Heinrich Heine - Das Buch Le Grand - Kapitel 26 lyrics

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Heinrich Heine - Das Buch Le Grand - Kapitel 26 lyrics

Kapitel V Old Bailey Schon der Name Old Bailey erfüllt die Seele mit Grauen. Man denkt sich gleich ein großes, schwarzes, mißmutiges Gebäude, einen Palast des Elends und des Verbrechens. Der linke Flügel, der das eigentliche Newgate bildet, dient als Kriminalgefängnis, und da sieht man nur eine hohe Wand von wetterschwarzen Quadern, worin zwei Nischen mit ebenso schwarzen allegorischen Figuren, und wenn ich nicht irre, stellt eine von ihnen die Gerechtigkeit vor, indem wie gewöhnlich die Hand mit der Waage abgebrochen ist und nichts als ein blindes Weibsbild mit einem Schwerte übrigblieb. Ungefähr gegen die Mitte des Gebäudes ist der Altar dieser Göttin, nämlich das Fenster, wo das Galgengerüst zu stehen kommt, und endlich rechts befindet sich der Kriminalgerichtshof, worin die vierteljährlichen Sessionen gehalten werden. Hier ist ein Tor, das gleich den Pforten der Danteschen Hölle die Inschrift tragen sollte: Per me si va nella città dolente, Per me si va nell' eterno dolore, Per me si va tra la perduta gente. Durch dieses Tor gelangt man auf einen kleinen Hof, wo der Abschaum des Pöbels versammelt ist, um die Verbrecher durchpa**ieren zu sehen; auch stehen hier Freunde und Feinde derselben, Verwandte, Bettelkinder, Blödsinnige, besonders alte Weiber, die den Rechtsfall des Tages abhandeln, und vielleicht mit mehr Einsicht als Richter und Jury trotz all ihrer kurzweiligen Feierlichkeit und langweiligen Jurisprudenz. Hab ich doch draußen vor der Gerichtstüre eine alte Frau gesehen, die im Kreise ihrer Gevatterinnen den armen schwarzen William besser verteidigte als drinnen im Saale dessen grundgelehrter Advokat – wie sie die letzte Träne mit der zerlumpten Schürze aus den roten Augen wegwischte, schien auch Williams ganze Schuld vertilgt zu sein. Im Gerichtssaale selbst, der nicht besonders groß, ist unten vor der sogenannten Bar (Schranken) wenig Platz für das Publikum; dafür gibt es aber oben an beiden Seiten sehr geräumige Galerien mit erhöheten Bänken, wo die Zuschauer Kopf über Kopf gestapelt stehen. Als ich Old Bailey besuchte, fand auch ich Platz auf einer solchen Galerie, die mir von einer alten Pförtnerin gegen Gratifikation eines Schillings erschlossen wurde. Ich kam in dem Augenblick, wo die Jury sich erhob, um zu urteilen: ob der schwarze William des angeklagten Verbrechens schuldig oder nicht schuldig sei. Auch hier, wie in den andern Gerichtshöfen Londons, sitzen die Richter in blauschwarzer Toga, die hellviolett gefüttert ist, und ihr Haupt bedeckt die weißgepuderte Perücke, womit oft die schwarzen Augenbraunen und schwarzen Backenbärte gar drollig kontrastieren. Sie sitzen an einem langen grünen Tische auf erhabenen Stühlen am obersten Ende des Saales, wo an der Wand mit goldenen Buchstaben eine Bibelstelle, die vor ungerechtem Richterspruch warnt, eingegraben steht. An beiden Seiten sind Bänke für die Männer der Jury und Plätze zum Stehen für Kläger und Zeugen. Den Richtern gerade gegenüber ist der Platz der Angeklagten; diese sitzen nicht auf einem Armesünderbänkchen wie bei den öffentlichen Gerichten in Frankreich und Rheinland, sondern aufrecht stehen sie hinter einem wunderlichen Brette, das oben wie ein schmalgebogenes Tor ausgeschnitten ist. Es soll dabei ein künstlicher Spiegel angebracht sein, wodurch der Richter imstande ist, jede Miene der Angeklagten deutlich zu beobachten. Auch liegen einige grüne Kräuter vor letzteren, um ihre Nerven zu stärken, und das mag zuweilen nötig sein, wo man angeklagt steht auf Leib und Leben. Auch auf dem Tische der Richter sah ich dergleichen grüne Kräuter und sogar eine Rose liegen. Ich weiß nicht, wie es kommt, der Anblick dieser Rose hat mich tief bewegt. Die rote blühende Rose, die Blume der Liebe und des Frühlings, lag auf dem schrecklichen Richtertische von Old Bailey! Es war im Saale so schwül und dumpfig. Es schaute alles so unheimlich mürrisch, so wahnsinnig ernst. Die Menschen sahen aus, als kröchen ihnen graue Spinnen über die blöden Gesichter. Hörbar klirrten die eisernen Waagschalen über dem Haupte des armen schwarzen Williams. Auch auf der Galerie bildete sich eine Jury. Eine dicke Dame, aus deren rot aufgedunsenem Gesicht die kleinen Äuglein wie Glühwürmchen hervorglimmten, machte die Bemerkung, daß der schwarze William ein sehr hübscher Bursche sei. Indessen ihre Nachbarin, eine zarte, piepsende Seele in einem Körper von schlechtem Postpapier, behauptete: Er trüge das schwarze Haar zu lang und zottig und blitze mit den Augen wie Herr Kean im Othello – »dagegen«, fuhr sie fort, »ist doch der Thomson ein ganz anderer Mensch mit hellem Haar und glatt gekämmt nach der Mode, und er ist ein sehr geschickter Mensch, er bläst ein bißchen die Flöte, er malt ein bißchen, er spricht ein bißchen Französisch« – »Und stiehlt ein bißchen«, fügte die dicke Dame hinzu. »Ei was stehlen«, versetzte die dünne Nachbarin, »das ist doch nicht so barbarisch wie Fälschung; denn ein Dieb, es sei denn, er habe ein Schaf gestohlen, wird nach Botany Bay transportiert, während der Bösewicht, der eine Handschrift verfälscht hat, ohne Gnad und Barmherzigkeit gehenkt wird.« – »Ohne Gnad und Barmherzigkeit!« seufzte neben mir ein magerer Mann in einem verwirrten schwarzen Rock, »Hängen! kein Mensch hat das Recht, einen andern umbringen zu la**en, am allerwenigsten sollten Christen ein Todesurteil fällen, da sie doch daran denken sollten, daß der Stifter ihrer Religion, unser Herr und Heiland, unschuldig verurteilt und hingerichtet worden!« – »Ei was«, rief wieder die dünne Dame und lächelte mit ihren dünnen Lippen, »wenn so ein Fälscher nicht gehenkt würde, wäre ja kein reicher Mann seines Vermögens sicher, z. B. der dicke Jude in Lombard Street, Saint Swithins Lane, oder unser Freund Herr Scott, dessen Handschrift so täuschend nachgemacht worden. Und Herr Scott hat doch sein Vermögen so sauer erworben, und man sagt sogar, er sei dadurch reich geworden, daß er für Geld die Krankheiten anderer auf sich nahm, ja die Kinder laufen ihm jetzt noch auf der Straße nach und rufen: ich gebe dir ein Sixpence, wenn du mir mein Zahnweh abnimmst, wir geben dir einen Schilling, wenn du Gottfriedchens Buckel nehmen willst« – »Kurios!« fiel ihr die dicke Dame in die Rede, »es ist doch kurios, daß der schwarze William und der Thomson früherhin die besten Spießgesellen gewesen sind und zusammengewohnt und gegessen und getrunken haben, und jetzt Edward Thomson seinen alten Freund der Fälschung anklagt! Warum ist aber die Schwester von Thomson nicht hier, da sie doch sonst ihrem süßen William überall nachgelaufen?« Ein junges schönes Frauenzimmer, über dessen holdem Gesichte eine dunkle Betrübnis verbreitet lag wie ein schwarzer Flor über einem blühenden Rosenstrauch, flüsterte jetzt eine ganz lange, verweinte Geschichte, wovon ich nur soviel verstand, daß ihre Freundin, die schöne Mary, von ihrem Bruder gar bitterlich geschlagen worden und todkrank zu Bette liege. »Nennt sie doch nicht die schöne Mary!« brummte verdrießlich die dicke Dame, »viel zu mager, sie ist viel zu mager, als daß man sie schön nennen könnte, und wenn gar ihr William gehenkt wird–«. In diesem Augenblick erschienen die Männer der Jury und erklärten: Daß der Angeklagte der Fälschung schuldig sei. Als man hierauf den schwarzen William aus dem Saale fortführte, warf er einen langen, langen Blick auf Edward Thomson. Nach einer Sage des Morgenlandes war Satan einst ein Engel und lebte im Himmel mit den andern Engeln, bis er diese zum Abfall verleiten wollte und deshalb von der Gottheit hinuntergestoßen wurde in die ewige Nacht der Hölle. Während er aber vom Himmel hinabsank, schaute er immer noch in die Höhe, immer nach dem Engel, der ihn angeklagt hatte, je tiefer er sank, desto entsetzlicher und immer entsetzlicher wurde sein Blick – Und es muß ein schlimmer Blick gewesen sein; denn jener Engel, den er traf, wurde bleich, niemals trat wieder Röte in seine Wangen, und er heißt seitdem der Engel des Todes. Bleich wie der Engel des Todes wurde Edward Thomson.

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