Niels Andersen schüttelte sonderbar den Kopf; er leugnete nicht, daß er selber zuweilen gesehen, wie die Walfische, an einer Eiswand stehend, solche Bewegungen machten, nicht unähnlich denjenigen, die wir in den Betstuben mancher Glaubenssekten bemerken; aber er wollte solches keineswegs irgendeiner religiösen Andacht zuschreiben. Er erklärte die Sache physiologisch: er bemerkte daß der Walfisch, der Chimbora**o der Tiere, unter seiner Haut eine so ungeheuer tiefe Schichte von Fett besitze, daß oft ein einziger Walfisch hundert bis hundertfunfzig Fässer Talg und Tran gebe. Jene Fettschichte sei so dick, daß sich viele hundert Wa**erratten darin einnisten können, während das große Tier auf einer Eisscholle schliefe, und diese Gäste, unendlich größer und bissiger als unsre Landratten, führen dann ein fröhliches Leben unter der Haut des Walfisches, wo sie Tag und Nacht das beste Fett verschmausen können, ohne das Nest zu verla**en. Diese Schmausereien mögen wohl am Ende dem unfreiwilligen Wirte etwas überlästig, ja unendlich schmerzhaft werden; da er nun keine Hände hat, wie der Mensch, der sich gottlob kratzen kann, wenn es ihn juckt, so sucht er die innere Qual dadurch zu lindern, daß er sich an die scharfen Kanten einer Eiswand stellt und daran den Rücken durch Auf- und Niederbewegungen recht inbrünstiglich reibt, ganz wie bei uns die Hunde sich an einer Bettstelle zu scheuern pflegen, wenn sie mit zu viel Flöhen behaftet sind. Diese Bewegungen hat nun der ehrliche Domine für die eines Beters gehalten und sie der religiösen Andacht zugeschrieben, während sie doch nur durch die Rattenorgien hervorgebracht wurden. Der Walfisch, so viel Tran er auch enthält, schloß Niels Andersen, ist doch ohne den mindesten religiösen Sinn. Er ehrt weder die Heiligen noch die Propheten, und sogar den kleinen Propheten Jonas, den solch ein Walfisch einmal aus Versehen verschluckte, konnte er nimmermehr verdauen, und nach dreien Tagen spuckte er ihn wieder aus. Das vortreffliche Ungeheuer hat leider keine Religion, und so ein Walfisch verehrt unsern wahren Herrgott, der droben im Himmel wohnt, ebensowenig wie den falschen Heidengott, der fern am Nordpol auf der Kanincheninsel sitzt, wo er denselben zuweilen besucht. »Was ist das für ein Ort, die Kanincheninsel?« fragte ich unsern Niels Andersen. Dieser aber trommelte mit seinem Holzbein auf der Tonne und erwiderte: »Das ist eben die Insel, wo die Geschichte pa**iert, die ich zu erzählen habe. Die eigentliche Lage der Insel kann ich nicht genau angeben. Niemand konnte, seit sie entdeckt worden, wieder zu ihr gelangen; solches verhinderten die ungeheuern Eisberge, die sich um die Insel türmen und vielleicht nur selten eine Annäherung erlauben. Nur die Schiffsleute eines russischen Walfischjägers, welche einst die Nordstürme so hoch hinauf verschlugen, betraten den Boden der Insel, und seitdem sind schon hundert Jahre verflossen. Als jene Schiffsleute mit einem Kahn dort landeten, fanden sie die Insel ganz wüst und öde. Traurig bewegten sich die Halme des Ginsters über dem Flugsand; nur hie und da standen einige Zwergtannen, oder es krüppelte am Boden das unfruchtbarste Buschwerk. Eine Menge Kaninchen sahen sie umherspringen, weshalb sie dem Orte den Namen Kanincheninsel erteilten. Nur eine einzige ärmliche Hütte gab Kunde, daß ein menschliches Wesen dort wohnte. Als die Schiffer hineintraten, erblickten sie einen uralten Greis, der kümmerlich bekleidet mit zusammengeflickten Kaninchenfellen, auf einem Steinstuhl vor dem Herde saß, und an dem flackernden Reisig seine magern Hände und schlotternden Kniee wärmte. Neben ihm zur Rechten stand ein ungeheuer großer Vogel, der ein Adler zu sein schien, den aber die Zeit so unwirsch gemausert hatte, daß er nur noch die langen struppigen Federkiele seiner Flügel behalten, was dem nackten Tiere ein höchst närrisches und zugleich grausenhaft häßliches Aussehen verlieh. Zur linken Seite des Alten kauerte am Boden eine außerordentlich große haarlose Ziege, die sehr alt zu sein schien, obgleich noch volle Milcheutern mit rosig frischen Zitzen an ihrem Bauche hingen. Unter den russischen Seeleuten, welche auf der Kanincheninsel landeten, befanden sich mehrere Griechen, und einer derselben glaubte, nicht von dem Hausherrn der Hütte verstanden zu werden, als er in griechischer Sprache zu einem Kameraden sagte: ›Dieser alte Kauz ist entweder ein Gespenst oder ein böser Dämon.‹ Aber bei diesen Worten erhub sich der Alte plötzlich von seinem Steinsitz, und mit großer Verwunderung sahen die Schiffer eine hohe stattliche Gestalt, die sich trotz dem hohen Alter mit gebietender, schier königlicher Würde aufrecht hielt und beinahe die Balken des Gesimses mit dem Haupte berührte: auch die Züge desselben, obgleich verwüstet und verwittert, zeugten von ursprünglicher Schönheit, sie waren edel und streng gemessen, sehr spärlich fielen einige Silberhaare auf die von Stolz und Alter gefurchte Stirn, die Augen blickten bleich und stier, aber doch stechend, und dem hoch aufgeschürzten Munde entquollen in altertümlich griechischem Dialekt die wohllautenden und klangvollen Worte: ›Ihr irrt Euch, junger Mensch, ich bin weder ein Gespenst noch ein böser Dämon; ich bin ein Unglücklicher, welcher einst bessere Tage gesehen. Wer aber seid Ihr?‹ Die Schiffer erzählten nun dem Manne das Mißgeschick ihrer Fahrt, und verlangten Auskunft über alles was die Insel beträfe. Die Mitteilungen fielen aber sehr dürftig aus. Seit undenklicher Zeit, sagte der Alte, bewohne er die Insel, deren Bollwerke von Eis ihm gegen seine unerbittlichen Feinde eine sichere Zuflucht gewährten. Er lebe hauptsächlich vom Kaninchenfange, und alle Jahr, wenn die treibenden Eisma**en sich gesetzt, kämen auf Schlitten einige Haufen Wilde, denen er seine Kaninchenfelle verkaufe, und die ihm als Zahlung allerlei Gegenstände des unmittelbarsten Bedürfnisses überließen. Die Walfische, welche manchmal an die Insel heranschwämmen, seien seine liebste Gesellschaft. Dennoch mache es ihm Vergnügen, jetzt wieder seine Muttersprache zu reden, denn er sei ein Grieche; er bat auch seine Landsleute, ihm einige Nachrichten über die jetzigen Zustände Griechenlands zu erteilen. Daß von den Zinnen der Türme der griechischen Städte das Kreuz abgebrochen worden, verursachte dem Alten augenscheinlich eine boshafte Freude; doch war es ihm nicht ganz recht, als er hörte, daß an seiner Stelle der Halbmond jetzt aufgepflanzt steht. Sonderbar war es, daß keiner der Schiffer die Namen der Städte kannte, nach welchen der Alte sich erkundigte, und die nach seiner Versicherung zu seiner Zeit blühend gewesen; in gleicher Weise waren ihm die Namen fremd, die den heutigen Städten und Dörfern Griechenlands von den Seeleuten erteilt wurden. Der Greis schüttelte deshalb oft wehmütig das Haupt, und die Schiffer sahen sich verwundert an. Sie merkten, daß er alle Örtlichkeiten Griechenlands ganz genau kannte, und in der Tat er wußte die Buchten, die Erdzungen, die Vorsprünge der Berge, oft sogar den geringsten Hügel und die kleinsten Felsengruppen, so bestimmt und anschaulich zu beschreiben, daß seine Unkenntnis der gewöhnlichsten Ortsnamen die Schiffer in das größte Erstaunen setzte. So befrug er sie mit besonderen Interesse, ja mit einer gewissen Ängstlichkeit, nach einem alten Tempel, der, wie er versicherte, zu seiner Zeit der schönste in ganz Griechenland gewesen sei. Doch keiner der Zuhörer kannte den Namen, den er mit Zärtlichkeit aussprach, bis endlich, nachdem der Alte die Lage des Tempels wieder ganz genau geschildert hatte, ein junger Matrose nach der Beschreibung den Ort erkannte, wovon die Rede war. Das Dorf, wo er geboren, sagte der junge Mensch, sei eben an jenem Orte gelegen, und als Knabe habe er auf dem beschriebenen Platze lange Zeit die Schweine seines Vaters gehütet. Auf jener Stelle, sagte er, fänden sich wirklich die Trümmer uralter Bauwerke, welche von untergegangener Pracht zeugten; nur hie und da ständen noch aufrecht einige große Marmorsäulen, entweder einzeln oder oben verbunden durch die Quadern eines Giebels, aus dessen Brüchen blühende Ranken von Geißblatt und roten Glockenblumen, wie Haarflechten, herabfielen. Andre Säulen, darunter manche von rosigem Marmor, lägen gebrochen auf dem Boden, und das Gras wuchere über die kostbaren Knäufe, die aus schön gemeißeltem Blätter- und Blumenwerk bestanden. Auch große Marmorplatten, viereckige Wand- oder dreieckige Dachstücke steckten dort halbversunken in der Erde, überragt von einem ungeheuer großen wilden Feigenbaum, der aus dem Schutte hervorgewachsen. Unter dem Schatten dieses Baumes, fuhr der Bursche fort, habe er oft ganze Stunden zugebracht, um die sonderbaren Figuren zu betrachten, die auf den großen Steinen in runder Bildhauerarbeit konterfeit waren, und allerlei Spiele und Kämpfe vorstellten, gar lieblich und lustig anzusehen, aber leider auch vielfach zerstört von der Witterung oder überwachsen von Moos und Efeu. Sein Vater, den er um die geheimnisvolle Bedeutung jener Säulen und Bildwerke befragte, sagte ihm einst, daß dieses die Trümmer eines alten Tempels wären, worin ehemals ein verruchter Heidengott gehaust, der nicht bloß die nackteste Liederlichkeit, sondern auch unnatürliche Laster und Blutschande getrieben; die blinden Heiden hätten aber dennoch, ihm zu Ehren, vor seinem Altar manchmal hundert Ochsen auf einmal geschlachtet; der ausgehöhlte Marmorblock, worin das Blut der Opfer geflossen, sei dort noch vorhanden, und es sei eben jener Steintrog, den er, sein Sohn, zuweilen dazu benutzte, mit dem darin gesammelten Regenwa**er seine Schweine zu tränken, oder darin allerlei Abfall für ihre Atzung aufzubewahren. So sprach der junge Mensch. Aber der Greis stieß jetzt einen Seufzer aus, der den ungeheuersten Schmerz verriet; gebrochen sank er nieder auf seinen Steinstuhl, bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen und weinte wie ein Kind. Der große Vogel kreischte entsetzlich, spreizte weit aus seine ungeheuern Flügel, und bedrohte die Fremden mit Krallen und Schnabel. Die alte Ziege jedoch leckte ihres Herrn Hände, und meckerte traurig und wie besänftigend. Ein unheimliches Mißbehagen ergriff die Schiffer bei diesem Anblick, sie verließen schleunig die Hütte, und waren froh, als sie das Geschluchze des Greises, das Gekreisch des Vogels und das Ziegengemecker nicht mehr vernahmen. Zurückgekehrt an Bord des Schiffes, erzählten sie dort ihr Abenteuer. Aber unter der Schiffsmannschaft befand sich ein russischer Gelehrter, Professor bei der philosophischen Fakultät der Universität zu Kasan, und dieser erklärte die Begebenheit für höchst wichtig; den Zeigefinger pfiffig an die Nase legend, versicherte er den Schiffern: Der Greis auf der Kanincheninsel sei unstreitig der alte Gott Jupiter, Sohn des Saturn und der Rhea, der ehemalige König der Götter. Der Vogel an seiner Seite sei augenscheinlich der Adler, der einst die fürchterlichen Blitze in seinen Krallen trug. Und die alte Ziege könne, aller Wahrscheinlichkeit nach, keine andre Person sein, als die Althea, die alte Amme, die den Gott bereits auf Kreta säugte und jetzt im Exil wieder mit ihrer Milch ernähre.« So erzählte Niels Andersen, und ich gestehe, diese Mitteilung erfüllte meine Seele mit Wehmut. Schon die Aufschlüsse über das geheime Leid der Walfische erregte mein Mitgefühl. Arme große Bestie! Gegen das schnöde Rattengesindel, das sich bei dir eingenistet, und unaufhörlich an dir nagt, gibt es keine Hülfe, und du mußt es lebenslang mit dir schleppen; und rennst du auch verzweiflungsvoll vorn Nordpol zum Südpol und reibst dich an seinen Eiskanten – es hilft dir nichts, du wirst sie nicht los, die schnöden Ratten, und dabei fehlt dir der Trost der Religion! An jeder Größe auf dieser Erde nagen die heimlichen Ratten, und die Götter selbst müssen am Ende schmählich zugrunde gehen. So will es das eiserne Gesetz des Fatums, und selbst der Höchste der Unsterblichen muß demselben schmachvoll sein Haupt beugen. Er, den Homer besungen und Phidias abkonterfeit in Gold und Elfenbein; er, der nur mit den Augen zu zwinkern brauchte, um den Erdkreis zu erschüttern; er, der Liebhaber von Leda, Alkmene, Semele, Danae, Kallisto, Jo, Leto, Europa etc. – er muß am Ende am Nordpol sich hinter Eisbergen verstecken, und um sein elendes Leben zu fristen mit Kaninchenfellen handeln wie ein schäbiger Savoyarde! Ich zweifle nicht, daß es Leute gibt, die sich schadenfroh an solchem Schauspiel laben. Diese Leute sind vielleicht die Nachkommen jener unglücklichen Ochsen, die als Hekatomben auf den Altären Jupiters geschlachtet wurden – Freut euch, gerächt ist das Blut eurer Vorfahren, jener armen Schlachtopfer des Aberglaubens! Uns aber, die wir von keinem Erbgroll befangen sind, uns erschüttert der Anblick gefallener Größe, und wir widmen ihr unser frömmigstes Mitleid. Diese Empfindsamkeit verhinderte uns vielleicht, unsrer Erzählung jenen kalten Ernst zu verleihen, der eine Zierde des Geschichtschreibers ist; nur einigermaßen vermochten wir uns jener Gravität zu befleißen, die man nur in Frankreich erlangen kann. Bescheidentlich empfehlen wir uns der Nachsicht des Lesers, für welchen wir immer die höchste Ehrfurcht bezeugten, und somit schließen wir hier die erste Abteilung unserer Geschichte der Götter im Exil.