Heinrich Heine - Die Götter im Exil - Kapitel 2 lyrics

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Heinrich Heine - Die Götter im Exil - Kapitel 2 lyrics

Doch, lieber Leser, ich vergesse, daß du ein sehr gebildeter und wohlunterrichteter Leser bist, der schon lange gemerkt hat, daß hier von einem Bacchan*le die Rede ist, von einem Feste des Dionysus. Du hast oft genug auf alten Basreliefen oder Kupferstichen archäologischer Werke die Triumphzüge gesehen, die jenen Gott verherrlichen, und wahrlich bei deinem kla**isch gebildeten Sinn würdest du nimmermehr erschrecken, wenn dir einmal plötzlich in der mitternächtlichen Abgeschiedenheit eines Waldes der schöne Spuk eines solchen Bacchuszuges nebst dem dazugehörigen betrunkenen Personale leiblich vor Augen träte – Höchstens würdest du einen leisen lüsternen Schauer, ein ästhetisches Grüseln empfinden beim Anblick dieser bleichen Versammlung, dieser anmutigen Phantome, die den Sarkophagen ihrer Grabmäler oder den Verstecken ihrer Tempelruinen entstiegen sind, um den alten fröhlichen Gottesdienst noch einmal zu begehen, um noch einmal mit Spiel und Reigen die Siegesfahrt des göttlichen Befreiers, des Heilandes der Sinnenlust, zu feiern, um noch einmal den Freudentanz des Heidentums, den Cancan der antiken Welt, zu tanzen, ganz ohne hypokritische Verhüllung, ganz ohne Dazwischenkunft der Sergeants-de-ville einer spiritualistischen Moral, ganz mit dem ungebundenen Wahnsinn der alten Tage, jauchzend, tobend, jubelnd: Evoe Bacche! Aber ach! lieber Leser, der arme Fischer, von welchem wir berichten, war keineswegs wie du in der Mythologie bewandert, er hatte gar keine archäologischen Studien gemacht, und er war von Schrecken und Angst ergriffen bei dem Anblick jenes schönen Triumphators mit seinen zwei wunderlichen Akoluthen, als sie ihrer Mönchstracht entsprungen; er schauderte ob der unzüchtigen Gebärden und Sprünge der Bacchanten, der Faunen, der Satyre, die ihm durch ihre Bocksfüße und Hörner ganz besonders diabolisch erschienen, und die gesamte Sozietät hielt er für einen Kongreß von Gespenstern und Dämonen, welche durch ihre Malefizien allen Christenmenschen Verderben zu bereiten suche. Das Haar sträubte sich auf seinem Haupte, als er die halsbrechend unmögliche Positur einer Mänade sah, die mit flatterndem Haar das Haupt zurückwarf und sich nur durch den Thyrsus im Gleichgewicht erhielt. Ihm selber, dem armen Schiffer, ward es wirr im Hirn, als er hier Korybanten erblickte, die mit den kurzen Schwertern ihrem eigenen Leibe Wunden beibrachten, tobsüchtig die Wollust suchend in dem Schmerze selbst. Die weichen, zärtlichen und doch zugleich grausamen Töne der Musik, die er vernahm, drangen in sein Gemüt wie Flammen, lodernd, verzehrend, grauenhaft. Aber als der arme Mensch jenes verrufene ägyptische Symbol erblickte, das in übertriebener Größe und bekränzt mit Blumen von einem schamlosen Weibe auf einer hohen Stange herumgetragen wurde: da verging ihm Hören und Sehen – und er stürzte nach seinem Kahne zurück und verkroch sich unter die Netze, zähneklappernd und zitternd, als hielte ihn Satan bereits an einem Fuße fest. Nicht lange darauf kamen die drei Mönche ebenfalls nach dem Kahne zurück und stießen ab. Als sie endlich am andern Seeufer landeten und ausstiegen, wußte der Fischer so geschickt seinem Versteck zu entschlüpfen, daß die Mönche meinten, er habe hinter den Weiden ihrer geharrt, und indem ihm einer von ihnen wieder mit eiskalten Fingern den Fährlohn in die Hand drückte, eilten sie stracks von hinnen. Sowohl seines eigenen Seelenheils wegen, das er gefährdet glaubte, als auch um andere Christenmenschen vor Verderben zu bewahren, hielt sich der Fischer für verpflichtet, das unheimliche Begebnis dem geistlichen Gerichte anzuzeigen, und da der Superior eines nahe gelegenen Franziskanerklosters als Vorsitzer eines solchen Gerichtes und ganz besonders als gelahrter Exorzist in großem Ansehen stand, beschloß er, sich unverzüglich zu ihm zu begeben. Die Frühsonne fand daher den Fischer schon auf dem Wege nach dem Kloster, und demütigen Blickes stand er bald vor Seiner Hochwürden, dem Superior, der in seiner Bücherei, die Kapuze weit übers Gesicht gezogen, in einem Lehnsessel saß, und in dieser nachdenklichen Positur sitzen blieb, während ihm der Fischer die grausenhafte Historie erzählte. Als derselbe mit dieser Relation zu Ende war, erhob der Superior sein Haupt, und indem die Kapuze zurückfiel, sah der Fischer mit Bestürzung, daß Seine Hochwürden einer von den drei Mönchen war, die jährlich über den See fuhren, und er erkannte in ihm ebendenjenigen, den er diese Nacht als heidnischen Dämon auf dem Siegeswagen mit dem Löwengespann gesehen: es war da**elbe marmorbla**e Gesicht, dieselben regelmäßig schönen Züge, derselbe Mund mit den zärtlich gewölbten Lippen – Und um diese Lippen schwebte ein wohlwollendes Lächeln, und diesem Munde entquollen jetzt die sanftklingenden salbungsreichen Worte: »Geliebter Sohn in Christo! wir glauben herzlich gern, daß Ihr diese Nacht in der Gesellschaft des Gottes Bacchus zugebracht habt, und Eure phantastische Spukgeschichte gibt dessen hinlänglich Kunde. Wir wollen beileibe nichts Unliebiges von diesem Gotte sagen, er ist gewiß manchmal ein Sorgenbrecher und erfreut des Menschen Herz, aber er ist sehr gefährlich für diejenigen, die nicht viel vertragen können, und zu diesen scheint Ihr zu gehören. Wir raten Euch daher hinfüro nur mit Maß des goldenen Rebensaftes zu genießen, und mit den Hirngeburten der Trunkenheit die geistlichen Obrigkeiten nicht mehr zu behelligen, und auch von Eurer letzten Vision zu schweigen, ganz das Maul zu halten, widrigenfalls Euch der weltliche Arm des Büttels fünfundzwanzig Peitschenhiebe aufzählen soll. Jetzt aber, geliebter Sohn in Christo, geht in die Klosterküche, wo Euch der Bruder Kellermeister und der Bruder Küchenmeister einen Imbiß vorsetzen sollen.« Hiermit gab der geistliche Herr dem Fischer seinen Segen, und als sich dieser verblüfft nach der Küche trollte und den Frater Küchenmeister und den Frater Kellermeister erblickte, fiel er fast zu Boden vor Schrecken – denn diese beiden waren die zwei nächtlichen Gefährten des Superiors, die zwei Mönche, die mit demselben über den See gefahren, und der Fischer erkannte den Dickwanst und die Glatze des einen, ebenso wie die grinsend geilen Gesichtszüge nebst den Bocksohren des andern. Doch hielt er reinen Mund, und erst in spätern Jahren erzählte er die Geschichte seinen Angehörigen. Alte Chroniken, welche ähnliche Sagen erzählen, verlegen den Schauplatz nach Speyer am Rhein. An der ostfriesischen Küste herrscht eine an*loge Tradition, worin die altheidnischen Vorstellungen von der Überfahrt der Toten nach dem Schattenreiche, welche allen jenen Sagen zugrunde liegen, am deutlichsten hervortreten. Von einem Charon, der die Barke lenkt, ist zwar nirgend darin die Rede, wie denn überhaupt dieser alte Kauz sich nicht in der Volkssage, sondern nur im Puppenspiele erhalten hat; aber eine weit wichtigere mythologische Personnage erkennen wir in dem sogenannten Spediteur, der die Überfahrt der Toten besorgt, und der dem Fährmann, welcher des Charons Amt verrichtet und ein gewöhnlicher Fischer ist, das herkömmliche Fährgeld auszahlt. Trotz ihrer barocken Vermummung werden wir den wahren Namen jener Person bald erraten, und ich will daher die Tradition selbst so getreu als möglich hier mitteilen: In Ostfriesland, an der Küste der Nordsee, gibt es Buchten, die gleichsam kleine Hafen bilden und Siele heißen. An den äußersten Vorsprüngen derselben steht das einsame Haus irgendeines Fischers, der hier mit seiner Familie ruhig und genügsam lebt. Die Natur ist dort traurig, kein Vogel pfeift, außer den Seemöwen, welche manchmal mit einem fatalen Gekreische aus den Sandnestern der Dünen hervorfliegen und Sturm verkünden. Das monotone Geplätscher der brandenden See paßt sehr gut zu den düstern Wolkenzügen. Auch die Menschen singen hier nicht, und an dieser melancholischen Küste hört man nie die Strophe eines Volksliedes. Die Menschen hierzulande sind ernst, ehrlich, mehr vernünftig als religiös, und stolz auf den kühnen Sinn und auf die Freiheit ihrer Altvordern. Solche Leute sind nicht phantastisch aufregbar, und grübeln nicht viel. Die Hauptsache für den Fischer, der auf seinem einsamen Siel wohnt, ist der Fischfang, und dann und wann das Fährgeld der Reisenden, die nach einer der umliegenden Inseln der Nordsee übergesetzt sein wollen. Zu einer bestimmten Zeit des Jahres, heißt es, just um die Mittagsstunde, wo eben der Fischer mit seiner Familie, das Mittagsmahl verzehrend, zu Tische sitzt, tritt ein Reisender in die große Wohnstube, und bittet den Hausherrn, ihm einige Augenblicke zu vergönnen, um ein Geschäft mit ihm zu besprechen. Der Fischer, nachdem er den Gast vergeblich gebeten, vorher an der Mahlzeit teilzunehmen, erfüllt am Ende dessen Begehr, und beide treten beiseite an ein Erkertischchen. Ich will das Aussehen des Fremden nicht lange beschreiben in müßiger Novellistenweise; bei der Aufgabe, die ich mir gestellt, genügt ein genaues Signalement. Ich bemerke also Folgendes: Der Fremde ist ein schon bejahrtes, aber doch wohlkonserviertes Männchen, ein jugendlicher Greis, gehäbig aber nicht fett, die Wänglein rot wie Borsdorfer Äpfel, die Äuglein lustig nach allen Seiten blinzelnd, und auf dem gepuderten Köpfchen sitzt ein dreieckiges Hütlein. Unter einer hellgelben Houppelande mit unzähligen Krägelchen trägt der Mann die altmodische Kleidung, die wir auf Porträten holländischer Kaufleute finden, und welche eine gewisse Wohlhabenheit verrät: ein seidenes papageigrünes Röckchen, blumengestickte Weste, kurze schwarze Höschen, gestreifte Strümpfe und Schnallenschuhe; letztere sind so blank, daß man nicht begreift, wie jemand durch den Schlamm der Sielwege zu Fuße so unbeschmutzt hergelangen konnte. Seine Stimme ist asthmatisch, feindrähtig und manchmal ins Greinende überschlagend, doch der Vortrag und die Haltung des Männleins ist gravitätisch gemessen, wie es einem holländischen Kaufmann ziemt. Diese Gravität scheint jedoch mehr erkünstelt als natürlich zu sein, und sie kontrastiert manchmal mit dem forschsamen Hin- und Herlugen der Äuglein, sowie auch mit der schlecht unterdrückten flatterhaften Beweglichkeit der Beine und Arme. Daß der Fremde ein holländischer Kaufmann ist, bezeugt nicht bloß seine Kleidung, sondern auch die merkantilische Genauigkeit und Umsicht, womit er das Geschäft so vorteilhaft als möglich für seinen Kommittenten abzuschließen weiß. Er ist nämlich, wie er sagt, Spediteur und hat von einem seiner Handelsfreunde den Auftrag erhalten, eine bestimmte Anzahl Seelen, soviel in einer gewöhnlichen Barke Raum fänden, von der ostfriesischen Küste nach der weißen Insel zu fördern; zu diesem Behufe nun, fährt er fort, möchte er wissen, ob der Schiffer diese Nacht die erwähnte Ladung mit seiner Barke nach der erwähnten Insel übersetzen wolle, und für diesen Fall sei er erbötig, ihm das Fährgeld gleich vorauszuzahlen, zuversichtlich hoffend, daß er aus christlicher Bescheidenheit seine Forderung recht billig stellen werde. Der holländische Kaufmann (dieses ist eigentlich ein Pleonasmus, da jeder Holländer Kaufmann ist) macht diesen Antrag mit der größten Unbefangenheit, als handle es sich von einer Ladung Käse, und nicht von Seelen der Verstorbenen. Der Fischer stutzt einigermaßen bei dem Wort Seelen, und es rieselt ihm ein bißchen kalt über den Rücken, da er gleich merkt, daß von den Seelen der Verstorbenen die Rede sei, und daß er den gespenstischen Holländer vor sich habe, der so manchen seiner Kollegen die Überfahrt der verstorbenen Seelen anvertraute und gut dafür bezahlte. Wie ich jedoch oben bemerkt, diese ostfriesischen Küstenbewohner sind mutig und gesund und nüchtern, und es fehlt ihnen jene Kränklichkeit und Einbildungskraft, welche uns für das Gespenstische und Übersinnliche empfänglich macht: unsres Fischers geheimes Grauen dauert daher nur einen Augenblick; seine unheimliche Empfindung unterdrückend, gewinnt er bald seine Fa**ung, und mit dem Anschein des größten Gleichmuts ist er nur darauf bedacht, das Fährgeld so hoch als möglich zu steigern. Doch nach einigem Feilschen und Dingen verständigen sich beide Kontrahenten über den Fahrlohn, sie geben einander den Handschlag zur Bekräftigung der Übereinkunft, und der Holländer, welcher einen schmutzigen ledernen Beutel hervorzieht, angefüllt mit lauter ganz kleinen Silberpfennigen, den kleinsten, die je in Holland geschlagen worden, zahlt die ganze Summe des Fahrgelds in dieser putzigen Münzsorte. Indem er dem Fischer noch die Instruktion gibt, gegen Mitternacht, zur Zeit wo der Mond aus den Wolken hervortreten würde, sich an einer bestimmten Stelle der Küste mit seiner Barke einzufinden, um die Ladung in Empfang zu nehmen, verabschiedet er sich bei der ganzen Familie, welche vergebens ihre Einladung zum Mitspeisen wiederholte, und die eben noch so gravitätische Figur trippelt mit leichtfüßigen Schritten von dannen.

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