Gotthold Ephraim Lessing - Nathan Der Weise - Kapitel 10 lyrics

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Gotthold Ephraim Lessing - Nathan Der Weise - Kapitel 10 lyrics

Fünfter Auftritt Nathan und bald darauf der Tempelherr. Nathan. Fast scheu ich mich des Sonderlings. Fast macht Mich seine rauhe Tugend stutzen. Daß Ein Mensch doch einen Menschen so verlegen Soll machen können! – Ha! er kömmt. – Bei Gott! Ein Jüngling wie ein Mann. Ich mag ihn wohl Den guten, trotz'gen Blick! den prallen Gang! Die Schale kann nur bitter sein: der Kern Ist's sicher nicht. – Wo sah ich doch dergleichen? – Verzeihet, edler Franke ... Tempelherr. Was? Nathan. Erlaubt ... Tempelherr. Was, Jude? was? Nathan. Daß ich mich untersteh, Euch anzureden. Tempelherr. Kann ich's wehren? Doch Nur kurz. Nathan. Verzieht, und eilet nicht so stolz, Nicht so verächtlich einem Mann vorüber, Den Ihr auf ewig Euch verbunden habt. Tempelherr. Wie das? – Ah, fast errat ich's. Nicht? Ihr seid ... Nathan. Ich heiße Nathan; bin des Mädchens Vater, Das Eure Großmut aus dem Feu'r gerettet; Und komme ... Tempelherr. Wenn zu danken: – spart's! Ich hab Um diese Kleinigkeit des Dankes schon Zu viel erdulden müssen. – Vollends Ihr, Ihr seid mir gar nichts schuldig. Wußt' ich denn, Daß dieses Mädchen Eure Tochter war? Es ist der Tempelherren Pflicht, dem ersten Dem besten beizuspringen, dessen Not Sie sehn. Mein Leben war mir ohnedem In diesem Augenblicke lästig. Gern, Sehr gern ergriff ich die Gelegenheit, Es für ein andres Leben in die Schanze Zu schlagen: für ein andres – wenn's auch nur Das Leben einer Jüdin wäre. Nathan. Groß! Groß und abscheulich! – Doch die Wendung läßt Sich denken. Die bescheidne Größe flüchtet Sich hinter das Abscheuliche, um der Bewundrung auszuweichen. – Aber wenn Sie so das Opfer der Bewunderung Verschmäht: was für ein Opfer denn verschmäht Sie minder? – Ritter, wenn Ihr hier nicht fremd Und nicht gefangen wäret, würd' ich Euch So dreist nicht fragen. Sagt, befehlt: womit Kann man Euch dienen? Tempelherr. Ihr? Mit nichts. Nathan. Ich bin Ein reicher Mann. Tempelherr. Der reichre Jude war Mir nie der beßre Jude. Nathan. Dürft Ihr denn Darum nicht nützen, was demungeachtet Er Beßres hat? nicht seinen Reichtum nützen? Tempelherr. Nun gut, das will ich auch nicht ganz verreden; Um meines Mantels willen nicht. Sobald Der ganz und gar verschlissen; weder Stich Noch Fetze länger halten will: komm ich Und borge mir bei Euch zu einem neuen, Tuch oder Geld. – Seht nicht mit eins so finster! Noch seid Ihr sicher; noch ist's nicht so weit Mit ihm. Ihr seht; er ist so ziemlich noch Im Stande. Nur der eine Zipfel da Hat einen garstigen Fleck; er ist versengt. Und das bekam er, als ich Eure Tochter Durchs Feuer trug. Nathan (der nach dem Zipfel greift und ihn betrachtet). Es ist doch sonderbar, Daß so ein böser Fleck, daß so ein Brandmal Dem Mann ein beßres Zeugnis redet, als Sein eigner Mund. Ich möcht' ihn küssen gleich – Den Flecken! – Ah, verzeiht! – Ich tat es ungern. Tempelherr. Was? Nathan. Eine Träne fiel darauf. Tempelherr. Tut nichts! Er hat der Tropfen mehr. – (Bald aber fängt Mich dieser Jud' an zu verwirren.) Nathan. Wärt Ihr wohl so gut, und schicktet Euern Mantel Auch einmal meinem Mädchen? Tempelherr. Was damit? Nathan. Auch ihren Mund an diesen Fleck zu drücken. Denn Eure Kniee selber zu umfa**en, Wünscht sie nun wohl vergebens. Tempelherr. Aber, Jude – Ihr heißet Nathan? – Aber, Nathan – Ihr Setzt Eure Worte sehr – sehr gut – sehr spitz – Ich bin betreten – Allerdings – ich hätte ... Nathan. Stellt und verstellt Euch, wie Ihr wollt. Ich find Auch hier Euch aus. Ihr wart zu gut, zu bieder, Um höflicher zu sein. – Das Mädchen, ganz Gefühl; der weibliche Gesandte, ganz Dienstfertigkeit; der Vater weit entfernt – Ihr trugt für ihren guten Namen Sorge; Floht ihre Prüfung; floht, um nicht zu siegen. Auch dafür dank ich Euch – Tempelherr. Ich muß gestehn, Ihr wißt, wie Tempelherren denken sollten. Nathan. Nur Tempelherren? sollten bloß? und bloß Weil es die Ordensregeln so gebieten? Ich weiß, wie gute Menschen denken; weiß, Daß alle Länder gute Menschen tragen. Tempelherr. Mit Unterschied, doch hoffentlich? Nathan. Jawohl; An Farb', an Kleidung, an Gestalt verschieden. Tempelherr. Auch hier bald mehr, bald weniger, als dort. Nathan. Mit diesem Unterschied ist's nicht weit her. Der große Mann braucht überall viel Boden; Und mehrere, zu nah gepflanzt, zerschlagen Sich nur die Äste. Mittelgut, wie wir, Find't sich hingegen überall in Menge. Nur muß der eine nicht den andern mäkeln. Nur muß der Knorr den Knuppen hübsch vertragen. Nur muß ein Gipfelchen sich nicht vermessen, Daß es allein der Erde nicht entschossen. Tempelherr. Sehr wohl gesagt! – Doch kennt Ihr auch das Volk, Das diese Menschenmäkelei zuerst Getrieben? Wißt Ihr, Nathan, welches Volk Zuerst das auserwählte Volk sich nannte? Wie? wenn ich dieses Volk nun, zwar nicht haßte, Doch wegen seines Stolzes zu verachten, Mich nicht entbrechen könnte? Seines Stolzes; Den es auf Christ und Muselmann vererbte, Nur sein Gott sei der rechte Gott! – Ihr stutzt, Daß ich, ein Christ, ein Tempelherr, so rede? Wenn hat, und wo die fromme Raserei, Den bessern Gott zu haben, diesen bessern Der ganzen Welt als besten auf zudringen, In ihrer schwärzesten Gestalt sich mehr Gezeigt, als hier, als itzt? Wem hier, wem itzt Die Schuppen nicht vom Auge fallen ... Doch Sei blind, wer will! – Vergeßt, was ich gesagt; Und laßt mich! (Will gehen.) Nathan. Ha! Ihr wißt nicht, wie viel fester Ich nun mich an Euch drängen werde. – Kommt, Wir müssen, müssen Freunde sein! – Verachtet Mein Volk so sehr Ihr wollt. Wir haben beide Uns unser Volk nicht auserlesen. Sind Wir unser Volk? Was heißt denn Volk? Sind Christ und Jude eher Christ und Jude, Als Mensch? Ah! wenn ich einen mehr in Euch Gefunden hätte, dem es gnügt, ein Mensch Zu heißen! Tempelherr. Ja, bei Gott, das habt Ihr, Nathan! Das habt Ihr! – Eure Hand! – Ich schäme mich, Euch einen Augenblick verkannt zu haben. Nathan. Und ich bin stolz darauf. Nur das Gemeine Verkennt man selten. Tempelherr. Und das Seltene Vergißt man schwerlich. – Nathan, ja; Wir müssen, müssen Freunde werden. Nathan. Sind Es schon. – Wie wird sich meine Recha freuen! – Und ah! welch eine heitre Ferne schließt Sich meinen Blicken auf! – Kennt sie nur erst. Tempelherr. Ich brenne vor Verlangen. – Wer stürzt dort Aus Euerm Hause? Ist's nicht ihre Daja? Nathan. Jawohl. So ängstlich? Tempelherr. Unsrer Recha ist Doch nichts begegnet?

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