ist das Reiten. Gerade in diese Tätigkeit versetzt mich nun der Traum; es ist die energischste Negation des Leidens, die der Vorstellung zugänglich ist. Ich kann überhaupt nicht reiten, träume auch sonst nicht davon, bin überhaupt nur einmal auf einem Pferd gesessen und damals ohne Sattel, und es behagte mir nicht. Aber in diesem Traum reite ich, als ob ich keinen Furunkel am Damm hätte, nein gerade weil ich keinen haben will. Mein Sattel ist der Beschreibung gemäß der Breiumschlag, der mir das Einschlafen ermöglicht hat. Wahrscheinlich habe ich durch die ersten Stunden des Schlafes – so verwahrt – nichts von meinem Leiden verspürt. Dann meldeten sich die schmerzhaften Empfindungen und wollten mich aufwecken, da kam der Traum und sagte beschwichtigend: »Schlaf doch weiter, du wirst doch nicht aufwachen! Du hast ja gar keinen Furunkel, denn du reitest ja auf einem Pferd, und mit einem Furunkel an der Stelle kann man doch nicht reiten!« Und es gelang ihm so; der Schmerz wurde übertäubt, und ich schlief weiter. Der Traum hat sich aber nicht damit begnügt, mir durch die hartnäckige Festhaltung einer mit dem Leiden unverträglichen Vorstellung, den Furunkel »abzusuggerieren«, wobei er sich benommen wie der halluzinatorische Wahnsinn der Mutter, die ihr Kind verloren hat [Fußnote], oder des Kaufmannes, den Verluste um sein Vermögen gebracht haben; sondern die Einzelheiten der abgeleugneten Sensation und des zu ihrer Verdrängung gebrauchten Bildes dienen ihm auch als Material, um das, was sonst in der Seele aktuell vorhanden ist, an die Situation des Traumes anzuknüpfen und zur Darstellung zu bringen. Ich reite ein graues Pferd, die Farbe des Pferdes entspricht genau dem pfeffer- und salzfarbigen Dreß, in dem ich dem Kollegen P. zuletzt auf dem Lande begegnet bin. Scharfgewürzte Nahrung ist mir als die Ursache der Furunkulose vorgehalten worden, immerhin als Ätiologie dem Zucker vorzuziehen, an den man bei Furunkulose denken kann. Freund P. liebt es, sich mir gegenüber aufs hohe Roß zu setzen, seitdem er mich bei einer Patientin abgelöst, mit der ich große Kunststücke ausgeführt hatte (ich sitze im Traum auf dem Pferd zuerst wie ein Kunstreiter tangential), die mich aber wirklich, wie das Roß in der Anekdote den Sonntagsreiter, geführt hat, wohin sie wollte. So kommt das Roß zur symbolischen Bedeutung einer Patientin (es ist im Traum höchst intelligent). »Ich fühle mich ganz heimisch oben« geht auf die Stellung, die ich in dem Hause innehatte, ehe ich durch P. ersetzt wurde. »Ich habe gemeint, Sie sitzen oben fest im Sattel«, hat mir mit Beziehung auf da**elbe Haus einer meiner wenigen Gönner unter den großen Ärzten dieser Stadt vor kurzem gesagt. Es war auch ein Kunststück, mit solchen Schmerzen acht bis zehn Stunden täglich Psychotherapie zu treiben, aber ich weiß, daß ich ohne volles körperliches Wohlbefinden meine besonders schwierige Arbeit nicht lange fortsetzen kann, und der Traum ist voll düsterer Anspielungen auf die Situation, die sich dann ergeben muß (der Zettel, wie ihn die Neurastheniker haben und dem Arzte vorzeigen): – Nicht arbeiten und nicht essen. Bei weiterer Deutung sehe ich, daß es der Traumarbeit gelungen ist, von der Wunschsituation des Reitens den Weg zu finden zu sehr frühen Kinderstreitszenen, die sich zwischen mir und einem jetzt in England lebenden, übrigens um ein Jahr älteren Neffen abgespielt haben mußten. Außerdem hat er Elemente aus meinen Reisen in Italien aufgenommen; die Straße im Traum ist aus Eindrücken von Verona und von Siena zusammengesetzt. Noch tiefer gehende Deutung führt zu s**uellen Traumgedanken, und ich erinnere mich, was bei einer Patientin, die nie in Italien war, die Traumanspielungen an das schöne Land bedeuten sollten (gen Italien – Genitalien), nicht ohne Anknüpfung gleichzeitig an das Haus, in dem ich vor Freund P. Arzt war, und an die Stelle, an welcher mein Furunkel sitzt. In einem anderen Traume gelang es mir auf ähnliche Weise, eine diesmal von einer Sinnesreizung drohende Schlafstörung abzuwehren, aber es war nur ein Zufall, der mich in den Stand setzte, den Zusammenhang des Traumes mit dem zufälligen Traumreiz zu entdecken und solcherart den Traum zu verstehen. Eines Morgens erwachte ich, es war im Hochsommer, in einem tirolischen Höhenort, mit dem Wissen, geträumt zu haben: Der Papst ist gestorben. Die Deutung dieses kurzen, nicht visuellen Traumes gelang mir nicht. Ich erinnerte mich nur der einen Anlehnung für den Traum, daß in der Zeitung kurze Zeit vorher ein leichtes Unwohlsein Sr. Heiligkeit gemeldet worden war. Aber im Laufe des Vormittags fragte meine Frau: »Hast du heute morgens das fürchterliche Glockenläuten gehört?« Ich wußte nichts davon, daß ich es gehört hatte, aber ich verstand jetzt meinen Traum. Er war die Reaktion meines Schlafbedürfnisses auf den Lärm gewesen, durch den die frommen Tiroler mich wecken wollten. Ich rächte mich an ihnen durch die Folgerung, die den Inhalt des Traumes bildet, und schlief nun ganz ohne Interesse für das Geläute weiter. Unter den in den vorstehenden Abschnitten erwähnten Träumen fänden sich bereits mehrere, die als Beispiele für die Verarbeitung sogenannter Nervenreize dienen können. Der Traum vom Trinken in vollen Zügen ist ein solcher; in ihm ist der somatische Reiz anscheinend die einzige Traumquelle, der aus der Sensation entspringende Wunsch – der Durst – das einzige Traummotiv. Ähnlich ist es in anderen einfachen Träumen, wenn der somatische Reiz für sich allein einen Wunsch zu bilden vermag. Der Traum der Kranken, die nachts den Kühlapparat von der Wange abwirft, zeigt eine ungewöhnliche Art, auf Schmerzensreize mit Wunscherfüllung zu reagieren; es scheint, daß es der Kranken vorübergehend gelungen war, sich an*lgisch zu machen, wobei sie ihre Schmerzen einem Fremden zuschob. Mein Traum von den drei Parzen ist ein offenbarer Hungertraum, aber er weiß das Nahrungsbedürfnis bis auf die Sehnsucht des Kindes nach der Mutterbrust zurückzuschieben und die harmlose Begierde zur Decke für eine ernstere, die sich nicht so unverhüllt äußern darf, zu benützen. Im Traume vom Grafen Thun konnten wir sehen, auf welchen Wegen ein akzidentell gegebenes körperliches Bedürfnis mit den stärksten aber auch stärkst unterdrückten Regungen des Seelenlebens in Verbindung gebracht wird. Und wenn, wie in dem von Garnier berichteten Falle, der Erste Konsul das Geräusch der explodierenden Höllenmaschine in einen Schlachtentraum verwebt, ehe er davon erwacht, so offenbart sich darin ganz besonders klar das Bestreben, in dessen Dienst die Seelentätigkeit sich überhaupt um die Sensationen während des Schlafes kümmert. Ein junger Advokat, der, voll von seinem ersten großen Konkurs, des Nachmittags einschläft, benimmt sich ganz ähnlich wie der große Napoleon. Er träumt von einem gewissen G. Reich in Hussiatyn, den er aus einem Konkurs kennt, aber Hussiatyn drängt sich weiter gebieterisch auf; er muß erwachen und hört seine Frau, die an einem Bronchialkatarrh leidet, heftig – husten. Halten wir diesen Traum des ersten Napoleon, der übrigens ein ausgezeichneter Schläfer war, und jenen anderen des langschläfrigen Studenten zusammen, der von seiner Zimmerfrau geweckt, er müsse ins Spital, sich in ein Spitalsbett träumt und dann mit der Motivierung weiterschläft: Wenn ich schon im Spital bin, brauche ich ja nicht aufzustehen, um hinzugehen. Der letztere ist ein offenbarer Bequemlichkeitstraum, der Schläfer gesteht sich das Motiv seines Träumens unverhohlen ein, deckt aber damit eines der Geheimnisse des Träumens überhaupt auf. In gewissem Sinne sind alle Träume – Bequemlichkeitsträume; sie dienen der Absicht, den Schlaf fortzusetzen, anstatt zu erwachen. Der Traum ist der Wächter des Schlafes, nicht sein Störer. Gegen die psychisch erweckenden Momente werden wir diese Auffa**ung an anderer Stelle rechtfertigen; ihre Anwendbarkeit auf die Rolle der objektiven äußeren Reize können wir hier bereits begründen. Die Seele kümmert sich entweder überhaupt nicht um die Anlässe zu Sensationen während des Schlafens, wenn sie dies gegen die Intensität und die von ihr wohlverstandene Bedeutung dieser Reize vermag; oder sie verwendet den Traum dazu, diese Reize in Abrede zu stellen, oder drittens, wenn sie dieselben anerkennen muß, so sucht sie jene Deutung derselben auf, welche die aktuelle Sensation als einen Teilbestand einer gewünschten und mit dem Schlafen verträglichen Situation hinstellt. Die aktuelle Sensation wird in einen Traum verflochten, um ihr die Realität zu rauben. Napoleon darf weiter schlafen; es ist ja nur eine Traumerinnerung an den Kanonendonner von Arcole, was ihn stören will [Fußnote]. Der Wunsch zu schlafen (auf den sich das bewußte Ich eingestellt hat und der nebst der Traumzensur und der später zu erwähnenden »sekundären Bearbeitung« dessen Beitrag zum Träumen darstellt) muß so als Motiv der Traumbildung jedesmal eingerechnet werden, und jeder gelungene Traum ist eine Erfüllung desselben. Wie dieser allgemeine, regelmäßig vorhandene und sich gleichbleibende Schlafwunsch sich zu den anderen Wünschen stellt, von denen bald der, bald jener durch den Trauminhalt erfüllt werden, dies wird Gegenstand einer anderen Auseinandersetzung sein. In dem Schlafwunsch haben wir aber jenes Moment aufgedeckt, welches die Lücke in der Strümpell-Wundtschen Theorie auszufüllen, die Schiefheit und Launenhaftigkeit in der Deutung des äußeren Reizes aufzuklären vermag. Die richtige Deutung, deren die schlafende Seele sehr wohl fähig ist, nähme ein tätiges Interesse in Anspruch, stellte die Anforderung, dem Schlaf ein Ende zu machen; es werden darum von den überhaupt möglichen Deutungen nur solche zugela**en, die mit der absolutistisch geübten Zensur des Schlaf Wunsches vereinbar sind. Etwa: Die Nachtigall ist's und nicht die Lerche. Denn wenn's die Lerche ist, so hat die Liebesnacht ihr Ende gefunden. Unter den nun zulässigen Deutungen des Reizes wird dann jene ausgewählt, welche die beste Verknüpfung mit den in der Seele lauernden Wunschregungen erwerben kann. So ist alles eindeutig bestimmt und nichts der Willkür überla**en. Die Mißdeutung ist nicht Illusion, sondern – wenn man so will – Ausrede. Hier ist aber wiederum, wie bei dem Ersatz durch Verschiebung zu Diensten der Traumzensur, ein Akt der Beugung des normalen psychischen Vorganges zuzugeben. Wenn die äußeren Nerven- und inneren Leibreize intensiv genug sind, um sich psychische Beachtung zu erzwingen, so stellen sie – falls überhaupt Träumen und nicht Erwachen ihr Erfolg ist – einen festen Punkt für die Traumbildung dar, einen Kern im Traummaterial, zu dem eine entsprechende Wunscherfüllung in ähnlicher Weise gesucht wird, wie (siehe oben) die vermittelnden Vorstellungen zwischen zwei psychischen Traumreizen. Es ist insofern für eine Anzahl von Träumen richtig, daß in ihnen das somatische Element den Trauminhalt kommandiert. In diesem extremen Falle wird selbst behufs der Traumbildung ein gerade nicht aktueller Wunsch geweckt. Der Traum kann aber nicht anders als einen Wunsch in einer Situation als erfüllt darstellen; er ist gleichsam vor die Aufgabe gestellt zu suchen, welcher Wunsch durch die nun aktuelle Sensation als erfüllt dargestellt werden kann. Ist dies aktuelle Material von schmerzlichem oder peinlichem Charakter, so ist es doch darum zur Traumbildung nicht unbrauchbar. Das Seelenleben verfügt auch über Wünsche, deren Erfüllung Unlust hervorruft, was ein Widerspruch scheint, aber durch die Berufung auf das Vorhandensein zweier psychischer Instanzen und die zwischen ihnen bestehende Zensur erklärlich wird. Es gibt, wie wir gehört haben, im Seelenleben verdrängte Wünsche, die dem ersten System angehören, gegen deren Erfüllung das zweite System sich sträubt. Es gibt ist nicht etwa historisch gemeint, daß es solche Wünsche gegeben und diese dann vernichtet worden sind; sondern die Lehre von der Verdrängung, deren man in der Psychoneurotik bedarf, behauptet, daß solche verdrängte Wünsche noch existieren, gleichzeitig aber eine Hemmung, die auf ihnen lastet. Die Sprache trifft das Richtige, wenn sie vom »Unterdrücken« solcher Impulse redet. Die psychische Veranstaltung, damit solche unterdrückte Wünsche zur Realisierung durchdringen, bleibt erhalten und gebrauchsfähig. Ereignet es sich aber, daß solch ein unterdrückter Wunsch doch vollzogen wird, so äußert sich die überwundene Hemmung des zweiten (bewußtseinsfähigen) Systems als Unlust. Um nun diese Erörterung zu schließen: wenn Sensationen mit Unlustcharakter im Schlafe aus somatischen Quellen vorhanden sind, so wird diese Konstellation von der Traumarbeit benützt, um die Erfüllung eines sonst unterdrückten Wunsches – mit mehr oder weniger Beibehalt der Zensur – darzustellen. Dieser Sachverhalt ermöglicht eine Reihe von Angstträumen, während eine andere Reihe dieser der Wunschtheorie ungünstigen Traumbildungen einen anderen Mechanismus erkennen läßt. Die Angst in den Träumen kann nämlich eine psychoneurotische sein, aus psychos**uellen Erregungen stammen, wobei die Angst verdrängter Libido entspricht. Dann hat diese Angst wie der ganze Angsttraum die Bedeutung eines neurotischen Symptoms, und wir stehen an der Grenze, wo die wunscherfüllende Tendenz des Traumes scheitert. In anderen Angstträumen aber ist die Angstempfindung somatisch gegeben (etwa wie bei Lungen- und Herzkranken bei zufälliger Atembehinderung), und dann wird sie dazu benützt, solchen energisch unterdrückten Wünschen zur Erfüllung als Traum zu verhelfen, deren Träumen aus psychischen Motiven die gleiche Angstentbindung zur Folge gehabt hätte. Es ist nicht schwer, die beiden scheinbar gesonderten Fälle zu vereinigen. Von zwei psychischen Bildungen, einer Affektneigung und einem Vorstellungsinhalt, die innig zusammengehören, hebt die eine, die aktuell gegeben ist, auch im Traum die andere; bald die somatisch gegebene Angst den unterdrückten Vorstellungsinhalt, bald der aus der Verdrängung befreite, mit s**ueller Erregung einhergehende Vorstellungsinhalt die Angstentbindung. Von dem einen Fall kann man sagen, daß ein somatisch gegebener Affekt psychisch gedeutet wird; im anderen Falle ist alles psychisch gegeben, aber der unterdrückt gewesene Inhalt ersetzt sich leicht durch eine zur Angst pa**ende somatische Deutung. Die Schwierigkeiten, die sich hier für das Verständnis ergeben, haben mit dem Traum nur wenig zu tun; sie rühren daher, daß wir mit diesen Erörterungen die Probleme der Angstentwicklung und der Verdrängung streifen. Zu den kommandierenden Traumreizen aus der inneren Leiblichkeit gehört unzweifelhaft die körperliche Gesamtstimmung. Nicht daß sie den Trauminhalt liefern könnte, aber sie nötigt den Traumgedanken eine Auswahl aus dem Material auf, welches zur Darstellung im Trauminhalt dienen soll, indem sie den einen Teil dieses Materials, als zu ihrem Wesen pa**end, nahelegt, den anderen fernehält. Überdies ist ja wohl diese Allgemeinstimmung vom Tage her mit den für den Traum bedeutsamen psychischen Resten verknüpft. Dabei kann diese Stimmung selbst im Traume erhalten bleiben oder überwunden werden, so daß sie, wenn unlustvoll, ins Gegenteil umschlägt. Wenn die somatischen Reizquellen während des Schlafes – die Schlafsensationen also – nicht von ungewöhnlicher Intensität sind, so spielen sie nach meiner Schätzung für die Traumbildung eine ähnliche Rolle wie die als rezent verbliebenen, aber indifferenten Eindrücke des Tages. Ich meine nämlich, sie werden zur Traumbildung herangezogen, wenn sie sich zur Vereinigung mit dem Vorstellungsinhalt der psychischen Traumquellen eignen, im anderen Falle aber nicht. Sie werden wie ein wohlfeiles, allezeit bereitliegendes Material behandelt, welches zur Verwendung kommt, sooft man dessen bedarf, anstatt daß ein kostbares Material die Art seiner Verwendung selbst mitvorschreibt. Der Fall ist etwa ähnlich, wie wenn der Kunstgönner dem Künstler einen seltenen Stein, einen Onyx bringt, aus ihm ein Kunstwerk zu gestalten. Die Größe des Steins, seine Farbe und Fleckung helfen mit entscheiden, welcher Kopf oder welche Szene in ihm dargestellt werden soll, während bei gleichmäßigem und reichlichem Material von Marmor oder Sandstein der Künstler allein der Idee nachfolgt, die sich in seinem Sinn gestaltet. Auf diese Weise allein scheint mir die Tatsache verständlich, daß jener Trauminhalt, der von den nicht ins Ungewohnte gesteigerten Reizen aus unserer Leiblichkeit geliefert wird, doch nicht in allen Träumen und nicht in jeder Nacht im Traume erscheint [Fußnote]. Vielleicht wird ein Beispiel, das uns wieder zur Traumdeutung zurückführt, meine Meinung am besten erläutern. Eines Tages mühte ich mich ab zu verstehen, was die Empfindung von Gehemmtsein, nicht von der Stelle können, nicht fertig werden u. dgl., die so häufig geträumt wird und die der Angst so nahe verwandt ist, wohl bedeuten mag. In der Nacht darauf hatte ich folgenden Traum: Ich gehe in sehr unvollständiger Toilette aus einer Wohnung im Parterre über die Treppe in ein höheres Stockwerk. Dabei überspringe ich jedesmal drei Stufen, freue mich, daß ich so flink Treppen steigen kann. Plötzlich sehe ich, daß ein Dienstmädchen die Treppen herab- und also mir entgegenkommt. Ich schäme mich, will mich eilen, und nun tritt jenes Gehemmtsein auf, ich klebe an den Stufen und komme nicht von der Stelle. an*lYSE: Die Situation des Traumes ist der alltäglichen Wirklichkeit entnommen. Ich habe in einem Hause in Wien zwei Wohnungen, die nur durch die Treppe außen verbunden sind. Im Hochparterre befindet sich meine ärztliche Wohnung und mein Arbeitszimmer, einen Stock höher die Wohnräume. Wenn ich in später Stunde unten meine Arbeit vollendet habe, gehe ich über die Treppe ins Schlafzimmer. An dem Abend vor dem Traum hatte ich diesen kurzen Weg wirklich in etwas derangierter Toilette gemacht, d. h. ich hatte Kragen, Krawatte und Manschetten abgelegt; im Traum war daraus ein höherer, aber, wie gewöhnlich, unbestimmter Grad von Kleiderlosigkeit geworden. Das Überspringen von Stufen ist meine gewöhnliche Art, die Treppe zu gehen, übrigens eine bereits im Traum anerkannte Wunscherfüllung, denn mit der Leichtigkeit dieser Leistung hatte ich mich ob des Zustands meiner Herzarbeit getröstet. Ferner ist diese Art, die Treppe zu gehen, ein wirksamer Gegensatz zu der Hemmung in der zweiten Hälfte des Traums. Sie zeigt mir – was des Beweises nicht bedurfte –, daß der Traum keine Schwierigkeit hat, sich motorische Aktionen in aller Vollkommenheit ausgeführt vorzustellen; man denke an das Fliegen im Traum! Die Treppe, über die ich gehe, ist aber nicht die meines Hauses; ich erkenne sie zunächst nicht, erst die mir entgegenkommende Person klärt mich über die gemeinte Örtlichkeit auf. Diese Person ist das Dienstmädchen der alten Dame, die ich täglich zweimal besuche, um ihr Injektionen zu machen; die Treppe ist auch ganz ähnlich jener, die ich zweimal im Tage dort zu ersteigen habe. Wie gelangt nun diese Treppe und diese Frauensperson in meinen Traum? Das Schämen, weil man nicht voll angekleidet ist, hat unzweifelhaft s**uellen Charakter; das Dienstmädchen, von dem ich träume, ist älter als ich, mürrisch und keineswegs anreizend. Zu diesen Fragen fällt mir nun nichts anderes ein als das Folgende: Wenn ich in diesem Hause den Morgenbesuch mache, werde ich gewöhnlich auf der Treppe von Räuspern befallen; das Produkt der Expektoration gerät auf die Stiege. In diesen beiden Stockwerken befindet sich nämlich kein Spucknapf, und ich vertrete den Standpunkt, daß die Reinhaltung der Treppe nicht auf meine Kosten erfolgen darf, sondern durch die Anbringung eines Spucknapfes ermöglicht werden soll. Die Hausmeisterin, eine gleichfalls ältliche und mürrische Person, aber von reinlichen Instinkten, wie ich ihr zuzugestehen bereit bin, nimmt in dieser Angelegenheit einen anderen Standpunkt ein. Sie lauert mir auf, ob ich mir wieder die besagte Freiheit erlauben werde, und wenn sie das konstatiert hat, höre ich sie vernehmlich brummen. Auch versagt sie mir dann für Tage die gewohnte Hochachtung, wenn wir uns begegnen. Am Vortag des Traumes bekam nun die Partei der Hausmeisterin eine Verstärkung durch das Dienstmädchen. Ich hatte eilig, wie immer, meinen Besuch bei der Kranken abgemacht, als die Dienerin mich im Vorzimmer stellte und die Bemerkung von sich gab: »Herr Doktor hätten sich heute schon die Stiefel abputzen können, ehe Sie ins Zimmer kommen. Der rote Teppich ist wiederum ganz schmutzig von Ihren Füßen.« Dies ist der ganze Anspruch, den Treppe und Dienstmädchen geltend machen können, um in meinem Traum zu erscheinen. Zwischen meinem Über-die-Treppe-Fliegen und dem Auf-der-Treppe-Spucken besteht ein inniger Zusammenhang. Rachenkatarrh wie Herzbeschwerden sollen beide die Strafen für das Laster des Rauchens darstellen, wegen dessen ich natürlich auch bei meiner Hausfrau nicht den Ruf der größten Nettigkeit genieße, in dem einen Haus so wenig wie in dem anderen, die der Traum zu einem Gebilde verschmilzt. Die weitere Deutung des Traumes muß ich verschieben, bis ich berichten kann, woher der typische Traum von der unvollständigen Bekleidung rührt. Ich bemerke nur als vorläufiges Ergebnis des mitgeteilten Traumes, daß die Traumsensation der gehemmten Bewegung überall dort hervorgerufen wird, wo ein gewisser Zusammenhang ihrer bedarf. Ein besonderer Zustand meiner Motilität im Schlafe kann nicht die Ursache dieses Trauminhalts sein, denn einen Moment vorher sah ich mich ja wie zur Sicherung dieser Erkenntnis leichtfüßig über die Stufen eilen. D TYPISCHE TRÄUME Wir sind im allgemeinen nicht imstande, den Traum eines anderen zu deuten, wenn derselbe uns nicht die hinter dem Trauminhalt stehenden unbewußten Gedanken ausliefern will, und dadurch wird die praktische Verwertbarkeit unserer Methode der Traumdeutung schwer beeinträchtigt [Fußnote]. Nun gibt es aber, so recht im Gegensatz zu der sonstigen Freiheit des einzelnen, sich seine Traumwelt in individueller Besonderheit auszustatten und dadurch dem Verständnis der anderen unzugänglich zu machen, eine gewisse Anzahl von Träumen, die fast jedermann in derselben Weise geträumt hat, von denen wir anzunehmen gewohnt sind, daß sie auch bei jedermann dieselbe Bedeutung haben. Ein besonderes Interesse wendet sich diesen typischen Träumen auch darum zu, weil sie vermutlich bei allen Menschen aus den gleichen Quellen stammen, also besonders gut geeignet scheinen, uns über die Quellen der Träume Aufschluß zu geben. Wir werden also mit ganz besonderen Erwartungen darangehen, unsere Technik der Traumdeutung an diesen typischen Träumen zu versuchen, und uns nur sehr ungern eingestehen, daß unsere Kunst sich gerade an diesem Material nicht recht bewährt. Bei der Deutung der typischen Träume versagen in der Regel die Einfälle des Träumers, die uns sonst zum Verständnis des Traumes geleitet haben, oder sie werden unklar und unzureichend, so daß wir unsere Aufgabe mit ihrer Hilfe nicht lösen können. Woher dies rührt und wie wir diesem Mangel unserer Technik abhelfen, wird sich an einer späteren Stelle unserer Arbeit ergeben. Dann wird dem Leser auch verständlich werden, warum ich hier nur einige aus der Gruppe der typischen Träume behandeln kann und die Erörterung der anderen auf jenen späteren Zusammenhang verschiebe. (α) Der Verlegenheitstraum der Nacktheit Der Traum, daß man nackt oder schlecht bekleidet in Gegenwart Fremder sei, kommt auch mit der Zutat vor, man habe sich dessen gar nicht geschämt u. dgl. Unser Interesse gebührt aber dem Nacktheitstraum nur dann, wenn man in ihm Scham und Verlegenheit empfindet, entfliehen oder sich verbergen will und dabei der eigentümlichen Hemmung unterliegt, daß man nicht von der Stelle kann und sich unvermögend fühlt, die peinliche Situation zu verändern. Nur in dieser Verbindung ist der Traum typisch; der Kern seines Inhalts mag sonst in allerlei andere Verknüpfungen einbezogen werden oder mit individuellen Zutaten versetzt sein. Es handelt sich im wesentlichen um die peinliche Empfindung von der Natur der Scham, daß man seine Nacktheit, meist durch Lokomotion, verbergen möchte und es nicht zustande bringt. Ich glaube, die allermeisten meiner Leser werden sich in dieser Situation im Traume bereits befunden haben. Für gewöhnlich ist die Art und Weise der Entkleidung wenig deutlich. Man hört etwa erzählen, ich war im Hemd, aber dies ist selten ein klares Bild; meist ist die Unbekleidung so unbestimmt, daß sie durch eine Alternative in der Erzählung wiedergegeben wird: »Ich war im Hemd oder im Unterrock.« In der Regel ist der Defekt der Toilette nicht so arg, daß die dazugehörige Scham gerechtfertigt schiene. Für den, der den Rock des Kaisers getragen hat, ersetzt sich die Nacktheit häufig durch eine vorschriftswidrige Adjustierung. »Ich bin ohne Säbel auf der Straße und sehe Offiziere näher kommen, oder ohne Halsbinde, oder trage eine karierte Zivilhose« u. dgl. Die Leute, vor denen man sich schämt, sind fast immer Fremde mit unbestimmt gela**enen Gesichtern. Niemals ereignet es sich im typischen Traum, daß man wegen der Kleidung, die einem selbst solche Verlegenheit bereitet, beanstandet oder auch nur bemerkt wird. Die Leute machen ganz im Gegenteil gleichgültige, oder wie ich es in einem besonders klaren Traum wahrnehmen konnte, feierlich steife Mienen. Das gibt zu denken. Die Schamverlegenheit des Träumers und die Gleichgültigkeit der Leute ergeben mitsammen einen Widerspruch, wie er im Traume häufig vorkommt. Zu der Empfindung des Träumenden würde doch nur pa**en, daß die Fremden ihn erstaunt ansehen und verlachen oder sich über ihn entrüsten. Ich meine aber, dieser anstößige Zug ist durch die Wunscherfüllung beseitigt worden, während der andere, durch irgendwelche Macht gehalten, stehenblieb, und so stimmen die beiden Stücke dann schlecht zueinander. Wir besitzen ein interessantes Zeugnis dafür, daß der Traum in seiner durch Wunscherfüllung partiell entstellten Form das richtige Verständnis nicht gefunden hat. Er ist nämlich die Grundlage eines Märchens geworden, welches uns allen in der Andersenschen Fa**ung (›Des Kaisers neue Kleider‹) bekannt ist und in der jüngsten Zeit durch L. Fulda im Talisman poetischer Verwertung zugeführt worden ist. Im Andersenschen Märchen wird von zwei Betrügern erzählt, die für den Kaiser ein kostbares Gewand weben, das aber nur den Guten und Treuen sichtbar sein soll. Der Kaiser geht mit diesem unsichtbaren Gewand bekleidet aus, und durch die prüfsteinartige Kraft des Gewebes erschreckt, tun alle Leute, als ob sie die Nacktheit des Kaisers nicht merken. Letzteres ist aber die Situation unseres Traumes. Es gehört wohl nicht viel Kühnheit dazu anzunehmen, daß der unverständliche Trauminhalt eine Anregung gegeben hat, um eine Einkleidung zu erfinden, in welcher die vor der Erinnerung stehende Situation sinnreich wird. Dieselbe ist dabei ihrer ursprünglichen Bedeutung beraubt und fremden Zwecken dienstbar gemacht worden. Aber wir werden hören, daß solches Mißverständnis des Trauminhalts durch die bewußte Denktätigkeit eines zweiten psychischen Systems häufig vorkommt und als ein Faktor für die endgültige Traumgestaltung anzuerkennen ist; ferner, daß bei der Bildung von Zwangsvorstellungen und Phobien ähnliche Mißverständnisse – gleichfalls innerhalb der nämlichen psychischen Persönlichkeit – eine Hauptrolle spielen. Es läßt sich auch für unseren Traum angeben, woher das Material für die Umdeutung genommen wird. Der Betrüger ist der Traum, der Kaiser der Träumer selbst, und die moralisierende Tendenz verrät eine dunkle Kenntnis davon, daß es sich im latenten Trauminhalt um unerlaubte, der Verdrängung geopferte Wünsche handelt. Der Zusammenhang, in welchem solche Träume während meiner an*lysen bei Neurotikern auftreten, läßt nämlich keinen Zweifel darüber, daß dem Traume eine Erinnerung aus der frühesten Kindheit zugrunde liegt. Nur in unserer Kindheit gab es die Zeit, daß wir in mangelhafter Bekleidung von unseren Angehörigen wie von fremden Pflegepersonen, Dienstmädchen, Besuchern gesehen wurden, und wir haben uns damals unserer Nacktheit nicht geschämt [Fußnote]. An vielen Kindern kann man noch in späteren Jahren beobachten, daß ihre Entkleidung wie berauschend auf sie wirkt, anstatt sie zur Scham zu leiten. Sie lachen, springen herum, schlagen sich auf den Leib, die Mutter oder wer dabei ist, verweist es ihnen, sagt: Pfui, das ist eine Schande, das darf man nicht. Die Kinder zeigen häufig Exhibitionsgelüste; man kann kaum durch ein Dorf in unseren Gegenden gehen, ohne daß man einem zwei- bis dreijährigen Kleinen begegnete, welches vor dem Wanderer, vielleicht ihm zu Ehren, sein Hemdchen hochhebt. Einer meiner Patienten hat in seiner bewußten Erinnerung eine Szene aus seinem achten Lebensjahr bewahrt, wie er nach der Entkleidung vor dem Schlafengehen im Hemd zu seiner kleinen Schwester im nächsten Zimmer hinaustanzen will und wie die dienende Person es ihm verwehrt. In der Jugendgeschichte von Neurotikern spielt die Entblößung vor Kindern des anderen Geschlechts eine große Rolle; in der Paranoia ist der Wahn, beim An- und Auskleiden beobachtet zu werden, auf diese Erlebnisse zurückzuführen; unter den pervers Gebliebenen ist eine Kla**e, bei denen der infantile Impuls zum Symptom erhoben worden ist, die der Exhibitionisten. Diese der Scham entbehrende Kindheit erscheint unserer Rückschau später als ein Paradies, und das Paradies selbst ist nichts anderes als die Ma**enphantasie von der Kindheit des einzelnen. Darum sind auch im Paradies die Menschen nackt und schämen sich nicht voreinander, bis ein Moment kommt, in dem die Scham und die Angst erwachen, die Vertreibung erfolgt, das Geschlechtsleben und die Kulturarbeit beginnt. In dieses Paradies kann uns nun der Traum allnächtlich zurückführen; wir haben bereits der Vermutung Ausdruck gegeben, daß die Eindrücke aus der ersten Kindheit (der prähistorischen Periode bis etwa zum vollendeten dritten Jahr) an und für sich, vielleicht ohne daß es auf ihren Inhalt weiter ankäme, nach Reproduktion verlangen, daß deren Wiederholung eine Wunscherfüllung ist. Die Nacktheitsträume sind also Exhibitionsträume [Fußnote]. Den Kern des Exhibitionstraumes bildet die eigene Gestalt, die nicht als die eines Kindes, sondern wie in der Gegenwart gesehen wird, und die mangelhafte Bekleidung, welche durch die Überlagerung so vieler späterer Negligéerinnerungen oder der Zensur zuliebe undeutlich ausfällt; dazu kommen nun die Personen, vor denen man sich schämt. Ich kenne kein Beispiel, daß die tatsächlichen Zuschauer bei jenen infantilen Exhibitionen im Traume wieder auftreten. Der Traum ist eben fast niemals eine einfache Erinnerung. Merkwürdigerweise werden jene Personen, denen unser s**uelles Interesse in der Kindheit galt, in allen Reproduktionen des Traums, der Hysterie und der Zwangsneurose ausgela**en; erst die Paranoia setzt die Zuschauer wieder ein und schließt, obwohl sie unsichtbar geblieben sind, mit fanatischer Überzeugung auf ihre Gegenwart. Was der Traum für sie einsetzt, »viele fremde Leute«, die sich nicht um das gebotene Schauspiel kümmern, ist geradezu der Wunschgegensatz zu jener einzelnen, wohlvertrauten Person, der man die Entblößung bot. »Viele fremde Leute« finden sich in Träumen übrigens auch häufig in beliebigem anderen Zusammenhang; sie bedeuten immer als Wunschgegensatz »Geheimnis« [Fußnote]. Man merkt, wie auch die Restitution des alten Sachverhalts, die in der Paranoia vor sich geht, diesem Gegensatze Rechnung trägt. Man ist nicht mehr allein, man wird ganz gewiß beobachtet, aber die Beobachter sind »viele, fremde, merkwürdig unbestimmt gela**ene Leute«. Außerdem kommt im Exhibitionstraum die Verdrängung zur Sprache. Die peinliche Empfindung des Traums ist ja die Reaktion des zweiten psychischen Systems dagegen, daß der von ihr verworfene Inhalt der Exhibitionsszene dennoch zur Vorstellung gelangt ist. Um sie zu ersparen, hätte die Szene nicht wieder belebt werden dürfen. Von der Empfindung des Gehemmtseins werden wir später nochmals handeln. Sie dient im Traum vortrefflich dazu, den Willenskonflikt, das Nein, darzustellen. Nach der unbewußten Absicht soll die Exhibition fortgesetzt, nach der Forderung der Zensur unterbrochen werden. Die Beziehungen unserer typischen Träume zu den Märchen und anderen Dichtungsstoffen sind gewiß weder vereinzelte noch zufällige. Gelegentlich hat ein scharfes Dichterauge den Umwandlungsprozeß, dessen Werkzeug sonst der Dichter ist, an*lytisch erkannt und ihn in umgekehrter Richtung verfolgt, also die Dichtung auf den Traum zurückgeführt. Ein Freund macht mich auf folgende Stelle aus Gottfried Kellers Grünem Heinrich aufmerksam: »Ich wünsche Ihnen nicht, lieber Lee, daß Sie jemals die ausgesuchte pikante Wahrheit in der Lage des Odysseus, wo er nackt und mit Schlamm bedeckt vor Nausikaa und ihren Gespielen erscheint, so recht aus Erfahrung empfinden lernen! Wollen Sie wissen, wie das zugeht? Halten wir das Beispiel einmal fest. Wenn Sie einst getrennt von Ihrer Heimat und allem, was Ihnen lieb ist, in der Fremde umherschweifen und Sie haben viel gesehen und viel erfahren, haben Kummer und Sorge, sind wohl gar elend und verla**en, so wird es Ihnen des Nachts unfehlbar träumen, daß Sie sich Ihrer Heimat nähern; Sie sehen sie glänzen und leuchten in den schönsten Farben, holde, feine und liebe Gestalten treten Ihnen entgegen; da entdecken Sie plötzlich, daß Sie zerfetzt, nackt und staubbedeckt umhergehen. Eine namenlose Scham und Angst faßt Sie, Sie suchen sich zu bedecken, zu verbergen und erwachen im Schweiße gebadet. Dies ist, solange es Menschen gibt, der Traum des kummervollen, umhergeworfenen Mannes, und so hat Homer jene Lage aus dem tiefsten und ewigen Wesen der Menschheit herausgenommen.« Das tiefste und ewige Wesen der Menschheit, auf dessen Erweckung der Dichter in der Regel bei seinen Hörern baut, das sind jene Regungen des Seelenlebens, die in der später prähistorisch gewordenen Kinderzeit wurzeln. Hinter den bewußtseinsfähigen und einwandfreien Wünschen des Heimatlosen brechen im Traum die unterdrückten und unerlaubt gewordenen Kinderwünsche hervor, und darum schlägt der Traum, den die Sage von der Nausikaa objektiviert, regelmäßig in einen Angsttraum um. Mein eigener auf S. 244 f. erwähnter Traum von dem Eilen über die Treppe, das sich bald nachher in ein An-den-Stufen-Kleben verwandelt, ist gleichfalls ein Exhibitionstraum, da er die wesentlichen Bestandstücke eines solchen aufweist. Er müßte sich also auf Kindererlebnisse zurückführen la**en, und die Kenntnis derselben müßte einen Aufschluß darüber geben, inwiefern das Benehmen des Dienstmädchens gegen mich, ihr Vorwurf, daß ich den Teppich schmutzig gemacht habe, ihr zur Stellung verhilft, die sie im Traum einnimmt. Ich kann die gewünschten Aufklärungen nun wirklich beibringen. In einer Psychoan*lyse lernt man die zeitliche Annäherung auf sachlichen Zusammenhang umdeuten; zwei Gedanken, die, anscheinend zusammenhanglos, unmittelbar aufeinander folgen, gehören zu einer Einheit, die zu erraten ist, ebenso wie ein a und ein b, die ich nebeneinander hinschreibe, als eine Silbe: ab ausgesprochen werden sollen. Ähnlich mit der Aufeinanderbeziehung der Träume. Der erwähnte Traum von der Treppe ist aus einer Traumreihe herausgegriffen, deren andere Glieder mir der Deutung nach bekannt sind. Der von ihnen eingeschlossene Traum muß in denselben Zusammenhang gehören. Nun liegt jenen anderen einschließenden Träumen die Erinnerung an eine Kinderfrau zugrunde, die mich von irgendeinem Termin der Säuglingszeit bis zum Alter von zweieinhalb Jahren betreut hat, von der mir auch eine dunkle Erinnerung im Bewußtsein geblieben ist. Nach den Auskünften, die ich unlängst von meiner Mutter eingeholt habe, war sie alt und häßlich, aber sehr klug und tüchtig; nach den Schlüssen, die ich aus meinen Träumen ziehen darf, hat sie mir nicht immer die liebevollste Behandlung angedeihen und mich harte Worte hören la**en, wenn ich der Erziehung zur Reinlichkeit kein genügendes Verständnis entgegenbrachte. Indem also das Dienstmädchen dieses Erziehungswerk fortzusetzen sich bemüht, erwirbt sie den Anspruch, von mir als Inkarnation der prähistorischen Alten im Traum behandelt zu werden. Es ist wohl anzunehmen, daß das Kind dieser Erzieherin, trotz ihrer schlechten Behandlung, seine Liebe geschenkt hat [Fußnote] (β)Die Träume vom Tod teurer Personen Eine andere Reihe von Träumen, die typisch genannt werden dürfen, sind die mit dem Inhalt, daß ein teurer Verwandter, Eltern oder Geschwister, Kinder usw. gestorben ist. Man muß sofort von diesen Träumen zwei Kla**en unterscheiden, die einen, bei welchen man im Traum von Trauer unberührt bleibt, so daß man sich nach dem Erwachen über seine Gefühllosigkeit wundert, die anderen, bei denen man tiefen Schmerz über den Todesfall empfindet, ja ihn selbst in heißen Tränen während des Schlafes äußert. Die Träume der ersten Gruppe dürfen wir beiseite la**en; sie haben keinen Anspruch, als typisch zu gelten. Wenn man sie an*lysiert, findet man, daß sie etwas anderes bedeuten, als sie enthalten, daß sie dazu bestimmt sind, irgendeinen anderen Wunsch zu verdecken. So der Traum der Tante, die den einzigen Sohn ihrer Schwester aufgebahrt vor sich sieht. (S. 168) Das bedeutet nicht, daß sie dem kleinen Neffen den Tod wünscht, sondern verbirgt nur, wie wir erfahren haben, den Wunsch, eine gewisse geliebte Person nach langer Entbehrung wiederzusehen, dieselbe, die sie früher einmal nach ähnlich langer Pause bei der Leiche eines anderen Neffen wiedergesehen hatte. Dieser Wunsch, welcher der eigentliche Inhalt des Traumes ist, gibt keinen Anlaß zur Trauer, und darum wird auch im Traum keine Trauer verspürt. Man merkt es hier, daß die im Traum enthaltene Empfindung nicht zum manifesten Trauminhalt gehört, sondern zum latenten, daß der Affektinhalt des Traumes von der Entstellung frei geblieben ist, welche den Vorstellungsinhalt betroffen hat. Anders die Träume, in denen der Tod einer geliebten verwandten Person vorgestellt und dabei schmerzlicher Affekt verspürt wird. Diese bedeuten, was ihr Inhalt besagt, den Wunsch, daß die betreffende Person sterben möge, und da ich hier erwarten darf, daß sich die Gefühle aller Leser und aller Personen, die Ähnliches geträumt haben, gegen meine Auslegung sträuben werden, muß ich den Beweis auf der breitesten Basis anstreben. Wir haben bereits einen Traum erläutert, aus dem wir lernen konnten, daß die Wünsche, welche sich in Träumen als erfüllt darstellen, nicht immer aktuelle Wünsche sind. Es können auch verflossene, abgetane, überlagerte und verdrängte Wünsche sein, denen wir nur wegen ihres Wiederauftauchens im Traum doch eine Art von Fortexistenz zusprechen müssen. Sie sind nicht tot wie die Verstorbenen nach unserem Begriff, sondern wie die Schatten der Odyssee, die, sobald sie Blut getrunken haben, zu einem gewissen Leben erwachen. In jenem Traum vom toten Kind in der Schachtel (S. 169) handelte es sich um einen Wunsch, der vor fünfzehn Jahren aktuell war und von damals her unumwunden eingestanden wurde. Es ist vielleicht für die Theorie des Traumes nicht gleichgültig, wenn ich hinzufüge, daß selbst diesem Wunsche eine Erinnerung aus der frühesten Kindheit zugrunde lag. Die Träumerin hatte als kleines Kind – wann, ist nicht sicher festzustellen – gehört, daß ihre Mutter in der Schwangerschaft, deren Frucht sie wurde, in eine schwere Verstimmung verfallen war und dem Kinde in ihrem Leibe sehnlichst den Tod gewünscht hatte. Selbst erwachsen und gravid geworden, folgte sie nur dem Beispiele der Mutter. Wenn jemand unter Schmerzensäußerungen davon träumt, sein Vater oder seine Mutter, Bruder oder Schwester seien gestorben, so werde ich diesen Traum niemals als Beweis dafür verwenden, daß er ihnen jetzt den Tod wünscht. Die Theorie des Traumes fordert nicht so viel; sie begnügt sich zu schließen, daß er ihnen – irgendeinmal in der Kindheit – den Tod gewünscht habe. Ich fürchte aber, diese Einschränkung wird noch wenig zur Beruhigung der Beschwerdenführer beitragen; diese dürften ebenso energisch die Möglichkeit bestreiten, daß sie je so gedacht haben, wie sie sich sicher fühlen, nicht in der Gegenwart solche Wünsche zu hegen. Ich muß darum ein Stück vom untergegangenen Kinderseelenleben nach den Zeugnissen, die die Gegenwart noch aufweist, wieder herstellen [Fußnote]. Fa**en wir zunächst das Verhältnis der Kinder zu ihren Geschwistern ins Auge. Ich weiß nicht, warum wir voraussetzen, es müsse ein liebevolles sein, da doch die Beispiele von Geschwisterfeindschaft unter Erwachsenen in der Erfahrung eines jeden sich drängen und wir so oft feststellen können, diese Entzweiung rühre noch aus der Kindheit her oder habe von jeher bestanden. Aber auch sehr viele Erwachsene, die heute an ihren Geschwistern zärtlich hängen und ihnen beistehen, haben in ihrer Kindheit in kaum unterbrochener Feindschaft mit ihnen gelebt. Das ältere Kind hat das jüngere mißhandelt, angeschwärzt, es seiner Spielsachen beraubt; das jüngere hat sich in ohnmächtiger Wut gegen das ältere verzehrt, es beneidet und gefürchtet, oder seine ersten Regungen von Freiheitsdrang und Rechtsbewußtsein haben sich gegen den Unterdrücker gewendet. Die Eltern sagen, die Kinder vertragen sich nicht, und wissen den Grund hiefür nicht zu finden. Es ist nicht schwer zu sehen, daß auch der Charakter des braven Kindes ein anderer ist, als wir ihn bei einem Erwachsenen zu finden wünschen. Das Kind ist absolut egoistisch, es empfindet seine Bedürfnisse intensiv und strebt rücksichtslos nach ihrer Befriedigung, insbesondere gegen seine Mitbewerber, andere Kinder, und in erster Linie gegen seine Geschwister. Wir heißen das Kind aber darum nicht »schlecht«, wir heißen es »schlimm«; es ist unverantwortlich für seine bösen Taten vor unserem Urteil wie vor dem Strafgesetz. Und das mit Recht; denn wir dürfen erwarten, daß noch innerhalb von Lebenszeiten, die wir der Kindheit zurechnen, in dem kleinen Egoisten die altruistischen Regungen und die Moral erwachen werden, daß, mit Meynert zu reden, ein sekundäres Ich das primäre überlagern und hemmen wird. Wohl entsteht die Moralität nicht gleichzeitig auf der ganzen Linie, auch ist die Dauer der morallosen Kindheitsperiode bei den einzelnen Individuen verschieden lang. Wo die Entwicklung dieser Moralität ausbleibt, sprechen wir gerne von »Degeneration«; es handelt sich offenbar um eine Entwicklungshemmung. Wo der primäre Charakter durch die spätere Entwicklung bereits überlagert ist, kann er durch die Erkrankung an Hysterie wenigstens partiell wieder freigelegt werden. Die Übereinstimmung des sogenannten hysterischen Charakters mit dem eines schlimmen Kindes ist geradezu auffällig. Die Zwangsneurose hingegen entspricht einer Übermoralität, als verstärkende Belastung dem sich wieder regenden primären Charakter auferlegt. Viele Personen also, die heute ihre Geschwister lieben und sich durch ihr Hinsterben beraubt fühlen würden, tragen von früher her böse Wünsche gegen dieselben in ihrem Unbewußten, welche sich in Träumen zu realisieren vermögen. Es ist aber ganz besonders interessant, kleine Kinder bis zu drei Jahren oder wenig darüber in ihrem Verhalten gegen jüngere Geschwister zu beobachten. Das Kind war bisher das einzige; nun wird ihm angekündigt, daß der Storch ein neues Kind gebracht hat. Das Kind mustert den Ankömmling und äußert dann entschieden. »Der Storch soll es wieder mitnehmen.« [Fußnote] Ich bekenne mich in allem Ernst zur Meinung, daß das Kind abzuschätzen weiß, welche Benachteiligung es von dem Fremdling zu erwarten hat. Von einer mir nahestehenden Dame, die sich heute mit ihrer um vier Jahre jüngeren Schwester sehr gut verträgt, weiß ich, daß sie die Nachricht von deren Ankunft mit dem Vorbehalt beantwortet hat: »Aber meine rote Kappe werde ich ihr doch nicht geben.« Sollte das Kind erst später zu dieser Erkenntnis kommen, so wird seine Feindseligkeit in diesem Zeitpunkt erwachen. Ich kenne einen Fall, daß ein nicht dreijähriges Mädchen den Säugling in der Wiege zu erwürgen versuchte, von dessen weiterer Anwesenheit ihr nichts Gutes ahnte. Der Eifersucht sind Kinder um diese Lebenszeit in aller Stärke und Deutlichkeit fähig. Oder das kleine Geschwisterchen ist wirklich bald wieder verschwunden, das Kind hat wieder alle Zärtlichkeit im Hause auf sich vereinigt, nun kommt ein neues vom Storch geschickt; ist es da nicht korrekt, daß unser Liebling den Wunsch in sich erschaffen sollte, der neue Konkurrent möge da**elbe Schicksal haben wie der frühere, damit es ihm selbst wieder so gut gehe wie vorhin und in der Zwischenzeit? [Fußnote] Natürlich ist dieses Verhalten des Kindes gegen die Nachgeborenen in normalen Verhältnissen eine einfache Funktion des Altersunterschieds. Bei einem gewissen Intervall werden sich in dem älteren Mädchen bereits die mütterlichen Instinkte gegen das hilflose Neugeborene regen. Empfindungen von Feindseligkeit gegen die Geschwister müssen im Kindesalter noch weit häufiger sein, als sie der stumpfen Beobachtung Erwachsener auffallen [Fußnote]. Bei meinen eigenen Kindern, die einander rasch folgten, habe ich die Gelegenheit zu solchen Beobachtungen versäumt; ich hole sie jetzt bei meinem kleinen Neffen nach, dessen Alleinherrschaft nach fünfzehn Monaten durch das Auftreten einer Mitbewerberin gestört wurde. Ich höre zwar, daß der junge Mann sich sehr ritterlich gegen das Schwesterchen benimmt, ihr die Hand küßt und sie streichelt; ich überzeuge mich aber, daß er schon vor seinem vollendeten zweiten Jahr seine Sprachfähigkeit dazu benützt, um Kritik an der ihm doch nur überflüssig erscheinenden Person zu üben. Sooft die Rede auf sie kommt, mengt er sich ins Gespräch und ruft unwillig: Zu k(l)ein, zu k(l)ein. In den letzten Monaten, seitdem das Kind sich durch vortreffliche Entwicklung dieser Geringschätzung entzogen hat, weiß er seine Mahnung, daß sie so viel Aufmerksamkeit nicht verdient, anders zu begründen. Er erinnert bei allen geeigneten Anlässen daran: Sie hat keine Zähne [Fußnote]. Von dem ältesten Mädchen einer anderen Schwester haben wir alle die Erinnerung bewahrt, wie das damals sechsjährige Kind sich eine halbe Stunde lang von allen Tanten bestätigen ließ: »Nicht wahr, das kann die Lucie noch nicht verstehen?« Lucie war die um zweieinhalb Jahre jüngere Konkurrentin. Den gesteigerter Feindseligkeit entsprechenden Traum vom Tod der Geschwister habe ich z. B. bei keiner meiner Patientinnen vermißt. Ich fand nur eine Ausnahme, die sich leicht in eine Bestätigung der Regel umdeuten ließ. Als ich einst einer Dame während einer Sitzung diesen Sachverhalt erklärte, der mir bei dem Symptom an der Tagesordnung in Betracht zu kommen schien, antwortete sie zu meinem Erstaunen, sie habe solche Träume nie gehabt. Ein anderer Traum fiel ihr aber ein, der angeblich damit nichts zu schaffen hatte, ein Traum, den sie mit vier Jahren zuerst, als damals Jüngste, und dann wiederholt geträumt hatte. »Eine Menge Kinder, alle ihre Brüder, Schwestern, Cousins und Cousinen tummelten sich auf einer Wiese. Plötzlich bekamen sie Flügel, flogen auf und waren weg.« Von der Bedeutung dieses Traumes hatte sie keine Ahnung; es wird uns nicht schwerfallen, einen Traum vom Tod aller Geschwister in seiner ursprünglichen, durch die Zensur wenig beeinflußten Form darin zu erkennen. Ich getraue mich, folgende an*lyse unterzuschieben. Bei dem Tode eines aus der Kinderschar – die Kinder zweier Brüder wurden in diesem Falle in geschwisterlicher Gemeinschaft aufgezogen – wird unsere noch nicht vierjährige Träumerin eine weise erwachsene Person gefragt haben: was wird denn aus den Kindern, wenn sie tot sind? Die Antwort wird gelautet haben: Dann bekommen sie Flügel und werden Engerln. Im Traum nach dieser Aufklärung haben nun die Geschwister alle Flügel wie die Engel, und – was die Hauptsache ist – sie fliegen weg. Unsere kleine Engelmacherin bleibt allein, man denke, das einzige von einer solchen Schar! Daß sich die Kinder auf einer Wiese tummeln, von der sie wegfliegen, deutet kaum mißverständlich auf Schmetterlinge hin, als ob dieselbe Gedankenverbindung das Kind geleitet hätte, welche die Alten bewog, die Psyche mit Schmetterlingsflügeln zu bilden. Vielleicht wirft nun jemand ein, die feindseligen Impulse der Kinder gegen ihre Geschwister seien wohl zuzugeben, aber wie käme das Kindergemüt zu der Höhe von Schlechtigkeit, dem Mitbewerber oder stärkeren Spielgenossen den Tod zu wünschen, als ob alle Vergehen nur durch die Todesstrafe zu sühnen seien? Wer so spricht, erwägt nicht, daß die Vorstellung des Kindes vom »Totsein« mit der unsrigen das Wort und dann nur noch wenig anderes gemein hat. Das Kind weiß nichts von den Greueln der Verwesung, vom Frieren im kalten Grab, vom Schrecken des endlosen Nichts, das der Erwachsene, wie alle Mythen vom Jenseits zeugen, in seiner Vorstellung so schlecht verträgt. Die Furcht vor dem Tode ist ihm fremd, darum spielt es mit dem gräßlichen Wort und droht einem anderen Kind: »Wenn du das noch einmal tust, wirst du sterben, wie der Franz gestorben ist«, wobei es die arme Mutter schaudernd überläuft, die vielleicht nicht daran vergessen kann, daß die größere Hälfte der erdgeborenen Menschen ihr Leben nicht über die Jahre der Kindheit bringt. Noch mit acht Jahren kann das Kind, von einem Gang durch das Naturhistorische Museum heimgekehrt, seiner Mutter sagen: »Mama, ich habe dich so lieb; wenn du einmal stirbst, la**e ich dich ausstopfen und stelle dich hier im Zimmer auf, damit ich dich immer, immer sehen kann!« So wenig gleicht die kindliche Vorstellung vom Gestorbensein der unsrigen [Fußnote]. Gestorben sein heißt für das Kind, welchem ja überdies die Szenen des Leidens vor dem Tode zu sehen erspart wird, so viel als »fort sein«, die Überlebenden nicht mehr stören. Es unterscheidet nicht, auf welche Art diese Abwesenheit zustande kommt, ob durch Verreisen, Entla**ung, Entfremdung oder Tod [Fußnote]. Wenn in den prähistorischen Jahren eines Kindes seine Kinderfrau weggeschickt worden und einige Zeit darauf seine Mutter gestorben ist, so liegen für seine Erinnerung, wie man sie in der an*lyse aufdeckt, beide Ereignisse in einer Reihe übereinander. Daß das Kind die Abwesenden nicht sehr intensiv vermißt, hat manche Mutter zu ihrem Schmerz erfahren, wenn sie nach mehrwöchentlicher Sommerreise in ihr Haus zurückkehrte und auf ihre Erkundigung hören mußte: Die Kinder haben nicht ein einziges Mal nach der Mama gefragt. Wenn sie aber wirklich in jenes »unentdeckte Land« verreist ist, »von des Bezirk kein Wanderer wiederkehrt«, so scheinen die Kinder sie zunächst vergessen zu haben, und erst nachträglich beginnen sie, sich an die Tote zu erinnern. Wenn das Kind also Motive hat, die Abwesenheit eines anderen Kindes zu wünschen, so mangelt ihm jede Abhaltung, diesen Wunsch in die Form zu kleiden, es möge tot sein, und die psychische Reaktion auf den Todeswunschtraum beweist, daß trotz aller Verschiedenheit im Inhalt der Wunsch beim Kinde doch irgendwie das nämliche ist wie der gleichlautende Wunsch des Erwachsenen. Wenn nun der Todeswunsch des Kindes gegen seine Geschwister erklärt wird durch den Egoismus des Kindes, der es die Geschwister als Mitbewerber auffa**en läßt, wie soll sich der Todeswunsch gegen die Eltern erklären, die für das Kind die Spender von Liebe und Erfüller seiner Bedürfnisse sind, deren Erhaltung es gerade aus egoistischen Motiven wünschen sollte? Zur Lösung dieser Schwierigkeit leitet uns die Erfahrung, daß die Träume vom Tode der Eltern überwiegend häufig den Teil des Elternpaares betreffen, der das Geschlecht des Träumers teilt, daß also der Mann zumeist vom Tode des Vaters, das Weib vom Tode der Mutter träumt. Ich kann dies nicht als regelmäßig hinstellen, aber das Überwiegen in dem angedeuteten Sinne ist so deutlich, daß es eine Erklärung durch ein Moment von allgemeiner Bedeutung fordert [Fußnote]. Es verhält sich – grob ausgesprochen – so, als ob eine s**uelle Vorliebe sich frühzeitig geltend machen würde, als ob der Knabe im Vater, das Mädchen in der Mutter den Mitbewerber in der Liebe erblickte, durch dessen Beseitigung ihm nur Vorteil erwachsen kann. Ehe man diese Vorstellung als ungeheuerlich verwirft, möge man auch hier die realen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern ins Auge fa**en. Man hat zu sondern, was die Kulturforderung der Pietät von diesem Verhältnis verlangt und was die tägliche Beobachtung als tatsächlich ergibt. In der Beziehung zwischen Eltern und Kindern liegen mehr als nur ein Anlaß zur Feindseligkeit verborgen; die Bedingungen für das Zustandekommen von Wünschen, welche vor der Zensur nicht bestehen, sind im reichsten Ausmaße gegeben. Verweilen wir zunächst bei der Relation zwischen Vater und Sohn. Ich meine, die Heiligkeit, die wir den Vorschriften des Dekalogs zuerkannt haben, stumpft unseren Sinn für die Wahrnehmung der Wirklichkeit ab. Wir getrauen uns vielleicht kaum zu merken, daß der größere Teil der Menschheit sich über die Befolgung des vierten Gebots hinaussetzt. In den tiefsten wie in den höchsten Schichten der menschlichen Gesellschaft pflegt die Pietät gegen die Eltern vor anderen Interessen zurückzutreten. Die dunklen Nachrichten, die in Mythologie und Sage aus der Urzeit der menschlichen Gesellschaft auf uns gekommen sind, geben von der Machtfülle des Vaters und von der Rücksichtslosigkeit, mit der sie gebraucht wurde, eine unerfreuliche Vorstellung. Kronos verschlingt seine Kinder, etwa wie der Eber den Wurf des Mutterschweins, und Zeus entmannt den Vater [Fußnote] Über die mythologische Bedeutung dieses Motivs vgl. Otto Rank, 1909 und 1912 c, Kapitel IX, 2. und setzt sich als Herrscher an seine Stelle. Je unumschränkter der Vater in der alten Familie herrschte, desto mehr muß der Sohn als berufener Nachfolger in die Lage des Feindes gerückt, desto größer muß seine Ungeduld geworden sein, durch den Tod des Vaters selbst zur Herrschaft zu gelangen. Noch in unserer bürgerlichen Familie pflegt der Vater durch die Verweigerung der Selbstbestimmung und der dazu nötigen Mittel an den Sohn dem natürlichen Keim zur Feindschaft, der in dem Verhältnisse liegt, zur Entwicklung zu verhelfen. Der Arzt kommt oft genug in die Lage zu bemerken, daß der Schmerz über den Verlust des Vaters beim Sohne die Befriedigung über die endlich erlangte Freiheit nicht unterdrücken kann. Den Rest der in unserer heutigen Gesellschaft arg antiquierten potestas patris familias pflegt jeder Vater krampfhaft festzuhalten, und jeder Dichter ist der Wirkung sicher, der wie Ibsen den uralten Kampf zwischen Vater und Sohn in den Vordergrund seiner Fabeln rückt. Die Anlässe zu Konflikten zwischen Tochter und Mutter ergeben sich, wenn die Tochter heranwächst und in der Mutter die Wächterin findet, während sie nach s**ueller Freiheit begehrt, die Mutter aber durch das Aufblühen der Tochter gemahnt wird, daß für sie die Zeit gekommen ist, s**uellen Ansprüchen zu entsagen. Alle diese Verhältnisse liegen offenkundig da vor jedermanns Augen. Sie fördern uns aber nicht bei der Absicht, die Träume vom Tod der Eltern zu erklären, welche sich bei Personen finden, denen die Pietät gegen die Eltern längst etwas Unantastbares geworden ist. Auch sind wir durch die vorhergehenden Erörterungen darauf vorbereitet, daß sich der Todeswunsch gegen die Eltern aus der frühesten Kindheit herleiten wird. Mit einer alle Zweifel ausschließenden Sicherheit bestätigt sich diese Vermutung für die Psychoneurotiker bei den mit ihnen vorgenommenen an*lysen. Man lernt hiebei, daß sehr frühzeitig die s**uellen Wünsche des Kindes erwachen – soweit sie im keimenden Zustande diesen Namen verdienen – und daß die erste Neigung des Mädchens dem Vater, die ersten infantilen Begierden des Knaben der Mutter gelten. Der Vater wird somit für den Knaben, die Mutter für das Mädchen zum störenden Mitbewerber, und wie wenig für das Kind dazugehört, damit diese Empfindung zum Todeswunsch führe, haben wir bereits für den Fall der Geschwister ausgeführt. Die s**uelle Auswahl macht sich in der Regel bereits bei den Eltern geltend; ein natürlicher Zug sorgt dafür, daß der Mann die kleinen Töchter verzärtelt, die Frau den Söhnen die Stange hält, während beide, wo der Zauber des Geschlechts ihr Urteil nicht verstört, mit Strenge für die Erziehung der Kleinen wirken. Das Kind bemerkt die Bevorzugung sehr wohl und lehnt sich gegen den Teil des Elternpaares auf, der sich ihr widersetzt. Liebe bei dem Erwachsenen zu finden ist ihm nicht nur die Befriedigung eines besonderen Bedürfnisses, sondern bedeutet auch, daß in allen anderen Stücken seinem Willen nachgegeben wird. So folgt es dem eigenen s**uellen Triebe und erneuert gleichzeitig die von den Eltern ausgehende Anregung, wenn es seine Wahl zwischen den Eltern im gleichen Sinne wie diese trifft. Von den Zeichen dieser infantilen Neigungen seitens der Kinder pflegt man die meisten zu übersehen, einige kann man auch nach den ersten Kinderjahren bemerken. Ein achtjähriges Mädchen meiner Bekanntschaft benützt die Gelegenheit, wenn die Mutter vom Tische abberufen wird, um sich als ihre Nachfolgerin zu proklamieren. »Jetzt will ich die Mama sein. Karl, willst du noch Gemüse? Nimm doch, ich bitte dich« usw. Ein besonders begabtes und lebhaftes Mädchen von vier Jahren, an der dies Stück Kinderpsychologie besonders durchsichtig ist, äußert direkt: »Jetzt kann das Muatterl einmal fortgehen, dann muß das Vaterl mich heiraten, und ich will seine Frau sein.« Im Kinderleben schließt dieser Wunsch durchaus nicht aus, daß das Kind auch seine Mutter zärtlich liebe. Wenn der kleine Knabe neben der Mutter schlafen darf, sobald der Vater verreist ist, und nach dessen Rückkehr ins Kinderzimmer zurück muß zu einer Person, die ihm weit weniger gefällt, so mag sich leicht der Wunsch bei ihm gestalten, daß der Vater immer abwesend sein möge, damit er seinen Platz bei der lieben, schönen Mama behalten kann, und ein Mittel zur Erreichung dieses Wunsches ist es offenbar, wenn der Vater tot ist, denn das eine hat ihn seine Erfahrung gelehrt: »Tote« Leute, wie der Großpapa z. B., sind immer abwesend, kommen nie wieder. Wenn sich solche Beobachtungen an kleinen Kindern der vorgeschlagenen Deutung zwanglos fügen, so ergeben sie allerdings nicht die volle Überzeugung, welche die Psychoan*lysen erwachsener Neurotiker dem Arzte aufdrängen. Die Mitteilung der betreffenden Träume erfolgt hier mit solchen Einleitungen, daß ihre Deutung als Wunschträume unausweichlich wird. Ich finde eines Tages eine Dame betrübt und verweint. Sie sagt: Ich will meine Verwandten nicht mehr sehen, es muß ihnen ja vor mir grausen. Dann erzählt sie fast ohne Übergang, daß sie sich an einen Traum erinnert, dessen Bedeutung sie natürlich nicht kennt. Sie hat ihn mit vier Jahren geträumt, er lautet folgendermaßen: Ein Luchs oder Fuchs geht auf dem Dache spazieren, dann fällt etwas herunter oder sie fällt herunter, und dann trägt man die Mutter tot aus dem Hause, wobei sie schmerzlich weint. Ich habe ihr kaum mitgeteilt, daß dieser Traum den Wunsch aus ihrer Kindheit bedeuten muß, die Mutter tot zu sehen, und daß sie dieses Traumes wegen meinen muß, die Verwandten grausen sich vor ihr, so liefert sie bereits etwas Material, den Traum aufzuklären. »Luchsaug« ist ein Schimpfwort, mit dem sie einmal als ganz kleines Kind von einem Ga**enjungen belegt wurde; ihrer Mutter ist, als das Kind drei Jahre alt war, ein Ziegelstein vom Dach auf den Kopf gefallen, so daß sie heftig blutete. Ich hatte einmal Gelegenheit, ein junges Mädchen, das verschiedene psychische Zustände durchmachte, eingehend zu studieren. In einer tobsüchtigen Verworrenheit, mit der die Krankheit begann, zeigte die Kranke eine ganz besondere Abneigung gegen ihre Mutter, schlug und beschimpfte sie, sobald sie sich dem Bette näherte, während sie gegen eine um vieles ältere Schwester zu derselben Zeit liebevoll und gefügig blieb. Dann folgte ein klarer, aber etwas apathischer Zustand mit sehr gestörtem Schlaf; in dieser Phase begann ich die Behandlung und an*lysierte ihre Träume. Eine Unzahl derselben handelte mehr oder minder verhüllt vom Tode der Mutter; bald wohnte sie dem Leichenbegängnis einer alten Frau bei, bald sah sie sich und ihre Schwester in Trauerkleidern bei Tische sitzen; es blieb über den Sinn dieser Träume kein Zweifel. Bei noch weiter fortschreitender Besserung traten hysterische Phobien auf; die quälendste darunter war, daß der Mutter etwas geschehen sei. Von wo immer sie sich befand, mußte sie dann nach Hause eilen, um sich zu überzeugen, daß die Mutter noch lebe. Der Fall war nun, zusammengehalten mit meinen sonstigen Erfahrungen, sehr lehrreich; er zeigte in gleichsam mehrsprachiger Übersetzung verschiedene Reaktionsweisen des psychischen Apparats auf dieselbe erregende Vorstellung. In der Verworrenheit, die ich als Überwältigung der zweiten psychischen Instanz durch die sonst unterdrückte erste auffa**e, wurde die unbewußte Feindseligkeit gegen die Mutter motorisch mächtig; als dann die erste Beruhigung eintrat, der Aufruhr unterdrückt, die Herrschaft der Zensur wiederhergestellt war, blieb dieser Feindseligkeit nur mehr das Gebiet des Träumens offen, um den Wunsch nach ihrem Tod zu verwirklichen; als das Normale sich noch weiter gestärkt hatte, schuf es als hysterische Gegensatzreaktion und Abwehrerscheinung die übermäßige Sorge um die Mutter. In diesem Zusammenhange ist es nicht mehr unerklärlich, warum die hysterischen Mädchen so oft überzärtlich an ihren Müttern hängen. Ein andermal hatte ich Gelegenheit, tiefe Einblicke in das unbewußte Seelenleben eines jungen Mannes zu tun, der, durch Zwangsneurose fast existenzunfähig, nicht auf die Straße gehen konnte, weil ihn die Sorge quälte, er bringe alle Leute, die an ihm vorbeigingen, um. Er verbrachte seine Tage damit, die Beweisstücke für sein Alibi in Ordnung zu halten, falls die Anklage wegen eines der in der Stadt vorgefallenen Morde gegen ihn erhoben werden sollte. Überflüssig zu bemerken, daß er ein ebenso moralischer wie fein gebildeter Mensch war. Die – übrigens zur Heilung führende – an*lyse deckte als die Begründung dieser peinlichen Zwangsvorstellung Mordimpulse gegen seinen etwas überstrengen Vater auf, die sich, als er sieben Jahre alt war, zu seinem Erstaunen bewußt geäußert hatten, aber natürlich aus weit früheren Kindesjahren stammten. Nach der qualvollen Krankheit und dem Tode des Vaters trat im 31. Lebensjahre der Zwangsvorwurf auf, der sich in Form jener Phobie auf Fremde übertrug. Wer imstande war, seinen eigenen Vater von einem Berggipfel in den Abgrund stoßen zu wollen, dem ist allerdings zuzutrauen, daß er auch das Leben Fernerstehender nicht schone; der tut darum recht daran, sich in seine Zimmer einzuschließen. Nach meinen bereits zahlreichen Erfahrungen spielen die Eltern im Kinderseelenleben aller späteren Psychoneurotiker die Hauptrolle, und Verliebtheit gegen den einen, Haß gegen den andern Teil des Elternpaares gehören zum eisernen Bestand des in jener Zeit gebildeten und für die Symptomatik der späteren Neurose so bedeutsamen Materials an psychischen Regungen. Ich glaube aber nicht, daß die Psychoneurotiker sich hierin von anderen normal verbleibenden Menschenkindern scharf sondern, indem sie absolut Neues und ihnen Eigentümliches zu schaffen vermögen. Es ist bei weitem wahrscheinlicher und wird durch gelegentliche Beobachtungen an normalen Kindern unterstützt, daß sie auch mit diesen verliebten und feindseligen Wünschen gegen ihre Eltern uns nur durch die Vergrößerung kenntlich machen, was minder deutlich und weniger intensiv in der Seele der meisten Kinder vorgeht. Das Altertum hat uns zur Unterstützung dieser Erkenntnis einen Sagenstoff überliefert, dessen durchgreifende und allgemeingültige Wirksamkeit nur durch eine ähnliche Allgemeingültigkeit der besprochenen Voraussetzung aus der Kinderpsychologie verständlich wird. Ich meine die Sage vom König Ödipus und das gleichnamige Drama des Sophokles. Ödipus, der Sohn des Laïos, Königs von Theben, und der Jokaste, wird als Säugling ausgesetzt, weil ein Orakel dem Vater verkündet hatte, der noch ungeborene Sohn werde sein Mörder sein. Er wird gerettet und wächst als Königssohn an einem fremden Hofe auf, bis er, seiner Herkunft unsicher, selbst das Orakel befragt und von ihm den Rat erhält, die Heimat zu meiden, weil er der Mörder seines Vaters und der Ehegemahl seiner Mutter werden müßte. Auf dem Wege von seiner vermeintlichen Heimat weg trifft er mit König Laïos zusammen und erschlägt ihn in rasch entbranntem Streit. Dann kommt er vor Theben, wo er die Rätsel der den Weg sperrenden Sphinx löst und zum Dank dafür von den Thebanern zum König gewählt und mit Jokastes Hand beschenkt wird. Er regiert lange Zeit in Frieden und Würde und zeugt mit der ihm unbekannten Mutter zwei Söhne und zwei Töchter, bis eine Pest ausbricht, welche eine neuerliche Befragung des Orakels von Seiten der Thebaner veranlaßt. Hier setzt die Tragödie des Sophokles ein. Die Boten bringen den Bescheid, daß die Pest aufhören werde, wenn der Mörder des Laïos aus dem Lande getrieben sei. Wo aber weilt der? »Wo findet sich die schwer erkennbar dunkle Spur der alten Schuld?« (Übersetzung von Donner, V. 108 f.) Die Handlung des Stückes besteht nun in nichts anderem als in der schrittweise gesteigerten und kunstvoll verzögerten Enthüllung – der Arbeit einer Psychoan*lyse vergleichbar –, daß Ödipus selbst der Mörder des Laïos, aber auch der Sohn des Ermordeten und der Jokaste ist. Durch seine unwissentlich verübten Greuel erschüttert, blendet sich Ödipus und verläßt die Heimat. Der Orakelspruch ist erfüllt. König Ödipus ist eine sogenannte Schicksalstragödie; ihre tragische Wirkung soll auf dem Gegensatz zwischen dem übermächtigen Willen der Götter und dem vergeblichen Sträuben der vom Unheil bedrohten Menschen beruhen; Ergebung in den Willen der Gottheit, Einsicht in die eigene Ohnmacht soll der tief ergriffene Zuschauer aus dem Trauerspiele lernen. Folgerichtig haben moderne Dichter es versucht, eine ähnliche tragische Wirkung zu erzielen, indem sie den nämlichen Gegensatz mit einer selbsterfundenen Fabel verwoben. Allein die Zuschauer haben ungerührt zugesehen, wie trotz alles Sträubens schuldloser Menschen ein Fluch oder Orakelspruch sich an ihnen vollzog; die späteren Schicksalstragödien sind ohne Wirkung geblieben. Wenn der König Ödipus den modernen Menschen nicht minder zu erschüttern weiß als den zeitgenössischen Griechen, so kann die Lösung wohl nur darin liegen, daß die Wirkung der griechischen Tragödie nicht auf dem Gegensatz zwischen Schicksal und Menschenwillen ruht, sondern in der Besonderheit des Stoffes zu suchen ist, an welchem dieser Gegensatz erwiesen wird. Es muß eine Stimme in unserem Innern geben, welche die zwingende Gewalt des Schicksals im Ödipus anzuerkennen bereit ist, während wir Verfügungen wie in der Ahnfrau oder in anderen Schicksalstragödien als willkürliche zurückzuweisen vermögen. Und ein solches Moment ist in der Tat in der Geschichte des Königs Ödipus enthalten. Sein Schicksal ergreift uns nur darum, weil es auch das unsrige hätte werden können, weil das Orakel vor unserer Geburt denselben Fluch über uns verhängt hat wie über ihn. Uns allen vielleicht war es beschieden, die erste s**uelle Regung auf die Mutter, den ersten Haß und gewalttätigen Wunsch gegen den Vater zu richten; unsere Träume überzeugen uns davon. König Ödipus, der seinen Vater Laïos erschlagen und seine Mutter Jokaste geheiratet hat, ist nur die Wunscherfüllung unserer Kindheit. Aber glücklicher als er, ist es uns seitdem, insofern wir nicht Psychoneurotiker geworden sind, gelungen, unsere s**uellen Regungen von unseren Müttern abzulösen, unsere Eifersucht gegen unsere Väter zu vergessen. Vor der Person, an welcher sich jener urzeitliche Kindheitswunsch erfüllt hat, schaudern wir zurück mit dem ganzen Betrag der Verdrängung, welche diese Wünsche in unserem Innern seither erlitten haben. Während der Dichter in jener Untersuchung die Schuld des Ödipus ans Licht bringt, nötigt er uns zur Erkenntnis unseres eigenen Innern, in dem jene Impulse, wenn auch unterdrückt, noch immer vorhanden sind. Die Gegenüberstellung, mit der uns der Chor verläßt, ». . . sehet, das ist Ödipus, der entwirrt die hohen Rätsel und der erste war an Macht, dessen Glück die Bürger alle priesen und beneideten; Seht, in welches Mißgeschickes grause Wogen er versank!« diese Mahnung trifft uns selbst und unseren Stolz, die wir seit den Kinderjahren so weise und so mächtig geworden sind in unserer Schätzung. Wie Ödipus leben wir in Unwissenheit der die Moral beleidigenden Wünsche, welche die Natur uns aufgenötigt hat, und nach deren Enthüllung möchten wir wohl alle den Blick abwenden von den Szenen unserer Kindheit [Fußnote]. Daß die Sage von Ödipus einem uralten Traumstoff entsprossen ist, welcher jene peinliche Störung des Verhältnisses zu den Eltern durch die ersten Regungen der Sexualität zum Inhalte hat, dafür findet sich im Texte der Sophokleischen Tragödie selbst ein nicht mißzuverstehender Hinweis. Jokaste tröstet den noch nicht aufgeklärten, aber durch die Erinnerung der Orakelsprüche besorgt gemachten Ödipus durch die Erwähnung eines Traums, den ja so viele Menschen träumen, ohne daß er, meint sie, etwas bedeute: »Denn viele Menschen sahen auch in Träumen schon Sich zugesellt der Mutter: doch wer alles dies Für nichtig achtet, trägt die Last des Lebens leicht.« Der Traum, mit der Mutter s**uell zu verkehren, wird ebenso wie damals auch heute vielen Menschen zuteil, die ihn empört und verwundert erzählen. Er ist, wie begreiflich, der Schlüssel der Tragödie und das Ergänzungsstück zum Traum vom Tod des Vaters. Die Ödipus-Fabel ist die Reaktion der Phantasie auf diese beiden typischen Träume, und wie die Träume von Erwachsenen mit Ablehnungsgefühlen erlebt werden, so muß die Sage Schreck und Selbstbestrafung in ihren Inhalt mit aufnehmen. Ihre weitere Gestaltung rührt wiederum von einer mißverständlichen sekundären Bearbeitung des Stoffes her, welche ihn einer theologisierenden Absicht dienstbar zu machen sucht. (Vgl. den Traumstoff von der Exhibition, S. 248 f.) Der Versuch, die göttliche Allmacht mit der menschlichen Verantwortlichkeit zu vereinigen, muß natürlich an diesem Material wie an jedem andern mißlingen. Auf demselben Boden wie König Ödipus wurzelt eine andere der großen tragischen Dichterschöpfungen, der Hamlet Shakespeares. Aber in der veränderten Behandlung des nämlichen Stoffes offenbart sich der ganze Unterschied im Seelenleben der beiden weit auseinanderliegenden Kulturperioden, das säkulare Fortschreiten der Verdrängung im Gemütsleben der Menschheit. Im Ödipus wird die zugrundeliegende Wunschphantasie des Kindes wie im Traum ans Licht gezogen und realisiert; im Hamlet bleibt sie verdrängt, und wir erfahren von ihrer Existenz – dem Sachverhalt bei einer Neurose ähnlich – nur durch die von ihr ausgehenden Hemmungswirkungen. Mit der überwältigenden Wirkung des moderneren Dramas hat es sich eigentümlicherweise als vereinbar gezeigt, daß man über den Charakter des Helden in voller Unklarheit verbleiben könne. Das Stück ist auf die Zögerung Hamlets gebaut, die ihm zugeteilte Aufgabe der Rache zu erfüllen; welches die Gründe oder Motive dieser Zögerung sind, gesteht der Text nicht ein; die vielfältigsten Deutungsversuche haben es nicht anzugeben vermocht. Nach der heute noch herrschenden, durch Goethe begründeten Auffa**ung stellt Hamlet den Typus des Menschen dar, dessen frische Tatkraft durch die überwuchernde Entwicklung der Gedankentätigkeit gelähmt wird (»Von des Gedankens Blässe angekränkelt«). Nach anderen hat der Dichter einen krankhaften, unentschlossenen, in das Bereich der Neurasthenie fallenden Charakter zu schildern versucht. Allein die Fabel des Stückes lehrt, daß Hamlet uns keineswegs als eine Person erscheinen soll, die des Handelns überhaupt unfähig ist. Wir sehen ihn zweimal handelnd auftreten, das einemal in rasch auffahrender Leidenschaft, wie er den Lauscher hinter der Tapete niederstößt, ein anderesmal planmäßig, ja selbst arglistig, indem er mit der vollen Unbedenklichkeit des Renaissanceprinzen die zwei Höflinge in den ihm selbst zugedachten Tod schickt. Was hemmt ihn also bei der Erfüllung der Aufgabe, die der Geist seines Vaters ihm gestellt hat? Hier bietet sich wieder die Auskunft, daß es die besondere Natur dieser Aufgabe ist. Hamlet kann alles, nur nicht die Rache an dem Mann vollziehen, der seinen Vater beseitigt und bei seiner Mutter dessen Stelle eingenommen hat, an dem Mann, der ihm die Realisierung seiner verdrängten Kinderwünsche zeigt. Der Abscheu, der ihn zur Rache drängen sollte, ersetzt sich so bei ihm durch Selbstvorwürfe, durch Gewissensskrupel, die ihm vorhalten, daß er, wörtlich verstanden, selbst nicht besser sei als der von ihm zu strafende Sünder. Ich habe dabei ins Bewußte übersetzt, was in der Seele des Helden unbewußt bleiben muß; wenn jemand Hamlet einen Hysteriker nennen will, kann ich es nur als Folgerung aus meiner Deutung anerkennen. Die Sexualabneigung stimmt sehr wohl dazu, die Hamlet dann im Gespräch mit Ophelia äußert, die nämliche Sexualabneigung, die von der Seele des Dichters in den nächsten Jahren immer mehr Besitz nehmen sollte, bis zu ihren Gipfeläußerungen im Timon von Athen. Es kann natürlich nur das eigene Seelenleben des Dichters gewesen sein, das uns im Hamlet entgegentritt; ich entnehme dem Werk von Georg Brandes über Shakespeare (1896) die Notiz, daß das Drama unmittelbar nach dem Tode von Shakespeares Vater (1601), also in der frischen Trauer um ihn, in der Wiederbelebung, dürfen wir annehmen, der auf den Vater bezüglichen Kindheitsempfindungen gedichtet worden ist. Bekannt ist auch, daß Shakespeares früh verstorbener Sohn den Namen Hamnet (identisch mit Hamlet) trug. Wie Hamlet das Verhältnis des Sohnes zu den Eltern behandelt, so ruht der in der Zeit nahestehende Macbeth auf dem Thema der Kinderlosigkeit. Wie übrigens jedes neurotische Symptom, wie selbst der Traum der Überdeutung fähig ist, ja dieselbe zu seinem vollen Verständnis fordert, so wird auch jede echte dichterische Schöpfung aus mehr als aus einem Motiv und einer Anregung in der Seele des Dichters hervorgegangen sein und mehr als eine Deutung zula**en. Ich habe hier nur die Deutung der tiefsten Schicht von Regungen in der Seele des schaffenden Dichters versucht [Fußnote]. Ich kann die typischen Träume vom Tode teurer Verwandter nicht verla**en, ohne daß ich deren Bedeutung für die Theorie des Traumes überhaupt noch mit einigen Worten beleuchte. Diese Träume zeigen uns den recht ungewöhnlichen Fall verwirklicht, daß der durch den verdrängten Wunsch gebildete Traumgedanke jeder Zensur entgeht und unverändert in den Traum übertritt. Es müssen besondere Verhältnisse sein, die solches Schicksal ermöglichen. Ich finde die Begünstigung für diese Träume in folgenden zwei Momenten: Erstens gibt es keinen Wunsch, von dem wir uns ferner glauben; wir meinen, das zu wünschen könnte »uns auch im Traume nicht einfallen«, und darum ist die Traumzensur gegen dieses Ungeheuerliche nicht gerüstet, ähnlich etwa wie die Gesetzgebung Solons keine Strafe für den Vatermord aufzustellen wußte. Zweitens aber kommt dem verdrängten und nicht geahnten Wunsch gerade hier besonders häufig ein Tagesrest entgegen in Gestalt einer Sorge um das Leben der teuren Person. Diese Sorge kann sich nicht anders in den Traum eintragen, als indem sie sich des gleichlautenden Wunsches bedient; der Wunsch aber kann sich mit der am Tage rege gewordenen Sorge maskieren. Wenn man meint, daß dies alles einfacher zugeht, daß man eben bei Nacht und im Traum nur fortsetzt, was man bei Tag angesponnen hat, so läßt man die Träume vom Tode teurer Personen eben außer allem Zusammenhang mit der Traumerklärung und hält ein sehr wohl reduzierbares Rätsel überflüssigerweise fest. Lehrreich ist es auch, die Beziehung dieser Träume zu den Angstträumen zu verfolgen. In den Träumen vom Tode teurer Personen hat der verdrängte Wunsch einen Weg gefunden, auf dem er sich der Zensur – und der durch sie bedingten Entstellung – entziehen kann. Die nie fehlende Begleiterscheinung ist dann, daß schmerzliche Empfindungen im Traume verspürt werden. Ebenso kommt der Angsttraum nur zustande, wenn die Zensur ganz oder teilweise überwältigt wird, und anderseits erleichtert es die Überwältigung der Zensur, wenn Angst als aktuelle Sensation aus somatischen Quellen bereits gegeben ist. Es wird so handgreiflich, in welcher Tendenz die Zensur ihres Amtes waltet, die Traumentstellung ausübt; es geschieht, um die Entwicklung von Angst oder anderen Formen peinlichen Affekts zu verhüten. Ich habe im vorstehenden von dem Egoismus der Kinderseele gesprochen und knüpfe nun daran mit der Absicht, hier einen Zusammenhang ahnen zu la**en, daß die Träume auch diesen Charakter bewahrt haben. Sie sind sämtlich absolut egoistisch, in allen tritt das liebe Ich auf, wenn auch verkleidet. Die Wünsche, die in ihnen erfüllt werden, sind regelmäßig Wünsche dieses Ichs; es ist nur ein täuschender Anschein, wenn je das Interesse für einen anderen einen Traum hervorgerufen haben sollte. Ich will einige Beispiele, welche dieser Behauptung widersprechen, der an*lyse unterziehen. I Ein noch nicht vierjähriger Knabe erzählt: Er hat eine große garnierte Schüssel gesehen, worauf ein großes Stück Fleisch gebraten war, und das Stück war auf einmal ganz – nicht zerschnitten – aufgegessen. Die Person, die es gegessen hat, hat er nicht gesehen [Fußnote]. Wer mag der fremde Mensch sein, von dessen üppiger Fleischmahlzeit unser Kleiner träumt? Die Erlebnisse des Traumtages müssen uns darüber aufklären. Der Knabe bekommt seit einigen Tagen nach ärztlicher Vorschrift Milchdiät; am Abend des Traumtages war er aber unartig, und da wurde ihm zur Strafe die Abendmahlzeit entzogen. Er hat schon früher einmal eine solche Hungerkur durchgemacht und sich sehr tapfer dabei benommen. Er wußte, daß er nichts bekommen würde, getraute sich aber auch nicht mit einem Worte anzudeuten, daß er Hunger hat. Die Erziehung fängt an, bei ihm zu wirken; sie äußert sich bereits im Traum, der einen Anfang von Traumentstellung zeigt. Es ist kein Zweifel, daß er selbst die Person ist, deren Wünsche auf eine so reiche Mahlzeit, und zwar eine Bratenmahlzeit, zielen. Da er aber weiß, daß diese ihm verboten ist, wagt er es nicht, wie die hungrigen Kinder es im Traum tun (vgl. den Erdbeertraum meiner kleinen Anna, S. 148), sich selbst zur Mahlzeit hinzusetzen. Die Person bleibt anonym. II Ich träume einmal, daß ich in der Auslage einer Buchhandlung ein neues Heft jener Sammlung im Liebhabereinband sehe, die ich sonst zu kaufen pflege (Künstlermonographien, Monographien zur Weltgeschichte, berühmte Kunststätten usw.). Die neue Sammlung nennt sich: Berühmte Redner (oder Reden), und das Heft I derselben trägt den Namen Dr. Lecher. In der an*lyse wird es mir unwahrscheinlich, daß mich der Ruhm Dr. Lechers, des Dauerredners der deutschen Obstruktion im Parlamente, während meiner Träume beschäftige. Der Sachverhalt ist der, daß ich vor einigen Tagen neue Patienten zur psychischen Kur aufgenommen habe und nun zehn bis elf Stunden täglich zu sprechen genötigt bin. Ich bin also selbst so ein Dauerredner. III Ich träume ein andermal, daß ein mir bekannter Lehrer an unserer Universität sagt: Mein Sohn, der Myop. Dann folgt ein Dialog, aus kurzen Reden und Gegenreden bestehend. Es folgt aber dann ein drittes Traumstück, in dem ich und meine Söhne vorkommen, und für den latenten Trauminhalt sind Vater und Sohn, Professor M., nur Strohmänner, die mich und meinen Ältesten decken. Ich werde diesen Traum wegen einer anderen Eigentümlichkeit noch weiter unten behandeln. IV Ein Beispiel von wirklich niedrigen egoistischen Gefühlen, die sich hinter zärtlicher Sorge verbergen, gibt folgender Traum. Mein Freund Otto schaut schlecht aus, ist braun im Gesicht und hat vortretende Augen. Otto ist mein Hausarzt, in dessen Schuld ich hoffnungslos verbleibe, weil er seit Jahren die Gesundheit meiner Kinder überwacht, sie erfolgreich behandelt, wenn sie erkranken, und sie überdies zu allen Gelegenheiten, die einen Vorwand abgeben können, beschenkt. Er war am Traumtage zu Besuch, und da bemerkte meine Frau, daß er müde und abgespannt aussehe. Nachts kommt mein Traum und leiht ihm einige der Zeichen der Basedowschen Krankheit. Wer sich in der Traumdeutung von meinen Regeln frei macht, der wird diesen Traum so verstehen, daß ich um die Gesundheit meines Freundes besorgt bin und daß diese Besorgnis sich im Traum realisiert. Es wäre ein Widerspruch nicht nur gegen die Behauptung, daß der Traum eine Wunscherfüllung ist, sondern auch gegen die andere, daß er nur egoistischen Regungen zugänglich ist. Aber wer so deutet, möge mir erklären, warum ich bei Otto die Basedowsche Krankheit befürchte, zu welcher Diagnose sein Aussehen auch nicht den leisesten Anlaß gibt? Meine an*lyse liefert hingegen folgendes Material aus einer Begebenheit, die sich vor sechs Jahren zugetragen hat. Wir fuhren, eine kleine Gesellschaft, in der sich auch Professor R. befand, in tiefer Dunkelheit durch den Wald von N., einige Stunden weit von unserem Sommeraufenthalt entfernt. Der nicht ganz nüchterne Kutscher warf uns mit dem Wagen einen Abhang hinunter, und es war noch glücklich, daß wir alle heil davonkamen. Wir waren aber genötigt, im nächsten Wirtshause zu übernachten, wo die Kunde von unserem Unfall große Sympathie für uns erweckte. Ein Herr, der die unverkennbaren Zeichen des morbus Basedowii an sich trug – übrigens nur Bräunung der Gesichtshaut und vortretende Augen, ganz wie im Traum, keine Struma –, stellte sich ganz zu unserer Verfügung und fragte, was er für uns tun könne. Professor R. in seiner bestimmten Art antwortete: Nichts anderes, als daß Sie mir ein Nachthemd leihen. Darauf der Edle: Das tut mir leid, das kann ich nicht, und ging von dannen. Zur Fortsetzung der an*lyse fällt mir ein, daß Basedow nicht nur der Name eines Arztes ist, sondern auch der eines berühmten Pädagogen. (Im Wachen fühle ich mich jetzt dieses Wissens nicht recht sicher.) Freund Otto ist aber diejenige Person, die ich gebeten habe, für den Fall, daß mir etwas zustößt, die körperliche Erziehung meiner Kinder, speziell in der Pubertätszeit (daher das Nachthemd), zu überwachen. Indem ich nun Freund Otto im Traum mit den Krankheitssymptomen jenes edlen Helfers sehe, will ich offenbar sagen: Wenn mir etwas zustößt, wird von ihm ebensowenig etwas für die Kinder zu haben sein, wie damals von Herrn Baron L. trotz seiner liebenswürdigen Anerbietungen. Der egoistische Einschlag dieses Traumes dürfte nun wohl aufgedeckt sein [Fußnote] Zur Entschuldigung dieser ra**estolzen Dame sei übrigens bemerkt, daß man den Satz, die Träume seien durchaus egoistisch, nicht mißverstehen darf. Da alles, was überhaupt im vorbewußten Denken vorkommt, in den Traum (Inhalt wie latente Traumgedanken) übertreten kann, ist diese Möglichkeit auch den altruistischen Regungen offen. In derselben Weise wird eine zärtliche oder verliebte Regung für eine andere Person, die im Unbewußten vorhanden ist, im Traume erscheinen können. Das Richtige an obigem Satz schränkt sich also auf die Tatsache ein, daß man unter den unbewußten Anregungen des Traumes sehr häufig egoistische Tendenzen findet, die im Wachleben überwunden scheinen. . Wo steckt aber hier die Wunscherfüllung? Nicht in der Rache an Freund Otto, dessen Schicksal es nun einmal ist, in meinen Träumen schlecht behandelt zu werden, sondern in folgender Beziehung. Indem ich Otto als Baron L. im Traum darstellte, habe ich gleichzeitig meine eigene Person mit einer anderen identifiziert, nämlich mit der des Professors R., denn ich fordere ja etwas von Otto, wie in jener Begebenheit R. von Baron L. gefordert hat. Und daran liegt es. Professor R., dem ich mich sonst wirklich nicht zu vergleichen wage, hat ähnlich wie ich seinen Weg außerhalb der Schule selbständig verfolgt und ist erst in späten Jahren zu dem längst verdienten Titel gelangt. Ich will also wieder einmal Professor werden! Ja selbst das »in späten Jahren« ist eine Wunscherfüllung, denn es besagt, daß ich lange genug lebe, um meine Knaben selbst durch die Pubertät zu geleiten. (γ) Andere typische Träume Von anderen typischen Träumen, in denen man mit Behagen fliegt oder mit Angstgefühlen fällt, weiß ich nichts aus eigener Erfahrung und verdanke alles, was ich über sie zu sagen habe, den Psychoan*lysen. Aus den Auskünften, die man dort erhält, muß man schließen, daß auch diese Träume Eindrücke der Kinderzeit wiederholen, nämlich sich auf die Bewegungsspiele beziehen, die für das Kind eine so außerordentliche Anziehung haben. Welcher Onkel hat nicht schon ein Kind fliegen la**en, indem er, die Arme ausstreckend, durchs Zimmer mit ihm eilte, oder Fallen mit ihm gespielt, indem er es auf den Knien schaukelte und das Bein plötzlich streckte oder es hochhob und plötzlich tat, als ob er ihm die Unterstützung entziehen wollte. Die Kinder jauchzen dann und verlangen unermüdlich nach Wiederholung, besonders wenn etwas Schreck und Schwindel mit dabei ist; dann schaffen sie sich nach Jahren die Wiederholung im Traum, la**en aber im Traum die Hände weg, die sie gehalten haben, so daß sie nun frei schweben und fallen. Die Vorliebe aller kleinen Kinder für solche Spiele wie für Schaukeln und Wippen ist bekannt; wenn sie dann gymnastische Kunststücke im Zirkus sehen, wird die Erinnerung von neuem aufgefrischt [Fußnote]. Bei manchen Knaben besteht dann der hysterische Anfall nur aus Reproduktionen solcher Kunststücke, die sie mit großer Geschicklichkeit ausführen. Nicht selten sind bei diesen an sich harmlosen Bewegungsspielen auch s**uelle Empfindungen wachgerufen worden [Fußnote]. Um es mit einem bei uns gebräuchlichen, all diese Veranstaltungen deckenden Worte zu sagen: es ist das »Hetzen« in der Kindheit, welches die Träume vom Fliegen, Fallen, Schwindel u. dgl. wiederholen, dessen Lustgefühle jetzt in Angst verkehrt sind. Wie aber jede Mutter weiß, ist auch das Hetzen der Kinder in der Wirklichkeit häufig genug in Zwist und Weinen ausgegangen. Ich habe also guten Grund, die Erklärung abzulehnen, daß der Zustand unserer Hautgefühle während des Schlafes, die Sensationen von der Bewegung unserer Lungen u. dgl. die Träume vom Fliegen und Fallen hervorrufen. Ich sehe, daß diese Sensationen selbst aus der Erinnerung reproduziert sind, auf welche der Traum sich bezieht, daß sie also Trauminhalt sind und nicht Traumquellen. Ich verhehle mir aber keineswegs, daß ich für diese Reihe von typischen Träumen eine volle Aufklärung nicht erbringen kann. Mein Material hat mich gerade hiebei im Stiche gela**en. Den allgemeinen Gesichtspunkt, daß alle die Haut- und Bewegungssensationen dieser typischen Träume wachgerufen werden, sobald irgendein psychisches Motiv ihrer bedarf, und daß sie vernachlässigt werden können, wenn ihnen ein solches Bedürfnis nicht entgegenkommt, muß ich festhalten. Auch die Beziehung zu den infantilen Erlebnissen scheint mir aus den Andeutungen, die ich in der an*lyse der Psychoneurotiker erhalten habe, sicher hervorzugehen. Aber welche anderen Bedeutungen sich im Laufe des Lebens an die Erinnerung jener Sensationen geknüpft haben mögen – vielleicht bei jeder Person andere trotz der typischen Erscheinung dieser Träume –, weiß ich nicht anzugeben und möchte gerne in die Lage kommen, diese Lücke durch sorgfältige an*lyse von guten Beispielen auszufüllen. Wer sich darüber verwundert, daß ich trotz der Häufigkeit gerade der Träume vom Fliegen, Fallen, Zahnausziehen u. dgl. mich über Mangel an Material beklage, dem bin ich die Aufklärung schuldig, daß ich an mir selbst solche Träume nicht erfahren habe, seitdem ich dem Thema der Traumdeutung Aufmerksamkeit schenke. Die Träume der Neurotiker, die mir sonst zu Gebote stehen, sind aber nicht alle und oft nicht bis an das Ende ihrer verborgenen Absicht deutbar; eine gewisse psychische Macht, die beim Aufbau der Neurose beteiligt war und bei deren Auflösung wieder zur Wirksamkeit gebracht wird, stellt sich der Deutung bis zum letzten Rätsel entgegen. (δ) Der Prüfungstraum Jeder, der mit der Maturitätsprüfung seine Gymnasialstudien abgeschlossen hat, klagt über die Hartnäckigkeit, mit welcher der Angsttraum, daß er durchgefallen sei, die Kla**e wiederholen müsse u. dgl., ihn verfolgt. Für den Besitzer eines akademischen Grades ersetzt sich dieser typische Traum durch einen anderen, der ihm vorhält, daß er beim Rigorosum nicht bestanden habe, und gegen den er vergeblich noch im Schlaf einwendet, daß er ja schon seit Jahren praktiziere, Privatdozent sei oder Kanzleileiter. Es sind die unauslöschlichen Erinnerungen an die Strafen, die wir in der Kindheit für verübte Untaten erlitten haben, die sich so an den beiden Knotenpunkten unserer Studien, an dem »dies irae, dies illa« der strengen Prüfungen in unserem Inneren wieder geregt haben. Auch die »Prüfungsangst« der Neurotiker findet in dieser Kinderangst ihre Verstärkung. Nachdem wir aufgehört haben, Schüler zu sein, sind es nicht mehr wie zuerst die Eltern und Erzieher oder später die Lehrer, die unsere Bestrafung besorgen; die unerbittliche Kausalverkettung des Lebens hat unsere weitere Erziehung übernommen, und nun träumen wir von der Matura oder von dem Rigorosum – und wer hat damals nicht selbst als Gerechter gezagt? –, sooft wir erwarten, daß der Erfolg uns bestrafen werde, weil wir etwas nicht recht gemacht, nicht ordentlich zustande gebracht haben, sooft wir den Druck einer Verantwortung fühlen. Eine weitere Aufklärung der Prüfungsträume danke ich einer Bemerkung von Seite eines kundigen Kollegen, der einmal in einer wissenschaftlichen Unterhaltung hervorhob, daß seines Wissens der Maturatraum nur bei Personen vorkomme, die diese Prüfung bestanden haben, niemals bei solchen, die an ihr gescheitert sind. Der ängstliche Prüfungstraum, der, wie sich immer mehr bestätigt, dann auftritt, wenn man vom nächsten Tage eine verantwortliche Leistung und die Möglichkeit einer Blamage erwartet, würde also eine Gelegenheit aus der Vergangenheit herausgesucht haben, bei welcher sich die große Angst als unberechtigt erwies und durch den Ausgang widerlegt wurde. Es wäre dies ein sehr auffälliges Beispiel von Mißverständnis des Trauminhalts durch die wache Instanz. Die als Empörung gegen den Traum aufgefaßte Einrede: Aber ich bin ja schon Doktor u. dgl., wäre in Wirklichkeit der Trost, den der Traum spendet und der also lauten würde: Fürchte dich doch nicht vor morgen; denke daran, welche Angst du vor der Maturitätsprüfung gehabt hast, und es ist dir doch nichts geschehen. Heute bist du ja schon Doktor usw. Die Angst aber, die wir dem Traume anrechnen, stammte aus den Tagesresten. Die Proben auf diese Erklärung, die ich bei mir und anderen anstellen konnte, haben, wenngleich sie nicht zahlreich genug waren, gut gestimmt. Ich bin z. B. als Rigorosant in gerichtlicher Medizin durchgefallen; niemals hat dieser Gegenstand mir im Traume zu schaffen gemacht, während ich häufig genug in Botanik, Zoologie oder Chemie geprüft wurde, in welchen Fächern ich mit gut begründeter Angst zur Prüfung gegangen, der Strafe aber durch Gunst des Schicksals oder des Prüfers entgangen bin. Im Gymnasialprüfungstraume werde ich regelmäßig aus Geschichte geprüft, wo ich damals glänzend bestanden habe, aber allerdings nur, weil mein liebenswürdiger Professor – der einäugige Helfer eines anderen Traumes, vgl. S. 44 – nicht übersehen hatte, daß auf dem Prüfungszettel, den ich ihm zurückgab, die mittlere von drei Fragen mit dem Fingernagel durchgestrichen war, zur Mahnung, daß er auf dieser Frage nicht bestehen solle. Einer meiner Patienten, der von der Matura zurückgetreten war und sie später nachgetragen hatte, dann aber bei der Offiziersprüfung durchgefallen und nicht Offizier geworden ist, berichtet mir, daß er oft genug von der ersteren, aber nie von der letzteren Prüfung träumt. Die Prüfungsträume setzen der Deutung bereits jene Schwierigkeit entgegen, die ich vorhin als charakteristisch für die meisten der typischen Träume angegeben habe. Das Material an Assoziationen welches uns der Träumer zur Verfügung stellt, reicht für die Deutung nur selten aus. Man muß sich das bessere Verständnis solcher Träume aus einer größeren Reihe von Beispielen zusammentragen. Vor kurzem gewann ich den sicheren Eindruck, daß die Einrede: Du bist ja schon Doktor u. dgl., nicht nur den Trost verdeckt, sondern auch einen Vorwurf andeutet. Derselbe hätte gelautet: Du bist jetzt schon so alt, schon so weit im Leben und machst noch immer solche Dummheiten, Kindereien. Dies Gemenge von Selbstkritik und Trost würde dem latenten Inhalt der Prüfungsträume entsprechen. Es ist dann nicht weiter auffällig, wenn die Vorwürfe wegen der »Dummheiten« und »Kindereien« sich in den zuletzt an*lysierten Beispielen auf die Wiederholung beanständeter s**ueller Akte bezogen. W. Stekel, von dem die erste Deutung des »Maturatraumes« herrührt, vertritt die Meinung, daß er sich regelmäßig auf s**uelle Erprobung und s**uelle Reife beziehe. Meine Erfahrung hat dies oft bestätigen können.