VI
DIE TRAUMARBEIT
Alle anderen bisherigen Versuche, die Traumprobleme zu erledigen, knüpften direkt an den in der Erinnerung gegebenen manifesten Trauminhalt an und bemühten sich, aus diesem die Traumdeutung zu gewinnen oder, wenn sie auf eine Deutung verzichteten, ihr Urteil über den Traum durch den Hinweis auf den Trauminhalt zu begründen. Nur wir allein stehen einem anderen Sachverhalt gegenüber; für uns schiebt sich zwischen den Trauminhalt und die Resultate unserer Betrachtung ein neues psychisches Material ein: der durch unser Verfahren gewonnene latente Trauminhalt oder die Traumgedanken. Aus diesem letzteren, nicht aus dem manifesten Trauminhalt entwickelten wir die Lösung des Traumes. An uns tritt darum auch als neu eine Aufgabe heran, die es vordem nicht gegeben hat, die Aufgabe, die Beziehungen des manifesten Trauminhalts zu den latenten Traumgedanken zu untersuchen und nachzuspüren, durch welche Vorgänge aus den letzteren der erstere geworden ist.
Traumgedanken und Trauminhalt liegen vor uns wie zwei Darstellungen desselben Inhaltes in zwei verschiedenen Sprachen, oder besser gesagt, der Trauminhalt erscheint uns als eine Übertragung der Traumgedanken in eine andere Ausdrucksweise, deren Zeichen und Fügungsgesetze wir durch die Vergleichung von Original und Übersetzung kennenlernen sollen. Die Traumgedanken sind uns ohne weiteres verständlich, sobald wir sie erfahren haben. Der Trauminhalt ist gleichsam in einer Bilderschrift gegeben, deren Zeichen einzeln in die Sprache der Traumgedanken zu übertragen sind. Man würde offenbar in die Irre geführt, wenn man diese Zeichen nach ihrem Bilderwert anstatt nach ihrer Zeichenbeziehung lesen wollte. Ich habe etwa ein Bilderrätsel (Rebus) vor mir: ein Haus, auf dessen Dach ein Boot zu sehen ist, dann ein einzelner Buchstabe, dann eine laufende Figur, deren Kopf wegapostrophiert ist, u. dgl. Ich könnte nun in die Kritik verfallen, diese Zusammenstellung und deren Bestandteile für unsinnig zu erklären. Ein Boot gehört nicht auf das Dach eines Hauses, und eine Person ohne Kopf kann nicht laufen; auch ist die Person größer als das Haus, und wenn das Ganze eine Landschaft darstellen soll, so fügen sich die einzelnen Buchstaben nicht ein, die ja in freier Natur nicht vorkommen. Die richtige Beurteilung des Rebus ergibt sich offenbar erst dann, wenn ich gegen das Ganze und die Einzelheiten desselben keine solchen Einsprüche erhebe, sondern mich bemühe, jedes Bild durch eine Silbe oder ein Wort zu ersetzen, das nach irgendwelcher Beziehung durch das Bild darstellbar ist. Die Worte, die sich so zusammenfinden, sind nicht mehr sinnlos, sondern können den schönsten und sinnreichsten Dichterspruch ergeben. Ein solches Bilderrätsel ist nun der Traum, und unsere Vorgänger auf dem Gebiete der Traumdeutung haben den Fehler begangen, den Rebus als zeichnerische Komposition zu beurteilen. Als solche erschien er ihnen unsinnig und wertlos.
A
DIE VERDICHTUNGSARBEIT
Das erste, was dem Untersucher bei der Vergleichung von Trauminhalt und Traumgedanken klar wird, ist, daß hier eine großartige Verdichtungsarbeit geleistet wurde. Der Traum ist knapp, armselig, lakonisch im Vergleich zu dem Umfang und zur Reichhaltigkeit der Traumgedanken. Der Traum füllt niedergeschrieben eine halbe Seite; die an*lyse, in der die Traumgedanken enthalten sind, bedarf das sechs-, acht-, zwölffache an Schriftraum. Die Relation ist für verschiedene Träume wechselnd; sie ändert, soweit ich es kontrollieren konnte, niemals ihren Sinn. In der Regel unterschätzt man das Maß der statthabenden Kompression, indem man die ans Licht gebrachten Traumgedanken für das vollständige Material hält, während weitere Deutungsarbeit neue hinter dem Traum versteckte Gedanken enthüllen kann. Wir haben bereits anführen müssen, daß man eigentlich niemals sicher ist, einen Traum vollständig gedeutet zu haben; selbst wenn die Auflösung befriedigend und lückenlos erscheint, bleibt es doch immer möglich, daß sich noch ein anderer Sinn durch denselben Traum kundgibt. Die Verdichtungsquote ist also – strenggenommen – unbestimmbar. Man könnte gegen die Behauptung, daß aus dem Mißverhältnis zwischen Trauminhalt und Traumgedanken der Schluß zu ziehen sei, es finde eine ausgiebige Verdichtung des psychischen Materials bei der Traumbildung statt, einen Einwand geltend machen, der für den ersten Eindruck recht bestechend scheint. Wir haben ja so oft die Empfindung, daß wir sehr viel die ganze Nacht hindurch geträumt und dann das meiste wieder vergessen haben. Der Traum, den wir beim Erwachen erinnern, wäre dann bloß ein Rest der gesamten Traumarbeit, welche wohl den Traumgedanken an Umfang gleichkäme, wenn wir sie eben vollständig erinnern könnten. Daran ist ein Stück sicherlich richtig; man kann sich nicht mit der Beobachtung täuschen, daß ein Traum am getreuesten reproduziert wird, wenn man ihn bald nach dem Erwachen zu erinnern versucht, und daß seine Erinnerung gegen den Abend hin immer mehr und mehr lückenhaft wird. Zum andern Teil aber läßt sich erkennen, daß die Empfindung, man habe sehr viel mehr geträumt, als man reproduzieren kann, sehr häufig auf einer Illusion beruht, deren Entstehung späterhin erläutert werden soll. Die Annahme einer Verdichtung in der Traumarbeit wird überdies von der Möglichkeit des Traumvergessens nicht berührt, denn sie wird durch die Vorstellungsma**en erwiesen, die zu den einzelnen erhalten gebliebenen Stücken des Traumes gehören. Ist tatsächlich ein großes Stück des Traumes für die Erinnerung verlorengegangen, so bleibt uns hiedurch etwa der Zugang zu einer neuen Reihe von Traumgedanken versperrt. Es ist eine durch nichts zu rechtfertigende Erwartung, daß die untergegangenen Traumstücke sich gleichfalls nur auf jene Gedanken bezogen hätten, die wir bereits aus der an*lyse der erhalten gebliebenen kennen [Fußnote].
Angesichts der überreichen Menge von Einfällen, welche die an*lyse zu jedem einzelnen Element des Trauminhaltes beibringt, wird sich bei manchem Leser der prinzipielle Zweifel regen, ob man denn all das, was einem bei der an*lyse nachträglich einfällt, zu den Traumgedanken rechnen darf, d. h. annehmen darf, all diese Gedanken seien schon während des Schlafzustandes tätig gewesen und hätten an der Traumbildung mitgewirkt? Ob nicht vielmehr während des an*lysierens neue Gedankenverbindungen entstehen, die an der Traumbildung unbeteiligt waren? Ich kann diesem Zweifel nur bedingt beitreten. Daß einzelne Gedankenverbindungen erst während der an*lyse entstehen, ist allerdings richtig; aber man kann sich jedesmal überzeugen, daß solche neue Verbindungen sich nur zwischen Gedanken herstellen, die schon in den Traumgedanken in anderer Weise verbunden sind; die neuen Verbindungen sind gleichsam Nebenschließungen, Kurzschlüsse, ermöglicht durch den Bestand anderer und tiefer liegender Verbindungswege. Für die Überzahl der bei der an*lyse aufgedeckten Gedankenma**en muß man zugestehen, daß sie schon bei der Traumbildung tätig gewesen sind, denn wenn man sich durch eine Kette solcher Gedanken, die außer Zusammenhang mit der Traumbildung scheinen, durchgearbeitet hat, stößt man dann plötzlich auf einen Gedanken, der, im Trauminhalt vertreten, für die Traumdeutung unentbehrlich ist und doch nicht anders als durch jene Gedankenkette zugänglich war. Man vergleiche hiezu etwa den Traum von der botanischen Monographie, der als das Ergebnis einer erstaunlichen Verdichtungsleistung erscheint, wenngleich ich seine an*lyse nicht vollständig mitgeteilt habe.
Wie soll man sich aber dann den psychischen Zustand während des Schlafens, der dem Träumen vorangeht, vorstellen? Bestehen alle die Traumgedanken nebeneinander, oder werden sie nacheinander durchlaufen, oder werden mehrere gleichzeitige Gedankengänge von verschiedenen Zentren aus gebildet, die dann zusammentreffen? Ich meine, es liegt noch keine Nötigung vor, sich von dem psychischen Zustand bei der Traumbildung eine plastische Vorstellung zu schaffen. Vergessen wir nur nicht, daß es sich um unbewußtes Denken handelt und daß der Vorgang leicht ein anderer sein kann als der, welchen wir beim absichtlichen, von Bewußtsein begleiteten Nachdenken in uns wahrnehmen. Die Tatsache aber, daß die Traumbildung auf einer Verdichtung beruht, steht unerschütterlich fest. Wie kommt diese Verdichtung nun zustande?
Wenn man erwägt, daß von den aufgefundenen Traumgedanken nur die wenigsten durch eines ihrer Vorstellungselemente im Traum vertreten sind, so sollte man schließen, die Verdichtung geschehe auf dem Wege der Ausla**ung, indem der Traum nicht eine getreuliche Übersetzung oder eine Projektion Punkt für Punkt der Traumgedanken, sondern eine höchst unvollständige und lückenhafte Wiedergabe derselben sei. Diese Einsicht ist, wie wir bald finden werden, eine sehr mangelhafte. Doch fußen wir zunächst auf ihr und fragen uns weiter: Wenn nur wenige Elemente aus den Traumgedanken in den Trauminhalt gelangen, welche Bedingungen bestimmen die Auswahl derselben?
Um hierüber Aufschluß zu bekommen, wendet man nun seine Aufmerksamkeit den Elementen des Trauminhalts zu, welche die gesuchten Bedingungen ja erfüllt haben müssen. Ein Traum, zu dessen Bildung eine besonders starke Verdichtung beigetragen, wird für diese Untersuchung das günstigste Material sein. Ich wähle
I
den auf S. 183 ff. mitgeteilten
Traum von der botanischen Monographie.
TRAUMINHALT: Ich habe eine Monographie über eine (unbestimmt gela**ene) Pflanzenart geschrieben. Das Buch liegt vor mir, ich blättere eben eine eingeschlagene farbige Tafel um. Dem Exemplar ist ein getrocknetes Spezimen der Pflanze beigebunden.
Das augenfälligste Element dieses Traums ist die botanische Monographie. Diese stammt aus den Eindrücken des Traumtages; in einem Schaufenster einer Buchhandlung hatte ich tatsächlich eine Monographie über die Gattung »Zyklamen« gesehen. Die Erwähnung dieser Gattung fehlt im Trauminhalt, in dem nur die Monographie und ihre Beziehung zur Botanik übriggeblieben sind. Die »botanische Monographie« erweist sofort ihre Beziehung zu der Arbeit über Kokain, die ich einmal geschrieben habe; vom Kokain aus geht die Gedankenverbindung einerseits zur Festschrift und zu gewissen Vorgängen in einem Universitätslaboratorium, anderseits zu meinem Freund, dem Augenarzt Dr. Königstein, der an der Verwertung des Kokains seinen Anteil gehabt hat. An die Person des Dr. K. knüpft sich weiter die Erinnerung an das unterbrochene Gespräch, das ich abends zuvor mit ihm geführt, und die vielfältigen Gedanken über die Entlohnung ärztlicher Leistungen unter Kollegen. Dieses Gespräch ist nun der eigentliche aktuelle Traumerreger; die Monographie über Zyklamen ist gleichfalls eine Aktualität, aber indifferenter Natur; wie ich sehe, erweist sich die »botanische Monographie« des Traumes als ein mittleres Gemeinsames zwischen beiden Erlebnissen des Tages, von dem indifferenten Eindruck unverändert übernommen, mit dem psychisch bedeutsamen Erlebnis durch ausgiebigste Assoziationsverbindungen verknüpft.
Aber nicht nur die zusammengesetzte Vorstellung »botanische Monographie«, sondern auch jedes ihrer Elemente »botanisch« und »Monographie« gesondert geht durch mehrfache Verbindungen tiefer und tiefer in das Gewirre der Traumgedanken ein. Zu »botanisch« gehören die Erinnerungen an die Person des Professors Gärtner, an seine blühende Frau, an meine Patientin, die Flora heißt, und an die Dame, von der ich die Geschichte mit den vergessenen Blumen erzählt habe. Gärtner führt neuerdings auf das Laboratorium und auf das Gespräch mit Königstein; in da**elbe Gespräch gehört die Erwähnung der beiden Patientinnen. Von der Frau mit den Blumen zweigt ein Gedankenweg zu den Lieblingsblumen meiner Frau ab, dessen anderer Ausgang im Titel der bei Tag flüchtig gesehenen Monographie liegt. Außerdem erinnert »botanisch« an eine Gymnasialepisode und an ein Examen der Universitätszeit, und ein neues, in jenem Gespräch angeschlagenes Thema, das meiner Liebhabereien, knüpft sich durch Vermittlung meiner scherzhaft so genannten Lieblingsblume, der Artischocke, an die von den vergessenen Blumen ausgehende Gedankenkette an; hinter »Artischocke« steckt die Erinnerung an Italien einerseits und an eine Kinderszene anderseits, mit der ich meine seither intim gewordenen Beziehungen zu Büchern eröffnet habe. »Botanisch« ist also ein wahrer Knotenpunkt, in welchem für den Traum zahlreiche Gedankengänge zusammentreffen, die, wie ich versichern kann, in jenem Gespräch mit Fug und Recht in Zusammenhang gebracht worden sind. Man befindet sich hier mitten in einer Gedankenfabrik, in der wie im Weber-Meisterstück
»Ein Tritt tausend Fäden regt,
Die Schifflein herüber, hinüber schießen,
Die Fäden ungesehen fließen,
Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt.«
»Monographie« im Traume rührt wiederum an zwei Themata, an die Einseitigkeit meiner Studien und an die Kostspieligkeit meiner Liebhabereien.
Aus dieser ersten Untersuchung holt man sich den Eindruck, daß die Elemente »botanisch« und »Monographie« darum in den Trauminhalt Aufnahme gefunden haben, weil sie mit den meisten Traumgedanken die ausgiebigsten Berührungen aufweisen können, also Knotenpunkte darstellen, in denen sehr viele der Traumgedanken zusammentreffen, weil sie mit Bezug auf die Traumdeutung vieldeutig sind. Man kann die dieser Erklärung zugrunde liegende Tatsache auch anders aussprechen und dann sagen: Jedes der Elemente des Trauminhaltes erweist sich als überdeterminiert, als mehrfach in den Traumgedanken vertreten. Wir erfahren mehr, wenn wir die übrigen Bestandteile des Traumes auf ihr Vorkommen in den Traumgedanken prüfen. Die farbige Tafel, die ich aufschlage, geht (vgl. die an*lyse S. 185 f.) auf ein neues Thema, die Kritik der Kollegen an meinen Arbeiten, und auf ein bereits im Traum vertretenes, meine Liebhabereien, außerdem auf die Kindererinnerung, in der ich ein Buch mit farbigen Tafeln zerpflücke, das getrocknete Exemplar der Pflanze rührt an das Gymnasialerlebnis vom Herbarium und hebt diese Erinnerung besonders hervor. Ich sehe also, welcher Art die Beziehung zwischen Trauminhalt und Traumgedanken ist: Nicht nur die Elemente des Traums sind durch die Traumgedanken mehrfach determiniert, sondern die einzelnen Traumgedanken sind auch im Traum durch mehrere Elemente vertreten. Von einem Element des Traums führt der Assoziationsweg zu mehreren Traumgedanken, von einem Traumgedanken zu mehreren Traumelementen. Die Traumbildung erfolgt also nicht so, daß der einzelne Traumgedanke oder eine Gruppe von solchen eine Abkürzung für den Trauminhalt liefert und dann der nächste Traumgedanke eine nächste Abkürzung als Vertretung, etwa wie aus einer Bevölkerung Volksvertreter gewählt werden, sondern die ganze Ma**e der Traumgedanken unterliegt einer gewissen Bearbeitung, nach welcher die meist- und bestunterstützten Elemente sich für den Eintritt in den Trauminhalt herausheben, etwa der Wahl durch Listenskrutinium an*log. Welchen Traum immer ich einer ähnlichen Zergliederung unterziehe, ich finde stets die nämlichen Grundsätze bestätigt, daß die Traumelemente aus der ganzen Ma**e der Traumgedanken gebildet werden und daß jedes von ihnen in bezug auf die Traumgedanken mehrfach determiniert erscheint.
Es ist gewiß nicht überflüssig, diese Relation von Trauminhalt und Traumgedanken an einem neuen Beispiel zu erweisen, welches sich durch besonders kunstvolle Verschlingung der wechselseitigen Beziehungen auszeichnet. Der Traum rührt von einem Patienten her, den ich wegen Angst in geschlossenen Räumen behandle. Es wird sich bald ergeben, weshalb ich mich veranlaßt finde, diese ausnehmend geistreiche Traumleistung in folgender Weise zu überschreiben:
II
»Ein schöner Traum«
Er fährt mit großer Gesellschaft in die X-Straße, in der sich ein bescheidenes Einkehrwirtshaus befindet (was nicht richtig ist). In den Räumen desselben wird Theater gespielt; er ist bald Publikum, bald Schauspieler. Am Ende heißt es, man müsse sich umziehen, um wieder in die Stadt zu kommen. Ein Teil des Personals wird in die Parterreräume verwiesen, ein anderer in die des ersten Stockes. Dann entsteht ein Streit. Die oben ärgern sich, daß die unten noch nicht fertig sind, so daß sie nicht herunter können. Sein Bruder ist oben, er unten, und er ärgert sich über den Bruder, daß man so gedrängt wird. (Diese Partie ist unklar.) Es war übrigens schon beim Ankommen bestimmt und eingeteilt, wer oben und wer unten sein soll. Dann geht er allein über die Anhöhe, welche die X-Straße gegen die Stadt hin macht, und geht so schwer, so mühselig, daß er nicht von der Stelle kommt. Ein älterer Herr gesellt sich zu ihm und schimpft über den König von Italien. Am Ende der Anhöhe geht er dann viel leichter.
Die Beschwerden beim Steigen waren so deutlich, daß er nach dem Erwachen eine Weile zweifelte, ob es Traum oder Wirklichkeit war.
Dem manifesten Inhalt nach wird man diesen Traum kaum loben können. Die Deutung will ich regelwidrig mit jenem Stück beginnen, welches vom Träumer als das deutlichste bezeichnet wurde.
Die geträumte und wahrscheinlich im Traum verspürte Beschwerde, das mühselige Steigen unter Dyspnoe, ist eines der Symptome, die der Patient vor Jahren wirklich gezeigt hatte, und wurde damals im Verein mit anderen Erscheinungen auf eine (wahrscheinlich hysterisch vorgetäuschte) Tuberkulose bezogen. Wir kennen bereits diese dem Traum eigentümliche Sensation der Gehhemmung aus den Exhibitionsträumen und finden hier wieder, daß sie als ein allezeit bereitliegendes Material zu Zwecken irgendwelcher anderen Darstellung verwendet wird. Das Stück des Trauminhalts, welches beschreibt, wie das Steigen anfänglich schwer war und am Ende der Anhöhe leicht wurde, erinnerte mich bei der Erzählung des Traums an die bekannte meisterhafte Introduktion der Sappho von Alphonse Daudet. Dort trägt ein junger Mann die Geliebte die Treppen hinauf, anfänglich wie federleicht; aber je weiter er steigt, desto schwerer lastet sie auf seinen Armen, und diese Szene ist vorbildlich für den Verlauf des Verhältnisses, durch dessen Schilderung Daudet die Jugend mahnen will, eine ernstere Neigung nicht an Mädchen von niedriger Herkunft und zweifelhafter Vergangenheit zu verschwenden [Fußnote]. Obwohl ich wußte, daß mein Patient vor kurzem ein Liebesverhältnis mit einer Dame vom Theater unterhalten und gelöst hatte, erwartete ich doch nicht, meinen Deutungseinfall berechtigt zu finden. Auch war es ja in der Sappho umgekehrt wie im Traum; in letzterem war das Steigen anfänglich schwer und späterhin leicht; im Roman diente es der Symbolik nur, wenn das, was zuerst leichtgenommen wurde, sich am Ende als eine schwere Last erwies. Zu meinem Erstaunen bemerkte der Patient, die Deutung stimme sehr wohl zum Inhalte des Stückes, das er am Abend vorher im Theater gesehen. Das Stück hieß Rund um Wien und behandelte den Lebenslauf eines Mädchens, das, zuerst anständig, dann zur Demimonde übergeht, Verhältnisse mit hochstehenden Personen anknüpft, dadurch »in die Höhe kommt«, endlich aber immer mehr »herunterkommt«. Das Stück hatte ihn auch an ein anderes vor Jahren gespieltes erinnert, welches den Titel trug Von Stufe zu Stufe und auf dessen Ankündigung eine aus mehreren Stufen bestehende Stiege zu sehen war.
Nun die weitere Deutung. In der X-Straße hatte die Schauspielerin gewohnt, mit welcher er das letzte, beziehungsreiche Verhältnis unterhalten. Ein Wirtshaus gibt es in dieser Straße nicht. Allein, als er der Dame zuliebe einen Teil des Sommers in Wien verbrachte, war er in einem kleinen Hotel in der Nähe abgestiegen. Beim Verla**en des Hotels sagte er dem Kutscher: Ich bin froh, daß ich wenigstens kein Ungeziefer bekommen habe! (Übrigens auch eine seiner Phobien.) Der Kutscher darauf: Wie kann man aber da absteigen! Das ist ja gar kein Hotel, eigentlich nur ein Einkehrwirtshaus.
An das Einkehrwirtshaus knüpft sich ihm sofort die Erinnerung eines Zitates:
»Bei einem Wirte wundermild,
Da war ich jüngst zu Gaste.«
Der Wirt im Uhlandschen Gedicht ist aber ein Apfelbaum. Nun setzt ein zweites Zitat die Gedankenkette fort:
Faust (mit der Jungen tanzend)
Einst hatt' ich einen schönen Traum;
Da sah ich einen Apfelbaum,
Zwei schöne Äpfel glänzten dran,
Sie reizten mich, ich stieg hinan.
Die Schöne
Der Äpfelchen begehrt ihr sehr,
Und schon vom Paradiese her.
Von Freuden fühl' ich mich bewegt,
Daß auch mein Garten solche trägt.
Es ist nicht der leiseste Zweifel möglich, was unter dem Apfelbaum und den Äpfelchen gemeint ist. Ein schöner Busen stand auch obenan unter den Reizen, durch welche die Schauspielerin meinen Träumer gefesselt hatte.
Wir hatten nach dem Zusammenhang der an*lyse allen Grund anzunehmen, daß der Traum auf einen Eindruck aus der Kindheit zurückgehe. Wenn dies richtig war, so mußte er sich auf die Amme des jetzt bald dreißigjährigen Mannes beziehen. Für das Kind ist der Busen der Amme tatsächlich das Einkehrwirtshaus. Die Amme sowohl als die Sappho Daudets erscheinen als Anspielung auf die vor kurzem verla**ene Geliebte.
Im Trauminhalt erscheint auch der (ältere) Bruder des Patienten, und zwar ist dieser oben, er selbst unten. Dies ist wieder eine Umkehrung des wirklichen Verhältnisses, denn der Bruder hat, wie mir bekannt ist, seine soziale Position verloren, mein Patient sie erhalten. Der Träumer vermied bei der Reproduktion des Trauminhaltes zu sagen: Der Bruder sei oben, er selbst »parterre« gewesen. Es wäre eine zu deutliche Äußerung geworden, denn man sagt bei uns von einer Person, sie ist »parterre«, wenn sie Vermögen und Stellung eingebüßt hat, also in ähnlicher Übertragung, wie man »heruntergekommen« gebraucht. Es muß nun einen Sinn haben, daß an dieser Stelle im Traum etwas umgekehrt dargestellt ist. Die Umkehrung muß auch für eine andere Beziehung zwischen Traumgedanken und Trauminhalt gelten. Es liegt der Hinweis darauf vor, wie diese Umkehrung vorzunehmen ist. Offenbar am Ende des Traumes, wo es sich mit dem Steigen wiederum umgekehrt verhält wie in der Sappho. Dann ergibt sich leicht, welche Umkehrung gemeint ist: In der Sappho trägt der Mann das zu ihm in s**uellen Beziehungen stehende Weib; in den Traumgedanken handelt es sich also umgekehrt um ein Weib, das den Mann trägt, und da dieser Fall sich nur in der Kindheit ereignen kann, bezieht es sich wieder auf die Amme, die schwer an dem Säugling trägt. Der Schluß des Traumes trifft es also, die Sappho und die Amme in der nämlichen Andeutung darzustellen.
Wie der Name Sappho vom Dichter nicht ohne Beziehung auf eine lesbische Gewohnheit gewählt ist, so deuten die Stücke des Traumes, in denen Personen oben und unten beschäftigt sind, auf Phantasien s**uellen Inhalts, die den Träumer beschäftigen und als unterdrückte Gelüste nicht außer Zusammenhang mit seiner Neurose stehen. Daß es Phantasien und nicht Erinnerungen der tatsächlichen Vorgänge sind, die so im Traum dargestellt werden, zeigt die Traumdeutung selbst nicht an; dieselbe liefert uns nur einen Gedankeninhalt und überläßt es uns, dessen Realitätswert festzustellen. Wirkliche und phantasierte Begebenheiten erscheinen hier – und nicht nur hier, auch bei der Schöpfung wichtigerer psychischer Gebilde als der Träume – zunächst als gleichwertig. Große Gesellschaft bedeutet, wie wir bereits wissen, Geheimnis. Der Bruder ist nichts anderes als der in die Kindheitsszene durch »Zurückphantasieren« eingetragene Vertreter aller späteren Nebenbuhler beim Weibe. Die Episode von dem Herrn, der auf den König von Italien schimpft, bezieht sich durch Vermittlung eines rezenten und an sich gleichgültigen Erlebnisses wiederum auf das Eindrängen von Personen niederen Standes in höhere Gesellschaft. Es ist, als ob der Warnung, welche Daudet dem Jüngling erteilt, eine ähnliche, für das saugende Kind gültige an die Seite gestellt werden sollte [Fußnote].
Um ein drittes Beispiel für das Studium der Verdichtung bei der Traumbildung bereitzuhaben, teile ich die partielle an*lyse eines anderen Traumes mit, den ich einer älteren, in psychoan*lytischer Behandlung stehenden Dame verdanke. Den schweren Angstzuständen entsprechend, an denen die Kranke litt, enthielten ihre Träume überreichlich s**uelles Gedankenmaterial, dessen Kenntnisnahme sie anfangs ebensosehr überraschte wie erschreckte. Da ich die Traumdeutung nicht bis zum Ende führen kann, scheint das Traummaterial in mehrere Gruppen ohne sichtbaren Zusammenhang zu zerfallen.
III
»Der Käfertraum«
TRAUMINHALT: Sie besinnt sich, daß sie zwei Maikäfer in einer Schachtel hat, denen sie die Freiheit geben muß, weil sie sonst ersticken. Sie öffnet die Schachtel, die Käfer sind ganz matt; einer fliegt zum geöffneten Fenster hinaus, der andere aber wird vom Fensterflügel zerquetscht, während sie das Fenster schließt, wie irgend jemand von ihr verlangt (Äußerungen des Ekels).
an*lYSE: Ihr Mann ist verreist, die vierzehnjährige Tochter schläft im Bette neben ihr. Die Kleine macht sie am Abend aufmerksam, daß eine Motte in ihr Wa**erglas gefallen ist; sie versäumt es aber, sie herauszuholen, und bedauert das arme Tierchen am Morgen. In ihrer Abendlektüre war erzählt, wie Buben eine Katze in siedendes Wa**er werfen, und die Zuckungen des Tieres geschildert. Dies sind die beiden an sich gleichgültigen Traumanlässe. Das Thema von der Grausamkeit gegen Tiere beschäftigt sie weiter. Ihre Tochter war vor Jahren, als sie in einer gewissen Gegend im Sommer wohnten, sehr grausam gegen das Getier. Sie legte sich eine Schmetterlingssammlung an und verlangte von ihr Arsenik zur Tötung der Schmetterlinge. Einmal kam es vor, daß ein Nachtfalter mit der Nadel durch den Leib noch lange im Zimmer herumflog; ein andermal fanden sich einige Raupen, die zur Verpuppung aufbewahrt wurden, verhungert. Da**elbe Kind pflegte in noch zarterem Alter Käfern und Schmetterlingen die Flügel auszureißen; heute würde sie vor all diesen grausamen Handlungen zurückschrecken; sie ist so gutmütig geworden.
Dieser Widerspruch beschäftigt sie. Er erinnert an einen anderen Widerspruch, den zwischen Aussehen und Gesinnung, wie er in Adam Bede von der Eliot dargestellt ist. Ein schönes, aber eitles und ganz dummes Mädchen, daneben ein häßliches, aber edles. Der Aristokrat, der das Gänschen verführt; der Arbeiter, der adelig fühlt und sich ebenso benimmt. Man kann das den Leuten nicht ansehen. Wer würde ihr ansehen, daß sie von sinnlichen Wünschen geplagt wird?
In demselben Jahre, als die Kleine ihre Schmetterlingssammlung anlegte, litt die Gegend arg unter der Maikäferplage. Die Kinder wüteten gegen die Käfer, zerquetschten sie grausam. Sie hat damals einen Menschen gesehen, der den Maikäfern die Flügel ausriß und die Leiber dann verspeiste. Sie selbst ist im Mai geboren, hat auch im Mai geheiratet. Drei Tage nach der Hochzeit schrieb sie den Eltern einen Brief nach Hause, wie glücklich sie sei. Sie war es aber keineswegs.
Am Abend vor dem Traum hatte sie in alten Briefen gekramt und verschiedene ernste und komische Briefe den Ihrigen vorgelesen, so einen höchst lächerlichen Brief eines Klavierlehrers, der ihr als Mädchen den Hof gemacht hatte, auch den eines aristokratischen Verehrers [Fußnote].
Sie macht sich Vorwürfe, daß eine ihrer Töchter ein schlechtes Buch von Maupa**ant in die Hand bekommen [Fußnote]. Das Arsenik, das ihre Kleine verlangt, erinnert sie an die Arsenikpillen, die dem Duc de Mora im Nabab die Jugendkraft wiedergeben. Zu »Freiheit geben« fällt ihr die Stelle aus der Zauberflöte ein:
»Zur Liebe kann ich dich nicht zwingen,
Doch geb ich dir die Freiheit nicht.«
Zu den »Maikäfern« noch die Rede des Käthchens [Fußnote]:
»Verliebt ja wie ein Käfer bist du mir.«
Dazwischen Tannhäuser: »Weil du von böser Lust beseelt –«. Sie lebt in Angst und Sorge um den abwesenden Mann. Die Furcht, daß ihm auf der Reise etwas zustoße, äußert sich in zahlreichen Phantasien des Tages. Kurz vorher hatte sie in ihren unbewußten Gedanken während der an*lyse eine Klage über seine »Greisenhaftigkeit« gefunden. Der Wunschgedanke, welchen dieser Traum verhüllt, läßt sich vielleicht am besten erraten, wenn ich erzähle, daß sie mehrere Tage vor dem Traum plötzlich mitten in ihren Beschäftigungen durch den gegen ihren Mann gerichteten Imperativ erschreckt wurde: Häng' dich auf. Es ergab sich, daß sie einige Stunden vorher irgendwo gelesen hatte, beim Erhängen stelle sich eine kräftige Erektion ein. Es war der Wunsch nach dieser Erektion, der in dieser schreckenerregenden Verkleidung aus der Verdrängung wiederkehrte. »Häng' dich auf« besagte so viel als »Verschaff dir eine Erektion um jeden Preis«. Die Arsenikpillen des Dr. Jenkins im Nabab gehören hieher; es war der Patientin aber auch bekannt, daß man das stärkste Aphrodisiakum, Kanthariden, durch Zerquetschen von Käfern bereitet (sog. spanische Fliegen). Auf diesen Sinn zielt der Hauptbestandteil des Trauminhalts.
Die TraumdeutungDas Fenster öffnen und schließen ist eine der ständigen Differenzen mit ihrem Manne. Sie selbst schläft aerophil, der Mann aerophob. Die Mattigkeit ist das Hauptsymptom, über das sie in diesen Tagen zu klagen hatte.
In allen drei hier mitgeteilten Träumen habe ich durch die Schrift hervorgehoben, wo eines der Traumelemente in den Traumgedanken wiederkehrt, um die mehrfache Beziehung der ersteren augenfällig zu machen. Da aber für keinen dieser Träume die an*lyse bis zum Ende geführt ist, verlohnt es sich wohl, auf einen Traum mit ausführlicher mitgeteilter an*lyse einzugehen, um die Überdeterminierung des Trauminhalts an ihm zu erweisen. Ich wähle hiefür den Traum von Irmas Injektion. Wir werden an diesem Beispiel mühelos erkennen, daß die Verdichtungsarbeit bei der Traumbildung sich mehr als nur eines Mittels bedient.
Die Hauptperson des Trauminhalts ist die Patientin Irma, die mit den ihr im Leben zukommenden Zügen gesehen wurde und also zunächst sich selbst darstellt. Die Stellung aber, in welcher ich sie beim Fenster untersuche, ist von einer Erinnerung an eine andere Person hergenommen, von jener Dame, mit der ich meine Patientin vertauschen möchte, wie die Traumgedanken zeigen. Insofern Irma einen diphtheritischen Belag erkennen läßt, bei dem die Sorge um meine älteste Tochter erinnert wird, gelangt sie zur Darstellung dieses meines Kindes, hinter welchem, durch die Namensgleichheit mit ihm verknüpft, die Person einer durch Intoxikation verlorenen Patientin sich verbirgt. Im weiteren Verlauf des Traums wandelt sich die Bedeutung von Irmas Persönlichkeit (ohne daß ihr im Traum gesehenes Bild sich änderte); sie wird zu einem der Kinder, die wir in der öffentlichen Ordination des Kinder-Krankeninstituts untersuchen, wobei meine Freunde die Verschiedenheit ihrer geistigen Anlagen erweisen. Der Übergang wurde offenbar durch die Vorstellung meiner kindlichen Tochter vermittelt. Durch das Sträuben beim Mundöffnen wird dieselbe Irma zur Anspielung auf eine andere, einmal von mir untersuchte Dame, ferner in demselben Zusammenhang auf meine eigene Frau. In den krankhaften Veränderungen, die ich in ihrem Hals entdecke, habe ich überdies Anspielungen auf eine ganze Reihe von noch anderen Personen zusammengetragen.
All diese Personen, auf die ich bei der Verfolgung von »Irma« gerate, treten im Traum nicht leibhaftig auf; sie verbergen sich hinter der Traumperson »Irma«, welche so zu einem Sammelbild mit allerdings widerspruchsvollen Zügen ausgestaltet wird. Irma wird zur Vertreterin dieser anderen, bei der Verdichtungsarbeit hingeopferten Personen, indem ich an ihr all das vorgehen la**e, was mich Zug für Zug an diese Personen erinnert.
Ich kann mir eine Sammelperson auch auf andere Weise für die Traumverdichtung herstellen, indem ich aktuelle Züge zweier oder mehrerer Personen zu einem Traumbilde vereinige. Solcherart ist der Dr. M. meines Traumes entstanden, er trägt den Namen des Dr. M., spricht und handelt wie er; seine leibliche Charakteristik und sein Leiden sind die einer anderen Person, meines ältesten Bruders; ein einziger Zug, das bla**e Aussehen, ist doppelt determiniert, indem er in der Realität beiden Personen gemeinsam ist.
Eine ähnliche Mischperson ist der Dr. R. meines Onkeltraums. Hier aber ist das Traumbild noch auf andere Weise bereitet. Ich habe nicht Züge, die dem einen eigen sind, mit den Zügen des anderen vereinigt und dafür das Erinnerungsbild eines jeden um gewisse Züge verkürzt, sondern ich habe das Verfahren eingeschlagen, nach welchem Galton seine Familienporträts erzeugt, nämlich beide Bilder aufeinanderprojiziert, wobei die gemeinsamen Züge verstärkt hervortreten, die nicht zusammenstimmenden einander auslöschen und im Bilde undeutlich werden. Im Onkeltraum hebt sich so als verstärkter Zug aus der zwei Personen gehörigen und darum verschwommenen Physiognomie der blonde Bart hervor, der überdies eine Anspielung auf meinen Vater und auf mich enthält, vermittelt durch die Beziehung zum Ergrauen.
Die Herstellung von Sammel- und Mischpersonen ist eines der Hauptarbeitsmittel der Traumverdichtung. Es wird sich bald der Anlaß ergeben, sie in einem anderen Zusammenhange zu behandeln.
Der Einfall »Dysenterie« im Injektionstraum ist gleichfalls mehrfach determiniert, einerseits durch den paraphasischen Gleichklang mit Diphtherie, anderseits durch die Beziehung auf den von mir in den Orient geschickten Patienten, dessen Hysterie verkannt wird.
Als ein interessanter Fall von Verdichtung erweist sich auch die Erwähnung von »Propylen« im Traum. In den Traumgedanken war nicht »Propylen«, sondern »Amylen« enthalten. Man könnte meinen, daß hier eine einfache Verschiebung bei der Traumbildung Platz gegriffen hat. So ist es auch, allein diese Verschiebung dient den Zwecken der Verdichtung, wie folgender Nachtrag zur Trauman*lyse zeigt. Wenn meine Aufmerksamkeit bei dem Worte »Propylen« noch einen Moment haltmacht, so fällt mir der Gleichklang mit dem Worte »Propyläen« ein. Die Propyläen befinden sich aber nicht nur in Athen, sondern auch in München. In dieser Stadt habe ich ein Jahr vor dem Traum meinen damals schwerkranken Freund aufgesucht, dessen Erwähnung durch das bald auf Propylen folgende Trimethylamin des Traumes unverkennbar wird.
Ich gehe über den auffälligen Umstand hinweg, daß hier und anderswo bei der Trauman*lyse Assoziationen von der verschiedensten Wertigkeit wie gleichwertig zur Gedankenverbindung benützt werden, und gebe der Versuchung nach, mir den Vorgang bei der Ersetzung von Amylen in den Traumgedanken durch Propylen in dem Trauminhalt gleichsam plastisch vorzustellen.
Hier befinde sich die Vorstellungsgruppe meines Freundes Otto, der mich nicht versteht, mir unrecht gibt und mir nach Amylen duftenden Likör schenkt; dort durch Gegensatz verbunden die meines Berliner Freundes, der mich versteht, mir recht geben würde und dem ich soviel wertvolle Mitteilungen, auch über die Chemie der Sexualvorgänge, verdanke.
Was aus der Gruppe Otto meine Aufmerksamkeit besonders erregen soll, ist durch die rezenten, den Traum erregenden Anlässe bestimmt; das Amylen gehört zu diesen ausgezeichneten, für den Trauminhalt prädestinierten Elementen. Die reiche Vorstellungsgruppe »Wilhelm« wird geradezu durch den Gegensatz zu Otto belebt und die Elemente in ihr hervorgehoben, welche an die bereits erregten in Otto anklingen. In diesem ganzen Traum rekurriere ich ja von einer Person, die mein Mißfallen erregt, auf eine andere, die ich ihr nach Wunsch entgegenstellen kann, rufe ich Zug für Zug den Freund gegen den Widersacher auf. So erweckt das Amylen bei Otto auch in der anderen Gruppe Erinnerungen aus dem Kreis der Chemie; das Trimethylamin, von mehreren Seiten her unterstützt, gelangt in den Trauminhalt. Auch »Amylen« könnte unverwandelt in den Trauminhalt kommen, es unterliegt aber der Einwirkung der Gruppe »Wilhelm«, indem aus dem ganzen Erinnerungsumfang, den dieser Name deckt, ein Element hervorgesucht wird, welches eine doppelte Determinierung für Amylen ergeben kann. In der Nähe von Amylen liegt für die Assoziation »Propylen«; aus dem Kreise »Wilhelm« kommt ihm München mit den Propyläen entgegen. In Propylen-Propyläen treffen beide Vorstellungskreise zusammen. Wie durch einen Kompromiß gelangt dieses mittlere Element dann in den Trauminhalt. Es ist hier ein mittleres Gemeinsames geschaffen worden, welches mehrfache Determinierung zuläßt. Wir greifen so mit Händen, daß die mehrfache Determinierung das Durchdringen in den Trauminhalt erleichtern muß. Zum Zwecke dieser Mittelbildung ist unbedenklich eine Verschiebung der Aufmerksamkeit von dem eigentlich Gemeinten zu einem in der Assoziation Naheliegenden vorgenommen worden.
Das Studium des Injektionstraums gestattet uns bereits, einige Übersicht über die Verdichtungsvorgänge bei der Traumbildung zu gewinnen. Wir konnten die Auswahl der mehrfach in den Traumgedanken vorkommenden Elemente, die Bildung neuer Einheiten (Sammelpersonen, Mischgebilde) und die Herstellung von mittleren Gemeinsamen als Einzelheiten der Verdichtungsarbeit erkennen. Wozu die Verdichtung dient und wodurch sie gefordert wird, werden wir uns erst fragen, wenn wir die psychischen Vorgänge bei der Traumbildung im Zusammenhange erfa**en wollen. Begnügen wir uns jetzt mit der Feststellung der Traumverdichtung als einer bemerkenswerten Relation zwischen Traumgedanken und Trauminhalt.
Am greifbarsten wird die Verdichtungsarbeit des Traums, wenn sie Worte und Namen zu ihren Objekten gewählt hat. Worte werden vom Traum überhaupt häufig wie Dinge behandelt und erfahren dann dieselben Zusammensetzungen wie die Dingvorstellungen. Komische und seltsame Wortschöpfungen sind das Ergebnis solcher Träume.
I
Als mir einmal ein Kollege einen von ihm verfaßten Aufsatz überschickte, in welchem eine physiologische Entdeckung der Neuzeit nach meinem Urteil überschätzt und vor allem in überschwenglichen Ausdrücken abgehandelt war, da träumte ich die nächste Nacht einen Satz, der sich offenbar auf diese Abhandlung bezog: »Das ist ein wahrhaft norekdaler Stil.« Die Auflösung des Wortgebildes bereitete mir anfänglich Schwierigkeiten; es war nicht zweifelhaft, daß es den Superlativen »kolossal, pyramidal« parodistisch nachgeschaffen war; aber woher es stammte, war nicht leicht zu sagen. Endlich zerfiel mir das Ungetüm in die beiden Namen Nora und Ekdal aus zwei bekannten Schauspielen von Ibsen. Von demselben Autor, dessen letztes Opus ich im Traum also kritisierte, hatte ich vorher einen Zeitungsaufsatz über Ibsen gelesen.
II
Eine meiner Patientinnen teilt mir einen kurzen Traum mit, der in eine unsinnige Wortkombination ausläuft. Sie befindet sich mit ihrem Manne bei einer Bauernfestlichkeit und sagt dann: |»Das wird in einen allgemeinen ›Maistollmütz‹ ausgehen.« Dabei im Traum der dunkle Gedanke, das sei eine Mehlspeise aus Mais, eine Art Polenta. Die an*lyse zerlegt das Wort in Mais – toll – mannstoll – Olmütz, welche Stücke sich sämtlich als Rest einer Konversation bei Tisch mit ihren Verwandten erkennen la**en. Hinter Mais verbergen sich außer der Anspielung auf die eben eröffnete Jubiläumsausstellung die Worte: Meißen (eine Meißner Porzellanfigur, die einen Vogel darstellt), Miß (die Engländerin ihrer Verwandten war nach Olmütz gereist), mies = ekel, übel im scherzhaft gebrauchten jüdischen Jargon, und eine lange Kette von Gedanken und Anknüpfungen ging von jeder der Silben des Wortklumpens ab.
III
Ein junger Mann, bei dem ein Bekannter spät abends angeläutet hat, um eine Besuchskarte abzugeben, träumt in der darauffolgenden Nacht: Ein Geschäftsmann wartet spät abends, um den Zimmertelegraphen zu richten. Nachdem er weggegangen ist, läutet es noch immer, nicht kontinuierlich, sondern nur in einzelnen Schlägen. Der Diener holt den Mann wieder, und der sagt: Es ist doch merkwürdig, daß auch Leute, die sonst tutelrein sind, solche Angelegenheiten nicht zu behandeln verstehen.
Der indifferente Traumanlaß deckt, wie man sieht, nur eines der Elemente des Traumes. Zur Bedeutung ist er überhaupt nur gekommen, indem er sich an ein früheres Erlebnis des Träumers angereiht hat, das, an sich auch gleichgültig, von seiner Phantasie mit stellvertretender Bedeutung ausgestattet wurde. Als Knabe, der mit seinem Vater wohnte, schüttete er einmal schlaftrunken ein Glas Wa**er auf den Boden, so daß das Kabel des Zimmertelegraphen durchtränkt wurde und das kontinuierliche Läuten den Vater im Schlaf störte. Da das kontinuierliche Läuten dem Naßwerden entspricht, so werden dann »einzelne Schläge« zur Darstellung des Tropfenfallens verwendet. Das Wort »tutelrein« zerlegt sich aber nach drei Richtungen und zielt damit auf drei der in den Traumgedanken vertretenen Materien: »Tutel« = Kuratel bedeutet Vormundschaft; Tutel (vielleicht »Tuttel«) ist eine vulgäre Bezeichnung der weiblichen Brust, und Bestandteil »rein« übernimmt die ersten Silben des Zimmertelegraphen um »zimmerrein« zu bilden, was mit dem Naßmachen des Fußbodens viel zu tun hat und überdies an einen der in der Familie des Träumers vertretenen Namen anklingt [Fußnote].
IV
In einem längeren wüsten Traum von mir, der eine Schiffsreise zum scheinbaren Mittelpunkt hat, kommt es vor, daß die nächste Station Hearsing heißt, die nächst weitere aber Fließ. Letzteres ist der Name meines Freundes in B., der oft das Ziel meiner Reise gewesen ist. Hearsing aber ist kombiniert aus den Ortsnamen unserer Wiener Lokalstrecke, die so häufig auf ing ausgehen: Hietzing, Liesing, Mödling (Medelitz, meae deliciae der alte Name, also »meine Freud«), und dem englischen Hearsay = Hörensagen, was auf Verleumdung deutet und die Beziehung zu dem indifferenten Traumerreger des Tages herstellt, einem Gedicht in den Fliegenden Blättern von einem verleumderischen Zwerg, »Sagter Hatergesagt«. Durch Beziehung der Endsilbe »ing« zum Namen Fließ gewinnt man »Vlissingen«, wirklich die Station der Seereise, die mein Bruder berührt, wenn er von England zu uns auf Besuch kommt. Der englische Name von Vlissingen lautet aber Flushing, was in englischer Sprache Erröten bedeutet und an die Patienten mit »Errötensangst« mahnt, die ich behandle, auch an eine rezente Publikation Bechterews über diese Neurose, die mir Anlaß zu ärgerlichen Empfindungen gegeben hat.
V
Ein anderes Mal habe ich einen Traum, der aus zwei gesonderten Stücken besteht. Das erste ist das lebhaft erinnerte Wort »Autodidasker«, das andere deckt sich getreu mit einer vor Tagen produzierten, kurzen und harmlosen Phantasie des Inhalts, daß ich dem Professor N., wenn ich ihn nächstens sehe, sagen muß: »Der Patient, über dessen Zustand ich Sie zuletzt konsultiert habe, leidet wirklich nur an einer Neurose, ganz wie Sie vermutet haben.« Das neugebildete »Autodidasker« hat nun nicht nur der Anforderung zu genügen, daß es komprimierten Sinn enthält oder vertritt, es soll auch dieser Sinn in gutem Zusammenhange mit meinem aus dem Wachen wiederholten Vorsatze stehen, dem Professor N. jene Genugtuung zu geben.
Nun zerlegt sich Autodidasker leicht in Autor, Autodidakt und Lasker, an den sich der Name La**alle schließt. Die ersten dieser Worte führen zu der – dieses Mal bedeutsamen – Veranla**ung des Traumes: Ich hatte meiner Frau mehrere Bände eines bekannten Autors mitgebracht, mit dem mein Bruder befreundet ist und der, wie ich erfahren habe, aus demselben Orte stammt wie ich (J. J. David). Eines Abends sprach sie mit mir über den tiefen Eindruck, den ihr die ergreifend traurige Geschichte eines verkommenen Talents in einer der Davidschen Novellen gemacht hatte, und unsere Unterhaltung wendete sich darauf den Spuren von Begabung zu, die wir an unseren eigenen Kindern wahrnehmen. Unter der Herrschaft des eben Gelesenen äußerte sie eine Besorgnis, die sich auf die Kinder bezog, und ich tröstete sie mit der Bemerkung, daß gerade solche Gefahren durch die Erziehung abgewendet werden können. In der Nacht ging mein Gedankengang weiter, nahm die Besorgnisse meiner Frau auf und verwob allerlei anderes damit. Eine Äußerung, die der Dichter gegen meinen Bruder in bezug auf das Heiraten getan hatte, zeigte meinen Gedanken einen Nebenweg, der zur Darstellung im Traum führen konnte. Dieser Weg leitete nach Breslau, wohin eine uns sehr befreundete Dame geheiratet hatte. Für die Besorgnis, am Weibe zugrunde zu gehen, die den Kern meiner Traumgedanken bildete, fand ich in Breslau die Exempel Lasker und La**alle auf, die mir gleichzeitig die beiden Arten dieser Beeinflussung zum Unheil darzustellen gestatteten [Fußnote]. Das »cherchez la femme«, in dem sich diese Gedanken zusammenfa**en la**en, bringt mich in anderem Sinn auf meinen noch unverheirateten Bruder, der Alexander heißt. Nun merke ich, daß Alex, wie wir den Namen abkürzen, fast wie eine Umstellung von Lasker klingt und daß dieses Moment mitgewirkt haben muß, meinen Gedanken die Umwegsrichtung über Breslau mitzuteilen.
Die Spielerei mit Namen und Silben, die ich hier treibe, enthält aber noch einen weiteren Sinn. Sie vertritt den Wunsch eines glücklichen Familienlebens für meinen Bruder, und zwar auf folgendem Weg: In dem Künstlerroman L'oeuvre, der meinen Traumgedanken inhaltlich naheliegen mußte, hat der Dichter bekanntlich sich selbst und sein eigenes Familienglück episodisch mitgeschildert und tritt darin unter dem Namen Sandoz auf. Wahrscheinlich hat er bei der Namensverwandlung folgenden Weg eingeschlagen: Zola gibt umgekehrt (wie die Kinder so gerne zu tun pflegen) Aloz. Das war ihm wohl noch zu unverhüllt; darum ersetzte sich ihm die Silbe Al, die auch den Namen Alexander einleitet, durch die dritte Silbe desselben Namens sand und so kam Sandoz zustande. So ähnlich entstand also auch mein Autodidasker.
Meine Phantasie, daß ich Professor N. erzähle, der von uns beiden gesehene Kranke leide nur an einer Neurose, ist auf folgende Weise in den Traum gekommen. Kurz vor Schluß meines Arbeitsjahrs bekam ich einen Patienten, bei dem mich meine Diagnostik im Stiche ließ. Es war ein schweres organisches Leiden, vielleicht eine Rückenmarksveränderung, anzunehmen, aber nicht zu beweisen. Eine Neurose zu diagnostizieren wäre verlockend gewesen und hätte allen Schwierigkeiten ein Ende bereitet, wenn nicht die s**uelle Anamnese, ohne die ich keine Neurose anerkennen will, vom Kranken so energisch in Abrede gestellt worden wäre. In meiner Verlegenheit rief ich den Arzt zur Hilfe, den ich menschlich am meisten verehre (wie andere auch) und vor dessen Autorität ich mich am ehesten beuge. Er hörte meine Zweifel an, hieß sie berechtigt und meinte dann: »Beobachten Sie den Mann weiter, es wird Neurose sein.« Da ich weiß, daß er meine Ansichten über die Ätiologie der Neurosen nicht teilt, hielt ich meinen Widerspruch zurück, verbarg aber nicht meinen Unglauben. Einige Tage später machte ich dem Kranken die Mitteilung, daß ich mit ihm nichts anzufangen wisse, und riet ihm, sich an einen anderen zu wenden. Da begann er zu meiner höchsten Überraschung, mich um Verzeihung zu bitten, daß er mich belogen habe; er habe sich so sehr geschämt, und nun enthüllte er mir gerade das Stück s**ueller Ätiologie, das ich erwartet hatte und dessen ich zur Annahme einer Neurose bedurfte. Mir war es eine Erleichterung, aber auch gleichzeitig eine Beschämung; ich mußte mir zugestehen, daß mein Consiliarius, durch die Berücksichtigung der Anamnese unbeirrt, richtiger gesehen hatte. Ich nahm mir vor, es ihm zu sagen, wenn ich ihn wiedersehe, ihm zu sagen, daß er recht gehabt habe und ich unrecht.
Gerade das tue ich nun im Traum. Aber was für Wunscherfüllung soll es denn sein, wenn ich bekenne, daß ich unrecht habe? Gerade das ist mein Wunsch; ich möchte unrecht haben mit meinen Befürchtungen, respektive ich möchte, daß meine Frau, deren Befürchtungen ich in den Traumgedanken mir angeeignet habe, unrecht behält. Das Thema, auf welches sich das Recht- oder Unrechtbehalten im Traum bezieht, ist von dem für die Traumgedanken wirklich Interessanten nicht weitab gelegen. Dieselbe Alternative der organischen oder der funktionellen Schädigung durch das Weib, eigentlich durch das Sexualleben: Tabes-Paralyse oder Neurose, an welch letztere sich die Art des Untergangs von La**alle lockerer anreiht.
Professor N. spielt in diesem festgefügten (und bei sorgfältiger Deutung ganz durchsichtigen) Traum nicht nur wegen dieser an*logie und wegen meines Wunsches, unrecht zu behalten, eine Rolle – auch nicht wegen seiner nebenhergehenden Beziehungen zu Breslau und zur Familie unserer dorthin verheirateten Freundin –, sondern auch wegen folgender kleinen Begebenheit, die sich an unsere Konsultation anschloß. Nachdem er mit jener Vermutung die ärztliche Aufgabe erledigt hatte, wandte sich sein Interesse persönlichen Dingen zu. »Wieviel Kinder haben Sie jetzt?« – »Sechs.« – Eine Gebärde von Respekt und Bedenklichkeit. – »Mädel, Buben?« – »Drei und drei, das ist mein Stolz und mein Reichtum.« »Nun geben Sie acht, mit den Mädeln geht es ja gut, aber die Buben machen einem später Schwierigkeiten in der Erziehung.« – Ich wendete ein, daß sie bis jetzt recht zahm geblieben sind; offenbar behagte mir diese zweite Diagnose über die Zukunft meiner Buben ebensowenig wie die früher gefällte, daß mein Patient nur eine Neurose habe. Diese beiden Eindrücke sind also durch Kontiguität, durch das Erleben in einem Zuge verbunden, und wenn ich die Geschichte von der Neurose in den Traum nehme, ersetze ich durch sie die Rede über die Erziehung, die noch mehr Zusammenhang mit den Traumgedanken aufweist, da sie so nahe an die später geäußerten Besorgnisse meiner Frau rührt. So findet selbst meine Angst, daß N. mit den Bemerkungen über die Erziehungsschwierigkeiten bei den Buben recht behalten möge, Eingang in den Trauminhalt, indem sie sich hinter der Darstellung meines Wunsches, daß ich mit solchen Befürchtungen unrecht haben möge, verbirgt. Dieselbe Phantasie dient unverändert der Darstellung beider gegensätzlicher Glieder der Alternative.
VI
Marcinowski: »Heute früh erlebte ich zwischen Traum und Wachen eine sehr hübsche Wortverdichtung. Im Ablauf einer Fülle von kaum erinnerbaren Traumbruchstücken stutzte ich gewissermaßen über ein Wort, das ich halb wie geschrieben, halb wie gedruckt vor mir sehe. Es lautet: ›erzefilisch‹ und gehört zu einem Satz, der außerhalb jedes Zusammenhanges völlig isoliert in mein bewußtes Erinnern hinüberglitt; er lautete: ›Das wirkt erzefilisch auf die Geschlechtsempfindung.‹ Ich wußte sofort, daß es eigentlich ›erzieherisch‹ heißen solle, schwa*kte auch einigemal hin und her, ob es nicht richtiger ›erzifilisch‹ heiße. Dabei fiel mir das Wort Syphilis ein, und ich zerbrach mir, noch im Halbschlaf zu an*lysieren beginnend, den Kopf, wie das wohl in meinen Traum hineinkäme, da ich weder persönlich noch von Berufs wegen irgendwelche Berührungspunkte mit dieser Krankheit habe. Dann fiel mir ein ›erzehlerisch‹, das e erklärend und zu gleicher Zeit erklärend, daß ich gestern abend von unserer ›Erzieherin‹ veranlaßt wurde, über das Problem der Prostitution zu sprechen, und ich hatte ihr dabei tatsächlich, um ›erzieherisch‹ auf ihr nicht ganz normal entwickeltes Empfindungsleben einzuwirken, das Buch von Hesse Über die Prostitution gegeben, nachdem ich ihr mancherlei über das Problem erzählt hatte. Und nun wurde mir auf einmal klar, daß das Wort ›Syphilis‹ nicht im wörtlichen Sinne zu nehmen sei, sondern für Gift stand, in Beziehung natürlich zum Geschlechtsleben. Der Satz lautet also in der Übersetzung ganz logisch: ›Durch meine Erzählung habe ich auf meine Erzieherin erzieherisch auf deren Empfindungsleben einwirken wollen, aber habe die Befürchtung, daß es zu gleicher Zeit vergiftend wirken könne.‹ Erzefilisch = erzäh – (erzieh –) (erzefilisch).«
Die Wortverbildungen des Traumes ähneln sehr den bei der Paranoia bekannten, die aber auch bei Hysterie und Zwangsvorstellungen nicht vermißt werden. Die Sprachkünste der Kinder, die zu gewissen Zeiten die Worte tatsächlich wie Objekte behandeln, auch neue Sprachen und artifizielle Wortfügungen erfinden, sind für den Traum wie für die Psychoneurosen hier die gemeinsame Quelle.
Die an*lyse unsinniger Wortbildungen im Traume ist besonders dazu geeignet, die Verdichtungsleistung der Traumarbeit aufzuzeigen. Man möge aus der hier verwendeten geringen Auswahl von Beispielen nicht den Schluß ziehen, daß solches Material selten oder gar nur ausnahmsweise zur Beobachtung kommt. Es ist vielmehr sehr häufig, allein die Abhängigkeit der Traumdeutung von der psychoan*lytischen Behandlung hat die Folge, daß die wenigsten Beispiele angemerkt und mitgeteilt werden und daß die mitgeteilten an*lysen meist nur für den Kenner der Neurosenpathologie verständlich sind. So ein Traum von Dr. v. Karpinska (1914), der die sinnlose Wortbildung »Svingnum elvi« enthält. Erwähnenswert ist noch der Fall, daß im Traum ein an sich nicht bedeutungsloses Wort erscheint, das aber, seiner eigentlichen Bedeutung entfremdet, verschiedene andere Bedeutungen zusammenfaßt, zu denen es sich wie ein »sinnloses« Wort verhält. Dies ist in dem Traum von der »Kategorie« eines zehnjährigen Knaben der Fall, den V. Tausk (1913) mitteilt. »Kategorie« bedeutet hier das weibliche Genitale und »kategorieren« soviel wie urinieren.
Wo in einem Traum Reden vorkommen, die ausdrücklich als solche von Gedanken unterschieden werden, da gilt als ausnahmslose Regel, daß Traumrede von erinnerter Rede im Traummaterial abstammt. Der Wortlaut der Rede ist entweder unversehrt erhalten oder leise im Ausdruck verschoben; häufig ist die Traumrede aus verschiedenen Redeerinnerungen zusammengestückelt; der Wortlaut dabei das sich Gleichgebliebene, der Sinn womöglich mehr- oder andersdeutig verändert. Die Traumrede dient nicht selten als bloße Anspielung auf das Ereignis, bei dem die erinnerte Rede vorfiel [Fußnote].
B
DIE VERSCHIEBUNGSARBEIT
Eine andere, wahrscheinlich nicht minder bedeutsame Relation mußte uns bereits auffallen, während wir die Beispiele für die Traumverdichtung sammelten. Wir konnten bemerken, daß die Elemente, welche im Trauminhalt sich als die wesentlichen Bestandteile hervordrängen, in den Traumgedanken keineswegs die gleiche Rolle spielen. Als Korrelat dazu kann man auch die Umkehrung dieses Satzes aussprechen. Was in den Traumgedanken offenbar der wesentliche Inhalt ist, braucht im Traum gar nicht vertreten zu sein. Der Traum ist gleichsam anders zentriert, sein Inhalt um andere Elemente als Mittelpunkt geordnet als die Traumgedanken. So z. B. ist im Traum von der botanischen Monographie Mittelpunkt des Trauminhalts offenbar das Element »botanisch«; in den Traumgedanken handelt es sich um die Komplikationen und Konflikte, die sich aus verpflichtenden Leistungen zwischen Kollegen ergeben, in weiterer Folge um den Vorwurf, daß ich meinen Liebhabereien allzu große Opfer zu bringen pflege, und das Element »botanisch« findet in diesem Kern der Traumgedanken überhaupt keine Stelle, wenn es nicht durch eine Gegensätzlichkeit locker damit verbunden ist, denn Botanik hatte niemals einen Platz unter meinen Lieblingsstudien. In dem Sapphotraum meines Patienten ist das Auf- und Niedersteigen, Oben- und Untenseinniedrigstehenden Personen, so daß nur eines der Elemente der Traumgedanken, dies aber in ungebührlicher Verbreiterung, in den Trauminhalt eingegangen scheint. Ähnlich ist im Traum von den Maikäfern, welcher die Beziehungen der Sexualität zur Grausamkeit zum Thema hat, zwar das Moment der Grausamkeit im Trauminhalt wieder erschienen, aber in andersartiger Verknüpfung und ohne Erwähnung des Sexuellen, also aus dem Zusammenhang gerissen und dadurch zu etwas Fremdem umgestaltet. In dem Onkeltraum wiederum scheint der blonde Bart, der dessen Mittelpunkt bildet, außer aller Sinnbeziehung zu den Größenwünschen, die wir als den Kern der Traumgedanken erkannt haben. Solche Träume machen dann mit gutem Recht einen »verschobenen« Eindruck. Im vollen Gegensatz zu diesen Beispielen zeigt dann der Traum von Irmas Injektion, daß bei der Traumbildung die einzelnen Elemente auch wohl den Platz behaupten können, den sie in den Traumgedanken einnehmen. Die Kenntnisnahme dieser neuen, in ihrem Sinne durchaus inkonstanten Relation zwischen Traumgedanken und Trauminhalt ist zunächst geeignet, unsere Verwunderung zu erregen. Wenn wir bei einem psychischen Vorgang des Normallebens finden, daß eine Vorstellung aus mehreren anderen herausgegriffen wurde und für das Bewußtsein besondere Lebhaftigkeit erlangt hat, so pflegen wir diesen Erfolg als Beweis dafür anzusehen, daß der siegenden Vorstellung eine besonders hohe psychische Wertigkeit (ein gewisser Grad von Interesse) zukommt. Wir machen nun die Erfahrung, daß diese Wertigkeit der einzelnen Elemente in den Traumgedanken für die Traumbildung nicht erhalten bleibt oder nicht in Betracht kommt. Es ist ja kein Zweifel darüber, welches die höchstwertigen Elemente der Traumgedanken sind; unser Urteil sagt es uns unmittelbar. Bei der Traumbildung können diese wesentlichen, mit intensivem Interesse betonten Elemente nun so behandelt werden, als ob sie minderwertig wären, und an ihre Stelle treten im Traum andere Elemente, die in den Traumgedanken sicherlich minderwertig waren. Es macht zunächst den Eindruck, als käme die psychische Intensität [Fußnote] der einzelnen Vorstellungen für die Traumauswahl überhaupt nicht in Betracht, sondern bloß die mehr oder minder vielseitige Determinierung derselben. Nicht was in den Traumgedanken wichtig ist, kommt in den Traum, sondern was in ihnen mehrfach enthalten, könnte man meinen; das Verständnis der Traumbildung wird aber durch diese Annahme nicht sehr gefördert, denn von vornherein wird man nicht glauben können, daß die beiden Momente der mehrfachen Determinierung und der eigenen Wertigkeit bei der Traumauswahl anders als gleichsinnig wirken können. Jene Vorstellungen, welche in den Traumgedanken die wichtigsten sind, werden wohl auch die am häufigsten in ihnen wiederkehrenden sein, da von ihnen wie von Mittelpunkten die einzelnen Traumgedanken ausstrahlen. Und doch kann der Traum diese intensiv betonten und vielseitig unterstützten Elemente ablehnen und andere Elemente, denen nur die letztere Eigenschaft zukommt, in seinen Inhalt aufnehmen.
Zur Lösung dieser Schwierigkeit wird man einen anderen Eindruck verwenden, den man bei der Untersuchung der Überdeterminierung des Trauminhalts empfangen hat. Vielleicht hat schon mancher Leser dieser Untersuchung bei sich geurteilt, die Überdeterminierung der Traumelemente sei kein bedeutsamer Fund, weil sie ein selbstverständlicher ist. Man geht ja bei der an*lyse von den Traumelementen aus und verzeichnet alle Einfälle, die sich an dieselben knüpfen; kein Wunder dann, daß in dem so gewonnenen Gedankenmaterial eben diese Elemente sich besonders häufig wiederfinden. Ich könnte diesen Einwand nicht gelten la**en, werde aber selbst etwas ihm ähnlich Klingendes zur Sprache bringen: Unter den Gedanken, welche die an*lyse zutage fördert, finden sich viele, die dem Kern des Traumes ferner stehen und die sich wie künstliche Einschaltungen zu einem gewissen Zwecke ausnehmen. Der Zweck derselben ergibt sich leicht; gerade sie stellen eine Verbindung, oft eine gezwungene und gesuchte Verbindung zwischen Trauminhalt und Traumgedanken her, und wenn diese Elemente aus der an*lyse ausgemerzt würden, entfiele für die Bestandteile des Trauminhalts oftmals nicht nur die Überdeterminierung, sondern überhaupt eine genügende Determinierung durch die Traumgedanken. Wir werden so zum Schlusse geleitet, daß die mehrfache Determinierung, die für die Traumauswahl entscheidet, wohl nicht immer ein primäres Moment der Traumbildung, sondern oft ein sekundäres Ergebnis einer uns noch unbekannten psychischen Macht ist. Sie muß aber bei alledem für das Eintreten der einzelnen Elemente in den Traum von Bedeutung sein, denn wir können beobachten, daß sie mit einem gewissen Aufwand hergestellt wird, wo sie sich aus dem Traummaterial nicht ohne Nachhilfe ergibt.
Es liegt nun der Einfall nahe, daß bei der Traumarbeit eine psychische Macht sich äußert, die einerseits die psychisch hochwertigen Elemente ihrer Intensität entkleidet und anderseits auf dem Wege der Überdeterminierung aus minderwertigen neue Wertigkeiten schafft, die dann in den Trauminhalt gelangen. Wenn das so zugeht, so hat bei der Traumbildung eine Übertragung und Verschiebung der psychischen Intensitäten der einzelnen Elemente stattgefunden, als deren Folge die Textverschiedenheit von Trauminhalt und Traumgedanken erscheint. Der Vorgang, den wir so supponieren, ist geradezu das wesentliche Stück der Traumarbeit: er verdient den Namen Traumverschiebung. Traumverschiebung und Traumverdichtung sind die beiden Werkmeister, deren Tätigkeit wir die Gestaltung des Traumes hauptsächlich zuschreiben dürfen.
Ich denke, wir haben es auch leicht, die psychische Macht, die sich in den Tatsachen der Traumverschiebung äußert, zu erkennen. Der Erfolg dieser Verschiebung ist, daß der Trauminhalt dem Kern der Traumgedanken nicht mehr gleichsieht, daß der Traum nur eine Entstellung des Traumwunsches im Unbewußten wiedergibt. Die Traumentstellung aber ist uns bereits bekannt; wir haben sie auf die Zensur zurückgeführt, welche die eine psychische Instanz im Gedankenleben gegen eine andere ausübt. Die Traumverschiebung ist eines der Hauptmittel zur Erzielung dieser Entstellung. Is fecit cui profuit. Wir dürfen annehmen, daß die Traumverschiebung durch den Einfluß jener Zensur, der endopsychischen Abwehr, zustande kommt [Fußnote]
»Von einem Manne, der die merkwürdige Eigenschaft hat, niemals Unsinn zu träumen.« – – – –
»›Deine herrliche Eigenschaft, zu träumen wie zu wachen, beruht auf deinen Tugenden, auf deiner Güte, deiner Gerechtigkeit, deiner Wahrheitsliebe; es ist die moralische Klarheit deiner Natur, die mir alles an dir verständlich macht.‹
›Wenn ich es aber recht bedenke‹, erwiderte der andere, ›so glaube ich beinahe, alle Menschen seien so wie ich beschaffen und gar niemand träume jemals Unsinn! Ein Traum, an den man sich so deutlich erinnert, daß man ihn nacherzählen kann, der also kein Fiebertraum ist, hat immer Sinn, und es kann auch gar nicht anders sein! Denn was miteinander in Widerspruch steht, könnte sich ja nicht zu einem Ganzen gruppieren. Daß Zeit und Raum oft durcheinandergerüttelt werden, benimmt dem wahren Inhalt des Traumes gar nichts, denn sie sind beide gewiß ohne Bedeutung für seinen wesentlichen Inhalt gewesen. Wir machen es ja oft im Wachen auch so; denke an das Märchen, an so viele kühne und sinnvolle Phantasiegebilde, zu denen nur ein Unverständiger sagen würde: »Das ist widersinnig! Denn das ist nicht möglich.«‹
›Wenn man nur die Träume immer richtig zu deuten wüßte, so wie du das eben mit dem meinen getan hast!‹ sagte der Freund.
›Das ist gewiß keine leichte Aufgabe, aber es müßte bei einiger Aufmerksamkeit dem Träumenden selbst wohl immer gelingen. – Warum es meistens nicht gelingt? Es scheint bei Euch etwas Verstecktes in den Träumen zu liegen, etwas Unkeusches eigener und höherer Art, eine gewisse Heimlichkeit in Eurem Wesen, die schwer auszudenken ist; und darum scheint Euer Träumen so oft ohne Sinn, sogar ein Widersinn zu sein. Es ist aber im tiefsten Grunde durchaus nicht so; ja, es kann gar nicht so sein, denn es ist immer derselbe Mensch, ob er wacht oder träumt.‹«
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In welcher Weise die Momente der Verschiebung, Verdichtung und Überdeterminierung bei der Traumbildung ineinanderspielen, welches der übergeordnete und welches der nebensächliche Faktor wird, das würden wir späteren Untersuchungen vorbehalten. Vorläufig können wir als eine zweite Bedingung, der die in den Traum gelangenden Elemente genügen müssen, angeben, daß sie der Zensur des Widerstandes entzogen seien. Die Traumverschiebung aber wollen wir von nun an als unzweifelhafte Tatsache bei der Traumdeutung in Rechnung ziehen.
C
DIE DARSTELLUNGSMITTEL DES TRAUMS
Außer den beiden Momenten der Traumverdichtung und Traumverschiebung, die wir bei der Verwandlung des latenten Gedankenmaterials in den manifesten Trauminhalt als wirksam aufgefunden haben, werden wir bei der Fortführung dieser Untersuchung noch zwei weiteren Bedingungen begegnen, die unzweifelhaften Einfluß auf die Auswahl des in den Traum gelangenden Materials üben. Vorher möchte ich, selbst auf die Gefahr hin, daß wir auf unserem Wege haltzumachen scheinen, einen ersten Blick auf die Vorgänge bei der Ausführung der Traumdeutung werfen. Ich verhehle mir nicht, daß es am ehesten gelingen würde, dieselben klarzustellen und ihre Zuverlässigkeit gegen Einwendungen zu sichern, wenn ich einen einzelnen Traum zum Muster nehme, seine Deutung entwickle, wie ich es in Abschnitt II bei dem Traum von Irmas Injektion gezeigt habe, dann aber die Traumgedanken, die ich aufgedeckt habe, zusammenstelle und nun die Bildung des Traums aus ihnen rekonstruiere, also die an*lyse der Träume durch eine Synthese derselben ergänze. Diese Arbeit habe ich an mehreren Beispielen zu meiner eigenen Belehrung vollzogen; ich kann sie aber hier nicht aufnehmen, weil mannigfache und von jedem billig Denkenden gutzuheißende Rücksichten auf das psychische Material zu dieser Demonstration mich daran verhindern. Bei der an*lyse der Träume störten diese Rücksichten weniger, denn die an*lyse durfte unvollständig sein und behielt ihren Wert, wenn sie auch nur ein Stück weit in das Gewebe des Traumes hineinführte. Von der Synthese wüßte ich es nicht anders, als daß sie, um zu überzeugen, vollständig sein muß. Eine vollständige Synthese könnte ich nur von Träumen solcher Personen geben, die dem lesenden Publikum unbekannt sind. Da aber nur Patienten, Neurotiker, mir dazu die Mittel bieten, so muß dies Stück Darstellung des Traums einen Aufschub erfahren, bis ich – an anderer Stelle – die psychologische Aufklärung der Neurosen so weit führen kann, daß der Anschluß an unser Thema herzustellen ist [Fußnote].
Aus meinen Versuchen, Träume aus den Traumgedanken synthetisch herzustellen, weiß ich, daß das bei der Deutung sich ergebende Material von verschiedenartigem Wert ist. Den einen Teil desselben bilden die wesentlichen Traumgedanken, die also den Traum voll ersetzen und allein zu dessen Ersatz hinreichen würden, wenn es für den Traum keine Zensur gäbe. Dem anderen Teil ist man gewohnt, geringe Bedeutung zuzuschreiben. Man legt auch keinen Wert auf die Behauptung, daß alle diese Gedanken an der Traumbildung beteiligt gewesen seien, vielmehr können sich Einfälle unter ihnen finden, welche an Erlebnisse nach dem Traume, zwischen den Zeitpunkten des Träumens und des Deutens, anknüpfen. Dieser Anteil umfaßt alle die Verbindungswege, die vom manifesten Trauminhalt bis zu den latenten Traumgedanken geführt haben, aber ebenso die vermittelnden und annähernden Assoziationen, durch welche man während der Deutungsarbeit zur Kenntnis dieser Verbindungswege gekommen ist.
Uns interessieren an dieser Stelle ausschließlich die wesentlichen Traumgedanken. Diese enthüllen sich zumeist als ein Komplex von Gedanken und Erinnerungen vom allerverwickeltsten Aufbau mit allen Eigenschaften der uns aus dem Wachen bekannten Gedankengänge. Nicht selten sind es Gedankenzüge, die von mehr als einem Zentrum ausgehen, aber der Berührungspunkte nicht entbehren; fast regelmäßig steht neben einem Gedankengang sein kontradiktorisches Widerspiel, durch Kontrasta**oziation mit ihm verbunden.
Die einzelnen Stücke dieses komplizierten Gebildes stehen natürlich in den mannigfaltigsten logischen Relationen zueinander. Sie bilden Vorder- und Hintergrund, Abschweifungen und Erläuterungen, Bedingungen, Beweisgänge und Einsprüche. Wenn dann die ganze Ma**e dieser Traumgedanken der Pressung der Traumarbeit unterliegt, wobei die Stücke gedreht, zerbröckelt und zusammengeschoben werden, etwa wie treibendes Eis, so entsteht die Frage, was aus den logischen Banden wird, welche bishin das Gefüge gebildet hatten. Welche Darstellung erfahren im Traum das »Wenn, weil, gleichwie, obgleich, entweder–oder« und alle anderen Präpositionen, ohne die wir Satz und Rede nicht verstehen können?
Man muß zunächst darauf antworten, der Traum hat für diese logischen Relationen unter den Traumgedanken keine Mittel der Darstellung zur Verfügung. Zumeist läßt er all diese Präpositionen unberücksichtigt und übernimmt nur den sachlichen Inhalt der Traumgedanken zur Bearbeitung. Der Traumdeutung bleibt es überla**en, den Zusammenhang wiederherzustellen, den die Traumarbeit vernichtet hat.
Es muß am psychischen Material liegen, in dem der Traum gearbeitet ist, wenn ihm diese Ausdrucksfähigkeit abgeht. In einer ähnlichen Beschränkung befinden sich ja die darstellenden Künste, Malerei und Plastik im Vergleich zur Poesie, die sich der Rede bedienen kann, und auch hier liegt der Grund des Unvermögens in dem Material, durch dessen Bearbeitung die beiden Künste etwas zum Ausdruck zu bringen streben. Ehe die Malerei zur Kenntnis der für sie gültigen Gesetze des Ausdrucks gekommen war, bemühte sie sich noch, diesen Nachteil auszugleichen. Aus dem Munde der gemalten Personen ließ man auf alten Bildern Zettelchen heraushängen, welche als Schrift die Rede brachten, die im Bilde darzustellen der Maler verzweifelte.
Vielleicht wird sich hier ein Einwand erheben, der für den Traum den Verzicht auf die Darstellung logischer Relationen bestreitet. Es gibt ja Träume, in welchen die kompliziertesten Geistesoperationen vor sich gehen, begründet und widersprochen, gewitzelt und verglichen wird wie im wachen Denken. Allein auch hier trügt der Schein; wenn man auf die Deutung solcher Träume eingeht, erfährt man, daß das alles Traummaterial ist, nicht Darstellung intellektueller Arbeit im Traum. Der Inhalt der Traumgedanken ist durch das scheinbare Denken des Traumes wiedergegeben, nicht die Beziehung der Traumgedanken zueinander, in deren Feststellung das Denken besteht. Ich werde hiefür Beispiele erbringen. Am leichtesten ist es aber zu konstatieren, daß alle Reden, die in Träumen vorkommen und die ausdrücklich als solche bezeichnet werden, unveränderte oder nur wenig modifizierte Nachbildungen von Reden sind, die sich ebenso in den Erinnerungen des Traummaterials vorfinden. Die Rede ist oft nur eine Anspielung auf ein in den Traumgedanken enthaltenes Ereignis; der Sinn des Traumes ein ganz anderer.
Allerdings werde ich nicht bestreiten, daß auch kritische Denkarbeit, die nicht einfach Material aus den Traumgedanken wiederholt, ihren Anteil an der Traumbildung nimmt. Den Einfluß dieses Faktors werde ich zu Ende dieser Erörterung beleuchten müssen. Es wird sich dann ergeben, daß diese Denkarbeit nicht durch die Traumgedanken, sondern durch den in gewissem Sinne bereits fertigen Traum hervorgerufen wird.
Es bleibt also vorläufig dabei, daß die logischen Relationen zwischen den Traumgedanken im Traume eine besondere Darstellung nicht finden. Wo sich z. B. Widerspruch im Traum findet, da ist es entweder Widerspruch gegen den Traum oder Widerspruch aus dem Inhalt eines der Traumgedanken; einem Widerspruch zwischen den Traumgedanken entspricht der Widerspruch im Traum nur in höchst indirekt vermittelter Weise.
Wie es aber endlich der Malerei gelungen ist, wenigstens die Redeabsicht der dargestellten Personen, Zärtlichkeit, Drohung, Verwarnung u. dgl. anders zum Ausdruck zu bringen als durch den flatternden Zettel, so hat sich auch für den Traum die Möglichkeit ergeben, einzelnen der logischen Relationen zwischen seinen Traumgedanken durch eine zugehörige Modifikation der eigentümlichen Traumdarstellung Rücksicht zuzuwenden. Man kann die Erfahrung machen, daß die verschiedenen Träume in dieser Berücksichtigung verschieden weit gehen; während sich der eine Traum über das logische Gefüge seines Materials völlig hinaussetzt, sucht ein anderer da**elbe möglichst vollständig anzudeuten. Der Traum entfernt sich hierin mehr oder weniger weit von dem ihm zur Bearbeitung vorliegenden Text. Ähnlich wechselnd benimmt sich der Traum übrigens auch gegen das zeitliche Gefüge der Traumgedanken, wenn ein solches im Unbewußten hergestellt ist (wie z. B. im Traum von Irmas Injektion).
Durch welche Mittel vermag aber die Traumarbeit die schwer darstellbaren Relationen im Traummaterial anzudeuten? Ich werde versuchen, sie einzeln aufzuzählen.
Zunächst wird der Traum dem unleugbar vorhandenen Zusammenhang zwischen allen Stücken der Traumgedanken dadurch im ganzen gerecht, daß er dieses Material in einer Zusammenfa**ung als Situation oder Vorgang vereinigt. Er gibt logischen Zusammenhang wieder als Gleichzeitigkeit; er verfährt darin ähnlich wie der Maler, der alle Philosophen oder Dichter zum Bild einer Schule von Athen oder des Parnaß zusammenstellt, die niemals in einer Halle oder auf einem Berggipfel beisammen gewesen sind, wohl aber für die denkende Betrachtung eine Gemeinschaft bilden.
Diese Darstellungsweise setzt der Traum ins einzelne fort. Sooft er zwei Elemente nahe beieinander zeigt, bürgt er für einen besonders innigen Zusammenhang zwischen ihren Entsprechenden in den Traumgedanken. Es ist wie in unserem Schriftsystem: ab bedeutet, daß die beiden Buchstaben in einer Silbe ausgesprochen werden sollen, a, und b nach einer freien Lücke, läßt a als den letzten Buchstaben des einen Worts und b als den ersten eines anderen Worts erkennen. Demzufolge bilden sich die Traumkombinationen nicht aus beliebigen, völlig disparaten Bestandteilen des Traummaterials, sondern aus solchen, die auch in den Traumgedanken in innigerem Zusammenhange stehen.
Die Kausalbeziehungen darzustellen hat der Traum zwei Verfahren, die im Wesen auf da**elbe hinauslaufen. Die häufigere Darstellungsweise, wenn die Traumgedanken etwa lauten: Weil dies so und so war, mußte dies und jenes geschehen, besteht darin, den Nebensatz als Vortraum zu bringen und dann den Hauptsatz als Haupttraum anzufügen. Wenn ich recht gedeutet habe, kann die Zeitfolge auch die umgekehrte sein. Stets entspricht dem Hauptsatz der breiter ausgeführte Teil des Traumes.
Ein schönes Beispiel von solcher Darstellung der Kausalität hat mir einmal eine Patientin geliefert, deren Traum ich späterhin vollständig mitteilen werde. Er bestand aus einem kurzen Vorspiel und einem sehr weitläufigen Traumstück, das im hohen Grade zentriert war und etwa überschrieben werden konnte: »Durch die Blume.« Der Vortraum lautete so: Sie geht in die Küche zu den beiden Mägden und tadelt sie, daß sie nicht fertig werden »mit dem bißl Essen«. Dabei sieht sie sehr viel grobes Küchengeschirr zum Abtropfen umgestürzt in der Küche stehen, und zwar in Haufen aufeinander gestellt. Die beiden Mägde gehen Wa**er holen und müssen dabei wie in einen Fluß steigen, der bis ans Haus oder in den Hof reicht.
Dann folgt der Haupttraum, der sich so einleitet: Sie steigt von hoch herab, über eigentümlich gebildete Geländer, und freut sich, daß ihr Kleid dabei nirgends hängenbleibt usw. Der Vortraum bezieht sich nun auf das elterliche Haus der Dame. Die Worte in der Küche hat sie wohl oft so von ihrer Mutter gehört. Die Haufen von rohem Geschirr stammen aus der einfachen Geschirrhandlung, die sich in demselben Hause befand. Der andere Teil des Traumes enthält eine Anspielung auf den Vater, der sich viel mit Dienstmädchen zu schaffen machte und dann bei einer Überschwemmung – das Haus stand nahe am Ufer des Flusses – sich eine tödliche Erkrankung holte. Der Gedanke, der sich hinter diesem Vortraum verbirgt, heißt also: Weil ich aus diesem Hause, aus so kleinlichen und unerquicklichen Verhältnissen stamme. Der Haupttraum nimmt denselben Gedanken wieder auf und bringt ihn in durch Wunscherfüllung verwandelter Form: Ich bin von hoher Abkunft. Eigentlich also: Weil ich von so niedriger Abkunft bin, war mein Lebenslauf so und so.
Soviel ich sehe, bedeutet eine Teilung des Traums in zwei ungleiche Stücke nicht jedesmal eine kausale Beziehung zwischen den Gedanken der beiden Stücke. Oft scheint es, als ob in den beiden Träumen da**elbe Material von verschiedenen Gesichtspunkten aus dargestellt würde; sicherlich gilt dies für die in eine Pollution auslaufende Traumreihe einer Nacht, in welcher das somatische Bedürfnis sich einen fortschreitend deutlicheren Ausdruck erzwingt. Oder die beiden Träume sind aus gesonderten Zentren im Traummaterial hervorgegangen und überschneiden einander im Inhalt, so daß in dem einen Traum Zentrum ist, was im anderen als Andeutung mitwirkt und umgekehrt. In einer gewissen Anzahl von Träumen bedeutet aber die Spaltung in kürzeren Vor- und längeren Nachtraum tatsächlich kausale Beziehung zwischen beiden Stücken. Die andere Darstellungsweise des Kausalverhältnisses findet Anwendung bei minder umfangreichem Material und besteht darin, daß ein Bild im Traume, sei es einer Person oder einer Sache, sich in ein anderes verwandelt. Nur wo wir diese Verwandlung im Traume vor sich gehen sehen, wird der kausale Zusammenhang ernstlich behauptet; nicht wo wir bloß merken, es sei an Stelle des einen jetzt das andere gekommen. Ich sagte, die beiden Verfahren, Kausalbeziehung darzustellen, liefen auf da**elbe hinaus; in beiden Fällen wird die Verursachung dargestellt durch ein Nacheinander; einmal durch das Aufeinanderfolgen der Träume, das andere Mal durch die unmittelbare Verwandlung eines Bildes in ein anderes. In den allermeisten Fällen freilich wird die Kausalrelation überhaupt nicht dargestellt, sondern fällt unter das auch im Traumvorgang unvermeidliche Nacheinander der Elemente.
Die Alternative »Entweder–Oder« kann der Traum überhaupt nicht ausdrücken; er pflegt die Glieder derselben wie gleichberechtigt in einen Zusammenhang aufzunehmen. Ein kla**isches Beispiel hiefür enthält der Traum von Irmas Injektion. In dessen latenten Gedanken heißt es offenbar: Ich bin unschuldig an dem Fortbestand von Irmas Schmerzen; die Schuld liegt entweder an ihrem Sträuben gegen die Annahme der Lösung, oder daran, daß sie unter ungünstigen s**uellen Bedingungen lebt, die ich nicht ändern kann, oder ihre Schmerzen sind überhaupt nicht hysterischer, sondern organischer Natur. Der Traum vollzieht aber alle diese einander fast ausschließenden Möglichkeiten und nimmt keinen Anstoß, aus dem Traumwunsch eine vierte solche Lösung hinzuzufügen. Das Entweder–Oder habe ich dann nach der Traumdeutung in den Zusammenhang der Traumgedanken eingesetzt.
Wo aber der Erzähler bei der Reproduktion des Traumes ein Entweder–Oder gebrauchen möchte: Es war entweder ein Garten oder ein Wohnzimmer usw., da kommt in den Traumgedanken nicht etwa eine Alternative, sondern ein »und«, eine einfache Anreihung, vor. Mit Entweder–Oder beschreiben wir zumeist einen noch auflösbaren Charakter von Verschwommenheit an einem Traumelemente. Die Deutungsregel für diesen Fall lautet: Die einzelnen Glieder der scheinbaren Alternative sind einander gleichzusetzen und durch »und« zu verbinden. Ich träume z. B., nachdem ich längere Zeit vergeblich auf die Adresse meines in Italien weilenden Freundes gewartet habe, daß ich ein Telegramm erhalte, welches mir diese Adresse mitteilt. Ich sehe sie in blauem Druck auf den Papierstreifen des Telegramms; das erste Wort ist verschwommen,
etwa via, }
oder Villa,} das zweite deutlich: Sezerno,
oder sogar (Casa).}
Das zweite Wort, das an italienische Namen anklingt und mich an unsere etymologischen Besprechungen erinnert, drückt auch meinen Ärger aus, daß er seinen Aufenthalt so lange vor mir geheimgehalten; jedes der Glieder aber des Ternavorschlages zum ersten Wort läßt sich bei der an*lyse als selbständiger und gleichberechtigter Ausgangspunkt der Gedankenverkettung erkennen.
In der Nacht vor dem Begräbnis meines Vaters träume ich von einer bedruckten Tafel, einem Plakat oder Anschlagezettel – etwa wie die das Rauchverbot verkündenden Zettel in den Wartesälen der Eisenbahnen –, auf dem zu lesen ist, entweder:
Man bittet, die Augen zuzudrücken,
oder;Man bittet, ein Auge zuzudrücken,
was ich in folgender Form darzustellen gewohnt bin:
Man bittet, die / ein Auge(n) zuzudrücken.
Jede der beiden Fa**ungen hat ihren besonderen Sinn und führt in der Traumdeutung auf besondere Wege. Ich hatte das Zeremoniell möglichst einfach gewählt, weil ich wußte, wie der Verstorbene über solche Veranstaltungen gedacht hatte. Andere Familienmitglieder waren aber mit solch puritanischer Einfachheit nicht einverstanden; sie meinten, man werde sich vor den Trauergästen schämen müssen. Daher bittet der eine Wortlaut des Traumes, »ein Auge zuzudrücken«, d. h. Nachsicht zu üben. Die Bedeutung der Verschwommenheit, die wir mit einem Entweder–Oder beschrieben, ist hier besonders leicht zu erfa**en. Es ist der Traumarbeit nicht gelungen, einen einheitlichen, aber dann zweideutigen Wortlaut für die Traumgedanken herzustellen. So sondern sich die beiden Hauptgedankenzüge schon im Trauminhalt voneinander. In einigen Fällen drückt die Zweiteilung des Traumes in zwei gleich große Stücke die schwer darstellbare Alternative aus.
Höchst auffällig ist das Verhalten des Traumes gegen die Kategorie von Gegensatz und Widerspruch. Dieser wird schlechtweg vernachlässigt, das »Nein« scheint für den Traum nicht zu existieren. Gegensätze werden mit besonderer Vorliebe zu einer Einheit zusammengezogen oder in einem dargestellt. Der Traum nimmt sich ja auch die Freiheit, ein beliebiges Element durch seinen Wunschgegensatz darzustellen, so daß man zunächst von keinem eines Gegenteils fähigen Element weiß, ob es in dem Traumgedanken positiv oder negativ enthalten ist [Fußnote]. In dem einen der letzterwähnten Träume, dessen Vordersatz wir bereits gedeutet haben (»weil ich von solcher Abkunft bin«), steigt die Träumerin über ein Geländer herab und hält dabei einen blühenden Zweig in den Händen. Da ihr zu diesem Bilde einfällt, wie der Engel einen Lilienstengel auf den Bildern von Maria Verkündigung (sie heißt selbst Maria) in der Hand trägt und wie die weißgekleideten Mädchen bei der Fronleichnamsprozession gehen, während die Straßen mit grünen Zweigen geschmückt sind, so ist der blühende Zweig im Traume ganz gewiß eine Anspielung auf s**uelle Unschuld. Der Zweig ist aber dicht mit roten Blüten besetzt, von denen jede einzelne einer Kamelie gleicht. Am Ende ihres Weges, heißt es im Traum weiter, sind die Blüten schon ziemlich abgefallen; dann folgen unverkennbare Anspielungen auf die Periode. Somit ist der nämliche Zweig, der getragen wird wie eine Lilie und wie von einem unschuldigen Mädchen, gleichzeitig eine Anspielung auf die Kameliendame, die, wie bekannt, stets eine weiße Kamelie trug, zur Zeit der Periode aber eine rote. Der nämliche Blütenzweig (»des Mädchens Blüten« in den Liedern von der Müllerin bei Goethe) stellt die s**uelle Unschuld dar und auch ihr Gegenteil. Der nämliche Traum auch, welcher die Freude ausdrückt, daß es ihr gelungen, unbefleckt durchs Leben zu gehen, läßt an einigen Stellen (wie an der vom Abfallen der Blüten) den gegensätzlichen Gedankengang durchschimmern, daß sie sich verschiedene Sünden gegen die s**uelle Reinheit habe zuschulden kommen la**en (in der Kindheit nämlich). Wir können bei der an*lyse des Traums deutlich die beiden Gedankengänge unterscheiden, von denen der tröstliche oberflächlich, der vorwurfsvolle tiefer gelagert scheint, die einander schnurstracks zuwiderlaufen und deren gleiche aber gegenteilige Elemente durch die nämlichen Traumelemente Darstellung gefunden haben.
Einer einzigen unter den logischen Relationen kommt der Mechanismus der Traumbildung im höchsten Ausmaße zugute. Es ist dies die Relation der Ähnlichkeit, Übereinstimmung, Berührung, das »Gleichwie«, die im Traume wie keine andere mit mannigfachen Mitteln dargestellt werden kann [Fußnote]. Die im Traummaterial vorhandenen Deckungen oder Fälle von »Gleichwie« sind ja die ersten Stützpunkte der Traumbildung, und ein nicht unbeträchtliches Stück der Traumarbeit besteht darin, neue solche Deckungen zu schaffen, wenn die vorhandenen der Widerstandszensur wegen nicht in den Traum gelangen können. Das Verdichtungsbestreben der Traumarbeit kommt der Darstellung der Ähnlichkeitsrelation zu Hilfe.
Ähnlichkeit, Übereinstimmung, Gemeinsamkeit wird vom Traum ganz allgemein dargestellt durch Zusammenziehung zu einer Einheit, welche entweder im Traummaterial bereits vorgefunden oder neu gebildet wird. Den ersten Fall kann man als Identifizierung, den zweiten als Mischbildung benennen. Die Identifizierung kommt zur Anwendung, wo es sich um Personen handelt; die Mischbildung, wo Dinge das Material der Vereinigung sind, doch werden Mischbildungen auch von Personen hergestellt, Örtlichkeiten werden oft wie Personen behandelt.
Die Identifizierung besteht darin, daß nur eine der durch ein Gemeinsames verknüpften Personen im Trauminhalt zur Darstellung gelangt, während die zweite oder die anderen Personen für den Traum unterdrückt scheinen. Diese eine deckende Person geht aber im Traum in alle die Beziehungen und Situationen ein, welche sich von ihr oder von den gedeckten Personen ableiten. Bei der Mischbildung, die sich auf Personen erstreckt, sind bereits im Traumbild Züge, die den Personen eigentümlich, aber nicht gemeinsam sind, vorhanden, so daß durch die Vereinigung dieser Züge eine neue Einheit, eine Mischperson, bestimmt erscheint. Die Mischung selbst kann auf verschiedenen Wegen zustande gebracht werden. Entweder die Traumperson hat von der einen ihrer Beziehungspersonen den Namen – wir wissen dann in einer Art, die dem Wissen im Wachen ganz an*log ist, daß diese oder jene Person gemeint ist –, während die visuellen Züge der anderen Person angehören; oder das Traumbild selbst ist aus visuellen Zügen, die sich in Wirklichkeit auf beide verteilen, zusammengesetzt. Anstatt durch visuelle Züge kann der Anteil der zweiten Person auch vertreten werden durch die Gebärden, die man ihr zuschreibt, die Worte, die man sie sprechen läßt, oder die Situation, in welche man sie versetzt. Bei der letzteren Art der Kennzeichnung beginnt der scharfe Unterschied zwischen Identifizierung und Mischpersonbildung sich zu verflüchtigen. Es kann aber auch vorkommen, daß die Bildung einer solchen Mischperson mißlingt. Dann wird die Szene des Traums der einen Person zugeschrieben, und die andere – in der Regel wichtigere – tritt als sonst unbeteiligte Anwesende daneben hin. Der Träumer erzählt etwa: Meine Mutter war auch dabei (Stekel). Ein solches Element des Trauminhalts ist dann einem Determinativum in der Hieroglyphenschrift zu vergleichen, welches nicht zur Aussprache, sondern zur Erläuterung eines anderen Zeichens bestimmt ist.
Das Gemeinsame, welches die Vereinigung der beiden Personen rechtfertigt, d. h. veranlaßt, kann im Traume dargestellt sein oder fehlen. In der Regel dient die Identifizierung oder Mischpersonbildung eben dazu, die Darstellung dieses Gemeinsamen zu ersparen. Anstatt zu wiederholen: A ist mir feindlich gesinnt, B aber auch, bilde ich im Traum eine Mischperson aus A und B oder stelle mir A vor in einer andersartigen Aktion, welche uns B charakterisiert. Die so gewonnene Traumperson tritt mir im Traum in irgendwelcher neuen Verknüpfung entgegen, und aus dem Umstände, daß sie sowohl A als auch B bedeutet, schöpfe ich dann die Berechtigung, in die betreffende Stelle der Traumdeutung einzusetzen, was den beiden gemeinsam ist, nämlich das feindselige Verhältnis zu mir. Auf solche Weise erziele ich oft eine ganz außerordentliche Verdichtung für den Trauminhalt; ich kann mir die direkte Darstellung sehr komplizierter Verhältnisse, die mit einer Person zusammenhängen, ersparen, wenn ich zu dieser Person eine andere gefunden habe, die auf einen Teil dieser Beziehungen den gleichen Anspruch hat. Es ist leicht zu verstehen, inwiefern diese Darstellung durch Identifizierung auch dazu dienen kann, die Widerstandszensur zu umgehen, welche die Traumarbeit unter so harte Bedingungen setzt. Der Anstoß für die Zensur mag gerade in jenen Vorstellungen liegen, welche im Material mit der einen Person verknüpft sind; ich finde nun eine zweite Person, welche gleichfalls Beziehungen zu dem beanstandeten Material hat, aber nur zu einem Teil desselben. Die Berührung in jenem nicht zensurfreien Punkte gibt mir jetzt das Recht, eine Mischperson zu bilden, die nach beiden Seiten hin durch indifferente Züge charakterisiert ist. Diese Misch- oder Identifizierungsperson ist nun als zensurfrei zur Aufnahme in den Trauminhalt geeignet, und ich habe durch Anwendung der Traumverdichtung den Anforderungen der Traumzensur genügt.
Wo im Traum auch ein Gemeinsames der beiden Personen dargestellt ist, da ist dies gewöhnlich ein Wink, nach einem anderen verhüllten Gemeinsamen zu suchen, dessen Darstellung durch die Zensur unmöglich gemacht wird. Es hat hier gewissermaßen zugunsten der Darstellbarkeit eine Verschiebung in betreff des Gemeinsamen stattgefunden. Daraus, daß mir die Mischperson mit einem indifferenten Gemeinsamen im Traum gezeigt wird, soll ich ein anderes, keineswegs indifferentes Gemeinsame in den Traumgedanken erschließen.
Die Identifizierung oder Mischpersonbildung dient demnach im Traum verschiedenen Zwecken, erstens der Darstellung eines beiden Personen Gemeinsamen, zweitens der Darstellung einer verschobenen Gemeinsamkeit, drittens aber noch, um eine bloß gewünschte Gemeinsamkeit zum Ausdruck zu bringen. Da das Herbeiwünschen einer Gemeinsamkeit zwischen zwei Personen häufig mit einem Vertauschen derselben zusammenfällt, so ist auch diese Relation im Traum durch Identifizierung ausgedrückt. Ich wünsche im Traume von Irmas Injektion, diese Patientin mit einer anderen zu vertauschen, wünsche also, daß die andere meine Patientin sein möge, wie es die eine ist; der Traum trägt diesem Wunsche Rechnung, indem er mir eine Person zeigt, die Irma heißt, die aber in einer Position untersucht wird, wie ich sie nur bei der anderen zu sehen Gelegenheit hatte. Im Onkeltraum ist diese Vertauschung zum Mittelpunkt des Traums gemacht; ich identifiziere mich mit dem Minister, indem ich meine Kollegen nicht besser als er behandle und beurteile.
Es ist eine Erfahrung, von der ich keine Ausnahme gefunden habe, daß jeder Traum die eigene Person behandelt. Träume sind absolut egoistisch [Fußnote]. Wo im Trauminhalt nicht mein Ich, sondern nur eine fremde Person vorkommt, da darf ich ruhig annehmen, daß mein Ich durch Identifizierung hinter jener Person versteckt ist. Ich darf mein Ich ergänzen. Andere Male, wo mein Ich im Traum erscheint, lehrt mich die Situation, in der es sich befindet, daß hinter dem Ich eine andere Person sich durch Identifizierung verbirgt. Der Traum soll mich dann mahnen, in der Traumdeutung etwas, was dieser Person anhängt, das verhüllte Gemeinsame, auf mich zu übertragen. Es gibt auch Träume, in denen mein Ich nebst anderen Personen vorkommt, die sich durch Lösung der Identifizierung wiederum als mein Ich enthüllen. Ich soll dann mit meinem Ich vermittels dieser Identifizierungen gewisse Vorstellungen vereinigen, gegen deren Aufnahme sich die Zensur erhoben hat. Ich kann also mein Ich in einem Traum mehrfach darstellen, das eine Mal direkt, das andere Mal vermittels der Identifizierung mit fremden Personen. Mit mehreren solchen Identifizierungen läßt sich ein ungemein reiches Gedankenmaterial verdichten [Fußnote]. Daß das eigene Ich in einem Traume mehrmals vorkommt oder in verschiedenen Gestaltungen auftritt, ist im Grunde nicht verwunderlicher, als daß es in einem bewußten Gedanken mehrmals und an verschiedenen Stellen oder in anderen Beziehungen enthalten ist, z. B. im Satze: Wenn ich daran denke, was für gesundes Kind ich war.
Durchsichtiger noch als bei Personen gestaltet sich die Auflösung der Identifizierungen bei mit Eigennamen bezeichneten Örtlichkeiten, da hier die Störung durch das im Traume übermächtige Ich entfällt. In einem meiner Romträume (S. 206 f.) heißt der Ort, an dem ich mich befinde, Rom; ich erstaune aber über die Menge von deutschen Plakaten an einer Straßenecke. Letzteres ist eine Wunscherfüllung, zu der mir sofort Prag einfällt; der Wunsch selbst mag aus einer heute überwundenen deutschnationalen Periode der Jugendzeit stammen. Um die Zeit, da ich träumte, war in Prag ein Zusammentreffen mit meinem Freunde in Aussicht genommen; die Identifizierung von Rom und Prag erklärt sich also durch eine gewünschte Gemeinsamkeit; ich möchte meinen Freund lieber in Rom treffen als in Prag, für diese Zusammenkunft Prag und Rom vertauschen.
Die Möglichkeit, Mischbildungen zu schaffen, steht obenan unter den Zügen, welche den Träumen so oft ein phantastisches Gepräge verleihen, indem durch sie Elemente in den Trauminhalt eingeführt werden, welche niemals Gegenstand der Wahrnehmung sein konnten. Der psychische Vorgang bei der Mischbildung im Traume ist offenbar der nämliche, wie wenn wir im Wachen einen Zentauren oder Drachen uns vorstellen oder nachbilden. Der Unterschied liegt nur darin, daß bei der phantastischen Schöpfung im Wachen der beabsichtigte Eindruck des Neugebildes selbst das Maßgebende ist, während die Mischbildung des Traumes durch ein Moment, welches außerhalb ihrer Gestaltung liegt, das Gemeinsame in den Traumgedanken, determiniert wird. Die Mischbildung des Traumes kann in sehr mannigfacher Weise ausgeführt werden. In der kunstlosesten Ausführung werden nur die Eigenschaften des einen Dinges dargestellt, und diese Darstellung ist von einem Wissen begleitet, daß sie auch für ein anderes Objekt gelte. Eine sorgfältigere Technik vereinigt Züge des einen wie des anderen Objektes zu einem neuen Bilde und bedient sich dabei geschickt der etwa in der Realität gegebenen Ähnlichkeiten zwischen beiden Objekten. Das Neugebildete kann gänzlich absurd ausfallen oder selbst als phantastisch gelungen erscheinen, je nachdem Material und Witz bei der Zusammensetzung es ermöglichen. Sind die Objekte, welche zu einer Einheit verdichtet werden sollen, gar zu disparat, so begnügt sich die Traumarbeit oft damit, ein Mischgebilde mit einem deutlicheren Kern zu schaffen, an den sich undeutlichere Bestimmungen anfügen. Die Vereinigung zu einem Bilde ist hier gleichsam nicht gelungen; die beiden Darstellungen überdecken einander und erzeugen etwas wie einen Wettstreit der visuellen Bilder. Wenn man sich die Bildung eines Begriffes aus individuellen Wahrnehmungsbildern vorführen wollte, könnte man zu ähnlichen Darstellungen in einer Zeichnung gelangen.
Es wimmelt natürlich in den Träumen von solchen Mischgebilden; einige Beispiele habe ich in den bisher an*lysierten Träumen bereits mitgeteilt; ich werde nun weitere hinzufügen. In dem Traum auf S. 313 f., welcher den Lebenslauf der Patientin »durch die Blume« oder »verblümt« beschreibt, trägt das Traum-Ich einen blühenden Zweig in der Hand, der, wie wir erfahren haben, gleichzeitig Unschuld und s**uelle Sündigkeit bedeutet. Der Zweig erinnert durch die Art, wie die Blüten stehen, außerdem an Kirschblüten; die Blüten selbst, einzeln genommen, sind Kamelien, wobei dazu das Ganze noch den Eindruck eines exotischen Gewächses macht. Das Gemeinsame an den Elementen dieses Mischgebildes ergibt sich aus den Traumgedanken. Der blühende Zweig ist aus Anspielungen an Geschenke zusammengesetzt, durch welche sie bewogen wurde oder werden sollte, sich gefällig zu erweisen. So in der Kindheit die Kirschen, in späteren Jahren ein Kamelienstock; das Exotische ist eine Anspielung auf einen vielgereisten Naturforscher, welcher mit einer Blumenzeichnung um ihre Gunst werben wollte. Eine andere Patientin schafft sich im Traum ein Mittelding aus Badekabinen im Seebad, ländlichen Aborthäuschen und den Bodenkammern unserer städtischen Wohnhäuser. Den beiden ersten Elementen ist die Beziehung auf menschliche Nacktheit und Entblößung gemeinsam; es läßt sich aus der Zusammensetzung mit dem dritten Element schließen, daß (in ihrer Kindheit) auch die Bodenkammer der Schauplatz von Entblößung war. Ein Träumer schafft sich eine Mischlokalität aus zwei Örtlichkeiten, in denen »Kur« gemacht wird, aus meinem Ordinationszimmer und dem öffentlichen Lokal, in dem er zuerst seine Frau kennengelernt hat. Ein Mädchen träumt, nachdem der ältere Bruder versprochen hat, sie mit Kaviar zu regalieren, von diesem Bruder, daß dessen Beine von den schwarzen Kaviarperlen übersät sind. Die Elemente »Ansteckung« im moralischen Sinn und die Erinnerung an einen Ausschlag der Kindheit, der die Beine mit roten anstatt mit schwarzen Pünktchen übersät erscheinen ließ, haben sich hier mit den Kaviarperlen zu einem neuen Begriff vereinigt, dessen, »was sie von ihrem Bruder bekommen hat«. Teile des menschlichen Körpers werden in diesem Traum behandelt wie Objekte, wie auch in sonstigen Träumen. In einem von Ferenczi mitgeteilten Traume kam ein Mischgebilde vor, das aus der Person eines Arztes und aus einem Pferde zusammengesetzt war und überdies ein Nachthemd anhatte. Das Gemeinsame dieser drei Bestandteile ergab sich aus der an*lyse, nachdem das Nachthemd als Anspielung auf den Vater der Träumerin in einer Kindheitsszene erkannt war. Es handelte sich in allen drei Fällen um Objekte ihrer geschlechtlichen Neugierde. Sie war als Kind von ihrer Kindsfrau öfters in das militärische Gestüt mitgenommen worden, wo sie Gelegenheit hatte, ihre – damals noch ungehemmte – Neugierde ausgiebig zu befriedigen.
Ich habe vorhin behauptet, daß der Traum kein Mittel hat, die Relation des Widerspruches, Gegensatzes, das »Nein« auszudrücken. Ich gehe daran, dieser Behauptung zum ersten Male zu widersprechen. Ein Teil der Fälle, die sich als »Gegensatz« zusammenfa**en la**en, findet seine Darstellung einfach durch Identifizierung, wie wir gesehen haben, wenn nämlich mit der Gegenüberstellung ein Vertauschen, an die Stelle setzen, verbunden werden kann. Davon haben wir wiederholt Beispiele erwähnt. Ein anderer Teil der Gegensätze in den Traumgedanken, der etwa unter die Kategorie »Umgekehrt, im Gegenteile« fällt, gelangt zu seiner Darstellung im Traum auf folgende merkwürdige, beinahe witzig zu nennende Weise. Das »Umgekehrt« gelangt nicht für sich in den Trauminhalt, sondern äußert seine Anwesenheit im Material dadurch, daß ein aus sonstigen Gründen naheliegendes Stück des schon gebildeten Trauminhaltes – gleichsam nachträglich – umgekehrt wird. Der Vorgang ist leichter zu illustrieren als zu beschreiben. Im schönen Traum von »Auf und nieder« (S. 287 ff.) ist die Traumdarstellung des Steigens umgekehrt wie das Vorbild in den Traumgedanken, nämlich die Introduktionsszene der Sappho Daudets; es geht im Traume anfangs schwer, später leicht, während in der Szene das Steigen anfangs leicht, später immer schwerer wird. Auch das »Oben« und »Unten« in bezug auf den Bruder ist im Traum verkehrt dargestellt. Dies deutet auf eine Relation von Umkehrung oder Gegensatz, die zwischen zwei Stücken des Materials in den Traumgedanken besteht und die wir darin gefunden haben, daß in der Kindheitsphantasie des Träumers er von seiner Amme getragen wird, umgekehrt wie im Roman der Held die Geliebte trägt. Auch mein Traum von Goethes Angriff gegen Herrn M. (s. unten) enthält ein solches »Umgekehrt«, das erst redressiert werden muß, ehe man auf die Deutung des Traumes gelangen kann. Im Traum hat Goethe einen jungen Mann, Herrn M. angegriffen; in der Realität, wie sie die Traumgedanken enthalten, ist ein bedeutender Mann, mein Freund, von einem unbekannten jungen Autor angegriffen worden. Im Traum rechne ich vom Sterbedatum Goethes an; in der Wirklichkeit ging die Rechnung vom Geburtsjahr des Paralytikers aus. Der Gedanke, der in dem Traummaterial maßgebend ist, ergibt sich als der Widerspruch dagegen, daß Goethe behandelt werden soll, als sei er ein Verrückter. Umgekehrt, sagt der Traum, wenn du das Buch nicht verstehst, bist du der Schwachsinnige, nicht der Autor. In all diesen Träumen von Umkehrung scheint mir überdies eine Beziehung auf die verächtliche Wendung (»einem die Kehrseite zeigen«) enthalten zu sein (die Umkehrung in bezug auf den Bruder im Sapphotraum). Es ist ferner bemerkenswert, wie häufig die Umkehrung gerade in Träumen gebraucht wird, die von verdrängten h*mos**uellen Regungen eingegeben sind.
Die Umkehrung, Verwandlung ins Gegenteil, ist übrigens eines der beliebtesten, der vielseitigsten Verwendung fähigen Darstellungsmittel der Traumarbeit. Sie dient zunächst dazu, der Wunscherfüllung gegen ein bestimmtes Element der Traumgedanken Geltung zu verschaffen. Wäre es doch umgekehrt gewesen! ist oftmals der beste Ausdruck für die Reaktion des Ichs gegen ein peinliches Stück Erinnerung. Ganz besonders wertvoll wird die Umkehrung aber im Dienste der Zensur, indem sie ein Maß von Entstellung des Darzustellenden zustande bringt, welches das Verständnis des Traumes zunächst geradezu lähmt. Man darf darum, wenn ein Traum seinen Sinn hartnäckig verweigert, jedesmal den Versuch der Umkehrung mit bestimmten Stücken seines manifesten Inhaltes wagen, worauf nicht selten alles sofort klar wird.
Neben der inhaltlichen Umkehrung ist die zeitliche nicht zu übersehen. Eine häufigere Technik der Traumentstellung besteht darin, den Ausgang der Begebenheit oder den Schluß des Gedankengangs zu Eingang des Traums darzustellen und am Ende desselben die Voraussetzungen des Schlusses oder die Ursachen des Geschehens nachzutragen. Wer nicht an dieses technische Mittel der Traumentstellung gedacht hat, steht dann der Aufgabe der Traumdeutung ratlos gegenüber [Fußnote].
Ja in manchen Fällen erhält man den Sinn des Traumes erst, wenn man an dem Trauminhalt eine mehrfache Umkehrung, nach verschiedenen Relationen, vorgenommen hat. So z. B. verbirgt sich im Traume eines jungen Zwangsneurotikers die Erinnerung an den infantilen Todeswunsch gegen den gefürchteten Vater hinter folgendem Wortlaut: Sein Vater schimpft mit ihm, weil er so spät nach Hause kommt. Allein der Zusammenhang der psychoan*lytischen Kur und die Einfälle des Träumers beweisen, daß es zunächst lauten muß: Er ist böse auf den Vater, und sodann, daß ihm der Vater auf alle Fälle zu früh (d. h. zu bald) nach Hause kam. Er hätte es vorgezogen, daß der Vater überhaupt nicht nach Hause gekommen wäre, was mit dem Todeswunsch gegen den Vater identisch ist (siehe S. 259 f.). Der Träumer hatte sich nämlich als kleiner Knabe während einer längeren Abwesenheit des Vaters eine s**uelle Aggression gegen eine andere Person zuschulden kommen la**en und war mit der Drohung gestraft worden: Na wart', bis der Vater zurückkommt!
Will man die Beziehungen zwischen Trauminhalt und Traumgedanken weiter verfolgen, so nimmt man jetzt am besten den Traum selbst zum Ausgangspunkt und stellt sich die Frage, was gewisse formale Charaktere der Traumdarstellung in bezug auf die Traumgedanken bedeuten. Zu diesen formalen Charakteren, die uns im Traume auffallen müssen, gehören vor allem die Unterschiede in der sinnlichen Intensität der einzelnen Traumgebilde und in der Deutlichkeit einzelner Traumpartien oder ganzer Träume untereinander verglichen. Die Unterschiede in der Intensität der einzelnen Traumgebilde umfa**en eine ganze Skala von einer Schärfe der Ausprägung, die man – wiewohl ohne Gewähr – geneigt ist, über die der Realität zu stellen, bis zu einer ärgerlichen Verschwommenheit, die man als charakteristisch für den Traum erklärt, weil sie eigentlich mit keinem der Grade der Undeutlichkeit, die wir gelegentlich an den Objekten der Realität wahrnehmen, vollkommen zu vergleichen ist. Gewöhnlich bezeichnen wir überdies den Eindruck, den wir von einem undeutlichen Traumobjekt empfangen, als »flüchtig«, während wir von den deutlicheren Traumbildern meinen, daß sie auch durch längere Zeit der Wahrnehmung standgehalten haben. Es fragt sich nun, durch welche Bedingungen im Traummaterial diese Unterschiede in der Lebhaftigkeit der einzelnen Stücke des Trauminhalts hervorgerufen werden.
Man hat hier zunächst gewissen Erwartungen entgegenzutreten, die sich wie unvermeidlich einstellen. Da zu dem Material des Traums auch wirkliche Sensationen während des Schlafes gehören können, wird man wahrscheinlich voraussetzen, daß diese oder die von ihnen abgeleiteten Traumelemente im Trauminhalt durch besondere Intensität hervorstechen, oder umgekehrt, daß, was im Traum ganz besonders lebhaft ausfällt, auf solche reale Schlafsensationen zurückführbar sein wird. Meine Erfahrung hat dies aber niemals bestätigt. Es ist nicht richtig, daß die Elemente des Traums, welche Abkömmlinge von realen Eindrücken während des Schlafes (Nervenreizen) sind, sich vor den anderen, die aus Erinnerungen stammen, durch Lebhaftigkeit auszeichnen. Das Moment der Realität geht für die Intensitätsbestimmung der Traumbilder verloren.
Ferner könnte man an der Erwartung festhalten, daß die sinnliche Intensität (Lebhaftigkeit) der einzelnen Traumbilder eine Beziehung habe zur psychischen Intensität der ihnen entsprechenden Elemente in den Traumgedanken. In den letzteren fällt Intensität mit psychischer Wertigkeit zusammen; die intensivsten Elemente sind keine anderen als die bedeutsamsten, welche den Mittelpunkt der Traumgedanken bilden. Nun wissen wir zwar, daß gerade diese Elemente der Zensur wegen meist keine Aufnahme in den Trauminhalt finden. Aber es könnte doch sein, daß ihre sie vertretenden nächsten Abkömmlinge im Traum einen höheren Intensitätsgrad aufbringen, ohne daß sie darum das Zentrum der Traumdarstellung bilden müßten. Auch diese Erwartung wird indes durch die vergleichende Betrachtung von Traum und Traummaterial zerstört. Die Intensität der Elemente hier hat mit der Intensität der Elemente dort nichts zu schaffen; es findet zwischen Traummaterial und Traum tatsächlich eine völlige »Umwertung aller psychischen Werte« statt. Gerade in einem flüchtig hingehauchten, durch kräftigere Bilder verdeckten Element des Traums kann man oft einzig und allein einen direkten Abkömmling dessen entdecken, was in den Traumgedanken übermäßig dominierte.
Die Intensität der Elemente des Traumes zeigt sich anders determiniert, und zwar durch zwei voneinander unabhängige Momente. Zunächst ist es leicht zu sehen, daß jene Elemente besonders intensiv dargestellt sind, durch welche die Wunscherfüllung sich ausdrückt. Dann aber lehrt die an*lyse, daß von den lebhaftesten Elementen des Traums auch die meisten Gedankengänge ausgehen, daß die lebhaftesten gleichzeitig die best determinierten sind. Es ist keine Änderung des Sinnes, wenn wir den letzten, empirisch gewonnenen Satz in nachstehender Form aussprechen: Die größte Intensität zeigen jene Elemente des Traums, für deren Bildung die ausgiebigste Verdichtungsarbeit in Anspruch genommen wurde. Wir dürfen dann erwarten, daß diese Bedingung und die andere der Wunscherfüllung auch in einer einzigen Formel ausgedrückt werden können.
Das Problem, das ich jetzt behandelt habe, die Ursachen der größeren und geringeren Intensität oder Deutlichkeit der einzelnen Traumelemente, möchte ich vor Verwechslung mit einem anderen Problem schützen, welches sich auf die verschiedene Deutlichkeit ganzer Träume oder Traumabschnitte bezieht. Dort ist der Gegensatz von Deutlichkeit: Verschwommenheit, hier Verworrenheit. Es ist allerdings unverkennbar, daß in beiden Skalen die steigenden und fallenden Qualitäten einander im Vorkommen begleiten. Eine Partie des Traums, die uns klar erscheint, enthält zumeist intensive Elemente; ein unklarer Traum ist im Gegenteil aus wenig intensiven Elementen zusammengesetzt. Doch ist das Problem, welches die Skala vom anscheinend Klaren bis zum Undeutlich-Verworrenen bietet, weit komplizierter als das der Lebhaftigkeitsschwa*kungen der Traumelemente; ja ersteres entzieht sich aus später anzuführenden Gründen hier noch der Erörterung. In einzelnen Fällen merkt man nicht ohne Überraschung, daß der Eindruck von Klarheit oder Undeutlichkeit, den man von einem Traum empfängt, überhaupt nichts für das Traumgefüge bedeutet, sondern aus dem Traummaterial als ein Bestandteil desselben herrührt. So erinnere ich mich an einen Traum, der mir nach dem Erwachen so besonders gut gefügt, lückenlos und klar erschien, daß ich noch in der Schlaftrunkenheit mir vorsetzte, eine neue Kategorie von Träumen zuzula**en, die nicht dem Mechanismus der Verdichtung und Verschiebung unterlegen waren, sondern als »Phantasien während des Schlafens« bezeichnet werden durften. Nähere Prüfung ergab, daß dieser rare Traum dieselben Risse und Sprünge in seinem Gefüge zeigte wie jeder andere; ich ließ darum die Kategorie der Traumphantasien auch wieder fallen [Fußnote]. Der reduzierte Inhalt des Traums war aber, daß ich meinem Freunde eine schwierige und lange gesuchte Theorie der Bis**ualität vortrug, und die wunscherfüllende Kraft des Traumes hatte es zu verantworten, daß uns diese Theorie (die übrigens im Traum nicht mitgeteilt wurde) klar und lückenlos erschien. Was ich also für ein Urteil über den fertigen Traum gehalten hatte, war ein Stück, und zwar das wesentliche Stück des Trauminhalts. Die Traumarbeit griff hier gleichsam in das erste wache Denken über und übermittelte mir als Urteil über den Traum jenes Stück des Traummaterials, dessen genaue Darstellung im Traum ihr nicht gelungen war. Ein vollkommenes Gegenstück hiezu erlebte ich einmal bei einer Patientin, die einen in die an*lyse gehörigen Traum zuerst überhaupt nicht erzählen wollte, »weil er so undeutlich und verworren sei«, und endlich unter wiederholten Protesten gegen die Sicherheit ihrer Darstellung angab, es seien im Traum mehrere Personen vorgekommen, sie, ihr Mann und ihr Vater, und als ob sie nicht gewußt hätte, ob ihr Mann ihr Vater sei oder wer eigentlich ihr Vater sei oder so ähnlich. Die Zusammenstellung dieses Traumes mit ihren Einfällen in der Sitzung ergab als unzweifelhaft, daß es sich um die ziemlich alltägliche Geschichte eines Dienstmädchens handle, welches bekennen mußte, daß sie ein Kind erwarte, und nun Zweifel zu hören bekomme, »wer eigentlich der Vater (des Kindes) sei« [Fußnote]. Die Unklarheit, die der Traum zeigte, war also auch hier ein Stück aus dem traumerregenden Material. Ein Stück dieses Inhalts war in der Form des Traumes dargestellt worden. Die Form des Traumes oder des Träumern wird in ganz überraschender Häufigkeit zur Darstellung des verdeckten Inhaltes verwendet.
Glossen über den Traum, anscheinend harmlose Bemerkungen zu demselben, dienen oft dazu, ein Stück des Geträumten in der raffiniertesten Weise zu verhüllen, während sie es doch eigentlich verraten. So z. B. wenn ein Träumer äußert: Hier ist der Traum verwischt, und die an*lyse eine infantile Reminiszenz an das Belauschen einer Person ergibt, die sich nach der Defäkation reinigt. Oder in einem anderen Falle, der ausführliche Mitteilung verdient: Ein junger Mann hat einen sehr deutlichen Traum, der ihn an bewußtgebliebene Phantasien seiner Knabenjahre mahnt: Er befindet sich abends in einem Sommerhotel, irrt sich in der Zimmernummer und kommt in einen Raum, in dem sich eine ältere Dame und ihre zwei Töchter entkleiden, um zu Bette zu gehen. Er setzt fort: Dann sind einige Lücken im Traum, da fehlt etwas, und am Ende war ein Mann im Zimmer, der mich hinauswerfen wollte, mit dem ich ringen mußte. Er bemüht sich vergebens, den Inhalt und die Absicht jener knabenhaften Phantasie zu erinnern, auf die der Traum offenbar anspielt. Aber man wird endlich aufmerksam, daß der gesuchte Inhalt durch die Äußerung über die undeutliche Stelle des Traumes bereits gegeben ist. Die »Lücken« sind die Genitalöffnungen der zu Bette gehenden Frauen: »da fehlt etwas« beschreibt den Hauptcharakter des weiblichen Genitales. Er brannte in jenen jungen Jahren vor Wißbegierde, ein weibliches Genitale zu sehen, und war noch geneigt, an der infantilen Sexualtheorie, die dem Weibe ein männliches Glied zuschreibt, festzuhalten.
In ganz ähnlicher Form kleidete sich eine an*loge Reminiszenz eines anderen Träumers ein. Er träumt: Ich gehe mit Frl. K. in das Volksgartenrestaurant..., dann kommt eine dunkle Stelle, eine Unterbrechung..., dann befinde ich mich in einem Bordellsalon, in dem ich zwei oder drei Frauen sehe, eine in Hemd und Höschen.
an*lYSE: Frl. K. ist die Tochter seines früheren Chefs, wie er selbst zugibt, ein Schwesterersatz. Er hatte nur selten Gelegenheit, mit ihr zu sprechen, aber einmal fiel eine Unterhaltung zwischen ihnen vor, in der »man sich gleichsam in seiner Geschlechtlichkeit erkannte, als ob man sagen würde: Ich bin ein Mann und du ein Weib«. Im angegebenen Restaurant war er nur einmal in Begleitung der Schwester seines Schwagers, eines Mädchens, das ihm vollkommen gleichgültig war. Ein andermal begleitete er eine Gesellschaft von drei Damen bis zum Eingange in dieses Restaurant. Die Damen waren seine Schwester, seine Schwägerin und die bereits erwähnte Schwester seines Schwagers, alle drei ihm höchst gleichgültig, aber alle drei der Schwesterreihe angehörig. Ein Bordell hat er nur selten besucht, vielleicht zwei- oder dreimal in seinem Leben.
Die Deutung stützte sich auf die »dunkle Stelle«, »Unterbrechung« im Traume und behauptete, daß er in knabenhafter Wißbegierde einigemal, allerdings nur selten, das Genitale seiner um einige Jahre jüngeren Schwester inspiziert habe. Einige Tage später stellte sich die bewußte Erinnerung an die vom Traume angedeutete Untat ein.
Alle Träume derselben Nacht gehören ihrem Inhalt nach zu dem nämlichen Ganzen; ihre Sonderung in mehrere Stücke, deren Gruppierung und Anzahl, all das ist sinnreich und darf als ein Stück Mitteilung aus den latenten Traumgedanken aufgefaßt werden. Bei der Deutung von Träumen, die aus mehreren Hauptstücken bestehen, oder überhaupt solchen, die derselben Nacht angehören, darf man auch an die Möglichkeit nicht vergessen, daß diese verschiedenen und aufeinanderfolgenden Träume da**elbe bedeuten, die nämlichen Regungen in verschiedenem Material zum Ausdruck bringen. Der zeitlich vorangehende dieser h*mologen Träume ist dann häufig der entstelltere, schüchterne, der nachfolgende ist dreister und deutlicher.
Schon der biblische Traum des Pharao von den Ähren und von den Kühen, den Josef deutete, war von dieser Art. Er findet sich bei Josephus (Jüdische Altertümer, Buch II, Kapitel 5) ausführlicher als in der Bibel berichtet. Nachdem der König den ersten Traum erzählt hat, sagt er: »Nach diesem ersten Traumgesicht wachte ich beunruhigt auf und dachte nach, was da**elbe wohl bedeuten möge, schlief jedoch hierüber allmählich wieder ein und hatte nun einen noch viel seltsameren Traum, der mich noch mehr in Furcht und Verwirrung gesetzt hat.« Nach Anhören der Traumerzählung sagt Josef: »Dein Traum, o König, ist dem Anschein nach wohl ein zweifacher, allein beide Gesichte haben nur eine Bedeutung.«
Jung, der in seinem ›Beitrag zur Psychologie des Gerüchtes‹ (1910 b) erzählt, wie der versteckt erotische Traum eines Schulmädchens von ihren Freundinnen ohne Deutung verstanden und in Abänderungen weitergeführt wurde, bemerkt zu einer dieser Traumerzählungen, »daß der Schlußgedanke einer langen Reihe von Traumbildern genau das enthält, was schon im ersten Bild der Serie darzustellen versucht worden war. Die Zensur schiebt den Komplex so lange wie möglich weg durch immer wieder erneute symbolische Verdeckungen, Verschiebungen, Wendungen ins Harmlose usw.« (Ibid., 87.) Scherner hat diese Eigentümlichkeit der Traumdarstellung gut gekannt und beschreibt sie im Anschluß an seine Lehre von den Organreizen als ein besonderes Gesetz (1861, 166): »Endlich aber beobachtet die Phantasie in allen von bestimmten Nervenreizen ausgehenden symbolischen Traumbildungen das gemeingültige Gesetz, daß sie bei Beginn des Traumes nur in den fernsten und freiesten Andeutungen des Reizobjektes malt, am Schlusse aber, wo der malerische Erguß sich erschöpft hatte, den Reiz selbst, respektive sein betreffendes Organ oder dessen Funktion in Nacktheit hinstellt, womit der Traum, seinen organischen Anlaß selbst bezeichnend, das Ende erreicht...«
Eine schöne Bestätigung dieses Schernerschen Gesetzes hat Otto Rank in seiner Arbeit: ›Ein Traum, der sich selbst deutet‹, geliefert. Der von ihm dort mitgeteilte Traum eines Mädchens setzte sich aus zwei auch zeitlich gesonderten Träumen einer Nacht zusammen, von denen der zweite mit einer Pollution abschloß. Dieser Pollutionstraum gestattete eine bis ins einzelne durchgeführte Deutung unter weitgehendem Verzicht auf die Beiträge der Träumerin, und die Fülle der Beziehungen zwischen den beiden Trauminhalten ermöglichte es zu erkennen, daß der erste Traum in schüchterner Darstellung da**elbe zum Ausdruck brachte wie der zweite, so daß dieser, der Pollutionstraum, zur vollen Aufklärung des ersteren verholfen hatte. Rank erörtert von diesem Beispiele aus mit gutem Recht die Bedeutung der Pollutionsträume für die Theorie des Träumens überhaupt.
In solche Lage, Klarheit oder Verworrenheit des Traums auf Sicherheit oder Zweifel im Traummaterial umdeuten zu können, kommt man aber nach meiner Erfahrung nur in wenigen Fällen. Ich werde späterhin den bisher nicht erwähnten Faktor bei der Traumbildung aufzudecken haben, von dessen Einwirkung diese Qualitätenskala des Traumes wesentlich abhängt.
In manchen Träumen, die ein Stück weit eine gewisse Situation und Szenerie festhalten, kommen Unterbrechungen vor, die mit folgenden Worten beschrieben werden: »Es ist dann aber, als wäre es gleichzeitig ein anderer Ort, und dort ereignete sich dies und jenes.« Was in solcher Weise die Haupthandlung des Traumes unterbricht, die nach einer Weile wieder fortgesetzt werden kann, das stellt sich im Traummaterial als ein Nebensatz, als ein eingeschobener Gedanke heraus. Die Kondition in den Traumgedanken wird im Traum durch Gleichzeitigkeit dargestellt (wenn – wann).
Was bedeutet die so häufig im Traum erscheinende Sensation der gehemmten Bewegung, die so nahe an Angst streift? Man will gehen und kommt nicht von der Stelle, will etwas verrichten und stößt fortwährend auf Hindernisse. Der Eisenbahnzug will sich in Bewegung setzen, und man kann ihn nicht erreichen; man hebt die Hand, um eine Beleidigung zu rächen, und sie versagt usw. Wir sind dieser Sensation im Traume schon bei den Exhibitionsträumen begegnet, haben ihre Deutung aber noch nicht ernstlich versucht. Es ist bequem aber unzureichend, zu antworten, im Schlaf bestehe motorische Lähmung, die sich durch die erwähnte Sensation bemerkbar macht. Wir dürfen fragen: Warum träumt man dann nicht beständig von solchen gehemmten Bewegungen?, und wir dürfen erwarten, daß diese im Schlaf jederzeit hervorzurufende Sensation irgendwelchen Zwecken der Darstellung diene und nur durch das im Traummaterial gegebene Bedürfnis nach dieser Darstellung erweckt werde.
Das Nichts-zustande-Bringen tritt im Traum nicht immer als Sensation, sondern auch einfach als Stück des Trauminhalts auf. Ich halte einen solchen Fall für besonders geeignet, uns über die Bedeutung dieses Traumrequisits aufzuklären. Ich werde verkürzt einen Traum mitteilen, in dem ich der Unredlichkeit beschuldigt erscheine. Die Örtlichkeit ist ein Gemenge aus einer Privatheilanstalt und mehreren anderen Lokalen. Ein Diener erscheint, um mich zu einer Untersuchung zu rufen. Im Traum weiß ich, daß etwas vermißt wird und daß die Untersuchung wegen des Verdachts erfolgt, daß ich mir das Verlorene angeeignet. Die an*lyse zeigt, daß Untersuchung zweideutig zu nehmen ist und ärztliche Untersuchung mit einschließt. Im Bewußtsein meiner Unschuld und meiner Konsiliarfunktion in diesem Hause gehe ich ruhig mit dem Diener. An einer Türe empfängt uns ein anderer Diener und sagt, auf mich deutend: Den haben Sie mitgebracht, der ist ja ein anständiger Mensch. Ich gehe dann ohne Diener in einen großen Saal, in dem Maschinen stehen, der mich an ein Inferno mit seinen höllischen Strafaufgaben erinnert. An einem Apparat sehe ich einen Kollegen eingespannt, der allen Grund hätte, sich um mich zu bekümmern; er beachtet mich aber nicht. Es heißt dann, daß ich jetzt gehen kann. Da finde ich meinen Hut nicht und kann doch nicht gehen.
Es ist offenbar die Wunscherfüllung des Traums, daß ich als ehrlicher Mann anerkannt werde und gehen darf; in den Traumgedanken muß also allerlei Material vorhanden sein, das den Widerspruch dagegen enthält. Daß ich gehen darf, ist das Zeichen meiner Absolution; wenn also der Traum am Ende ein Ereignis bringt, das mich im Gehen aufhält, so liegt es wohl nahe zu schließen, daß durch diesen Zug das unterdrückte Material des Widerspruchs sich zur Geltung bringt. Daß ich den Hut nicht finde, bedeutet also: Du bist doch kein ehrlicher Mensch. Das Nicht-zustande-Bringen des Traums ist ein Ausdruck des Widerspruches, ein »Nein«, wonach also die frühere Behauptung zu korrigieren ist, daß der Traum das Nein nicht auszudrücken vermag [Fußnote].
In anderen Träumen, welche das Nicht-zustande-Kommen der Bewegung nicht bloß als Situation, sondern als Sensation enthalten, ist derselbe Widerspruch durch die Sensation der Bewegungshemmung kräftiger ausgedrückt, als ein Wille, dem ein Gegenwille sich widersetzt. Die Sensation der Bewegungshemmung stellt also einen Willenskonflikt dar. Wir werden später hören, daß gerade die motorische Lähmung im Schlaf zu den fundamentalen Bedingungen des psychischen Vorgangs während des Träumens gehört. Der auf die motorischen Bahnen übertragene Impuls ist nun nichts anderes als der Wille, und daß wir sicher sind, im Schlaf diesen Impuls als gehemmt zu empfinden, macht den ganzen Vorgang so überaus geeignet zur Darstellung des Wollens und des »Nein«, das sich ihm entgegensetzt. Nach meiner Erklärung der Angst begreift es sich auch leicht, daß die Sensation der Willenshemmung der Angst so nahesteht und sich im Traume so oft mit ihr verbindet. Die Angst ist ein libidinöser Impuls, der vom Unbewußten ausgeht und vom Vorbewußten gehemmt wird [Fußnote]. Wo also im Traume die Sensation der Hemmung mit Angst verbunden ist, da muß es sich um ein Wollen handeln, das einmal fähig war, Libido zu entwickeln, um eine s**uelle Regung.
Was die häufig während eines Traums auftauchende Urteilsäußerung: »Das ist ja nur ein Traum«, bedeute und welcher psychischen Macht sie zuzuschreiben sei, werde ich an anderer Stelle (s. unten) erörtern. Ich nehme hier vorweg, daß sie zur Entwertung des Geträumten dienen soll. Das in der Nähe liegende interessante Problem, was dadurch ausgedrückt wird, wenn ein gewisser Inhalt im Traum selbst als »geträumt« bezeichnet wird, das Rätsel des »Traumes im Traume«, hat W. Stekel durch die an*lyse einiger überzeugender Beispiele in ähnlichem Sinne gelöst. Das »Geträumte« des Traumes soll wiederum entwertet, seiner Realität beraubt werden; was nach dem Erwachen aus dem »Traum im Traume« weiter geträumt wird, das will der Traumwunsch an die Stelle der ausgelöschten Realität setzen. Man darf also annehmen, daß das »Geträumte« die Darstellung der Realität, die wirkliche Erinnerung, der fortsetzende Traum im Gegenteil die Darstellung des bloß vom Träumer Gewünschten enthält. Der Einschluß eines gewissen Inhalts in einen »Traum im Traume« ist also gleichzusetzen dem Wunsche, daß das so als Traum Bezeichnete nicht hätte geschehen sollen. Mit anderen Worten: wenn eine bestimmte Begebenheit von der Traumarbeit selbst in einen Traum gesetzt wird, so bedeutet dies die entschiedenste Bestätigung der Realität dieser Begebenheit, die stärkste Bejahung derselben. Die Traumarbeit verwendet das Träumen selbst als eine Form der Ablehnung und bezeugt damit die Einsicht, daß der Traum eine Wunscherfüllung ist.
D
DIE RÜCKSICHT AUF DARSTELLBARKEIT
Wir haben es bisher mit der Untersuchung zu tun gehabt, wie der Traum die Relationen zwischen den Traumgedanken darstellt, griffen dabei aber mehrfach auf das weitere Thema zurück, welche Veränderung das Traummaterial überhaupt für die Zwecke der Traumbildung erfährt. Wir wissen nun, daß das Traummaterial, seiner Relationen zum guten Teile entblößt, einer Kompression unterliegt, während gleichzeitig Intensitätsverschiebungen zwischen seinen Elementen eine psychische Umwertung dieses Materials erzwingen. Die Verschiebungen, die wir berücksichtigt haben, erwiesen sich als Ersetzungen einer bestimmten Vorstellung durch eine andere ihr in der Assoziation irgendwie nahestehende, und sie wurden der Verdichtung dienstbar gemacht, indem auf solche Weise anstatt zweier Elemente ein mittleres Gemeinsames zwischen ihnen zur Aufnahme in den Traum gelangte. Von einer anderen Art der Verschiebung haben wir noch keine Erwähnung getan. Aus den an*lysen erfährt man aber, daß eine solche besteht und daß sie sich in einer Vertauschung des sprachlichen Ausdruckes für den betreffenden Gedanken kundgibt. Es handelt sich beide Male um Verschiebung längs einer Assoziationskette, aber der gleiche Vorgang findet in verschiedenen psychischen Sphären statt, und das Ergebnis dieser Verschiebung ist das eine Mal, daß ein Element durch ein anderes substituiert wird, während im anderen Falle ein Element seine Wortfa**ung gegen eine andere vertauscht.
Diese zweite Art der bei der Traumbildung vorkommenden Verschiebungen hat nicht nur großes theoretisches Interesse, sondern ist auch besonders gut geeignet, den Anschein phantastischer Absurdität, mit dem der Traum sich verkleidet, aufzuklären. Die Verschiebung erfolgt in der Regel nach der Richtung, daß ein farbloser und abstrakter Ausdruck des Traumgedankens gegen einen bildlichen und konkreten eingetauscht wird. Der Vorteil, und somit die Absicht dieses Ersatzes, liegt auf der Hand. Das Bildliche ist für den Traum darstellungsfähig, läßt sich in eine Situation einfügen, wo der abstrakte Ausdruck der Traumdarstellung ähnliche Schwierigkeiten bereiten würde wie etwa ein politischer Leitartikel einer Zeitung der Illustration. Aber nicht nur die Darstellbarkeit, auch die Interessen der Verdichtung und der Zensur können bei diesem Tausche gewinnen. Ist erst der abstrakt ausgedrückt unbrauchbare Traumgedanke in eine bildliche Sprache umgeformt, so ergeben sich zwischen diesem neuen Ausdruck und dem übrigen Traummaterial leichter als vorher die Berührungen und Identitäten, welcher die Traumarbeit bedarf und die sie schafft, wo sie nicht vorhanden sind, denn die konkreten Termini sind in jeder Sprache ihrer Entwicklung zufolge anknüpfungsreicher als die begrifflichen. Man kann sich vorstellen, daß ein gutes Stück der Zwischenarbeit bei der Traumbildung, welche die gesonderten Traumgedanken auf möglichst knappen und einheitlichen Ausdruck im Traume zu reduzieren sucht, auf solche Weise, durch pa**ende sprachliche Umformung der einzelnen Gedanken vor sich geht. Der eine Gedanke, dessen Ausdruck etwa aus anderen Gründen feststeht, wird dabei verteilend und auswählend auf die Ausdrucksmöglichkeiten des anderen einwirken, und dies vielleicht von vorneherein, ähnlich wie bei der Arbeit des Dichters. Wenn ein Gedicht in Reimen entstehen soll, so ist die zweite Reimzeile an zwei Bedingungen gebunden; sie muß den ihr zukommenden Sinn ausdrücken, und ihr Ausdruck muß den Gleichklang mit der ersten Reimzeile finden. Die besten Gedichte sind wohl die, wo man die Absicht, den Reim zu finden, nicht merkt, sondern wo beide Gedanken von vornherein durch gegenseitige Induzierung den sprachlichen Ausdruck gewählt haben, der mit leichter Nachbearbeitung den Gleichklang entstehen läßt.
In einigen Fällen dient die Ausdrucksvertauschung der Traumverdichtung noch auf kürzerem Wege, indem sie eine Wortfügung finden läßt, welche als zweideutig mehr als einem der Traumgedanken Ausdruck gestattet. Das ganze Gebiet des Wortwitzes wird so der Traumarbeit dienstbar gemacht. Man darf sich über die Rolle, welche dem Worte bei der Traumbildung zufällt, nicht wundern. Das Wort, als der Knotenpunkt mehrfacher Vorstellungen, ist sozusagen eine prädestinierte Vieldeutigkeit, und die Neurosen (Zwangsvorstellungen, Phobien) benützen die Vorteile, die das Wort so zur Verdichtung und Verkleidung bietet, nicht minder ungescheut wie der Traum [Fußnote]. Daß die Traumentstellung bei der Verschiebung des Ausdrucks mitprofitiert, ist leicht zu zeigen. Es ist ja irreführend, wenn ein zweideutiges Wort anstatt zweier eindeutiger gesetzt wird, und der Ersatz der alltäglich nüchternen Ausdrucksweise durch eine bildliche hält unser Verständnis auf, besonders da der Traum niemals aussagt, ob die von ihm gebrachten Elemente wörtlich oder im übertragenen Sinne zu deuten sind, direkt oder durch Vermittlung eingeschobener Redensarten auf das Traummaterial bezogen werden sollen. Es ist im allgemeinen bei der Deutung eines jeden Traumelements zweifelhaft, ob es:
1. im positiven oder negativen Sinne genommen werden soll (Gegensatzrelation);
2. historisch zu deuten ist (als Reminiszenz);
3. symbolisch, oder ob
4. seine Verwertung vom Wortlaute ausgehen soll.
Trotz dieser Vielseitigkeit darf man sagen, daß die Darstellung der Traumarbeit, die ja nicht beabsichtigt, verstanden zu werden, dem Übersetzer keine größeren Schwierigkeiten zumutet als etwa die alten Hieroglyphenschreiber ihren Lesern.
Beispiele von Darstellungen im Traume, die nur durch Zweideutigkeit des Ausdrucks zusammengehalten werden, habe ich bereits mehrere angeführt (»Der Mund geht gut auf« im Injektionstraum; »Ich kann doch nicht gehen« im letzten Traum, S. 332, usw.). Ich werde nun einen Traum mitteilen, in dessen an*lyse die Verbildlichung des abstrakten Gedankens eine größere Rolle spielt. Der Unterschied solcher Traumdeutung von der Deutung mittels Symbolik läßt sich noch immer scharf bestimmen; bei der symbolischen Traumdeutung wird der Schlüssel der Symbolisierung vom Traumdeuter willkürlich gewählt; in unseren Fällen von sprachlicher Verkleidung sind diese Schlüssel allgemein bekannt und durch feststehende Sprachübungen gegeben. Verfügt man über den richtigen Einfall zur rechten Gelegenheit, so kann man Träume dieser Art auch unabhängig von den Angaben des Träumers ganz oder stückweise auflösen.
Eine mir befreundete Dame träumt: Sie befindet sich in der Oper. Es ist eine Wagner-Vorstellung, die bis ¾ 8 Uhr morgens gedauert hat. Im Parkett und Parterre stehen Tische, an denen gespeist und getrunken wird. Ihr eben von der Hochzeitsreise heimgekehrter Vetter sitzt an einem solchen Tische mit seiner jungen Frau; neben ihnen ein Aristokrat. Von diesem heißt es, die junge Frau habe sich ihn von der Hochzeitsreise mitgebracht, ganz offen, etwa wie man einen Hut von der Hochzeitsreise mitbringt. Inmitten des Parketts befindet sich ein hoher Turm, der oben eine Plattform trägt, die von einem eisernen Gitter umgeben ist. Dort hoch oben ist der Dirigent mit den Zügen Hans Richters; er läuft beständig hinter seinem Gitter herum, schwitzt furchtbar und leitet von diesem Posten aus das unten um die Basis des Turms angeordnete Orchester. Sie selbst sitzt mit einer (mir bekannten) Freundin in einer Loge. Ihre jüngere Schwester will ihr aus dem Parkett ein großes Stück Kohle hinaufreichen mit der Motivierung, sie habe doch nicht gewußt, daß es so lange dauern werde, und müsse jetzt wohl erbärmlich frieren. (Etwa als ob die Logen während der langen Vorstellung geheizt werden müßten.)
Der Traum ist wohl unsinnig genug, obwohl sonst gut auf eine Situation gebracht. Der Turm mitten im Parkett, von dem aus der Dirigent das Orchester leitet; vor allem aber die Kohle, die ihr die Schwester hinaufreicht! Ich habe von diesem Traume absichtlich keine an*lyse verlangt; mit etwas Kenntnis von den persönlichen Beziehungen der Träumerin gelang es mir, Stücke von ihm selbständig zu deuten. Ich wußte, daß sie viel Sympathie für einen Musiker gehabt hatte, dessen Laufbahn vorzeitig durch Geisteskrankheit unterbrochen worden war. Ich entschloß mich also, den Turm im Parkett wörtlich zu nehmen. Dann kam heraus, daß der Mann, den sie an Hans Richters Stelle zu sehen gewünscht hätte, die übrigen Mitglieder des Orchesters turmhoch überragt. Dieser Turm ist als ein Mischgebilde durch Apposition zu bezeichnen; mit seinem Unterbau stellt er die Größe des Mannes dar, mit dem Gitter oben, hinter dem er wie ein Gefangener oder wie ein Tier im Käfig (Anspielung auf den Namen des Unglücklichen) [Fußnote] herumläuft, das spätere Schicksal desselben. »Narrenturm« wäre etwa das Wort, in dem die beiden Gedanken hätten zusammentreffen können. Nachdem so die Darstellungsweise des Traums aufgedeckt war, konnte man versuchen, die zweite scheinbare Absurdität, die mit den Kohlen, die ihr von der Schwester gereicht werden, mit demselben Schlüssel aufzulösen. »Kohle« mußte »heimliche Liebe« bedeuten.
»Kein Feuer, keine Kohle
kann brennen so heiß
als wie heimliche Liebe,
von der niemand was weiß.«
Sie selbst und ihre Freundin waren sitzen geblieben; die jüngere Schwester, die noch Aussicht hat zu heiraten, reicht ihr die Kohle hinauf, »weil sie doch nicht gewußt habe, daß es so lange dauern wird«. Was so lange dauern wird, ist im Traume nicht gesagt; in einer Erzählung würden wir ergänzen: die Vorstellung; im Traume dürfen wir den Satz für sich ins Auge fa**en, ihn für zweideutig erklären und hinzufügen, »bis sie heiratet«. Die Deutung »heimliche Liebe« wird dann unterstützt durch die Erwähnung des Vetters, der mit seiner Frau im Parkett sitzt, und durch die dieser letzteren angedichtete offene Liebschaft. Die Gegensätze zwischen heimlicher und offener Liebe, zwischen ihrem Feuer und der Kälte der jungen Frau beherrschen den Traum. Hier wie dort übrigens ein »Hochstehender« als Mittelwort zwischen dem Aristokraten und dem zu großen Hoffnungen berechtigenden Musiker.
Mit den vorstehenden Erörterungen haben wir endlich ein drittes Moment aufgedeckt, dessen Anteil bei der Verwandlung der Traumgedanken in den Trauminhalt nicht gering anzuschlagen ist: Die Rücksicht auf die Darstellbarkeit in dem eigentümlichen psychischen Material, dessen sich der Traum bedient, also zumeist in visuellen Bildern. Unter den verschiedenen Nebenanknüpfungen an die wesentlichen Traumgedanken wird diejenige bevorzugt werden, welche eine visuelle Darstellung erlaubt, und die Traumarbeit scheut nicht die Mühe, den spröden Gedanken etwa zuerst in eine andere sprachliche Form umzugießen, sei diese auch die ungewöhnlichere, wenn sie nur die Darstellung ermöglicht und so der psychologischen Bedrängnis des eingeklemmten Denkens ein Ende macht. Diese Umleerung des Gedankeninhalts in eine andere Form kann sich aber gleichzeitig in den Dienst der Verdichtungsarbeit stellen und Beziehungen zu einem anderen Gedanken schaffen, die sonst nicht vorhanden wären. Dieser andere Gedanke mag etwa selbst zum Zwecke des Entgegenkommens vorher seinen ursprünglichen Ausdruck verändert haben.
Herbert Silberer (1909) hat einen guten Weg gezeigt, wie man die bei der Traumbildung vor sich gehende Umsetzung der Gedanken in Bilder direkt beobachten und somit dies eine Moment der Traumarbeit isoliert studieren kann. Wenn er sich im Zustande der Ermüdung und Schlaftrunkenheit eine Denkanstrengung auferlegte, so ereignete es sich ihm häufig, daß der Gedanke entschlüpfte und dafür ein Bild auftrat, in dem er nun den Ersatz des Gedankens erkennen konnte. Silberer nennt diesen Ersatz nicht ganz zweckmäßig einen »autosymbolischen«. Ich gebe hier einige Beispiele aus der Arbeit von Silberer wieder, auf welche ich wegen gewisser Eigenschaften der beobachteten Phänomene noch an anderer Stelle zurückkommen werde.
»Beispiel Nr. 1. Ich denke daran, daß ich vorhabe, in einem Aufsatze eine holprige Stelle auszubessern.
Symbol: Ich sehe mich ein Stück Holz glatthobeln.«
»Beispiel Nr. 5. Ich suche mir den Zweck gewisser metaphysischer Studien, die ich eben zu betreiben vorhabe, zu vergegenwärtigen. Dieser Zweck besteht darin, so denke ich mir, daß man sich auf der Suche nach den Daseinsgründen zu immer höheren Bewußtseinsformen oder Daseinsschichten durcharbeitet.
Symbol: Ich fahre mit einem langen Messer unter eine Torte, wie um ein Stück davon zu nehmen.
Deutung: Meine Bewegung mit dem Messer bedeutet das ›Durcharbeiten‹, von dem die Rede ist... Die Erklärung des Symbolgrundes ist die folgende: Es fällt mir bei Tisch hie und da das Zerschneiden und Vorlegen einer Torte zu, ein Geschäft, welches ich mit einem langen, biegsamen Messer verrichte, was einige Sorgfalt erheischt. Insbesondere ist das reinliche Herausheben der geschnittenen Tortenteile mit gewissen Schwierigkeiten verbunden; das Messer muß behutsam unter die betreffenden Stücke geschoben werden (das langsame ›Durcharbeiten‹, um zu den Gründen zu gelangen). Es liegt aber noch mehr Symbolik in dem Bild. Die Torte des Symbols war nämlich eine Dobos-Torte, also eine Torte, bei welcher das schneidende Messer durch verschiedene Schichten zu dringen hat (die Schichten des Bewußtseins und Denkens).«
»Beispiel Nr. 9. Ich verliere in einem Gedankengang den Faden. Ich gebe mir Mühe, ihn wiederzufinden, muß aber erkennen, daß mir der Anknüpfungspunkt vollends entfallen ist.
Symbol: Ein Stück Schriftsatz, dessen letzte Zeilen herausgefallen sind.«
Angesichts der Rolle, welche Witzworte, Zitate, Lieder und Sprichwörter im Gedankenleben der Gebildeten spielen, wäre es vollkommen der Erwartung gemäß, wenn Verkleidungen solcher Art überaus häufig für Darstellung der Traumgedanken verwendet werden wollten. Was bedeuten z. B. im Traume Wagen, von denen jeder mit anderem Gemüse angefüllt ist? Es ist der Wunschgegensatz von »Kraut und Rüben«, also »Durcheinander«, und bedeutet demnach »Unordnung«. Ich habe mich gewundert, daß mir dieser Traum nur ein einziges Mal berichtet worden ist [Fußnote]. Nur für wenige Materien hat sich eine allgemein gültige Traumsymbolik herausgebildet, auf Grund allgemein bekannter Anspielungen und Wortersetzungen. Ein gutes Teil dieser Symbolik hat übrigens der Traum mit den Psychoneurosen, den Sagen und Volksgebräuchen gemeinsam.
Ja, wenn man genauer zusieht, muß man erkennen, daß die Traumarbeit mit dieser Art von Ersetzung überhaupt nichts Originelles leistet. Zur Erreichung ihrer Zwecke, in diesem Falle der zensurfreien Darstellbarkeit, wandelt sie eben nur die Wege, die sie im unbewußten Denken bereits gebahnt vorfindet, bevorzugt sie jene Umwandlungen des verdrängten Materials, die als Witz und Anspielung auch bewußtwerden dürfen und mit denen alle Phantasien der Neurotiker erfüllt sind. Hier eröffnet sich dann plötzlich ein Verständnis für die Traumdeutungen Scherners, deren richtigen Kern ich an anderer Stelle verteidigt habe. Die Phantasiebeschäftigung mit dem eigenen Körper ist keineswegs dem Traume allein eigentümlich oder für ihn charakteristisch. Meine an*lysen haben mir gezeigt, daß sie im unbewußten Denken der Neurotiker ein regelmäßiges Vorkommnis ist und auf s**uelle Neugierde zurückgeht, deren Gegenstand die Genitalien des anderen, aber doch auch des eigenen Geschlechts für den heranwachsenden Jüngling oder für die Jungfrau werden. Wie aber Scherner und Volkelt ganz zutreffend hervorheben, ist das Haus nicht der einzige Vorstellungskreis, der zur Symbolisierung der Leiblichkeit verwendet wird – im Traume so wenig wie im unbewußten Phantasieren der Neurose. Ich kenne Patienten, die allerdings die architektonische Symbolik des Körpers und der Genitalien (reicht doch das s**uelle Interesse weit über das Gebiet der äußeren Genitalien hinaus) beibehalten haben, denen Pfeiler und Säulen Beine bedeuten (wie im Hohen Lied), die jedes Tor an eine der Körperöffnungen (»Loch«), die jede Wa**erleitung an den Harnapparat denken läßt usw. Aber ebenso gerne wird der Vorstellungskreis des Pflanzenlebens oder der Küche zum Versteck s**ueller Bilder gewählt [Fußnote]; im ersteren Falle hat der Sprachgebrauch, der Niederschlag von Phantasievergleichungen ältester Zeiten, reichlich vorgearbeitet (der »Weinberg« des Herrn, der »Samen«, der »Garten« des Mädchens im Hohen Lied). In scheinbar harmlosen Anspielungen an die Verrichtungen der Küche la**en sich die häßlichsten wie die intimsten Einzelheiten des Sexuallebens denken und träumen, und die Symptomatik der Hysterie wird geradezu undeutbar, wenn man vergißt, daß sich s**uelle Symbolik hinter dem Alltäglichen und Unauffälligen als seinem besten Versteck verbergen kann. Es hat seinen guten s**uellen Sinn, wenn neurotische Kinder kein Blut und kein rohes Fleisch sehen wollen, bei Eiern und Nudeln erbrechen, wenn die dem Menschen natürliche Furcht vor der Schlange beim Neurotiker eine ungeheuerliche Steigerung erfährt, und überall, wo die Neurose sich solcher Verhüllung bedient, wandelt sie die Wege, die einst in alten Kulturperioden die ganze Menschheit begangen hat und von deren Existenz unter leichter Verschüttung heute noch Sprachgebrauch, Aberglaube und Sitte Zeugnis ablegen.
Ich füge hier den angekündigten Blumentraum einer Patientin ein, in dem ich alles, was s**uell zu deuten ist, unterstreiche. Der schöne Traum wollte der Träumerin nach der Deutung gar nicht mehr gefallen.
a) VORTRAUM: Sie geht in die Küche zu den beiden Mädchen und tadelt sie, daß sie nicht fertig werden »mit dem bissel Essen«, und sieht dabei soviel umgestürztes Geschirr zum Abtropfen stehen, grobes Geschirr in Haufen zusammengestellt. Späterer Zusatz: Die beiden Mädchen gehen Wa**er holen und müssen dabei wie in einen Fluß steigen, der bis ins Haus oder in den Hof reicht [Fußnote].
b) HAUPTTRAUM: [Fußnote] Sie steigt von hoch herab [Fußnote] über eigentümliche Geländer oder Zäune, die zu großen Carreaus vereinigt sind und aus Flechtwerk von kleinen Quadraten bestehen [Fußnote]. Es ist eigentlich nicht zum Steigen eingerichtet; sie hat immer Sorge, daß sie Platz für den Fuß findet, und freut sich, daß ihr Kleid dabei nirgends hängenbleibt, daß sie im Gehen so anständig bleibt [Fußnote]. Dabei trägt sie einen großen Ast in der Hand [Fußnote], eigentlich wie einen Baum, der dick mit roten Blüten besetzt ist, verzweigt und ausgebreitet [Fußnote]. Dabei ist die Idee Kirschblüten, sie sehen aber auch aus wie gefüllte Kamelien, die freilich nicht auf Bäumen wachsen. Während des Herabgehens hat sie zuerst einen, dann plötzlich zwei, später wieder einen [Fußnote]. Wie sie unten anlangt, sind die unteren Blüten schon ziemlich abgefallen. Sie sieht dann, unten angelangt, einen Hausknecht, der einen ebensolchen Baum, sie möchte sagen – kämmt, d. h. mit einem Holz dicke Haarbüschel, die wie Moos von ihm herabhängen, rauft. Andere Arbeiter haben solche Äste aus einem Garten abgehauen und auf die Straße geworfen, wo sie herumliegen, so daß viele Leute sich davon nehmen. Sie fragt aber, ob das recht ist, ob man sich auch einen nehmen kann [Fußnote]. Im Garten steht ein junger Mann (von ihr bekannter Persönlichkeit, ein Fremder), auf den sie zugeht, um ihn zu fragen, wie man solche Äste in ihren eigenen Garten umsetzen könne [Fußnote]. Er umfängt sie, worauf sie sich sträubt und ihn fragt, was ihm einfällt, ob man sie denn so umfangen darf. Er sagt, das ist kein Unrecht, das ist erlaubt [Fußnote]. Er erklärt sich dann bereit, mit ihr in den anderen Garten zu gehen, um ihr das Einsetzen zu zeigen, und sagt ihr etwas, was sie nicht recht versteht: Es fehlen mir ohnedies drei Meter – (später sagt sie: Quadratmeter) oder drei Klafter Grund. Es ist, als ob er für seine Bereitwilligkeit etwas von ihr verlangen würde, als ob er die Absicht hätte, sich in ihrem Garten zu entschädigen, oder als wollte er irgendein Gesetz betrügen, einen Vorteil davon haben, ohne daß sie einen Schaden hat. Ob er ihr dann wirklich etwas zeigt, weiß sie nicht.
Der vorstehende, wegen seiner symbolischen Elemente hervorgehobene Traum ist ein »biographischer« zu nennen. Solche Träume kommen in den Psychoan*lysen häufig vor, aber vielleicht nur selten außerhalb derselben [Fußnote].
Ich habe natürlich gerade an solchem Material Überfluß, aber dessen Mitteilung würde zu tief in die Erörterung neurotischer Verhältnisse führen. Alles leitete zum gleichen Schluß, daß man keine besondere symbolisierende Tätigkeit der Seele bei der Traumarbeit anzunehmen braucht, sondern daß der Traum sich solcher Symbolisierungen, welche im unbewußten Denken bereits fertig enthalten sind, bedient, weil sie wegen ihrer Darstellbarkeit, zumeist auch wegen ihrer Zensurfreiheit, den Anforderungen der Traumbildung besser genügen.
E
DIE DARSTELLUNG DURCH SYMBOLE IM TRAUME
WEITERE TYPISCHE TRÄUME
Die an*lyse des letzten biographischen Traums steht als Beweis dafür, daß ich die Symbolik im Traume von Anfang an erkannt habe. Zur vollen Würdigung ihres Umfangs und ihrer Bedeutung gelangte ich aber erst allmählich durch vermehrte Erfahrung und unter dem Einfluß der Arbeiten W. Stekels (1911), über die eine Äußerung hier am Platze ist.
Dieser Autor, der der Psychoan*lyse vielleicht ebensoviel geschadet als genützt hat, brachte eine große Anzahl von unvermuteten Symbolübersetzungen vor, die anfänglich nicht geglaubt wurden, später aber größtenteils Bestätigung fanden und angenommen werden mußten. Stekels Verdienst wird durch die Bemerkung nicht geschmälert, daß die skeptische Zurückhaltung der anderen nicht ungerechtfertigt war. Denn die Beispiele, auf welche er seine Deutungen stützte, waren häufig nicht überzeugend, und er hatte sich einer Methode bedient, die als wissenschaftlich unzuverlässig zu verwerfen ist. Stekel fand seine Symboldeutungen auf dem Wege der Intuition, kraft eines ihm eigenen Vermögens, die Symbole unmittelbar zu verstehen. Eine solche Kunst ist aber nicht allgemein vorauszusetzen, ihre Leistungsfähigkeit ist jeder Kritik entzogen, und ihre Ergebnisse haben daher auf Glaubwürdigkeit keinen Anspruch. Es ist ähnlich, als wollte man die Diagnose der Infektionskrankheiten auf die Geruchseindrücke am Krankenbette gründen, obwohl es unzweifelhaft Kliniker gab, denen der bei den meisten verkümmerte Geruchssinn mehr leistete als anderen und die wirklich imstande waren, einen Abdominaltyphus nach dem Geruch zu diagnostizieren.
Die fortschreitende Erfahrung der Psychoan*lyse hat uns Patienten auffinden la**en, die ein solches unmittelbares Verständnis der Traumsymbolik in überraschender Weise an den Tag legten. Häufig waren es an Dementia praecox Leidende, so daß eine Zeitlang die Neigung bestand, alle Träumer mit solchem Symbolverständnis dieser Affektion zu verdächtigen. Allein das trifft nicht zu, es handelt sich um eine persönliche Begabung oder Eigentümlichkeit ohne ersichtliche pathologische Bedeutung.
Wenn man sich mit der ausgiebigen Verwendung der Symbolik für die Darstellung s**uellen Materials im Traume vertraut gemacht hat, muß man sich die Frage vorlegen, ob nicht viele dieser Symbole wie die »Sigel« der Stenographie mit ein für allemal festgelegter Bedeutung auftreten, und sieht sich vor der Versuchung, ein neues Traumbuch nach der Chiffriermethode zu entwerfen. Dazu ist zu bemerken: Diese Symbolik gehört nicht dem Traume zu eigen an, sondern dem unbewußten Vorstellen, speziell des Volkes, und ist im Folklore, in den Mythen, Sagen, Redensarten, in der Spruchweisheit und in den umlaufenden Witzen eines Volkes vollständiger als im Traume aufzufinden.
Wir müßten also die Aufgabe der Traumdeutung weit überschreiten, wenn wir der Bedeutung des Symbols gerecht werden und die zahlreichen, großenteils noch ungelösten Probleme erörtern wollten, welche sich an den Begriff des Symbols knüpfen [Fußnote]. Wir wollen uns hier darauf beschränken zu sagen, daß die Darstellung durch ein Symbol zu den indirekten Darstellungen gehört, daß wir aber durch allerlei Anzeichen gewarnt werden, die Symboldarstellung unterschiedslos mit den anderen Arten indirekter Darstellung zusammenzuwerfen, ohne noch diese unterscheidenden Merkmale in begrifflicher Klarheit erfa**en zu können. In einer Reihe von Fällen ist das Gemeinsame zwischen dem Symbol und dem Eigentlichen, für welches es eintritt, offenkundig, in anderen ist es versteckt; die Wahl des Symbols erscheint dann rätselhaft. Gerade diese Fälle müssen auf den letzten Sinn der Symbolbeziehung Licht werfen können; sie weisen darauf hin, daß dieselbe genetischer Natur ist. Was heute symbolisch verbunden ist, war wahrscheinlich in Urzeiten durch begriffliche und sprachliche Identität vereint [Fußnote]. Die Symbolbeziehung scheint ein Rest und Merkzeichen einstiger Identität. Dabei kann man beobachten, daß die Symbolgemeinschaft in einer Anzahl von Fällen über die Sprachgemeinschaft hinausreicht, wie bereits Schubert (1814) behauptet hat [Fußnote]. Eine Anzahl von Symbolen ist so alt wie die Sprachbildung überhaupt, andere werden aber in der Gegenwart fortlaufend neu gebildet (z. B. das Luftschiff, der Zeppelin).
Der Traum bedient sich nun dieser Symbolik zur verkleideten Darstellung seiner latenten Gedanken. Unter den so verwendeten Symbolen sind nun allerdings viele, die regelmäßig oder fast regelmäßig das nämliche bedeuten wollen. Nur möge man der eigentümlichen Plastizität des psychischen Materials eingedenk bleiben. Ein Symbol kann oft genug im Trauminhalt nicht symbolisch, sondern in seinem eigentlichen Sinne zu deuten sein; andere Male kann ein Träumer sich aus speziellem Erinnerungsmaterial das Recht schaffen, alles mögliche als Sexualsymbol zu verwenden, was nicht allgemein so verwendet wird. Wo ihm zur Darstellung eines Inhalts mehrere Symbole zur Auswahl bereitstehen, wird er sich für jenes Symbol entscheiden, das überdies noch Sachbeziehungen zu seinem sonstigen Gedankenmaterial aufweist, also eine individuelle Motivierung neben der typisch gültigen gestattet.
Wenn die neueren Forschungen über den Traum seit Scherner die Anerkennung der Traumsymbolik unabweisbar gemacht haben – selbst H. Ellis bekennt sich dazu, es sei ein Zweifel nicht möglich, daß unsere Träume von Symbolik erfüllt seien –, so ist doch zuzugeben, daß die Aufgabe einer Traumdeutung durch die Existenz der Symbole im Traume nicht nur erleichtert, sondern auch erschwert wird. Die Technik der Deutung nach den freien Einfällen des Träumers läßt uns für die symbolischen Elemente des Trauminhaltes meist im Stich; eine Rückkehr zur Willkür des Traumdeuters, wie sie im Altertum geübt wurde und in den verwilderten Deutungen von Stekel wieder aufzuleben scheint, ist aus Motiven wissenschaftlicher Kritik ausgeschlossen. Somit nötigen uns die im Trauminhalt vorhandenen, symbolisch aufzufa**enden Elemente zu einer kombinierten Technik, welche sich einerseits auf die Assoziationen des Träumers stützt, anderseits das Fehlende aus dem Symbolverständnis des Deuters einsetzt. Kritische Vorsicht in der Auflösung der Symbole und sorgfältiges Studium derselben an besonders durchsichtigen Traumbeispielen müssen zusammentreffen, um den Vorwurf der Willkürlichkeit in der Traumdeutung zu entkräften. Die Unsicherheiten, die unserer Tätigkeit als Deuter des Traumes noch anhaften, rühren zum Teil von unserer unvollkommenen Erkenntnis her, die durch weitere Vertiefung fortschreitend gehoben werden kann, zum anderen Teil hängen sie gerade von gewissen Eigenschaften der Traumsymbole ab. Dieselben sind oft viel- und mehrdeutig, so daß, wie in der chinesischen Schrift, erst der Zusammenhang die jedesmal richtige Auffa**ung ermöglicht. Mit dieser Vieldeutigkeit der Symbole verbindet sich dann die Eignung des Traumes, Überdeutungen zuzula**en, in einem Inhalt verschiedene, oft ihrer Natur nach sehr abweichende Gedankenbildungen und Wunschregungen darzustellen.
Nach diesen Einschränkungen und Verwahrungen führe ich an: Der Kaiser und die Kaiserin (König und Königin) stellen wirklich zumeist die Eltern des Träumers dar, Prinz oder Prinzessin ist er selbst. Dieselbe hohe Autorität wie dem Kaiser wird aber auch großen Männern zugestanden, darum erscheint in manchen Träumen z. B. Goethe als Vatersymbol. (Hitschmann.) – Alle in die Länge reichenden Objekte, Stöcke, Baumstämme, Schirme (des der Erektion vergleichbaren Aufspannens wegen!), alle länglichen und scharfen Waffen: Messer, Dolche, Piken, wollen das männliche Glied vertreten. Ein häufiges, nicht recht verständliches Symbol desselben ist die Nagelfeile (des Reibens und Schabens wegen?). – Dosen, Schachteln, Kästen, Schränke, Öfen entsprechen dem Frauenleib, aber auch Höhlen, Schiffe und alle Arten von Gefäßen. – Zimmer im Traume sind zumeist Frauenzimmer, die Schilderung ihrer verschiedenen Eingänge und Ausgänge macht an dieser Auslegung gerade nicht irre. [Fußnote] Das Interesse, ob das Zimmer »offen« oder »verschlossen« ist, wird in diesem Zusammenhange leicht verständlich. (Vgl. den Traum Doras im ›Bruchstück einer Hysterie-an*lyse‹.) Welcher Schlüssel das Zimmer aufsperrt, braucht dann nicht ausdrücklich gesagt zu werden; die Symbolik von Schloß und Schlüssel hat Uhland im Lied vom ›Grafen Eberstein‹ zur anmutigsten Zote gedient. – Der Traum, durch eine Flucht von Zimmern zu gehen, ist ein Bordell- oder Haremstraum. Er wird aber, wie H. Sachs an schönen Beispielen gezeigt hat, zur Darstellung der Ehe (Gegensatz) verwendet. – Eine interessante Beziehung zur infantilen Sexualforschung ergibt sich, wenn der Träumer von zwei Zimmern träumt, die früher eines waren, oder ein ihm bekanntes Zimmer einer Wohnung im Traume in zwei geteilt sieht oder das Umgekehrte. In der Kindheit hat man das weibliche Genitale (den Popo) für einen einzigen Raum gehalten (die infantile Kloakentheorie) und erst später erfahren, daß diese Körperregion zwei gesonderte Höhlungen und Öffnungen umfaßt. – Stiegen, Leitern, Treppen, respektive das Steigen auf ihnen, und zwar sowohl aufwärts als abwärts, sind symbolische Darstellungen des Geschlechtsaktes [Fußnote]. – Glatte Wände, über die man klettert, Fa**aden von Häusern, an denen man sich – häufig unter starker Angst – herabläßt, entsprechen aufrechten menschlichen Körpern, wiederholen im Traum wahrscheinlich die Erinnerung an das Emporklettern des kleinen Kindes an Eltern und Pflegepersonen. Die »glatten« Mauern sind Männer; an den »Vorsprüngen« der Häuser hält man sich nicht selten in der Traumangst fest. – Tische, gedeckte Tische und Bretter sind gleichfalls Frauen, wohl des Gegensatzes wegen, der hier die Körperwölbungen aufhebt. »Holz« scheint überhaupt nach seinen sprachlichen Beziehungen ein Vertreter des weiblichen Stoffes (Materie) zu sein. Der Name der Insel Madeira bedeutet im Portugiesischen: Holz. Da »Tisch und Bett« die Ehe ausmachen, wird im Traum häufig der erstere für das letztere gesetzt und, soweit es angeht, der s**uelle Vorstellungskomplex auf den Eßkomplex transponiert. – Von Kleidungsstücken ist der Hut einer Frau sehr häufig mit Sicherheit als Genitale, und zwar des Mannes, zu deuten. Ebenso der Mantel, wobei es dahingestellt bleibt, welcher Anteil an dieser Symbolverwendung dem Wortanklang zukommt. In Träumen der Männer findet man häufig die Krawatte als Symbol des Penis, wohl nicht nur darum, weil sie lange herabhängt und für den Mann charakteristisch ist, sondern auch, weil man sie nach seinem Wohlgefallen auswählen kann, eine Freiheit, die beim Eigentlichen dieses Symbols von der Natur verwehrt ist [Fußnote]. Personen, die dies Symbol im Traume verwenden, treiben im Leben oft großen Luxus mit Krawatten und besitzen förmliche Sammlungen von ihnen. – Alle komplizierten Maschinerien und Apparate der Träume sind mit großer Wahrscheinlichkeit Genitalien – in der Regel männliche –, in deren Beschreibung sich die Traumsymbolik so unermüdlich wie die Witzarbeit erweist. Ganz unverkennbar ist es auch, daß alle Waffen und Werkzeuge zu Symbolen des männlichen Gliedes verwendet werden: Pflug, Hammer, Flinte, Revolver, Dolch, Säbel usw. – Ebenso sind viele Landschaften der Träume, besonders solche mit Brücken oder mit bewaldeten Bergen, unschwer als Genitalbeschreibungen zu erkennen. Marcinowski hat eine Reihe von Beispielen gesammelt, in denen die Träumer ihre Träume durch Zeichnungen erläuterten, welche die darin vorkommenden Landschaften und Räumlichkeiten darstellen sollten. Diese Zeichnungen machen den Unterschied von manifester und latenter Bedeutung im Traume sehr anschaulich. Während sie, arglos betrachtet, Pläne, Landkarten u. dgl. zu bringen scheinen, enthüllen sie sich einer eindringlicheren Untersuchung als Darstellungen des menschlichen Körpers, der Genitalien usw. und ermöglichen erst nach dieser Auffa**ung das Verständnis des Traumes. (Vgl. hiezu Pfisters Arbeiten über Kryptographie und Vexierbilder.) Auch darf man bei unverständlichen Wortneubildungen an Zusammensetzung aus Bestandteilen mit s**ueller Bedeutung denken. – Auch Kinder bedeuten im Traume oft nichts anderes als Genitalien, wie ja Männer und Frauen gewohnt sind, ihr Genitale liebkosend als ihr »Kleines« zu bezeichnen. Den »kleinen Bruder« hat Stekel richtig als den Penis erkannt. Mit einem kleinen Kinde spielen, den Kleinen schlagen usw. sind häufig Traumdarstellungen der Onanie. – Zur symbolischen Darstellung der Kastration dient der Traumarbeit: die Kahlheit, das Haarschneiden, der Zahnausfall und das Köpfen. Als Verwahrung gegen die Kastration ist es aufzufa**en, wenn eines der gebräuchlichen Penissymbole im Traume in Doppel- oder Mehrzahl vorkommt. Auch das Auftreten der Eidechse im Traume – eines Tieres, dem der abgerissene Schwanz nachwächst – hat dieselbe Bedeutung. (Vgl. oben den Eidechsentraum S. 38 f.) – Von den Tieren, die in Mythologie und Folklore als Genitalsymbole verwendet werden, spielen mehrere auch im Traum diese Rolle: der Fisch, die Schnecke, die Katze, die Maus (der Genitalbehaarung wegen), vor allem aber das bedeutsamste Symbol des männlichen Gliedes, die Schlange. Kleine Tiere, Ungeziefer sind die Vertreter von kleinen Kindern, z. B. der unerwünschten Geschwister; mit Ungeziefer behaftet sein ist oft gleichzusetzen der Gravidität. – Als ein ganz rezentes Traumsymbol des männlichen Genitales ist das Luftschiff zu erwähnen, welches sowohl durch seine Beziehung zum Fliegen wie gelegentlich durch seine Form solche Verwendung rechtfertigt.
Eine Reihe anderer, zum Teil noch nicht genügend verifizierter Symbole hat Stekel angegeben und durch Beispiele belegt. Die Schriften von Stekel, besonders sein Buch: Die Sprache des Traumes (1911), enthalten die reichste Sammlung von Symbolauflösungen, die zum Teil scharfsinnig erraten sind und sich bei der Nachprüfung als richtig erwiesen haben, z. B. in dem Abschnitt über die Symbolik des Todes. Die mangelhafte Kritik des Verfa**ers und seine Neigung zu Verallgemeinerungen um jeden Preis machen aber andere seiner Deutungen zweifelhaft oder unverwendbar, so daß bei dem Gebrauch dieser Arbeiten Vorsicht dringend anzuraten ist. Ich beschränke mich darum auf die Hervorhebung weniger Beispiele.
Rechts und Links sollen nach Stekel im Traum ethisch aufzufa**en sein. »Der rechte Weg bedeutet immer den Weg des Rechtes, der linke den des Verbrechens. So kann der linke h*mos**ualität, Inzest, Perversion, der rechte die Ehe, Verkehr mit einer Dirne usw. darstellen. Immer gewertet von dem individuell moralischen Standpunkt des Träumers« (Stekel, 1909, 466 ff.). Die Verwandten überhaupt spielen im Traume meistens die Rolle von Genitalien (ibid., 473). Hier kann ich in dieser Bedeutung nur den Sohn, die Tochter, die jüngere Schwester bestätigen, soweit also das Anwendungsgebiet des »Kleinen« reicht. Dagegen erkennt man an gesicherten Beispielen die Schwestern als Symbole der Brüste, die Brüder als solche der großen Hemisphären. Das Nichteinholen eines Wagens löst Stekel als das Bedauern über eine nicht einzuholende Altersdifferenz (ibid., 479). Das Gepäck, mit dem man reist, sei die Sündenlast, von der man gedrückt wird (loc. cit.). Gerade das Reisegepäck erweist sich aber häufig als unverkennbares Symbol der eigenen Genitalien. Auch den häufig in Träumen vorkommenden Zahlen hat Stekel fixierte Symbolbedeutungen zugewiesen, doch erscheinen diese Auflösungen weder genügend sichergestellt noch allgemein gültig, wenngleich die Deutung im einzelnen Falle meist als wahrscheinlich anerkannt werden darf. Die Dreizahl ist übrigens ein mehrseitig sichergestelltes Symbol des männlichen Genitales. Eine der Verallgemeinerungen, welche Stekel aufstellt, bezieht sich auf die doppelsinnige Bedeutung der Genitalsymbole. »Wo gäbe es ein Symbol, das – wenn es die Phantasie nur einigermaßen erlaubt – nicht männlich und weiblich zugleich gebraucht werden könnte!« Der eingeschobene Satz nimmt allerdings viel von der Sicherheit dieser Behauptung zurück, denn die Phantasie erlaubt es eben nicht immer. Ich halte es aber doch für nicht überflüssig, auszusprechen, daß nach meinen Erfahrungen der allgemeine Satz Stekels vor der Anerkennung einer größeren Mannigfaltigkeit zurückzutreten hat. Außer Symbolen, die ebenso häufig für das männliche wie für das weibliche Genitale stehen, gibt es solche, die vorwiegend oder fast ausschließlich eines der Geschlechter bezeichnen, und noch andere, von denen nur die männliche oder nur die weibliche Bedeutung bekannt ist. Lange, feste Gegenstände und Waffen als Symbole des weiblichen Genitales zu gebrauchen oder hohle (Kasten, Schachteln, Dosen usw.) als Symbole des männlichen, gestattet eben die Phantasie nicht.
Es ist richtig, daß die Neigung des Traumes und der unbewußten Phantasien, die Sexualsymbole bis**uell zu verwenden, einen archaischen Zug verrät, da in der Kindheit die Verschiedenheit der Genitalien unbekannt ist und beiden Geschlechtern das nämliche Genitale zugesprochen wird. Man kann aber auch zur irrigen Annahme eines bis**uellen Sexualsymbols verleitet werden, wenn man daran vergißt, daß in manchen Träumen eine allgemeine Geschlechtsverkehrung vorgenommen wird, so daß das Männliche durch Weibliches dargestellt wird und umgekehrt. Solche Träume drücken z. B. den Wunsch einer Frau aus, lieber ein Mann zu sein.
Die Genitalien können auch im Traum durch andere Körperteile vertreten werden, das männliche Glied durch die Hand oder den Fuß, die weibliche Genitalöffnung durch den Mund, das Ohr, selbst das Auge. Die Sekrete des menschlichen Körpers – Schleim, Tränen, Harn, Sperma usw. – können im Traum füreinander gesetzt werden. Diese im ganzen richtige Aufstellung von W. Stekel hat eine berechtigte kritische Einschränkung durch Bemerkungen von R. Reitler erfahren (1913 b). Es handelt sich im wesentlichen um Ersetzung der bedeutungsvollen Sekrete wie des Samens durch ein indifferentes.
Diese in hohem Grade unvollständigen Andeutungen mögen genügen, um andere zu sorgfältigerer Sammelarbeit anzuregen. [Fußnote] Eine weit ausführlichere Darstellung der Traumsymbolik habe ich in meinen Vorlesungen zur Einführung in die Psychoan*lyse (1916/17) versucht.
Ich werde nun einige Beispiele von der Verwendung solcher Symbole in Träumen anfügen, welche zeigen sollen, wie unmöglich es wird, zur Deutung des Traums zu gelangen, wenn man sich der Traumsymbolik verschließt, wie unabweisbar sich aber eine solche auch in vielen Fällen aufdrängt. An derselben Stelle möchte ich aber nachdrücklich davor warnen, die Bedeutung der Symbole für die Traumdeutung zu überschätzen, etwa die Arbeit der Traumübersetzung auf Symbolübersetzung einzuschränken und die Technik der Verwertung von Einfällen des Träumers aufzugeben. Die beiden Techniken der Traumdeutung müssen einander ergänzen; praktisch wie theoretisch verbleibt aber der Vorrang dem zuerst beschriebenen Verfahren, das den Äußerungen des Träumers die entscheidende Bedeutung beilegt, während die von uns vorgenommene Symbolübersetzung als Hilfsmittel hinzutritt.
1
Der Hut als Symbol des Mannes
(des männlichen Genitales)
(Teilstück aus dem Traum einer jungen, infolge von Versuchungsangst agoraphobischen Frau)
»Ich gehe im Sommer auf der Straße spazieren, trage einen Strohhut von eigentümlicher Form, dessen Mittelstück nach oben aufgebogen ist, dessen Seitenteile nach abwärts hängen (Beschreibung hier stockend), und zwar so, daß der eine tiefer steht als der andere. Ich bin heiter und in sicherer Stimmung, und wie ich an einem Trupp junger Offiziere vorbeigehe, denke ich mir: Ihr könnt mir alle nichts anhaben.«
Da sie zu dem Hut im Traume keinen Einfall produzieren kann, sage ich ihr: Der Hut ist wohl ein männliches Genitale mit seinem emporgerichteten Mittelstück und den beiden herabhängenden Seitenteilen. Daß der Hut ein Mann sein soll, ist vielleicht sonderbar, aber man sagt ja auch: »Unter die Haube kommen!« Absichtlich enthalte ich mich der Deutung jenes Details über das ungleiche Herabhängen der beiden Seitenteile, obwohl gerade solche Einzelheiten in ihrer Determinierung der Deutung den Weg weisen müssen. Ich setze fort: Wenn sie also einen Mann mit so prächtigem Genitale hat, braucht sie sich vor den Offizieren nicht zu fürchten, d. h. nichts von ihnen zu wünschen, da sie sonst wesentlich durch ihre Versuchungsphantasien vom Gehen ohne Schutz und Begleitung abgehalten wird. Diese letztere Aufklärung ihrer Angst hatte ich ihr schon zu wiederholten Malen, auf anderes Material gestützt, geben können.
Es ist nun sehr beachtenswert, wie sich die Träumerin nach dieser Deutung benimmt. Sie zieht die Beschreibung des Huts zurück und will nicht gesagt haben, daß die beiden Seitenteile nach abwärts hingen. Ich bin des Gehörten zu sicher, um mich beirren zu la**en, und beharre dabei. Sie schweigt eine Weile und findet dann den Mut zu fragen, was es bedeute, daß bei ihrem Manne ein Hoden tiefer stehe als der andere, und ob es bei allen Männern so sei. Damit war dies sonderbare Detail des Hutes aufgeklärt und die ganze Deutung von ihr akzeptiert.
Das Hutsymbol war mir längst bekannt, als mir die Patientin diesen Traum mitteilte. Aus anderen, aber minder durchsichtigen Fällen glaubte ich zu entnehmen, daß der Hut auch für ein weibliches Genitale stehen kann [Fußnote].
2
Das Kleine ist das Genitale –
das Überfahrenwerden ist ein Symbol des Geschlechtsverkehres
(Ein anderer Traum derselben agoraphobischen Patientin)
Ihre Mutter schickt ihre kleine Tochter weg, damit sie allein gehen muß. Sie fährt dann mit der Mutter in der Eisenbahn und sieht ihre Kleine direkt auf den Schienenweg zugehen, so daß sie überfahren werden muß. Man hört die Knochen krachen (dabei ein unbehagliches Gefühl, aber kein eigentliches Entsetzen). Dann sieht sie sich aus dem Waggonfenster um, ob man nicht hinten die Teile sieht. Dann macht sie ihrer Mutter Vorwürfe, daß sie die Kleine allein hat gehen la**en.
an*lYSE: Die vollständige Deutung des Traumes ist hier nicht leicht zu geben. Er stammt aus einem Zyklus von Träumen und kann nur im Zusammenhange mit diesen anderen voll verstanden werden. Es ist eben nicht leicht, das für den Erweis der Symbolik benötigte Material genügend isoliert zu bekommen. – Die Kranke findet zuerst, daß die Eisenbahnfahrt historisch zu deuten ist, als Anspielung auf eine Fahrt von einer Nervenheilanstalt weg, in deren Leiter sie natürlich verliebt war. Die Mutter holte sie von dort ab, der Arzt erschien auf dem Bahnhof und überreichte ihr einen Strauß Blumen zum Abschied; es war ihr unangenehm, daß die Mutter Zeugin dieser Huldigung sein mußte. Hier erscheint also die Mutter als Störerin ihrer Liebesbestrebungen, welche Rolle der strengen Frau während ihrer Mädchenjahre wirklich zugefallen war. – Der nächste Einfall bezieht sich auf den Satz: sie sieht sich um, ob man nicht die Teile von hinten sieht. In der Traumfa**ade müßte man natürlich an die Teile des überfahrenen und zermalmten Töchterchens denken. Der Einfall weist aber nach ganz anderer Richtung. Sie erinnert, daß sie einmal den Vater im Badezimmer nackt von rückwärts gesehen, kommt auf die Geschlechtsunterschiede zu sprechen und hebt hervor, daß man beim Manne die Genitalien noch von rückwärts sehen könne, beim Weibe aber nicht. In diesem Zusammenhange deutet sie nun selbst, daß das Kleine das Genitale sei, ihre Kleine (sie hat eine vierjährige Tochter) ihr eigenes Genitale. Sie macht der Mutter den Vorwurf, daß sie verlangt hätte, sie solle so leben, als ob sie kein Genitale hätte, und findet diesen Vorwurf in dem einleitenden Satz des Traumes wieder: Die Mutter schickte ihre Kleine weg, damit sie allein gehen mußte. In ihrer Phantasie bedeutet das Alleingehen auf der Straße keinen Mann, keine s**uelle Beziehung haben (coire = zusammengehen), und das mag sie nicht. Nach allen ihren Angaben hat sie wirklich als Mädchen unter der Eifersucht der Mutter infolge ihrer Bevorzugung durch den Vater gelitten.
Die tiefere Deutung dieses Traumes ergibt sich aus einem anderen Traum derselben Nacht, in dem sie sich mit ihrem Bruder identifiziert. Sie war wirklich ein bubenhaftes Mädel, mußte oft hören, daß an ihr ein Bub verlorengegangen sei. Zu dieser Identifizierung mit dem Bruder wird es dann besonders klar, daß das »Kleine« das Genitale bedeutet. Die Mutter droht ihm (ihr) mit der Kastration, die nichts anderes als Bestrafung für das Spielen mit dem Gliede sein kann, und somit zeigt die Identifizierung, daß sie selbst als Kind onaniert hat, was ihre Erinnerung bisher nur vom Bruder bewahrt hatte. Eine Kenntnis des männlichen Genitales, die ihr später verlorenging, muß sie nach den Angaben dieses zweiten Traums damals früh erworben haben. Ferner deutet der zweite Traum auf die infantile Sexualtheorie hin, daß die Mädel durch Kastration aus Buben hervorgehen. Nachdem ich ihr diese Kindermeinung vorgetragen, findet sie sofort eine Bestätigung hiefür in der Kenntnis der Anekdote, daß der Bub das Mädel fragt: Abgeschnitten? worauf das Mädel antwortet: Nein, immer so g'west.
Das Wegschicken der Kleinen, des Genitales, im ersten Traum, bezieht sich also auch auf die Kastrationsdrohung. Schließlich grollt sie der Mutter, daß sie sie nicht als Knaben geboren hat.
Daß das »Überfahrenwerden« s**uellen Verkehr symbolisiert, würde aus diesem Traume nicht evident, wenn man es nicht aus zahlreichen anderen Quellen sicher wüßte.
3
Darstellung des Genitales durch Gebäude, Stiegen, Schachte
(Traum eines durch seinen Vaterkomplex gehemmten jungen Mannes)
»Er geht mit seinem Vater an einem Ort spazieren, der gewiß der Prater ist, denn man sieht die Rotunde, vor dieser einen kleineren Vorbau, an dem ein Fesselballon angebracht ist, der aber ziemlich schlaff scheint. Sein Vater fragt ihn, wozu das alles ist; er wundert sich darüber, erklärt es ihm aber. Dann kommen sie in einen Hof, in dem eine große Platte von Blech ausgebreitet liegt. Sein Vater will sich ein großes Stück davon abreißen, sieht sich aber vorher um, ob es nicht jemand bemerken kann. Er sagt ihm, er braucht es doch nur dem Aufseher zu sagen, dann kann er sich ohne weiteres davon nehmen. Aus diesem Hof führt eine Treppe in einen Schacht hinunter, dessen Wände weich ausgepolstert sind, etwa wie ein Lederfauteuil. Am Ende dieses Schachtes ist eine längere Plattform, und dann beginnt ein neuer Schacht...«
an*lYSE: Dieser Träumer gehörte einem therapeutisch nicht günstigen Typus von Kranken an, die bis zu einem gewissen Punkt der an*lyse überhaupt keine Widerstände machen und sich von da an fast unzugänglich erweisen. Diesen Traum deutete er fast selbständig. Die Rotunde, sagte er, ist mein Genitale, der Fesselballon davor mein Penis, über dessen Schlaffheit ich zu klagen habe. Man darf also eingehender übersetzen, die Rotunde sei das – vom Kind regelmäßig zum Genitale gerechnete – Gesäß, der kleinere Vorbau der Hodensack. Im Traum fragt ihn der Vater, was das alles ist, d. h. nach Zweck und Verrichtung der Genitalien. Es liegt nahe, diesen Sachverhalt umzukehren, so daß er der fragende Teil wird. Da eine solche Befragung des Vaters in Wirklichkeit nie stattgefunden hat, muß man den Traumgedanken als Wunsch auffa**en oder ihn etwa konditionell nehmen: »Wenn ich den Vater um s**uelle Aufklärung gebeten hätte.« Die Fortsetzung dieses Gedankens werden wir bald an anderer Stelle finden.
Der Hof, in dem das Blech ausgebreitet liegt, ist nicht in erster Linie symbolisch zu fa**en, sondern stammt aus dem Geschäftslokal des Vaters. Aus Gründen der Diskretion habe ich das »Blech« für das andere Material, mit dem der Vater handelt, eingesetzt, ohne sonst etwas am Wortlaut des Traumes zu ändern. Der Träumer ist in das Geschäft des Vaters eingetreten und hat an den eher unkorrekten Praktiken, auf denen der Gewinn zum Teil beruht, gewaltigen Anstoß genommen. Daher dürfte die Fortsetzung des obigen Traumgedankens lauten: »(Wenn ich ihn gefragt hätte), würde er mich betrogen haben, wie er seine Kunden betrügt.« Für das Abreißen, welches der Darstellung der geschäftlichen Unredlichkeit dient, gibt der Träumer selbst die zweite Erklärung, es bedeute die Onanie. Dies ist uns nicht nur längst bekannt (siehe oben, S. 343 Anm. 144), sondern stimmt auch sehr gut dazu, daß das Geheimnis der Onanie durch das Gegenteil ausgedrückt ist (man darf es ja offen tun). Es entspricht dann allen Erwartungen, daß die onanistische Tätigkeit wieder dem Vater zugeschoben wird, wie die Befragung in der ersten Traumszene. Den Schacht deutet er sofort unter Berufung auf die weiche Polsterung der Wände als Vagina. Daß das Herabsteigen wie sonst das Aufsteigen den Koitusverkehr in der Vagina beschreiben will, setze ich aus anderer Kenntnis ein (vgl. meine Bemerkung; siehe oben S. 349 Anm. 152).
Die Einzelheiten, daß auf den ersten Schacht eine längere Plattform folgt und dann ein neuer Schacht, erklärt er selbst biographisch. Er hat eine Zeitlang koitiert, dann den Verkehr infolge von Hemmungen aufgegeben und hofft ihn jetzt mit Hilfe der Kur wieder aufnehmen zu können. Der Traum wird aber gegen Ende undeutlicher, und dem Kundigen muß es plausibel erscheinen, daß sich schon in der zweiten Traumszene der Einfluß eines anderen Themas geltend mache, auf welches das Geschäft des Vaters, sein betrügerisches Vorgehen, die erste als Schacht dargestellte Vagina deuten, so daß man eine Beziehung auf die Mutter annehmen kann.
4
Das männliche Glied durch Personen, das weibliche durch eine Landschaft symbolisiert
(Traum einer Frau aus dem Volke, deren Mann Wachmann ist, mitgeteilt von B. Dattner)
*... Dann sei jemand in die Wohnung eingebrochen und sie habe angstvoll nach einem Wachmann gerufen. Dieser aber sei mit zwei ›Pülchern‹ einträchtig in eine Kirche [Fußnote] gegangen, zu der mehrere Stufen [Fußnote] emporführten; hinter der Kirche sei ein Berg [Fußnote] gewesen und oben ein dichter Wald [Fußnote]. Der Wachmann sei mit einem Helm, Ringkragen und Mantel [Fußnote] versehen gewesen. Er habe einen braunen Vollbart gehabt. Die beiden Vaganten, die friedlich mit dem Wachmann gegangen seien, hätten sackartig aufgebundene Schürzen um die Lenden gehabt [Fußnote]. Vor der Kirche habe zum Berg ein Weg geführt. Dieser sei beiderseits mit Gras und Gestrüpp verwachsen gewesen, das immer dichter wurde und auf der Höhe des Berges ein ordentlicher Wald geworden sei.«
5
Kastrationsträume bei Kindern
a) »Ein Knabe von drei Jahren und fünf Monaten, dem die Wiederkehr des Vaters aus dem Felde sichtlich unbequem ist, erwacht eines Morgens verstört und aufgeregt und wiederholt immerfort die Frage: Warum hat Papi seinen Kopf auf einem Teller getragen? Heute nacht hat Papi seinen Kopf auf einem Teller getragen.«
b) »Ein heute an schwerer Zwangsneurose leidender Student erinnert, daß er im sechsten Lebensjahr wiederholt folgenden Traum gehabt hat: Er geht zum Friseur, um sich die Haare schneiden zu la**en. Da kommt eine große Frau mit strengen Zügen auf ihn zu und schlägt ihm den Kopf ab. Die Frau erkennt er als die Mutter.«
6
Zur Harnsymbolik
Die hier reproduzierten Zeichnungen stammen aus einer Reihe von Bildern, die Ferenczi in einem ungarischen Witzblatt (Fidibusz) aufgefunden und in ihrer Brauchbarkeit zur Illustration der Traumtheorie erkannt hat. O. Rank hat das als »Traum der französischen Bonne« überschriebene Blatt bereits in seiner Arbeit über die Symbolschichtung im Wecktraum usw. (1912 a, 99) verwertet. Erst das letzte Bild, welches das Erwachen der Bonne infolge des Geschreis des Kindes enthält, zeigt uns, daß die früheren sieben die Phasen eines Traumes darstellen. Das erste Bild anerkennt den Reiz, der zum Erwachen führen sollte. Der Knabe hat ein Bedürfnis geäußert und verlangt die entsprechende Hilfeleistung. Der Traum vertauscht aber die Situation im Schlafzimmer mit der eines Spazierganges. Im zweiten Bild hat sie den Knaben bereits an eine Straßenecke gestellt, er uriniert, und – sie darf weiterschlafen. Der Weckreiz hält aber an, ja er verstärkt sich; der Knabe, der sich nicht beachtet findet, brüllt immer kräftiger. Je dringender er das Erwachen und die Hilfeleistung seiner Bonne fordert, desto mehr steigert deren Traum seine Versicherung, daß alles in Ordnung sei und daß sie nicht zu erwachen brauche. Er übersetzt dabei den Weckreiz in die Dimensionen des Symbols. Der Wa**erstrom, welchen der urinierende Knabe liefert, wird immer mächtiger. Im vierten Bilde trägt er bereits einen Kahn, dann eine Gondel, ein Segelschiff, endlich ein großes Dampfschiff! Der Kampf zwischen dem eigensinnigen Schlafbedürfnis und dem unermüdlichen Weckreiz ist hier in geistreichster Weise von einem mutwilligen Künstler verbildlicht.
7
Ein Stiegentraum
(Mitgeteilt und gedeutet von Otto Rank)
»Demselben Kollegen, von dem der (unten S. 380 ff. angeführte) Zahnreiztraum herrührt, verdanke ich den folgenden ähnlich durchsichtigen Pollutionstraum:
›Ich jage im Stiegenhaus die Treppe hinunter einem kleinen Mädchen, das mir irgend etwas getan hat, nach, um es zu bestrafen. Unten am Ende der Stiege hält mir jemand (eine erwachsene weibliche Person?) das Kind auf; ich fa**e es, weiß aber nicht, ob ich es geschlagen habe, denn plötzlich befand ich mich mitten auf der Stiege, wo ich das Kind (gleichsam wie in der Luft) koitierte. Eigentlich war es kein Koitus, sondern ich rieb nur mein Genitale an ihrem äußeren Genitale, wobei ich dieses sowie ihren seitwärts zurückgelegten Kopf überaus deutlich sah. Während des Sexualaktes sah ich links ober mir (auch wie in der Luft) zwei kleine Gemälde hängen, Landschaften, die ein Haus im Grünen darstellten. Auf dem einen kleineren stand unten an Stelle der Namenssignatur des Malers mein eigener Vorname, als wäre es für mich zum Geburtstagsgeschenk bestimmt. Dann hing noch ein Zettel vor beiden Bildern, worauf stand, daß billigere Bilder auch zur Verfügung stehen; (ich sehe mich dann höchst undeutlich so wie oben auf dem Treppenabsatz im Bette liegen) und erwache durch die Empfindung der Nässe, welche von der erfolgten Pollution herrührt.‹
DEUTUNG: Der Träumer war am Abend des Traumtages im Laden eines Buchhändlers gewesen, wo er während der Wartezeit einige der ausgestellten Bilder besichtigt hatte, die ähnliche Motive wie die Traumbilder darstellten. Bei einem kleinen Bildchen, das ihm besonders gefallen hatte, trat er näher und sah nach dem Namen des Malers, der ihm jedoch völlig unbekannt war.
Am selben Abend hatte er später in Gesellschaft von einem böhmischen Dienstmädchen erzählen gehört, das sich gerühmt hatte, ihr außereheliches Kind sei ›auf der Stiege gemacht worden‹. Der Träumer hatte sich nach dem Detail dieses nicht alltäglichen Vorkommnisses erkundigt und erfahren, daß das Dienstmädchen mit ihrem Verehrer nach Hause in die Wohnung ihrer Eltern gegangen war, wo zu geschlechtlichem Verkehr keine Gelegenheit gewesen wäre, und daß der erregte Mann den Koitus auf der Stiege vollzogen hatte. Der Träumer hatte dazu in scherzhafter Anspielung auf den boshaften Ausdruck für Weinfälscherei geäußert: das Kind sei wirklich ›auf der Kellerstiege gewachsen‹.
Dies die Tagesanknüpfungen, die ziemlich aufdringlich im Trauminhalt vertreten sind und vom Träumer ohne weiteres reproduziert werden. Ebenso leicht produziert er aber ein altes Stück infantiler Erinnerung, das ebenfalls im Traume Verwendung gefunden hat. Das Stiegenhaus ist das jenes Hauses, in welchem er den größten Teil seiner Kinderjahre verbracht und wo er insbesondere die erste bewußte Bekanntschaft mit den Sexualproblemen gemacht hatte. In diesem Stiegenhaus hatte er häufig gespielt und war dabei unter anderem auch rittlings längs des Geländers hinuntergerutscht, wobei er s**uelle Erregung verspürt hatte. Im Traume eilt er nun ebenfalls ungemein rasch über die Stiege hinunter, so rasch, daß er nach eigener deutlicher Angabe die einzelnen Stufen gar nicht berührt, sondern, wie man zu sagen pflegt, ›hinunterfliegt‹ oder rutscht. Mit Bezug auf das infantile Erlebnis scheint dieser Beginn des Traumes den Moment der s**uellen Erregung darzustellen. – In diesem Stiegenhaus und der dazugehörigen Wohnung hatte der Träumer aber auch mit den Nachbarskindern häufig s**uelle Raufspiele getrieben, wobei er sich in ähnlicher Weise befriedigt hatte, wie es im Traume geschieht.
Weiß man aus Freuds s**ualsymbolischen Forschungen (1910 d), daß die Stiege und das Stiegensteigen im Traume fast regelmäßig den Koitus symbolisieren, so wird der Traum völlig durchsichtig. Seine Triebkraft ist, wie ja auch sein Effekt, die Pollution, zeigt, rein libidinöser Natur. Im Schlafzustand erwacht die s**uelle Erregung (im Traume dargestellt durch das Hinuntereilen – rutschen – über die Stiege), deren sadistischer Einschlag auf Grund der Raufspiele in der Verfolgung und Überwältigung des Kindes angedeutet ist. Die libidinöse Erregung steigert sich und drängt zur s**uellen Aktion (dargestellt im Traume durch das Fa**en des Kindes und seine Beförderung in die Mitte der Stiege). Bis daher wäre der Traum rein s**ualsymbolisch und für den wenig geübten Traumdeuter völlig undurchsichtig. Aber der überstarken libidinösen Erregung genügt diese symbolische Befriedigung nicht, welche die Ruhe des Schlafes gewährleistet hätte. Die Erregung führt zum Orgasmus, und damit wird die ganze Stiegensymbolik als Vertretung des Koitus entlarvt. – Wenn Freud als einen der Gründe für die s**uelle Verwertung des Stiegensymbols den rhythmischen Charakter beider Aktionen hervorhebt, so scheint dieser Traum besonders deutlich dafür zu sprechen, da nach ausdrücklicher Angabe des Träumers die Rhythmik seines Sexualaktes, das Auf- und Niederreiben, das im ganzen Traum am deutlichsten ausgeprägte Element gewesen war. Noch eine Bemerkung über die beiden Bilder, die, abgesehen von ihrer realen Bedeutung, auch in symbolischem Sinne als ›Weibsbilder‹ gelten, was schon daraus hervorgeht, daß es sich um ein großes und ein kleines Bild handelt, ebenso wie im Trauminhalt ein großes (erwachsenes) und ein kleines Mädchen vorkommen. Daß auch billigere Bilder zur Verfügung stehen, führt zum Prostituiertenkomplex, wie andererseits der Vorname des Träumers auf dem kleinen Bilde und der Gedanke, es sei ihm zum Geburtstag bestimmt, auf den Elternkomplex hinweisen (auf der Stiege geboren = im Koitus erzeugt). Die undeutliche Schlußszene, wo der Träumer sich selbst oben auf dem Treppenabsatze im Bette liegen sieht und Nässe verspürt, scheint über die infantile Onanie hinaus noch weiter in die Kindheit zurückzuweisen und vermutlich lustvolle Szenen von Bettnässen zum Vorbild zu haben.«
8
Ein modifizierter Stiegentraum
Ich mache einem meiner Patienten, einem schwerkranken Abstinenten, dessen Phantasie an seine Mutter fixiert ist und der wiederholt vom Treppensteigen in Begleitung der Mutter geträumt hat, die Bemerkung, daß mäßige Masturbation ihm wahrscheinlich weniger schädlich wäre als seine erzwungene Enthaltsamkeit. Diese Beeinflussung provoziert folgenden Traum:
»Sein Klavierlehrer mache ihm Vorwürfe, daß er sein Klavierspiel vernachlässige, die ›Etüden‹ von Moscheles sowie den ›Gradus ad Parna**um‹ von Clementi nicht übt.«
Er bemerkt hiezu, der Gradus sei ja auch eine Stiege und die Klaviatur selbst sei eine Stiege, weil sie eine Skala enthalte. Man darf sagen, es gibt keinen Vorstellungskreis, der sich der Darstellung s**ueller Tatsachen und Wünsche verweigern würde.
9
Wirklichkeitsgefühl und Darstellung der Wiederholung
Ein jetzt 35jähriger Mann erzählt einen gut erinnerten Traum, den er mit vier Jahren gehabt haben will: Der Notar, bei dem das Testament des Vaters hinterlegt war – er hatte den Vater im Alter von drei Jahren verloren –, brachte zwei große Kaiserbirnen, von denen er eine zum Essen bekam. Die andere lag auf dem Fensterbrett des Wohnzimmers. Er erwachte mit der Überzeugung von der Realität des Geträumten und verlangte hartnäckig von der Mutter die zweite Birne; sie liege doch auf dem Fensterbrett. Die Mutter lachte darüber.
an*lYSE: Der Notar war ein jovialer alter Herr, der, wie er sich zu erinnern glaubt, wirklich einmal Birnen mitbrachte. Das Fensterbrett war so, wie er es im Traume sah. Anderes will ihm dazu nicht einfallen; etwa noch, daß die Mutter kürzlich ihm einen Traum erzählt. Sie hat zwei Vögel auf ihrem Kopfe sitzen, fragt sich, wann sie fortfliegen werden, aber sie fliegen nicht fort, sondern der eine fliegt zu ihrem Munde und saugt aus ihm.
Das Versagen der Einfälle des Träumers gibt uns das Recht, die Deutung durch Symbolersetzung zu versuchen. Die beiden Birnen – pommes ou poires – sind die Brüste der Mutter, die ihn genährt hat; das Fensterbrett der Vorsprung des Busens, an*log den Balkonen im Häusertraum (vgl. S. 350). Sein Wirklichkeitsgefühl nach dem Erwachen hat recht, denn die Mutter hat ihn wirklich gesäugt, sogar weit über die gebräuchliche Zeit hinaus, und die Mutterbrust wäre noch immer zu haben. Der Traum ist zu übersetzen: Mutter, gib (zeig') mir die Brust wieder, an der ich früher einmal getrunken habe. Das »früher« wird durch das Essen der einen Birne dargestellt, das »wieder« durch das Verlangen nach der anderen. Die zeitliche Wiederholung eines Akts wird im Traum regelmäßig zur zahlenmäßigen Vermehrung eines Objektes.
Es ist natürlich sehr auffällig, daß die Symbolik bereits im Traume eines Vierjährigen eine Rolle spielt, aber dies ist nicht Ausnahme, sondern Regel. Man darf sagen, der Träumer verfügt über die Symbolik von allem Anfang an.
Wie frühzeitig sich der Mensch, auch außerhalb des Traumlebens, der symbolischen Darstellung bedient, mag folgende unbeeinflußte Erinnerung einer jetzt 27jährigen Dame lehren: Sie ist zwischen drei und vier Jahre alt. Das Kindsmädchen treibt sie, ihren um elf Monate jüngeren Bruder und eine im Alter zwischen beiden stehende Cousine auf den Abort, damit sie dort vor dem Spaziergang ihre kleinen Geschäfte verrichten. Sie setzt sich als die älteste auf den Sitz, die beiden anderen auf Töpfe. Sie fragt die Cousine: Hast du auch ein Portemonnaie? Der Waller hat ein Würstchen, ich hab' ein Portemonnaie. Antwort der Cousine: Ja, ich hab' auch ein Portemonnaie. Das Kindsmädchen hat lachend zugehört und erzählt die Unterhaltung der Mama, die mit einer scharfen Zurechtweisung reagiert.
Es sei hier ein Traum eingeschaltet, dessen hübsche Symbolik eine Deutung mit geringer Nachhilfe der Träumerin gestattete:
10
»Zur Frage der Symbolik in den Träumen Gesunder« [Fußnote]
»Ein von den Gegnern der Psychoan*lyse häufig – zuletzt auch von Havelock Ellis (1911, 168) – vorgebrachter Einwand lautet, daß die Traumsymbolik vielleicht ein Produkt der neurotischen Psyche sei, aber keineswegs für die normale Gültigkeit habe. Während nun die psychoan*lytische Forschung zwischen normalem und neurotischem Seelenleben überhaupt keine prinzipiellen, sondern nur quantitative Unterschiede kennt, zeigt die an*lyse der Träume, in denen ja bei Gesunden und Kranken in gleicher Weise die verdrängten Komplexe wirksam sind, die volle Identität der Mechanismen wie der Symbolik. Ja die unbefangenen Träume Gesunder enthalten oft eine viel einfachere, durchsichtigere und mehr charakteristische Symbolik als die neurotischer Personen, in denen sie infolge der stärker wirkenden Zensur und der hieraus resultierenden weitergehenden Traumentstellung häufig gequält, dunkel und schwer zu deuten ist. Der in folgendem mitgeteilte Traum diene zur Illustrierung dieser Tatsache. Er stammt von einem nicht neurotischen Mädchen von eher prüdem und zurückhaltendem Wesen; im Laufe des Gespräches erfahre ich, daß sie verlobt ist, daß sich aber der Heirat Hindernisse entgegenstellen, die sie zu verzögern geeignet sind. Sie erzählt mir spontan folgenden Traum:
›I arrange the centre of a table with flowers for a birthday.‹ (Ich richte die Mitte eines Tisches mit Blumen für einen Geburtstag her.) Auf Fragen gibt sie an, sie sei im Traume wie in ihrem Heim gewesen (das sie zur Zeit nicht besitzt) und habe ein Glücksgefühl empfunden.
Die ›populäre‹ Symbolik ermöglicht mir, den Traum für mich zu übersetzen. Er ist der Ausdruck ihrer bräutlichen Wünsche: der Tisch mit dem Blumenmittelstück ist symbolisch für sie selbst und das Genitale; sie stellt ihre Zukunftswünsche erfüllt dar, indem sie sich bereits mit dem Gedanken an die Geburt eines Kindes beschäftigt; die Hochzeit liegt also längst hinter ihr.
Ich mache sie darauf aufmerksam, daß ›the centre of a table‹ ein ungewöhnlicher Ausdruck sei, was sie zugibt, kann hier aber natürlich nicht direkt weiterfragen. Ich vermied es sorgfältig, ihr die Bedeutung der Symbole zu suggerieren, und fragte sie nur, was ihr zu den einzelnen Teilen des Traumes in den Sinn komme. Ihre Zurückhaltung wich im Verlaufe der an*lyse einem deutlichen Interesse an der Deutung und einer Offenheit, die der Ernst des Gespräches ermöglichte. – Auf meine Frage, was für Blumen es gewesen seien, antwortete sie zunächst: ›expensive flowers; one has to pay for them‹ (teuere Blumen, für die man zahlen muß), dann, es seien ›lilies of the valley, violets and pinks or carnations‹ gewesen (Maiglöckchen, wörtlich: Lilien vom Tale, Veilchen und Nelken). Ich nahm an, daß das Wort Lilie in diesem Traume in seiner populären Bedeutung als Keuschheitssymbol erscheine; sie bestätigte diese Annahme, indem ihr zu ›Lilie‹ ›purity‹ (Reinheit) einfiel. ›Valley‹, das Tal, ist ein häufiges weibliches Traumsymbol; so wird das zufällige Zusammentreffen der beiden Symbole in dem englischen Namen für Maiglöckchen zur Traumsymbolik, zur Betonung ihrer kostbaren Jungfräulichkeit – expensive flowers, one has to pay for them – verwendet und zum Ausdruck der Erwartung, daß der Mann ihren Wert zu würdigen wissen werde. Die Bemerkung expensive flowers etc. hat, wie sich zeigen wird, bei jedem der drei Blumensymbole eine andere Bedeutung.
Den geheimen Sinn der scheinbar recht as**uellen ›violets‹ suchte ich mir – recht kühn, wie ich meinte – mit einer unbewußten Beziehung zum französischen ›viol‹ zu erklären. Zu meiner Überraschung a**oziierte die Träumerin ›violate‹ das englische Wort für vergewaltigen. Die zufällige große Wortähnlichkeit von violet und violate – in der englischen Aussprache unterscheiden sie sich nur durch eine Akzentverschiedenheit der letzten Silbe – wird vom Traume benutzt, um ›durch die Blume‹ den Gedanken an die Gewaltsamkeit der Defloration (auch dieses Wort benutzt die Blumensymbolik), vielleicht auch einen masochistischen Zug des Mädchens zum Ausdruck zu bringen. Ein schönes Beispiel für die Wortbrücken, über welche die Wege zum Unbewußten führen. Das ›one has to pay for them‹ bedeutet hier das Leben, mit dem sie das Weib- und Mutterwerden bezahlen muß.
Bei ›pinks‹, die sie dann ›carnations‹ nennt, fällt mir die Beziehung dieses Wortes zum ›Fleischlichen‹ auf. Ihr Einfall dazu lautete aber ›colour‹ (Farbe). Sie fügte hinzu, daß carnations die Blumen seien, welche ihr von ihrem Verlobten häufig und in großen Mengen geschenkt werden. Zu Ende des Gespräches gesteht sie plötzlich spontan, sie habe mir nicht die Wahrheit gesagt, es sei ihr nicht ›colour‹, sondern ›incarnation‹ (Fleischwerdung) eingefallen, welches Wort ich erwartet hatte; übrigens ist auch ›colour‹ als Einfall nicht entlegen, sondern durch die Bedeutung von carnation – Fleischfarbe, also durch den Komplex determiniert. Diese Unaufrichtigkeit zeigt, daß der Widerstand an dieser Stelle am größten war, entsprechend dem Umstand, daß die Symbolik hier am durchsichtigsten ist, der Kampf zwischen Libido und Verdrängung bei diesem phallischen Thema am stärksten war. Die Bemerkung, daß diese Blumen häufige Geschenke des Verlobten seien, ist neben der Doppelbedeutung von carnation ein weiterer Hinweis auf ihren phallischen Sinn im Traume. Der Tagesanlaß des Blumengeschenkes wird benutzt, um den Gedanken von s**uellem Geschenk und Gegengeschenk auszudrücken: sie schenkt ihre Jungfräulichkeit und erwartet dafür ein reiches Liebesleben. Auch hier dürfte das ›expensive flowers, one has to pay for them‹ eine – wohl wirkliche, finanzielle – Bedeutung haben. – Die Blumensymbolik des Traumes enthält also das jungfräulich weibliche, das männliche Symbol und die Beziehung auf die gewaltsame Defloration. Es sei darauf hingewiesen, daß die s**uelle Blumensymbolik, die ja auch sonst sehr verbreitet ist, die menschlichen Sexualorgane durch die Blüten, die Sexualorgane der Pflanzen symbolisiert; das Blumenschenken unter Liebenden hat vielleicht überhaupt diese unbewußte Bedeutung.
Der Geburtstag, den sie im Traume vorbereitet, bedeutet wohl die Geburt eines Kindes. Sie identifiziert sich mit dem Bräutigam, stellt ihn dar, wie er sie für eine Geburt herrichtet, also koitiert. Der latente Gedanke könnte lauten: Wenn ich er wäre, würde ich nicht warten, sondern die Braut deflorieren, ohne sie zu fragen, Gewalt brauchen; darauf deutet ja auch das violate. So kommt auch die sadistische Libidokomponente zum Ausdruck.
In einer tieferen Schicht des Traumes dürfte das ›I arrange etc.‹ eine autoerotische, also infantile Bedeutung haben.
Sie hat auch eine nur im Traume mögliche Erkenntnis ihrer körperlichen Dürftigkeit; sie sieht sich flach wie einen Tisch; um so mehr wird die Kostbarkeit des ›centre‹ (sie nennt es ein andermal ›a centre piece of flowers‹), ihre Jungfräulichkeit, hervorgehoben. Auch das Horizontale des Tisches dürfte ein Element zum Symbol beitragen. – Beachtenswert ist die Konzentration des Traumes; nichts ist überflüssig, jedes Wort ist ein Symbol.
Sie bringt später einen Nachtrag zum Traume: ›I decorate the flowers with green crinkled paper.‹ (Ich verziere die Blumen mit grünem, gekräuseltem Papier.) Sie fügt hinzu, es sei ›fancy paper« (Phantasiepapier), mit dem man die gewöhnlichen Blumentöpfe verkleide. Sie sagt weiter: ›to hide untidy things, whatever was to be seen, which was not pretty to the eye; there is a gap, a little space in the flowers.‹ Also: ›um unsaubere Dinge zu verbergen, die nicht hübsch anzusehen sind; ein Spalt, ein kleiner Zwischenraum in den Blumen.‹ ‹The paper looks like velvet or moss‹ (›das Papier sieht wie Samt oder Moos aus‹). Zu ›decorate‹ a**oziiert sie ›decorum‹, wie ich es erwartet hatte. Die grüne Farbe sei vorherrschend; sie a**oziiert dazu ›hope‹ (Hoffnung), wieder eine Beziehung zur Gravidität. – In diesem Teile des Traumes herrscht nicht die Identifizierung mit dem Manne, sondern es kommen Gedanken von Scham und Offenheit zur Geltung. Sie macht sich schön für ihn, gesteht sich körperliche Fehler ein, deren sie sich schämt und die sie zu korrigieren sucht. Die Einfälle Samt, Moos sind ein deutlicher Hinweis, daß es sich um die crines pubis handelt.
Der Traum ist ein Ausdruck von Gedanken, die das wache Denken des Mädchens kaum kennt; Gedanken, die sich mit der Sinnenliebe und ihren Organen beschäftigen; sie wird ›für einen Geburtstag zugerichtet‹, d. h. koitiert; die Furcht vor der Defloration, vielleicht auch das lustbetonte Leiden kommen zum Ausdruck; sie gesteht sich ihre körperlichen Mängel ein, überkompensiert diese durch Überschätzung des Wertes ihrer Jungfräulichkeit. Ihre Scham entschuldigt die sich zeigende Sinnlichkeit damit, daß diese ja das Kind zum Ziel hat. Auch materielle Erwägungen, die der Liebenden fremd sind, finden ihren Ausdruck. Der Affekt des einfachen Traumes – das Glücksgefühl – zeigt an, daß hier starke Gefühlskomplexe ihre Befriedigung gefunden haben.«
Ferenczi (1917) hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, wie leicht gerade »Träume von Ahnungslosen« den Sinn der Symbole und die Bedeutung der Träume erraten la**en.
Die nachstehende an*lyse des Traumes einer historischen Persönlichkeit unserer Tage schalte ich hier ein, weil in ihm ein Gegenstand, der sich auch sonst zur Vertretung des männlichen Gliedes eignen würde, durch eine hinzugefügte Bestimmung aufs deutlichste als phallisches Symbol gekennzeichnet wird. Die »unendliche Verlängerung« einer Reitgerte kann nicht leicht anderes als die Erektion bedeuten. Überdies gibt dieser Traum ein schönes Beispiel dafür, wie ernsthafte und dem Sexuellen fernabliegende Gedanken durch infantil-s**uelles Material zur Darstellung gebracht werden.
11
Ein Traum Bismarcks
(Von Dr. Hanns Sachs)
»In seinen Gedanken und Erinnerungen teilt Bismarck (Bd.2 der Volksausgabe, S.222) einen Brief mit, den er am 18.Dezember 1881 an Kaiser Wilhelm schrieb. Dieser Brief enthält folgende Stelle: ›Eurer Majestät Mitteilung ermutigt mich zur Erzählung eines Traumes, den ich Frühjahr 1863 in den schwersten Konfliktstagen hatte, aus denen ein menschliches Auge keinen gangbaren Ausweg sah. Mir träumte und ich erzählte es sofort am Morgen meiner Frau und anderen Zeugen, daß ich auf einem schmalen Alpenpfad ritt, rechts Abgrund, links Felsen; der Pfad wurde schmäler, so daß das Pferd sich weigerte, und Umkehr und Absitzen wegen Mangel an Platz unmöglich; da schlug ich mit meiner Gerte in der linken Hand gegen die glatte Felswand und rief Gott an; die Gerte wurde unendlich lang, die Felswand stürzte wie eine Kulisse und eröffnete einen breiten Weg mit dem Blick auf Hügel und Waldland wie in Böhmen, preußische Truppen mit Fahnen und in mir noch im Traum der Gedanke, wie ich das schleunig Eurer Majestät melden könnte. Dieser Traum erfüllte sich, und ich erwachte froh und gestärkt aus ihm...‹
Die Handlung des Traumes zerfällt in zwei Abschnitte: im ersten Teil gerät der Träumer in Bedrängnis, aus der er dann im zweiten auf wunderbare Weise erlöst wird. Die schwierige Lage, in der sich Roß und Reiter befinden, ist eine leicht kenntliche Traumdarstellung der kritischen Situation des Staatsmannes, die er am Abend vor dem Traume, über die Probleme seiner Politik nachdenkend, besonders bitter empfunden haben mochte. Mit der zur Darstellung gelangten gleichnisweisen Wendung schildert Bismarck selbst in der oben wiedergegebenen Briefstelle die Trostlosigkeit seiner damaligen Position; sie war ihm also durchaus geläufig und naheliegend. Nebstdem haben wir wohl auch ein schönes Beispiel von Silberers ›funktionalem Phänomen‹ vor uns. Die Vorgänge im Geiste des Träumers, der bei jeder von seinen Gedanken versuchten Lösung auf unübersteigliche Hindernisse stößt, seinen Geist aber trotzdem nicht von der Beschäftigung mit den Problemen losreißen kann und darf, sind sehr treffend durch den Reiter gegeben, der weder vorwärts noch rückwärts kann. Der Stolz, der ihm verbietet, an ein Nachgeben oder Zurücktreten zu denken, kommt im Traume durch die Worte ›Umkehren oder absitzen ... unmöglich‹ zum Ausdruck. In seiner Eigenschaft als stets angestrengt Tätiger, der sich für fremdes Wohl plagt, lag es für Bismarck nahe, sich mit einem Pferde zu vergleichen, und er hat dies auch bei verschiedenen Gelegenheiten getan, z. B. in seinem bekannten Ausspruch: ›Ein wackeres Pferd stirbt in seinen Sielen‹. So ausgelegt bedeuten die Worte, daß ›das Pferd sich weigerte‹, nichts anderes, als daß der Übermüdete das Bedürfnis empfinde, sich von den Sorgen der Gegenwart abzuwenden, oder anders ausgedrückt, daß er im Begriffe stehe, sich von den Fesseln des Realitätsprinzips durch Schlaf und Traum zu befreien. Der Wunscherfüllung, die dann im zweiten Teil so stark zu Wort kommt, wird dann auch hier schon präludiert durch das Wort ›Alpenpfad‹. Bismarck wußte damals wohl schon, daß er seinen nächsten Urlaub in den Alpen – nämlich in Gastein – zubringen werde; der Traum, der ihn dahin versetzte, befreite ihn also mit einem Schlage von allen lästigen Staatsgeschäften.
Im zweiten Teil werden die Wünsche des Träumers auf doppelte Weise – unverhüllt und greifbar, daneben noch symbolisch – als erfüllt dargestellt. Symbolisch durch das Verschwinden des hemmenden Felsens, an dessen Stelle ein breiter Weg – also der gesuchte Ausweg in bequemster Form – erscheint, unverhüllt durch den Anblick der vorrückenden preußischen Truppen. Man braucht zur Erklärung dieser prophetischen Vision durchaus nicht mystische Zusammenhänge zu konstruieren; die Freudsche Wunscherfüllungstheorie genügt vollständig. Bismarck ersehnte schon damals als den besten Ausgang aus den inneren Konflikten Preußens einen siegreichen Krieg mit Österreich. Wenn er die preußischen Truppen in Böhmen, also in Feindesland, mit ihren Fahnen sieht, so stellt ihm der Traum dadurch diesen Wunsch als erfüllt dar, wie es Freud postuliert. Individuell bedeutsam ist nur, daß der Träumer, mit dem wir uns hier beschäftigen, sich mit der Traumerfüllung nicht begnügte, sondern auch die reale zu erzwingen wußte. Ein Zug, der jedem Kenner der psychoan*lytischen Deutungstechnik auffallen muß, ist die Reitgerte, die ›unendlich lang‹ wird. Gerte, Stock, Lanze und Ähnliches sind uns als phallische Symbole geläufig; wenn aber diese Gerte noch die auffallendste Eigenschaft des Phallus, die Ausdehnungsfähigkeit, besitzt, so kann kaum ein Zweifel bestehen. Die Übertreibung des Phänomens durch die Verlängerung ins ›Unendliche‹ scheint auf die infantile Überbesetzung zu deuten. Das In-die-Hand-Nehmen der Gerte ist eine deutliche Anspielung auf die Masturbation, wobei natürlich nicht an die aktuellen Verhältnisse des Träumers, sondern an weit zurückliegende Kinderlust zu denken ist. Sehr wertvoll ist hier die von Dr. Stekel gefundene Deutung, nach der links im Traume das Unrecht, das Verbotene, die Sünde bedeutet, was auf die gegen ein Verbot betriebene Kinderonanie sehr gut anwendbar wäre. Zwischen dieser tiefsten, infantilen Schicht und der obersten, die sich mit den Tagesplänen des Staatsmannes beschäftigt, läßt sich noch eine Mittelschicht nachweisen, die mit beiden anderen in Beziehung steht. Der ganze Vorgang der wunderbaren Befreiung aus einer Not durch das Schlagen auf den Fels mit der Heranziehung Gottes als Helfer erinnert auffällig an eine biblische Szene, nämlich wie Moses für die dürstenden Kinder Israels aus dem Felsen Wa**er schlägt. Die genaue Bekanntschaft mit dieser Stelle dürfen wir bei dem aus einem bibelgläubigen, protestantischen Hause hervorgegangenen Bismarck ohne weiteres annehmen. Mit dem Anführer Moses, dem das Volk, das er befreien will, mit Auflehnung, Haß und Undank lohnt, konnte sich Bismarck in der Konfliktszeit unschwer vergleichen. Dadurch wäre also die Anlehnung an die aktuellen Wünsche gegeben. Anderseits enthält die Bibelstelle manche Einzelheiten, die für die Masturbationsphantasie sehr gut verwertbar sind. Gegen das Gebot Gottes greift Moses zum Stock, und für diese Übertretung straft ihn der Herr, indem er ihm verkündet, daß er sterben müsse, ohne das gelobte Land zu betreten. Das verbotene Ergreifen des – im Traume unzweideutig phallischen – Stockes, das Erzeugen von Flüssigkeit durch das Schlagen damit und die Todesdrohung – damit haben wir alle Hauptmomente der infantilen Masturbation beisammen. Interessant ist die Bearbeitung, die jene beiden heterogenen Bilder, von denen eines aus der Psyche des genialen Staatsmannes, das andere aus den Regungen der primitiven Kinderseele stammt, durch Vermittlung der Bibelstelle zusammengeschweißt hat, wobei es ihr gelungen ist, alle peinlichen Momente wegzuwischen. Daß das Ergreifen des Stockes eine verbotene, aufrührerische Handlung ist, wird nur mehr durch die ›linke‹ Hand, mit der es geschieht, symbolisch angedeutet. Im manifesten Trauminhalt wird aber dabei Gott angerufen, wie um recht ostentativ jeden Gedanken an ein Verbot oder eine Heimlichkeit abzuweisen. Von den beiden Verheißungen Gottes an Moses, daß er das verheißene Land sehen, nicht betreten werde, wird die eine sehr deutlich als erfüllt dargestellt (›Blick auf Hügel und Waldland‹), die andere, höchst peinliche, gar nicht erwähnt. Das Wa**er ist wahrscheinlich der sekundären Bearbeitung, welche die Vereinheitlichung dieser Szene mit der vorigen erfolgreich anstrebte, zum Opfer gefallen, statt dessen stürzt der Fels selber.
Den Schluß einer infantilen Masturbationsphantasie, in der das Verbotsmotiv vertreten ist, müßten wir so erwarten, daß das Kind wünscht, die Autoritätspersonen seiner Umgebung möchten nichts von dem Geschehenen erfahren. Im Traume ist dieser Wunsch durch das Gegenteil, den Wunsch, das Vorgefallene dem König sogleich zu melden, ersetzt. Diese Umkehrung schließt sich aber ausgezeichnet und ganz unauffällig der in der obersten Schicht der Traumgedanken und in einem Teile des manifesten Trauminhaltes enthaltenen Siegesphantasie an. Ein solcher Sieges- und Eroberungstraum ist oft der Deckmantel eines erotischen Eroberungswunsches; einzelne Züge des Traumes, wie z. B., daß dem Eindringenden ein Widerstand entgegengesetzt wird, nach Anwendung der sich verlängernden Gerte aber ein breiter Weg erscheint, dürften dahin deuten, doch reichten sie nicht hin, um daraus eine bestimmte, den Traum durchziehende Gedanken- und Wunschrichtung zu ergründen. Wir sehen hier ein Musterbeispiel einer durchaus gelungenen Traumentstellung. Das Anstößige wurde überarbeitet, daß es nirgends über das Gewebe hinausragt, das als schützende Decke darübergebreitet ist. Die Folge davon ist, daß jede Entbindung von Angst hintertrieben werden konnte. Es ist ein Idealfall von gelungener Wunscherfüllung ohne Zensurverletzung, so daß wir begreifen können, daß der Träumer aus solchem Traum ›froh und gestärkt‹ erwachte.«
Ich schließe mit dem
12
Traum eines Chemikers
eines jungen Mannes, der sich bemühte, seine onanistischen Gewohnheiten gegen den Verkehr mit dem Weibe aufzugeben.
VORBERICHT: Am Tage vor dem Traume hat er einem Studenten Aufschluß über die Grignardsche Reaktion gegeben, bei welcher Magnesium unter katalytischer Jodeinwirkung in absolut reinem Äther aufzulösen ist. Zwei Tage vorher gab es bei der nämlichen Reaktion eine Explosion, bei der sich ein Arbeiter die Hand verbrannte.
TRAUM: I) Er soll Phenylmagnesiumbromid machen, sieht die Apparatur besonders deutlich, hat aber sich selbst fürs Magnesium substituiert. Er ist nun in eigentümlich schwa*kender Verfa**ung, sagt sich immer: Es ist das Richtige, es geht, meine Füße lösen sich schon auf, meine Knie werden weich. Dann greift er hin, fühlt an seine Füße, nimmt inzwischen (er weiß nicht wie) seine Beine aus dem Kolben heraus, sagt sich wieder: Das kann nicht sein. – Ja doch, es ist richtig gemacht. Dabei erwacht er partiell, wiederholt sich den Traum, weil er ihn mir erzählen will. Er fürchtet sich direkt vor der Auflösung des Traumes, ist während dieses Halbschlafes sehr erregt und wiederholt sich beständig: Phenyl, Phenyl.
II) Er ist mit seiner ganzen Familie in ***ing, soll um ½12 Uhr beim Rendezvous am Schottentor mit jener gewissen Dame sein, wacht aber erst um ½12 Uhr auf. Er sagt sich: Es ist jetzt zu spät; bis du hinkommst, ist es ½1 Uhr. Im nächsten Moment sieht er die ganze Familie um den Tisch versammelt, besonders deutlich die Mutter und das Stubenmädchen mit dem Suppentopf. Er sagt sich dann: Nun, wenn wir schon essen, kann ich ja nicht mehr fort.
an*lYSE: Er ist sicher, daß schon der erste Traum eine Beziehung zur Dame seines Rendezvous hat (der Traum ist in der Nacht vor der erwarteten Zusammenkunft geträumt). Der Student, dem er die Auskunft gab, ist ein besonders ekelhafter Kerl; er sagte ihm: Das ist nicht das Richtige, weil das Magnesium noch ganz unberührt war, und jener antwortete, als ob ihm gar nichts daran läge: Das ist halt nicht das Richtige. Dieser Student muß er selbst sein – er ist so gleichgültig gegen seine an*lyse, wie jener für seine Synthese –, das Er im Traume, das die Operation vollzieht, aber ich. Wie ekelhaft muß er mir mit seiner Gleichgültigkeit gegen den Erfolg erscheinen!
Anderseits ist er dasjenige, womit die an*lyse (Synthese) gemacht wird. Es handelt sich um das Gelingen der Kur. Die Beine im Traume erinnern an einen Eindruck von gestern abends. Er traf in der Tanzstunde mit einer Dame zusammen, die er erobern will; er drückte sie so fest an sich, daß sie einmal aufschrie. Als er mit dem Druck gegen ihre Beine aufhörte, fühlte er ihren kräftigen Gegendruck auf seinen Unterschenkeln bis oberhalb der Knie, an den im Traume erwähnten Stellen. In dieser Situation ist also das Weib das Magnesium in der Retorte, mit dem es endlich geht. Er ist feminin gegen mich, wie er viril gegen das Weib ist. Geht es mit der Dame, so geht es auch mit der Kur. Das Sichbefühlen und die Wahrnehmungen an seinen Knien deuten auf die Onanie und entsprechen seiner Müdigkeit vom Tage vorher. – Das Rendezvous war wirklich für ½12 Uhr verabredet. Sein Wunsch, es zu verschlafen und bei den häuslichen Sexualobjekten (d. h. bei der Onanie) zu bleiben, entspricht seinem Widerstande.
Zur Wiederholung des Namens Phenyl berichtet er: Alle diese Radikale auf yl haben ihm immer sehr gefallen, sie sind sehr bequem zu gebrauchen: Benzyl, Azetyl usw. Das erklärt nun nichts, aber als ich ihm das Radikal: Schlehmihl vorschlage, lacht er sehr und erzählt, daß er während des Sommers ein Buch von Prévost gelesen, und in diesem war im Kapitel: ›Les exclus de l'amour‹, allerdings von den »Schlemiliés« die Rede, bei deren Schilderung er sich sagte: Das ist mein Fall. – Schlemihlerei wäre es auch gewesen, wenn er das Rendezvous versäumt hätte.
Es scheint, daß die s**uelle Traumsymbolik bereits eine direkte experimentelle Bestätigung gefunden hat. Phil. Dr. K. Schrötter hat 1912 über Anregung von H. Swoboda bei tief hypnotisierten Personen Träume durch einen suggestiven Auftrag erzeugt, der einen großen Teil des Trauminhalts festlegte. Wenn die Suggestion den Auftrag brachte, vom normalen oder abnormen Sexualverkehr zu träumen, so führte der Traum diese Aufträge aus, indem er an Stelle des s**uellen Materials die aus der psychoan*lytischen Traumdeutung bekannten Symbole einsetzte. So z. B. erschien nach der Suggestion, vom h*mos**uellen Verkehr mit einer Freundin zu träumen, im Traume diese Freundin mit einer schäbigen Reisetasche in der Hand, worauf ein Zettel klebte, bedruckt mit den Worten: »Nur für Damen.« Der Träumerin war angeblich von Symbolik im Traume und Traumdeutung niemals etwas bekanntgegeben worden. Leider wird die Einschätzung dieser bedeutsamen Untersuchung durch die unglückliche Tatsache gestört, daß Dr. Schrötter bald nachher durch Selbstmord endete. Von seinen Traumexperimenten berichtet bloß eine vorläufige Mitteilung im Zentralblatt für Psychoan*lyse (Schrötter, 1912).
Ähnliche Ergebnisse hat 1923 G. Roffenstein veröffentlicht. Besonders interessant erscheinen aber Versuche, die Betlheim und Hartmann angestellt haben, weil bei ihnen die Hypnose ausgeschaltet war. Diese Autoren (›Über Fehlreaktionen bei der Korsakoffschen Psychose‹, 1924) haben Kranken mit solcher Verworrenheit Geschichten grob s**uellen Inhalts erzählt und die Entstellungen beachtet, welche bei der Reproduktion des Erzählten auftraten. Es zeigte sich, daß dabei die aus der Traumdeutung bekannten Symbole zum Vorschein kamen (Stiegen steigen, stechen und schießen als Symbole des Koitus, Messer und Zigarette als Penissymbole). Ein besonderer Wert wird dem Erscheinen des Symbols der Stiege beigelegt, weil, wie die Autoren mit Recht bemerken, »eine derartige Symbolisierung einem bewußten Entstellungswunsch unerreichbar wäre«.
Erst nachdem wir die Symbolik im Traume gewürdigt haben, können wir in der oben S. 279 abgebrochenen Behandlung der typischen Träume fortfahren. Ich halte es für gerechtfertigt, diese Träume im groben in zwei Kla**en einzuteilen, in solche, die wirklich jedesmal den gleichen Sinn haben, und zweitens in solche, die trotz des gleichen oder ähnlichen Inhalts doch die verschiedenartigsten Deutungen erfahren müssen. Von den typischen Träumen der ersten Art habe ich den Prüfungstraum bereits eingehender behandelt.
Wegen des ähnlichen Affekteindruckes verdienen die Träume vom Nichterreichen eines Eisenbahnzuges den Prüfungsträumen angereiht zu werden. Ihre Aufklärung rechtfertigt dann diese Annäherung. Es sind Trostträume gegen eine andere im Schlaf empfundene Angstregung, die Angst zu sterben. »Abreisen« ist eines der häufigsten und am besten zu begründenden Todessymbole. Der Traum sagt dann tröstend: Sei ruhig, du wirst nicht sterben (abreisen), wie der Prüfungstraum beschwichtigte: Fürchte nichts; es wird dir auch diesmal nichts geschehen. Die Schwierigkeit im Verständnis beider Arten von Träumen rührt daher, daß die Angstempfindung gerade an den Ausdruck des Trostes geknüpft ist.
Der Sinn der »Zahnreizträume«, die ich bei meinen Patienten oft genug zu an*lysieren hatte, ist mir lange Zeit entgangen, weil sich zu meiner Überraschung der Deutung derselben regelmäßig allzu große Widerstände entgegenstellten.
Endlich ließ die übergroße Evidenz keinen Zweifel daran, daß bei Männern nichts anderes als das Onaniegelüste der Pubertätszeit die Triebkraft dieser Träume abgebe. Ich will zwei solcher Träume an*lysieren, von denen einer gleichzeitig ein »Flugtraum« ist. Beide rühren von derselben Person her, einem jungen Manne mit starker, aber im Leben gehemmter h*mos**ualität:
Er befindet sich bei einer »Fidelio«-Vorstellung im Parkett der Oper, neben L., einer ihm sympathischen Persönlichkeit, deren Freundschaft er gern erwerben möchte. Plötzlich fliegt er schräg hinweg über das Parkett bis ans Ende, greift sich dann in den Mund und zieht sich zwei Zähne aus.
Den Flug beschreibt er selbst, als ob er in die Luft »geworfen« würde. Da es sich um eine Vorstellung des Fidelio handelt, liegt das Dichterwort nahe:
»Wer ein holdes Weib errungen –«
Aber das Erringen auch des holdesten Weibes gehört nicht zu den Wünschen des Träumers. Zu diesen stimmen zwei andere Verse besser:
»Wem der große Wurf gelungen,
Eines Freundes Freund zu sein...«
Der Traum enthält nun diesen »großen Wurf«, der aber nicht allein Wunscherfüllung ist. Es verbirgt sich hinter ihm auch die peinliche Überlegung, daß er mit seinen Werbungen um Freundschaft schon so oft Unglück gehabt hat, »hinausgeworfen« wurde, und die Furcht, dieses Schicksal könnte sich bei dem jungen Manne, neben dem er die Fidelio-Vorstellung genießt, wiederholen. Und nun schließt sich daran das für den feinsinnigen Träumer beschämende Geständnis an, daß er einst nach einer Abweisung von Seite eines Freundes aus Sehnsucht zweimal hintereinander in sinnlicher Erregung onaniert hat.
Der andere Traum: Zwei ihm bekannte Universitätsprofessoren behandeln ihn an meiner Statt. Der eine tut irgend etwas an seinem Gliede; er hat Angst vor einer Operation. Der andere stößt mit einer eisernen Stange gegen seinen Mund, so daß er ein oder zwei Zähne verliert. Er ist mit vier seidenen Tüchern gebunden.
Der s**uelle Sinn dieses Traumes ist wohl nicht zweifelhaft. Die seidenen Tücher entsprechen einer Identifizierung mit einem ihm bekannten h*mos**uellen. Der Träumer, der niemals einen Koitus ausgeführt, auch nie in der Wirklichkeit geschlechtlichen Verkehr mit Männern gesucht hat, stellt sich den s**uellen Verkehr nach dem Vorbilde der ihm einst vertrauten Pubertätsonanie vor.
Ich meine, daß auch die häufigen Modifikationen des typischen Zahnreiztraumes, z. B. daß ein anderer dem Träumer den Zahn auszieht und ähnliches, durch die gleiche Aufklärung verständlich werden [Fußnote]. Rätselhaft mag es aber scheinen, wieso der »Zahnreiz« zu dieser Bedeutung gelangen kann. Ich mache hier auf die so häufige Verlegung von unten nach oben aufmerksam, die im Dienste der Sexualverdrängung steht und vermöge welcher in der Hysterie allerlei Sensationen und Intentionen, die sich an den Genitalien abspielen sollten, wenigstens an anderen einwandfreien Körperteilen realisiert werden können. Ein Fall von solcher Verlegung ist es auch, wenn in der Symbolik des unbewußten Denkens die Genitalien durch das Angesicht ersetzt werden. Der Sprachgebrauch tut dabei mit, indem er »Hinterbacken« als h*mologe der Wangen anerkennt, »Schamlippen« neben den Lippen nennt, welche die Mundspalte einrahmen. Die Nase wird in zahlreichen Anspielungen dem Penis gleichgestellt, die Behaarung hier und dort vervollständigt die Ähnlichkeit. Nur ein Gebilde steht außer jeder Möglichkeit von Vergleichung, die Zähne, und gerade dies Zusammentreffen von Übereinstimmung und Abweichung macht die Zähne für die Zwecke der Darstellung unter dem Drucke der Sexualverdrängung geeignet.
Ich will nicht behaupten, daß nun die Deutung des Zahnreiztraums als Onanietraum, an deren Berechtigung ich nicht zweifeln kann, voll durchsichtig geworden ist [Fußnote]. Ich gebe so viel, als ich zur Erklärung weiß, und muß einen Rest unaufgelöst la**en. Aber ich muß auch auf einen anderen im sprachlichen Ausdruck enthaltenen Zusammenhang hinweisen. In unseren Landen existiert eine unfeine Bezeichnung für den masturbatorischen Akt: sich einen ausreißen oder sich einen herunterreißen [Fußnote]. Ich weiß nicht zu sagen, woher diese Redeweisen stammen, welche Verbildlichung ihnen zugrunde liegt, aber zur ersteren von den beiden würde sich der »Zahn« sehr gut fügen.
Da die Träume vom Zahnziehen oder Zahnausfall im Volksglauben auf den Tod eines Angehörigen gedeutet werden, die Psychoan*lyse ihnen aber solche Bedeutung höchstens im oben angedeuteten parodistischen Sinn zugestehen kann, schalte ich hier einen von Otto Rank zur Verfügung gestellten »Zahnreiztraum« ein:
»Zum Thema der Zahnreizträume ist mir von einem Kollegen, der sich seit einiger Zeit für die Probleme der Traumdeutung lebhafter zu interessieren beginnt, der folgende Bericht zugekommen:
›Mir träumte kürzlich, ich sei beim Zahnarzt, der mir einen rückwärtigen Zahn des Unterkiefers ausbohrt. Er arbeitet so lange herum, bis der Zahn unbrauchbar geworden ist. Dann faßt er ihn mit der Zange und zieht ihn mit einer spielenden Leichtigkeit heraus, die mich in Verwunderung setzt. Er sagt, ich solle mir nichts daraus machen, denn das sei gar nicht der eigentlich behandelte Zahn, und legt ihn auf den Tisch, wo der Zahn (wie mir nun scheint, ein oberer Schneidezahn) in mehrere Schichten zerfällt. Ich erhebe mich vom Operationsstuhl, trete neugierig näher und stelle interessiert eine medizinische Frage. Der Arzt erklärt mir, während er die einzelnen Teilstücke des auffallend weißen Zahnes sondert und mit einem Instrument zermalmt (pulverisiert), daß das mit der Pubertät zusammenhängt und daß die Zähne nur vor der Pubertät so leicht herausgehen; bei Frauen sei das hiefür entscheidende Moment die Geburt eines Kindes.‹
›Ich merke dann (wie ich glaube im Halbschlaf), daß dieser Traum von einer Pollution begleitet war, die ich aber nicht mit Sicherheit an eine bestimmte Stelle des Traumes einzureihen weiß; am ehesten scheint sie mir noch beim Herausziehen des Zahnes eingetreten zu sein.‹
›Ich träume dann weiter einen mir nicht mehr erinnerlichen Vorgang, der damit abschloß, daß ich, Hut und Rock in der Hoffnung, man werde mir die Kleidungsstücke nachbringen, irgendwo (möglicherweise in der Garderobe des Zahnarztes) zurückla**end und bloß mit dem Überrock bekleidet, mich beeilte, einen abgehenden Zug noch zu erreichen. Es gelang mir auch im letzten Moment, auf den rückwärtigen Waggon aufzuspringen, wo bereits jemand stand. Ich konnte jedoch nicht mehr in das Innere des Wagens gelangen, sondern mußte in einer unbequemen Stellung, aus der ich mich mit schließlichem Erfolg zu befreien versuchte, die Reise mitmachen. Wir fahren durch einen großen Tunnel, wobei in der Gegenrichtung zwei Züge wie durch unseren Zug hindurchfahren, als ob dieser der Tunnel wäre. Ich schaue wie von außen durch ein Waggonfenster hinein.‹
›Als Material zu einer Deutung dieses Traumes ergeben sich folgende Erlebnisse und Gedanken des Vortages:
I. Ich stehe tatsächlich seit kurzem in zahnärztlicher Behandlung und habe zur Zeit des Traumes kontinuierlich Schmerzen in dem Zahn des Unterkiefers, der im Traume angebohrt wird und an dem der Arzt auch in Wirklichkeit schon länger herumarbeitet, als mir lieb ist. Am Vormittag des Traumtages war ich neuerlich wegen der Schmerzen beim Arzt gewesen, der mir nahegelegt hatte, einen anderen als den behandelten Zahn im selben Kiefer ziehen zu la**en, von dem wahrscheinlich der Schmerz herrühren dürfte. Es handelte sich um einen eben durchbrechenden ›Weisheitszahn‹. Ich hatte bei der Gelegenheit auch eine darauf bezügliche Frage an sein ärztliches Gewissen gestellt.‹
›II. Am Nachmittag desselben Tages war ich genötigt, einer Dame gegenüber meine üble Laune mit den Zahnschmerzen entschuldigen zu müssen, worauf sie mir erzählte, sie habe Furcht, sich eine Wurzel ziehen zu la**en, deren Krone fast gänzlich abgebröckelt sei. Sie meinte, das Ziehen wäre bei den Augenzähnen besonders schmerzhaft und gefährlich, obwohl ihr andererseits eine Bekannte gesagt habe, daß es bei den Zähnen des Oberkiefers (um einen solchen handelte es sich bei ihr) leichter gehe. Diese Bekannte habe ihr auch erzählt, ihr sei einmal in der Narkose ein falscher Zahn gezogen worden, eine Mitteilung, welche ihre Scheu vor der notwendigen Operation nur vermehrt habe. Sie fragte mich dann, ob unter Augenzähnen Backen- oder Eckzähne zu verstehen seien und was über diese bekannt sei. Ich machte sie einerseits auf den abergläubischen Einschlag in all diesen Meinungen aufmerksam, ohne jedoch die Betonung des richtigen Kernes mancher volkstümlichen Anschauungen zu versäumen. Sie weiß darauf von einem ihrer Erfahrung nach sehr alten und allgemein bekannten Volksglauben zu berichten, der behauptet: Wenn eine Schwangere Zahnschmerzen hat, so bekommt sie einen Buben.‹
›III. Dieses Sprichwort interessierte mich mit Rücksicht auf die von Freud in seiner Traumdeutung (2.Aufl., S.193f.) mitgeteilte typische Bedeutung der Zahnreizträume als Onanieersatz, da ja auch in dem Volksspruch der Zahn und das männliche Genitale (Bub) in eine gewisse Beziehung gebracht werden. Ich las also am Abend desselben Tages die betreffende Stelle in der Traumdeutung nach und fand dort unter anderem die im folgenden wiedergegebenen Ausführungen, deren Einfluß auf meinen Traum ebenso leicht zu erkennen ist wie die Einwirkung der beiden vorgenannten Erlebnisse. Freud schreibt von den Zahnreizträumen, »daß bei Männern nichts anderes als das Onaniegelüste der Pubertätszeit die Triebkraft dieser Träume abgebe«. Ferner: »Ich meine, daß auch die häufigen Modifikationen des typischen Zahnreiztraumes, z.B. daß ein anderer dem Träumer den Zahn auszieht und ähnliches, durch die gleiche Aufklärung verständlich werden. Rätselhaft mag es aber scheinen, wieso der Zahnreiz zu dieser Bedeutung gelangen kann. Ich mache hier auf die so häufige Verlegung von unten nach oben‹ (im vorliegenden Traume auch vom Unterkiefer in den Oberkiefer) ›aufmerksam, die im Dienste der Sexualverdrängung steht und vermöge welcher in der Hysterie allerlei Sensationen und Intentionen, die sich an den Genitalien abspielen sollten, wenigstens an anderen einwandfreien Körperstellen realisiert werden können«. »Aber ich muß auch auf einen anderen im sprachlichen Ausdruck enthaltenen Zusammenhang hinweisen. In unseren Landen existiert eine unfeine Bezeichnung für den masturbatorischen Akt: sich einen ausreißen oder sich einen herunterreißen«. Dieser Ausdruck war mir schon in früher Jugend als Bezeichnung für die Onanie geläufig, und von hier aus wird der geübte Traumdeuter unschwer den Zugang zum Kindheitsmaterial, das diesem Traume zugrunde liegen mag, finden. Ich erwähne nur noch, daß die Leichtigkeit, mit der im Traum der Zahn, der sich nach dem Ziehen in einen oberen Schneidezahn verwandelt, herausgeht, mich an einen Vorfall meiner Kinderzeit erinnert, wo ich mir einen wackligen oberen Vorderzahn leicht und schmerzlos selbst ausriß. Dieses Ereignis, das mir heute noch in allen Einzelheiten deutlich erinnerlich ist, fällt in dieselbe frühe Zeit, in die bei mir die ersten bewußten Onanieversuche zurückgehen (Deckerinnerung).‹
›Der Hinweis Freuds auf eine Mitteilung von C.Jung, wonach die Zahnreizträume bei Frauen die Bedeutung von Geburtsträumen haben (Traumdeutung, 2.Aufl., S.194 Anm.), sowie der Volksglaube von der Bedeutung des Zahnschmerzes bei Schwangeren haben die Gegenüberstellung der weiblichen Bedeutung gegenüber der männlichen (Pubertät) im Traume veranlaßt. Dazu erinnere ich mich eines früheren Traumes, wo mir, bald nachdem ich aus der Behandlung eines Zahnarztes entla**en worden war, träumte, daß mir die eben eingesetzten Goldkronen herausfielen, worüber ich mich wegen des bedeutenden Kostenaufwandes, den ich damals noch nicht ganz verschmerzt hatte, im Traume sehr ärgerte. Dieser Traum wird mir jetzt im Hinblick auf ein gewisses Erlebnis als Anpreisung der materiellen Vorzüge der Masturbation gegenüber der in jeder Form ökonomisch nachteiligeren Objektliebe verständlich (Goldkronen), und ich glaube, daß die Mitteilung jener Dame über die Bedeutung des Zahnschmerzes bei Schwangeren diese Gedankengänge in mir wieder wachrief.‹
So weit die ohne weiteres einleuchtende und, wie ich glaube, auch einwandfreie Deutung des Kollegen, der ich nichts hinzuzufügen habe als etwa den Hinweis auf den wahrscheinlichen Sinn des zweiten Traumteiles, der über die Wortbrücken: Zahn-(ziehen-Zug; reißen-reisen) den allem Anschein nach unter Schwierigkeiten vollzogenen Übergang des Träumers von der Masturbation zum Geschlechtsverkehr (Tunnel, durch den die Züge in verschiedenen Richtungen hinein- und herausfahren) sowie die Gefahren desselben (Schwangerschaft; Überzieher) darstellt.
Dagegen scheint mir der Fall theoretisch nach zwei Richtungen interessant. Erstens ist es beweisend für den von Freud aufgedeckten Zusammenhang, daß die Ejakulation im Traume beim Akt des Zahnziehens erfolgt. Sind wir doch genötigt, die Pollution, in welcher Form immer sie auftreten mag, als eine masturbatorische Befriedigung anzusehen, welche ohne Zuhilfenahme mechanischer Reizungen zustande kommt. Dazu kommt, daß in diesem Falle die pollutionistische Befriedigung nicht, wie sonst, an einem wenn auch nur imaginierten Objekt erfolgt, sondern objektlos, wenn man so sagen darf, rein autoerotisch ist und höchstens einen leisen h*mos**uellen Einschlag (Zahnarzt) erkennen läßt.
Der zweite Punkt, der mir der Hervorhebung wert erscheint, ist folgender: Es liegt der Einwand nahe, daß die Freudsche Auffa**ung hier ganz überflüssigerweise geltend gemacht zu werden suche, da doch die Erlebnisse des Vortages allein vollkommen hinreichen, uns den Inhalt des Traumes verständlich zu machen. Der Besuch beim Zahnarzt, das Gespräch mit der Dame und die Lektüre der Traumdeutung erklärten hinreichend, daß der auch nachts durch Zahnschmerzen beunruhigte Schläfer diesen Traum produziere; wenn man durchaus wolle, sogar zur Beseitigung des schlafstörenden Schmerzes (mittels der Vorstellung von der Entfernung des schmerzenden Zahnes bei gleichzeitiger Übertönung der gefürchteten Schmerzempfindung durch Libido). Nun wird man aber selbst bei den weitestgehenden Zugeständnissen in dieser Richtung die Behauptung nicht ernsthaft vertreten wollen, daß die Lektüre der Freudschen Aufklärungen den Zusammenhang von Zahnziehen und Masturbationsakt in dem Träumer hergestellt oder auch nur wirksam gemacht haben könnte, wenn er nicht, wie der Träumer selbst eingestanden hat (›sich einen ausreißen‹), längst vorgebildet gewesen wäre. Was vielmehr diesen Zusammenhang neben dem Gespräch mit der Dame belebt haben mag, ergibt die spätere Mitteilung des Träumers, daß er bei der Lektüre der Traumdeutung aus begreiflichen Gründen an diese typische Bedeutung der Zahnreizträume nicht recht glauben mochte und den Wunsch hegte zu wissen, ob dies für alle derartigen Träume zutreffe. Der Traum bestätigt ihm nun das wenigstens für seine eigene Person und zeigt ihm so, warum er daran zweifeln mußte. Der Traum ist also auch in dieser Hinsicht die Erfüllung eines Wunsches, nämlich sich von der Tragweite und der Haltbarkeit dieser Freudschen Auffa**ung zu überzeugen.«
Zur zweiten Gruppe von typischen Träumen gehören die, in denen man fliegt oder schwebt, fällt, schwimmt u. dgl. Was bedeuten diese Träume? Das ist allgemein nicht zu sagen. Sie bedeuten, wie wir hören werden, in jedem Falle etwas anderes, nur das Material an Sensationen, das sie enthalten, stammt allemal aus derselben Quelle.
Aus den Auskünften, die man durch die Psychoan*lysen erhält, muß man schließen, daß auch diese Träume Eindrücke der Kinderzeit wiederholen, nämlich sich auf die Bewegungsspiele beziehen, die für das Kind eine so außerordentliche Anziehung haben. Welcher Onkel hat nicht schon ein Kind fliegen la**en, indem er, die Arme ausstreckend, durchs Zimmer mit ihm eilte, oder Fallen mit ihm gespielt, indem er es auf den Knien schaukelte und das Bein plötzlich streckte oder es hochhob und plötzlich tat, als ob er ihm die Unterstützung entziehen wollte. Die Kinder jauchzen dann und verlangen unermüdlich nach Wiederholung, besonders wenn etwas Schreck und Schwindel mit dabei ist; dann schaffen sie sich nach Jahren die Wiederholung im Traume, la**en aber im Traume die Hände weg, die sie gehalten haben, so daß sie nun frei schweben und fallen. Die Vorliebe aller kleinen Kinder für solche Spiele wie für Schaukeln und Wippen ist bekannt; wenn sie dann gymnastische Kunststücke im Zirkus sehen, wird die Erinnerung von neuem aufgefrischt. Bei manchen Knaben besteht dann der hysterische Anfall nur aus Reproduktionen solcher Kunststücke, die sie mit großer Geschicklichkeit ausführen. Nicht selten sind bei diesen an sich harmlosen Bewegungsspielen auch s**uelle Empfindungen wachgerufen worden. Um es mit einem bei uns gebräuchlichen, all diese Veranstaltungen deckenden Worte zu sagen: es ist das »Hetzen« in der Kindheit, welches die Träume vom Fliegen, Fallen, Schwindel u. dgl. wiederholen, dessen Lustgefühle jetzt in Angst verkehrt sind. Wie aber jede Mutter weiß, ist auch das Hetzen der Kinder in Wirklichkeit häufig genug in Zwist und Weinen ausgegangen.
Ich habe also guten Grund, die Erklärung abzulehnen, daß der Zustand unserer Hautgefühle während des Schlafes, die Sensationen von der Bewegung unserer Lungen u. dgl. die Träume vom Fliegen und Fallen hervorrufen. Ich sehe, daß diese Sensationen selbst aus der Erinnerung reproduziert sind, auf welche der Traum sich bezieht, daß sie also Trauminhalt sind und nicht Traumquellen [Fußnote].
Dieses gleichartige und aus der nämlichen Quelle stammende Material von Bewegungsempfindungen wird nun zur Darstellung der allermannigfaltigsten Traumgedanken verwendet. Die meist lustbetonten Träume vom Fliegen oder Schweben erfordern die verschiedensten Deutungen, ganz spezielle bei einigen Personen, Deutungen von selbst typischer Natur bei anderen. Eine meiner Patientinnen pflegte sehr häufig zu träumen, daß sie über die Straße in einer gewissen Höhe schwebe, ohne den Boden zu berühren. Sie war sehr klein gewachsen und scheute jede Beschmutzung, die der Verkehr mit Menschen mit sich bringt. Ihr Schwebetraum erfüllte ihr beide Wünsche, indem er ihre Füße vom Erdboden abhob und ihr Haupt in höhere Regionen ragen ließ. Bei anderen Träumerinnen hatte der Fliegetraum die Bedeutung der Sehnsucht: Wenn ich ein Vöglein wär'; andere wurden so nächtlicherweise zu Engeln, in der Entbehrung, bei Tage so genannt zu werden. Die nahe Verbindung des Fliegens mit der Vorstellung des Vogels macht es verständlich, daß der Fliegetraum bei Männern meist eine grobsinnliche Bedeutung hat. Wir werden uns auch nicht verwundern zu hören, daß dieser oder jener Träumer jedesmal sehr stolz auf sein Fliegenkönnen ist.
Dr. Paul Federn (Wien) hat die bestechende Vermutung ausgesprochen, daß ein guter Teil dieser Fliegeträume Erektionsträume sind, da das merkwürdige und die menschliche Phantasie unausgesetzt beschäftigende Phänomen der Erektion als Aufhebung der Schwerkraft imponieren muß. (Vgl. hiezu die geflügelten Phallen der Antike.)
Es ist bemerkenswert, daß der nüchterne und eigentlich jeder Deutung abgeneigte Traumexperimentator Mourly Vold gleichfalls die erotische Deutung der Fliege-(Schwebe-)Träume vertritt (1910–12, Bd. 2, 791). Er nennt die Erotik das »wichtigste Motiv zum Schwebetraum«, beruft sich auf das starke Vibrationsgefühl im Körper, welches diese Träume begleitet, und auf die häufige Verbindung solcher Träume mit Erektionen oder Pollutionen.
Die Träume vom Fallen tragen häufiger den Angstcharakter. Ihre Deutung unterliegt bei Frauen keiner Schwierigkeit, da sie fast regelmäßig die symbolische Verwendung des Fallens akzeptieren, welches die Nachgiebigkeit gegen eine erotische Versuchung umschreibt. Die infantilen Quellen des Falltraumes haben wir noch nicht erschöpft; fast alle Kinder sind gelegentlich gefallen und wurden dann aufgehoben und geliebkost; wenn sie nachts aus dem Bettchen gefallen waren, von ihrer Pflegeperson in ihr Bett genommen.
Personen, die häufig vom Schwimmen träumen, mit großem Behagen die Wellen teilen usw., sind gewöhnlich Bettnässer gewesen und wiederholen nun im Traume eine Lust, auf die sie seit langer Zeit zu verzichten gelernt haben. Zu welcher Darstellung sich die Träume vom Schwimmen leicht bieten, werden wir bald an dem einen oder dem anderen Beispiele erfahren.
Die Deutung der Träume vom Feuer gibt einem Verbot der Kinderstube recht, welches die Kinder nicht »zündeln« heißt, damit sie nicht nächtlicherweile das Bett nässen sollen. Es liegt nämlich auch ihnen die Reminiszenz an die Enuresis nocturna der Kinderjahre zugrunde. In dem ›Bruchstück einer Hysterie-an*lyse‹ (1905 e) habe ich die vollständige an*lyse und Synthese eines solchen Feuertraumes im Zusammenhange mit der Krankengeschichte der Träumerin gegeben und gezeigt, zur Darstellung welcher Regungen reiferer Jahre sich dieses infantile Material verwenden läßt.
Man könnte noch eine ganze Anzahl von »typischen« Träumen anführen, wenn man darunter die Tatsache der häufigen Wiederkehr des gleichen manifesten Trauminhalts bei verschiedenen Träumern versteht, so z. B.: Die Träume vom Gehen durch enge Ga**en, vom Gehen durch eine ganze Flucht von Zimmern, die Träume vom nächtlichen Räuber, dem auch die Vorsichtsmaßregeln der Nervösen vor dem Schlafengehen gelten, die von Verfolgung durch wilde Tiere (Stiere, Pferde) oder von Bedrohung mit Messern, Dolchen, Lanzen, die beide letztere für den manifesten Trauminhalt von Angstleidenden charakteristisch sind, u. dgl. Eine Untersuchung, die sich speziell mit diesem Material beschäftigen würde, wäre sehr dankenswert. Ich habe an ihrer Statt zwei Bemerkungen zu bieten, die sich aber nicht ausschließlich auf typische Träume beziehen.
Je mehr man sich mit der Lösung von Träumen beschäftigt, desto bereitwilliger muß man anerkennen, daß die Mehrzahl der Träume Erwachsener s**uelles Material behandelt und erotische Wünsche zum Ausdruck bringt. Nur wer wirklich Träume an*lysiert, d. h. vom manifesten Inhalt derselben zu den latenten Traumgedanken vordringt, kann sich ein Urteil hierüber bilden, nie wer sich damit begnügt, den manifesten Inhalt zu registrieren (wie z. B. Näcke in seinen Arbeiten über s**uelle Träume). Stellen wir gleich fest, daß diese Tatsache uns nichts Überraschendes bringt, sondern in voller Übereinstimmung mit unseren Grundsätzen der Traumerklärung steht. Kein anderer Trieb hat seit der Kindheit so viel Unterdrückung erfahren müssen wie der Sexualtrieb in seinen zahlreichen Komponenten [Fußnote], von keinem anderen erübrigen so viele und so starke unbewußte Wünsche, die nun im Schlafzustande traumerzeugend wirken. Man darf bei der Traumdeutung diese Bedeutung s**ueller Komplexe niemals vergessen, darf sie natürlich auch nicht zur Ausschließlichkeit übertreiben.
An vielen Träumen wird man bei sorgfältiger Deutung feststellen können, daß sie selbst bis**uell zu verstehen sind, indem sie eine unabweisbare Überdeutung ergeben, in welcher sie h*mos**uelle, d.h. der normalen Geschlechtsbetätigung der träumenden Person entgegengesetzte Regungen realisieren. Daß aber alle Träume bis**uell zu deuten seien, wie W.Stekel [Fußnote] und Alf.Adler [Fußnote] behaupten, scheint mir eine ebenso [388] unbeweisbare wie unwahrscheinliche Verallgemeinerung, welche ich nicht vertreten möchte. Ich wüßte vor allem den Augenschein nicht wegzuschaffen, daß es zahlreiche Träume gibt, welche andere als – im weitesten Sinne – erotische Bedürfnisse befriedigen, die Hunger- und Durstträume, Bequemlichkeitsträume usw. Auch die ähnlichen Aufstellungen, »daß hinter jedem Traum die Todesklausel zu finden sei« (Stekel), daß jeder Traum ein »Fortschreiten von der weiblichen zur männlichen Linie« erkennen la**e (Adler), scheinen mir das Maß des in der Traumdeutung Zulässigen weit zu überschreiten. – Die Behauptung, daß alle Träume eine s**uelle Deutung erfordern, gegen welche in der Literatur unermüdlich polemisiert wird, ist meiner Traumdeutung fremd. Sie ist in sieben Auflagen dieses Buches nicht zu finden und steht in greifbarem Widerspruch zu anderem Inhalt desselben.
Daß die auffällig harmlosen Träume durchwegs grobe erotische Wünsche verkörpern, haben wir bereits an anderer Stelle behauptet und könnten wir durch zahlreiche neue Beispiele erhärten. Aber auch viele indifferent scheinende Träume, denen man nach keiner Richtung etwas Besonderes anmerken würde, führen sich nach der an*lyse auf unzweifelhaft s**uelle Wunschregungen oft unerwarteter Art zurück. Wer würde z.B. bei nachfolgendem Traume einen s**uellen Wunsch vor der Deutungsarbeit vermuten? Der Träumer erzählt: Zwischen zwei stattlichen Palästen steht etwas zurücktretend ein kleines Häuschen, dessen Tore geschlossen sind. Meine Frau führt mich das Stück der Straße bis zu dem Häuschen hin, drückt die Tür ein, und dann schlüpfe ich rasch und leicht in das Innere eines schräg aufsteigenden Hofes.
Wer einige Übung im Übersetzen von Träumen hat, wird allerdings sofort daran gemahnt werden, daß das Eindringen in enge Räume, das Öffnen verschlossener Türen zur gebräuchlichsten s**uellen Symbolik gehört, und wird mit Leichtigkeit in diesem Traume eine Darstellung eines Koitusversuches von rückwärts (zwischen den beiden stattlichen Hinterbacken des weiblichen Körpers) finden. Der enge, schräg aufsteigende Gang ist natürlich die Scheide; die der Frau des Träumers zugeschobene Hilfeleistung nötigt zur Deutung, daß in Wirklichkeit nur die Rücksicht auf die Ehefrau die Abhaltung von einem solchen Versuche besorgt, und eine Erkundigung ergibt, daß am Traumtag ein junges Mädchen in den Haushalt des Träumers eingetreten ist, welches sein Wohlgefallen erregt und ihm den Eindruck gemacht hat, als würde es sich gegen eine derartige Annäherung nicht zu sehr sträuben. Das kleine Haus zwischen den zwei Palästen ist von einer Reminiszenz an den Hradschin in Prag hergenommen und weist somit auf das nämliche aus dieser Stadt stammende Mädchen hin.
Wenn ich gegen Patienten die Häufigkeit des Ödipustraumes, mit der eigenen Mutter geschlechtlich zu verkehren, betone, so bekomme ich zur Antwort: Ich kann mich an einen solchen Traum nicht erinnern. Gleich darauf steigt aber die Erinnerung an einen anderen, unkenntlichen und indifferenten Traum auf, der sich bei dem Betreffenden häufig wiederholt hat, und die an*lyse zeigt, daß dies ein Traum des gleichen Inhalts, nämlich wiederum ein Ödipustraum ist. Ich kann versichern, daß die verkappten Träume vom Sexualverkehre mit der Mutter um ein Vielfaches häufiger sind als die aufrichtigen [Fußnote]
Typisches Beispiel eines verkappten Ödipustraumes:
Ein Mann träumt: Er hat ein geheimes Verhältnis mit einer Dame, die ein anderer heiraten will. Er ist besorgt, daß dieser andere das Verhältnis entdecken könnte, so daß aus der Heirat nichts werde, und benimmt sich darum sehr zärtlich gegen den Mann; er schmiegt sich an ihn und küßt ihn. – Die Tatsachen im Leben des Träumers berühren den Inhalt dieses Traumes nur in einem Punkte. Er unterhält ein geheimes Verhältnis mit einer verheirateten Frau, und eine vieldeutige Äußerung ihres Mannes, mit dem er befreundet ist, hat den Verdacht bei ihm geweckt, daß dieser etwas gemerkt haben könnte. Aber in der Wirklichkeit spielt noch etwas anderes mit, dessen Erwähnung im Traume vermieden wird und das doch allein den Schlüssel zum Verständnis des Traumes gibt. Das Leben des Ehemannes ist durch ein organisches Leiden bedroht. Seine Frau ist auf die Möglichkeit seines plötzlichen Todes vorbereitet, und unser Träumer beschäftigt sich bewußt mit dem Vorsatze, nach dem Hinscheiden des Mannes die junge Witwe zur Frau zu nehmen. Durch diese äußere Situation findet sich der Träumer in die Konstellation des Ödipustraumes versetzt; sein Wunsch kann den Mann töten, um die Frau zum Weib zu gewinnen; sein Traum gibt diesem Wunsch in heuchlerischer Entstellung Ausdruck. Anstatt des Verheiratetseins mit dem anderen setzt er ein, daß ein anderer sie erst heiraten will, was seiner eigenen geheimen Absicht entspricht, und die feindseligen Wünsche gegen den Mann verbergen sich hinter demonstrativen Zärtlichkeiten, die aus der Erinnerung an seinen kindlichen Verkehr mit dem Vater stammen.
[390] Es gibt Träume von Landschaften oder Örtlichkeiten, bei denen im Traume noch die Sicherheit betont wird: Da war ich schon einmal. Dieses »déjà vu« hat aber im Traum eine besondere Bedeutung. Diese Örtlichkeit ist dann immer das Genitale der Mutter; in der Tat kann man von keiner anderen mit solcher Sicherheit behaupten, daß man »dort schon einmal war«. Ein einziges Mal brachte mich ein Zwangsneurotiker durch die Mitteilung eines Traumes in Verlegenheit, in dem es hieß, er besuche eine Wohnung, in der er schon zweimal gewesen sei. Gerade dieser Patient hatte mir aber längere Zeit vorher als Begebenheit aus seinem sechsten Lebensjahre erzählt, er habe damals einmal das Bett der Mutter geteilt und die Gelegenheit dazu mißbraucht, den Finger ins Genitale der Schlafenden einzuführen.
Einer großen Anzahl von Träumen, die häufig angsterfüllt sind, oft das Pa**ieren von engen Räumen oder den Aufenthalt im Wa**er zum Inhalt haben, liegen Phantasien über das Intrauterinleben, das Verweilen im Mutterleibe und den Geburtstakt zugrunde. Im folgenden gebe ich den Traum eines jungen Mannes wieder, der in der Phantasie schon die intrauterine Gelegenheit zur Belauschung eines Koitus zwischen den Eltern benutzt.
»Er befindet sich in einem tiefen Schacht, in dem ein Fenster ist wie im Semmeringtunnel. Durch dieses sieht er zuerst leere Landschaft, und dann komponiert er ein Bild hinein, welches dann auch sofort da ist und die Leere ausfüllt. Das Bild stellt einen Acker dar, der vom Instrument tief aufgewühlt wird, und die schöne Luft, die Idee der gründlichen Arbeit, die dabei ist, die blauschwarzen Schollen machen einen schönen Eindruck. Dann kommt er weiter, sieht eine Pädagogik aufgeschlagen ... und wundert sich, daß den s**uellen Gefühlen (des Kindes) darin so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, wobei er an mich denken muß.«
Ein schöner Wa**ertraum einer Patientin, der zu einer besonderen Verwendung in der Kur gelangte, ist folgender:
In ihrem Sommeraufenthalt am **See stürzt sie sich ins dunkle Wa**er, dort, wo sich der bla**e Mond im Wa**er spiegelt.
Träume dieser Art sind Geburtsträume; zu ihrer Deutung gelangt man, wenn man die im manifesten Traume mitgeteilte Tatsache umkehrt, also anstatt: sich ins Wa**er stürzen – aus dem Wa**er herauskommen, d. h.: geboren werden [Fußnote]. Die Lokalität, aus der man geboren wird, erkennt man, wenn man an den mutwilligen Sinn von »la lune« im Französischen denkt. Der bla**e Mond ist dann der weiße Popo, aus dem das Kind hergekommen zu sein bald errät. Was soll es nun heißen, daß die Patientin sich wünscht, in ihrem Sommeraufenthalt »geboren zu werden«? Ich befrage die Träumerin, die ohne zu zögern antwortet: Bin ich nicht durch die Kur wie neugeboren?? So wird dieser Traum zur Einladung, die Behandlung an jenem Sommerorte fortzusetzen, d. h. sie dort zu besuchen; er enthält vielleicht auch eine ganz schüchterne Andeutung des Wunsches, selbst Mutter zu werden [Fußnote].
Einen anderen Geburtstraum entnehme ich samt seiner Deutung einer Arbeit von E. Jones: »Sie stand am Meeresufer und beaufsichtigte einen kleinen Knaben, welcher der ihrige zu sein schien, während er ins Wa**er watete. Dies tat er so weit, bis das Wa**er ihn bedeckte, so daß sie nur noch seinen Kopf sehen konnte, wie er sich an der Oberfläche auf und nieder bewegte. Die Szene verwandelte sich dann in die gefüllte Halle eines Hotels. Ihr Gatte verließ sie, und sie trat in ein Gespräch mit einem Fremden.
Die zweite Hälfte des Traumes enthüllte sich ohne weiteres bei der an*lyse als Darstellung einer Flucht von ihrem Gatten und Anknüpfung intimer Beziehungen zu einer dritten Person. Der erste Teil des Traumes war eine offenkundige Geburtsphantasie. In den Träumen wie in der Mythologie wird die Entbindung eines Kindes aus dem Fruchtwa**er gewöhnlich mittels Umkehrung als Eintritt des Kindes ins Wa**er dargestellt; neben vielen anderen bieten die Geburt des Adonis, Osiris, Moses und Bacchus gut bekannte Beispiele hiefür. Das Auf- und Niedertauchen des Kopfes im Wa**er erinnert die Patientin sogleich an die Empfindung der Kindesbewegungen, welche sie während ihrer einzigen Schwangerschaft kennengelernt hatte. Der Gedanke an den ins Wa**er steigenden Knaben erweckt eine Träumerei, in welcher sie sich selbst sah, wie sie ihn aus dem Wa**er herauszog, ihn in die Kinderstube führte, ihn wusch und kleidete und schließlich in ihr Haus führte.
Die zweite Hälfte des Traumes stellt also Gedanken dar, welche das Fortlaufen betreffen, das zu der ersten Hälfte der verborgenen Traumgedanken in Beziehung steht; die erste Hälfte des Traumes entspricht dem latenten Inhalt der zweiten Hälfte, der Geburtsphantasie. Außer der früher erwähnten Umkehrung greifen weitere Umkehrungen in jeder Hälfte des Traumes Platz. In der ersten Hälfte geht das Kind in das Wa**er und dann baumelt sein Kopf; in den zugrundeliegenden Traumgedanken tauchen erst die Kindesbewegungen auf, und dann verläßt das Kind das Wa**er (eine doppelte Umkehrung). In der zweiten Hälfte verläßt ihr Gatte sie; in den Traumgedanken verläßt sie ihren Gatten.« (Übersetzt von O.Rank.)
Einen weiteren Geburtstraum erzählt Abraham von einer jungen, ihrer ersten Entbindung entgegensehenden Frau. Von einer Stelle des Fußbodens im Zimmer führt ein unterirdischer Kan*l direkt ins Wa**er (Geburtsweg – Fruchtwa**er). Sie hebt eine Klappe im Fußboden auf, und sogleich erscheint ein in einen bräunlichen Pelz gekleidetes Geschöpf, das beinahe einem Seehund gleicht. Dieses Wesen entpuppt sich als der jüngere Bruder der Träumerin, zu dem sie von jeher in einem mütterlichen Verhältnisse gestanden hatte.
Rank hat an einer Reihe von Träumen gezeigt, daß die Geburtsträume sich derselben Symbolik bedienen wie die Harnreizträume. Der erotische Reiz wird in ihnen als Harnreiz dargestellt; die Schichtung der Bedeutung in diesen Träumen entspricht einem Bedeutungswandel des Symbols seit der Kindheit.
[393] Wir dürfen hier auf das Thema zurückgreifen, das wir [S.244] abgebrochen hatten, auf die Rolle organischer, schlafstörender Reize für die Traumbildung. Träume, die unter diesen Einflüssen zustande gekommen sind, zeigen uns nicht nur die Wunscherfüllungstendenz und den Bequemlichkeitscharakter ganz offen, sondern sehr häufig auch eine völlig durchsichtige Symbolik, da nicht selten ein Reiz zum Erwachen führt, dessen Befriedigung in symbolischer Einkleidung im Traume bereits vergeblich versucht worden war. Dies gilt für die Pollutionsträume wie für die durch Harn- und Stuhldrang ausgelösten. »Der eigentümliche Charakter der Pollutionsträume gestattet uns nicht nur, gewisse, bereits als typisch erkannte, aber doch heftig bestrittene Sexualsymbole direkt zu entlarven, sondern vermag uns auch zu überzeugen, daß manche scheinbar harmlose Traumsituation auch nur das symbolische Vorspiel einer grob s**uellen Szene ist, die jedoch meistens nur in den relativ seltenen Pollutionsträumen zu direkter Darstellung gelangt, während sie oft genug in einen Angsttraum umschlägt, der gleichfalls zum Erwachen führt.«
Die Symbolik der Harnreizträume ist besonders durchsichtig und seit jeher erraten worden. Schon Hippokrates vertrat die Auffa**ung, daß es eine Störung der Blase bedeutet, wenn man von Fontänen und Brunnen träumt (H. Ellis). Scherner hat die Mannigfaltigkeit der Harnreizsymbolik studiert und auch bereits behauptet, daß »der stärkere Harnreiz stets in die Reizung der Geschlechtssphäre und deren symbolische Gebilde umschlägt ... Der Harnreiztraum ist oft der Repräsentant des Geschlechtstraumes zugleich.«
O. Rank, dessen Ausführungen in seiner Arbeit über die ›Symbolschichtung im Wecktraum‹ ich hier gefolgt bin, hat es sehr wahrscheinlich gemacht, daß eine große Anzahl von »Harnreizträumen« eigentlich durch s**uellen Reiz verursacht werden, der sich zunächst auf dem Wege der Regression in der infantilen Form der Urethralerotik zu befriedigen sucht. Besonders lehrreich sind dann jene Fälle, in denen der so hergestellte Harnreiz zum Erwachen und zur Blasenentleerung führt, worauf aber trotzdem der Traum fortgesetzt wird und sein Bedürfnis nun in unverhüllten erotischen Bildern äußert [Fußnote].
In ganz an*loger Weise decken die Darmreizträume die dazugehörige Symbolik auf und bestätigen dabei den auch völkerpsychologisch reichlich belegten Zusammenhang von Gold und Kot [Fußnote]. »So träumt z. B. eine Frau zur Zeit, da sie wegen einer Darmstörung in ärztlicher Behandlung steht, von einem Schatzgräber, der in der Nähe einer kleinen Holzhütte, die wie ein ländlicher Abort aussieht, einen Schatz vergräbt. Ein zweiter Teil des Traumes hat zum Inhalt, wie sie ihrem Kind, einem kleinen Mäderl, das sich beschmutzt hat, den Hintern abwischt.«
Den Geburtsträumen schließen sich die Träume von »Rettungen« an. Retten, besonders aus dem Wa**er retten, ist gleichbedeutend mit gebären, wenn es von einer Frau geträumt wird, modifiziert aber diesen Sinn, wenn der Träumer ein Mann ist. (Siehe einen solchen Traum bei Pfister, 1909.) – Über das Symbol des »Rettens« vgl. meinen Vortrag: ›Die zukünftigen Chancen der psychoan*lytischen Therapie‹ (1910d) sowie: ›Beiträge zur Psychologie des Liebeslebens, I. Über einen besonderen Typus der Objektwahl beim Manne‹ (1910b). [Fußnote]
Die Räuber, nächtlichen Einbrecher und Gespenster, vor denen man sich vor dem Zubettgehen fürchtet und die auch gelegentlich den Schlafenden heimsuchen, entstammen einer und derselben infantilen Reminiszenz. Es sind die nächtlichen Besucher, die das Kind aus dem Schlafe geweckt haben, um es auf den Topf zu setzen, damit es das Bett nicht nässe, oder die die Decke gehoben haben, um sorgsam nachzuschauen, wie es während des Schlafens die Hände hält. Aus den an*lysen einiger dieser Angstträume habe ich noch die Person des nächtlichen Besuchers zur Agnoszierung bringen können. Der Räuber war jedesmal der Vater, die Gespenster werden wohl eher weiblichen Personen im weißen Nachtgewande entsprechen.
F
BEISPIELE – RECHNEN UND REDEN IM TRAUM
Ehe ich nun das vierte der die Traumbildung beherrschenden Momente an die ihm gebührende Stelle setze, will ich aus meiner Traumsammlung einige Beispiele heranziehen, welche teils das Zusammenwirken der drei uns bekannten Momente erläutern, teils Beweise für frei hingestellte Behauptungen nachtragen oder unabweisbare Folgerungen aus ihnen ausführen können. Es ist mir ja in der vorstehenden Darstellung der Traumarbeit recht schwer geworden, meine Ergebnisse an Beispielen zu erweisen. Die Beispiele für die einzelnen Sätze sind nur im Zusammenhang einer Traumdeutung beweiskräftig; aus dem Zusammenhang gerissen, büßen sie ihre Schönheit ein, und eine auch nur wenig vertiefte Traumdeutung wird bald so umfangreich, daß sie den Faden der Erörterung, zu deren Illustrierung sie dienen soll, verlieren läßt. Dieses technische Motiv mag entschuldigen, wenn ich nun allerlei aneinanderreihe, was nur durch die Beziehung auf den Text des vorstehenden Abschnittes zusammengehalten wird.
Zunächst einige Beispiele von besonders eigentümlichen oder von ungewöhnlichen Darstellungsweisen im Traume. Im Traume einer Dame heißt es: Ein Stubenmädchen steht auf der Leiter wie zum Fensterputzen und hat einen Schimpansen und eine Gorillakatze (später korrigiert: Angorakatze) bei sich. Sie wirft die Tiere auf die Träumerin; der Schimpanse schmiegt sich an die letztere an, und das ist sehr ekelhaft. Dieser Traum hat seinen Zweck durch ein höchst einfaches Mittel erreicht, indem er nämlich eine Redensart wörtlich nahm und nach ihrem Wortlaute darstellte. »Affe« wie Tiernamen überhaupt sind Schimpfwörter, und die Traumsituation besagt nichts anderes als »mit Schimpfworten um sich werfen«. Diese selbe Sammlung wird alsbald weitere Beispiele für die Anwendung dieses einfachen Kunstgriffes bei der Traumarbeit bringen.
Ganz ähnlich verfährt ein anderer Traum: Eine Frau mit einem Kind, [396] das einen auffällig mißbildeten Schädel hat; von diesem Kinde hat sie gehört, daß es durch die Lage im Mutterleibe so geworden. Man könnte den Schädel, sagt der Arzt, durch Kompression in eine bessere Form bringen, allein das würde dem Gehirn schaden. Sie denkt, da es ein Bub ist, schadet es ihm weniger. – Dieser Traum enthält die plastische Darstellung des abstrakten Begriffs: »Kindereindrücke«, den die Träumerin in den Erklärungen zur Kur gehört hat.
Einen etwas anderen Weg schlägt die Traumarbeit im folgenden Beispiel ein. Der Traum enthält die Erinnerung an einen Ausflug zum Hilmteich bei Graz: Es ist ein schreckliches Wetter draußen; ein armseliges Hotel, von den Wänden tropft das Wa**er, die Betten sind feucht. (Letzteres Stück des Inhalts ist minder direkt im Traum, als ich es bringe.) Der Traum bedeutet »überflüssig«. Das Abstraktum, das sich in den Traumgedanken fand, ist zunächst etwas gewaltsam äquivok gemacht worden, etwa durch »überfließend« ersetzt oder durch »flüssig und überflüssig«, und dann durch eine Häufung gleichartiger Eindrücke zur Darstellung gebracht. Wa**er draußen, Wa**er innen an den Wänden, Wa**er als Feuchtigkeit in den Betten, alles flüssig und »über«-flüssig. Daß zu Zwecken der Darstellung im Traume die Orthographie weit hinter dem Wortklang zurücktritt, wird uns nicht gerade wundernehmen, wenn sich z.B. der Reim ähnliche Freiheiten gestatten darf. In einem weitläufigen von Rank mitgeteilten und sehr eingehend an*lysierten Traum eines jungen Mädchens wird erzählt, daß sie zwischen Feldern spazierengeht, wo sie schöne Gerste- und Kornähren abschneidet. Ein Jugendfreund kommt ihr entgegen, und sie will es vermeiden, ihn anzutreffen. Die an*lyse zeigt, daß es sich um einen Kuß in Ehren handelt (1910, 482). Die Ähren, die nicht abgerissen, sondern abgeschnitten werden sollen, dienen in diesem Traum als solche und in ihrer Verdichtung mit Ehre, Ehrungen zur Darstellung einer ganzen Reihe von anderen Gedanken.
Dafür hat die Sprache in anderen Fällen dem Traume die Darstellung seiner Gedanken sehr leicht gemacht, da sie über eine ganze Reihe von Worten verfügt, die ursprünglich bildlich und konkret gemeint waren und gegenwärtig im abgeblaßten, abstrakten Sinne gebraucht werden. Der Traum braucht diesen Worten nur ihre frühere volle Bedeutung wiederzugeben oder in dem Bedeutungswandel des Wortes ein Stück weit herabzusteigen. Z.B. es träumt jemand, daß sein Bruder in einem Kasten steckt; bei der Deutungsarbeit ersetzt sich der Kasten durch einen »Schrank«, und der Traumgedanke lautet nun, daß dieser Bruder sich »einschränken« solle, an seiner Statt nämlich. Ein anderer Träumer steigt auf einen Berg, von dem aus er eine ganz außerordentlich weite Aussicht hat. Er identifiziert sich dabei mit einem Bruder, der eine »Rundschau« herausgibt, welche sich mit den Beziehungen zum fernsten Osten beschäftigt.
In einem Traum des Grünen Heinrich wälzt sich ein übermütiges Pferd im schönsten Hafer, von dem jedes Korn aber »ein süßer Mandelkern, eine Rosine und ein neuer Pfennig« ist, »zusammen in rote Seide gewickelt und mit einem Endchen Schweinsborste eingebunden«. Der Dichter (oder der Träumer) gibt uns sofort die Deutung dieser Traumdarstellung, denn das Pferd fühlt sich angenehm gekitzelt, so daß es ruft: Der Hafer sticht mich.
Besonders ausgiebigen Gebrauch vom Redensart- und Wortwitztraum macht (nach Henzen) die altnordische Sagaliteratur, in der sich kaum ein Traumbeispiel ohne Doppelsinn oder Wortspiel findet.
Es wäre eine besondere Arbeit, solche Darstellungsweisen zu sammeln und nach den ihnen zugrundeliegenden Prinzipien zu ordnen. Manche dieser Darstellungen sind fast witzig zu nennen. Man hat den Eindruck, daß man sie niemals selbst erraten hätte, wenn der Träumer sie nicht mitzuteilen wüßte:
1) Ein Mann träumt, man frage ihn nach einem Namen, an den er sich aber nicht besinnen könne. Er erklärt selbst, das wolle heißen: Es fällt mir nicht im Traume ein.
2) Eine Patientin erzählt einen Traum, in welchem alle handelnden Personen besonders groß waren. Das will heißen, setzt sie hinzu, daß es sich um eine Begebenheit aus meiner frühen Kindheit handeln muß, denn damals sind mir natürlich alle Erwachsenen so ungeheuer groß erschienen. Ihre eigene Person trat in diesem Trauminhalt nicht auf.
Die Verlegung in die Kindheit wird in anderen Träumen auch anders ausgedrückt, indem Zeit in Raum übersetzt wird. Man sieht die betreffenden Personen und Szenen wie weit entfernt am Ende eines langen Weges oder so, als ob man sie mit einem verkehrt gerichteten Opernglas betrachten würde.
3) Ein im Wachleben zu abstrakter und unbestimmter Ausdrucksweise geneigter Mann, sonst mit gutem Witz begabt, träumt in gewissem Zusammenhange, daß er auf einen Bahnhof gehe, wie eben ein Zug ankomme. Dann werde aber der Perron an den stehenden Zug angenähert, also eine absurde Umkehrung des wirklichen Vorganges. Dieses Detail ist auch nichts anderes als ein Index, der daran mahnt, daß etwas anderes im Trauminhalt umgekehrt werden solle. Die an*lyse desselben Traumes führt zu Erinnerungen an Bilderbücher, in denen Männer dargestellt waren, die auf dem Kopfe standen und auf den Händen gingen.
4) Derselbe Träumer berichtet ein anderes Mal von einem kurzen Traum, der fast an die Technik eines Rebus erinnert. Sein Onkel gibt ihm im Automobil einen Kuß. Er fügt unmittelbar die Deutung hinzu, die ich nie gefunden hätte, das heiße: Autoerotismus. Ein Scherz im Wachen hätte ebenso lauten können.
5) Der Träumer zieht eine Frau hinter dem Bett hervor. Das heißt: Er gibt ihr den Vorzug.
6) Der Träumer sitzt als Offizier an einer Tafel dem Kaiser gegenüber: Er bringt sich in Gegensatz zum Vater.
7) Der Träumer behandelt eine andere Person wegen eines Knochenbruches. Die an*lyse erweist diesen Bruch als Darstellung eines Ehebruches u.dgl.
8) Die Tageszeiten vertreten im Trauminhalt sehr häufig Lebenszeiten der Kindheit. So bedeutet z. B. um ¼6 Uhr früh bei einem Träumer das Alter von 5 Jahren und 3 Monaten, den bedeutungsvollen Zeitpunkt der Geburt eines jüngeren Bruders.
9) Eine andere Darstellung von Lebenszeiten im Traume: Eine Frau geht mit zwei kleinen Mädchen, die 1¼Jahre auseinander sind. – Die Träumerin findet keine Familie ihrer Bekanntschaft, für die das zuträfe. Sie deutet selbst, daß beide Kinder ihre eigene Person darstellen und daß der Traum sie mahnt, die beiden traumatischen Ereignisse ihrer Kindheit seien um soviel voneinander entfernt. (3½ und 4¾Jahre.)
10) Es ist nicht zu verwundern, daß Personen, die in psychoan*lytischer Behandlung stehen, häufig von dieser träumen und alle die Gedanken und Erwartungen, die sie erregt, im Traume ausdrücken müssen. Das für die Kur gewählte Bild ist in der Regel das einer Fahrt, meist im Automobil, als einem neuartigen und komplizierten Vehikel; im Hinweis auf die Schnelligkeit des Automobils kommt dann der Spott des Behandelten auf seine Rechnung. Soll das »Unbewußte« als Element der Wachgedanken im Traume Darstellung finden, so ersetzt es sich ganz zweckmäßigerweise durch »unterirdische« Lokalitäten, die andere Male, ganz ohne Beziehung zur an*lytischen Kur, den Frauenleib oder den Mutterleib bedeutet hatten. »Unten« im Traume bezieht sich sehr häufig auf die Genitalien, das gegensätzliche »oben« auf Gesicht, Mund oder Brust. Mit wilden Tieren symbolisiert die Traumarbeit in der Regel leidenschaftliche Triebe, sowohl die des Träumers als auch die anderer Personen, vor denen der Träumer sich fürchtet, also mit einer ganz geringfügigen Verschiebung die Personen selbst, welche die Träger dieser Leidenschaften sind. Von hier ist es nicht weit zu der an den Totemismus anklingenden Darstellung des gefürchteten Vaters durch böse Tiere, Hunde, wilde Pferde. Man könnte sagen, die wilden Tiere dienen zur Darstellung der vom Ich gefürchteten, durch Verdrängung bekämpften Libido. Auch die Neurose selbst, die »kranke Person«, wird oft vom Träumer abgespalten und als selbständige Person im Traume veranschaulicht.
11) (H. Sachs, 1911.) »Aus der Traumdeutung wissen wir, daß die Traumarbeit verschiedene Wege kennt, um ein Wort oder eine Redewendung sinnlich-anschaulich darzustellen. Sie kann sich z.B. den Umstand, daß der darzustellende Ausdruck zweideutig ist, zunutze machen und, den Doppelsinn als ›Weiche‹ benutzend, statt der ersten in den Traumgedanken vorkommenden Bedeutung die zweite in den manifesten Trauminhalt aufnehmen.
Dies ist bei dem kleinen, im folgenden mitgeteilten Traume geschehen, und zwar unter geschickter Benutzung der dazu tauglichen rezenten Tageseindrücke als Darstellungsmaterial.
Ich hatte am Traumtage an einer Erkältung gelitten und deshalb am Abend beschlossen, das Bett, wenn irgend möglich, während der Nacht nicht zu verla**en. Der Traum ließ mich scheinbar nur meine Tagesarbeit fortsetzen; ich hatte mich damit beschäftigt, Zeitungsausschnitte in ein Buch zu kleben, wobei ich bestrebt war, jedem Ausschnitt den pa**enden Platz anzuweisen. Der Traum lautete:
Ich bemühe mich, einen Ausschnitt in das Buch zu kleben; er geht aber nicht auf die Seite, was mir großen Schmerz verursacht.
Ich erwachte und mußte konstatieren, daß der Schmerz des Traums als realer Leibschmerz andauere, der mich denn auch zwang, meinem Vorsatz untreu zu werden. Der Traum hatte mir als ›Hüter des Schlafes‹ die Erfüllung meines Wunsches, im Bette zu bleiben, durch die Darstellung der Worte ›er geht aber nicht auf die Seite‹ vorgetäuscht.«
Man darf geradezu sagen, die Traumarbeit bediene sich zur visuellen Darstellung der Traumgedanken aller ihr zugänglichen Mittel, ob sie der Wachkritik erlaubt oder unerlaubt erscheinen mögen, und setzt sich dadurch dem Zweifel wie dem Gespött aller jener aus, die von Traumdeutung nur gehört und sie nicht selbst geübt haben. An solchen Beispielen ist besonders das Buch von Stekel, Die Sprache des Traumes (1911), reich, doch vermeide ich es, von dort die Belege zu entnehmen, weil die Kritiklosigkeit und technische Willkür des Autors auch den nicht in Vorurteilen Befangenen unsicher machen.
12) Aus einer Arbeit von V. Tausk, ›Kleider und Farben im Dienste der Traumdarstellung‹ (1914):
a) A. träumt, er sehe seine frühere Gouvernante im schwarzen Lüsterkleid, das über dem Gesäß straff anliegt. – Das heißt, er erklärt diese Frau für lüstern.
b) C. sieht im Traum auf der X-er Landstraße ein Mädchen, von weißem Licht umflossen und mit einer weißen Bluse bekleidet.
Der Träumer hat auf jener Landstraße mit einem Fräulein Weiß die ersten Intimitäten ausgetauscht.
c) Frau D. träumt, sie sehe den alten Blasel (einen 80jährigen Wiener Schauspieler) in voller Rüstung auf dem Diwan liegen. Dann springt er über Tische und Stühle, zieht seinen Degen, sieht sich dabei im Spiegel und fuchtelt mit dem Degen in der Luft herum, als kämpfe er gegen einen eingebildeten Feind.
Deutung: Die Träumerin hat ein altes Blasenleiden. Sie liegt bei der an*lyse auf dem Diwan, und wenn sie sich im Spiegel sieht, dann kommt sie sich insgeheim trotz ihrer Jahre und ihrer Krankheit noch sehr rüstig vor.
13) Die »große Leistung« im Traume.
Der männliche Träumer sieht sich als gravides Weib im Bette liegend. Der Zustand wird ihm sehr beschwerlich. Er ruft aus: Da will ich doch lieber... (in der an*lyse ergänzt er, nach einer Erinnerung an eine Pflegeperson: Steine klopfen). Hinter seinem Bett hängt eine Landkarte, deren unterer Rand durch eine Holzleiste gespannt erhalten wird. Er reißt diese Leiste herunter, indem er sie an beiden Enden packt, wobei sie aber nicht quer bricht, sondern in zwei Längshälften zersplittert. Damit hat er sich erleichtert und auch die Geburt befördert.
Er deutet ohne Hilfe das Herunterreißen der Leiste als eine große »Leistung«, durch welche er sich aus seiner unbehaglichen Situation (in der Kur) befreit, indem er sich aus seiner weiblichen Einstellung herausreißt ... Das absurde Detail, daß die Holzleiste nicht nur bricht, sondern der Länge nach splittert, findet seine Erklärung, indem der Träumer erinnert, daß die Verdoppelung im Verein mit der Zerstörung eine Anspielung auf die Kastration enthält. Der Traum stellt sehr häufig die Kastration im trotzigen Wunschgegensatz durch das Vorhandensein von zwei Penissymbolen dar. Die »Leiste« ist ja auch eine den Genitalien nahe liegende Körperregion. Er fügt dann die Deutung zusammen, er überwinde die Kastrationsdrohung, welche ihn in die weibliche Einstellung gebracht hat.
14) In einer von mir französisch durchgeführten an*lyse ist ein Traum zu deuten, in dem ich als Elefant erscheine. Ich muß natürlich fragen, wie ich zu dieser Darstellung komme. »Vous me trompez«, antwortet der Träumer (trompe = Rüssel).
Der Traumarbeit gelingt oft auch die Darstellung von sehr sprödem Material, wie es etwa Eigennamen sind, durch gezwungene Verwertung sehr entlegener Beziehungen. In einem meiner Träume hat mir der alte Brücke eine Aufgabe gestellt. Ich fertige ein Präparat an und klaube etwas heraus, was wie zerknülltes Silberpapier aussieht. (Von diesem Traume noch später mehr.) Der nicht leicht auffindbare Einfall dazu ergibt: »Stanniol«, und nun weiß ich, daß ich den Autornamen Stannius meine, den eine von mir in früheren Jahren mit Ehrfurcht betrachtete Abhandlung über das Nervensystem der Fische trägt. Die erste wissenschaftliche Aufgabe, die mir mein Lehrer gestellt, bezog sich wirklich auf das Nervensystem eines Fisches, des Ammocoetes. Letzterer Name war im Bilderrätsel offenbar gar nicht zu gebrauchen.
Ich will mir nicht versagen, hier noch einen Traum mit sonderbarem Inhalt einzuschalten, der auch noch als Kindertraum bemerkenswert ist und sich durch die an*lyse sehr leicht aufklärt. Eine Dame erzählt: Ich kann mich erinnern, daß ich als Kind wiederholt geträumt habe, der liebe Gott habe einen zugespitzten Papierhut auf dem Kopfe. Einen solchen Hut pflegte man mir nämlich sehr oft bei Tische aufzusetzen, damit ich nicht auf die Teller der anderen Kinder hinschauen könne, wieviel sie von dem betreffenden Gericht bekommen haben. Da ich gehört habe, Gott sei allwissend, so bedeutet der Traum, ich wisse alles auch trotz des aufgesetzten Hutes.
Worin die Traumarbeit besteht und wie sie mit ihrem Material, den Traumgedanken, umspringt, läßt sich in lehrreicher Weise an den Zahlen und Rechnungen zeigen, die in Träumen vorkommen. Geträumte Zahlen gelten überdies dem Aberglauben als besonders verheißungsvoll. Ich werde also einige Beispiele solcher Art aus meiner Sammlung heraussuchen.
I
Aus dem Traum einer Dame, kurz vor Beendigung ihrer Kur:
Sie will irgend etwas bezahlen; ihre Tochter nimmt ihr 3fl. 65kr. aus der Geldtasche; sie sagt aber: Was tust du? Es kostet ja nur 21 kr. Dieses Stückchen Traum war mir durch die Verhältnisse der Träumerin ohne weitere Aufklärung ihrerseits verständlich. Die Dame war eine Fremde, die ihre Tochter in einem Wiener Erziehungsinstitute untergebracht hatte und die meine Behandlung fortsetzen konnte, solange ihre Tochter in Wien blieb. In drei Wochen war deren Schuljahr zu Ende, und damit endete auch die Kur. Am Tage vor dem Traum hatte ihr die Institutsvorsteherin nahegelegt, ob sie sich nicht entschließen könnte, das Kind noch ein weiteres Jahr bei ihr zu la**en. Sie hatte dann offenbar bei sich diese Anregung dahin fortgesetzt, daß sie in diesem Falle auch die Behandlung um ein Jahr verlängern könnte. Darauf bezieht sich nun der Traum, denn ein Jahr ist gleich 365 Tagen, die drei Wochen bis zum Abschluß des Schuljahres und der Kur la**en sich ersetzen durch 21 Tage (wenngleich nicht ebenso viele Behandlungsstunden). Die Zahlen, die in den Traumgedanken bei Zeiten standen, werden im Traum Geldwerten beigesetzt, nicht ohne daß damit ein tieferer Sinn zum Ausdruck käme, denn »Time is money«, Zeit hat Geldwert. 365Kreuzer sind dann allerdings 3 ;Gulden 65Kreuzer. Die Kleinheit der im Traum erscheinenden Summen ist offenkundige Wunscherfüllung; der Wunsch hat die Kosten der Behandlung wie des Lehrjahres im Institut verkleinert.
II
Zu komplizierteren Beziehungen führen die Zahlen in einem anderen Traum. Eine junge, aber schon seit einer Reihe von Jahren verheiratete Dame erfährt, daß eine ihr fast gleichalterige Bekannte, EliseL., sich eben verlobt hat. Daraufhin träumt sie: Sie sitzt mit ihrem Manne im Theater, eine Seite des Parketts ist ganz unbesetzt. Ihr Mann erzählt ihr, EliseL. und ihr Bräutigam hätten auch gehen wollen, hätten aber nur schlechte Sitze bekommen, 3 für 1fl. 50kr., und die konnten sie ja nicht nehmen. Sie meint, es wäre auch kein Unglück gewesen.
Woher rühren die 1 fl. 50 kr.? Aus einem eigentlich indifferenten Anlaß des Vortages. Ihre Schwägerin hatte von ihrem Manne 150fl. zum Geschenk bekommen und sich beeilt, sie loszuwerden, indem sie sich einen Schmuck dafür kaufte. Wir wollen anmerken, daß 150fl. 100mal mehr ist als 1fl. 50kr. Woher die3, die bei den Theatersitzen steht? Dafür ergibt sich nur die eine Anknüpfung, daß die Braut um ebensoviel Monate – drei – jünger ist als sie. Zur Auflösung des Traumes führt dann die Erkundigung, was der Zug im Traum, daß eine Seite des Parketts leer bleibt, bedeuten kann. Derselbe ist eine unveränderte Anspielung auf eine kleine Begebenheit, die ihrem Manne guten Grund zur Neckerei gegeben hat. Sie hatte sich vorgenommen, zu einer der angekündigten Theatervorstellungen der Woche zu gehen, und war so vorsorglich, mehrere Tage vorher Karten zu nehmen, für die sie Vorkaufsgebühr zu zahlen hatte. Als sie dann ins Theater kamen, fanden sie, daß die eine Seite des Hauses fast leer war; sie hätte es nicht nötig gehabt, sich so sehr zu beeilen.
Ich werde jetzt den Traum durch die Traumgedanken ersetzen: »Ein Unsinn war es doch, so früh zu heiraten, ich hätte es nicht nötig gehabt, mich so zu beeilen. An dem Beispiele der EliseL. sehe ich, daß ich noch immer einen Mann bekommen hätte. Und zwar einen hundertmal besseren (Mann, Schatz), wenn ich nur gewartet hätte (Gegensatz zu dem Beeilen der Schwägerin). Drei solche Männer hätte ich für das Geld (die Mitgift) kaufen können!« Wir werden darauf aufmerksam, daß in diesem Traum die Zahlen in weit höherem Grade Bedeutung und Zusammenhang verändert haben als im vorher behandelten. Die Umwandlungs- und Entstellungsarbeit des Traumes ist hier ausgiebiger gewesen, was wir so deuten, daß diese Traumgedanken bis zu ihrer Darstellung ein besonders hohes Maß von innerpsychischem Widerstand zu überwinden hatten. Wir wollen auch nicht übersehen, daß in diesem Traum ein absurdes Element enthalten ist, nämlich daß zwei Personen drei Sitze nehmen sollen. Wir greifen in die Deutung der Absurdität im Traume über, wenn wir anführen, daß dieses absurde Detail des Trauminhaltes den meistbetonten der Traumgedanken darstellen soll: Ein Unsinn war es, so früh zu heiraten. Die in einer ganz nebensächlichen Beziehung der beiden verglichenen Personen enthaltene 3 (3Monate Unterschied im Alter) ist dann geschickt zur Produktion des für den Traum erforderlichen Unsinns verwendet worden. Die Verkleinerung der realen 150fl. auf 1fl.50 entspricht der Geringschätzung des Mannes (oder Schatzes) in den unterdrückten Gedanken der Träumerin.
III
Ein anderes Beispiel führt uns die Rechenkunst des Traumes vor, die ihm soviel Mißachtung eingetragen hat. Ein Mann träumt: Er sitzt bei B... (einer Familie seiner früheren Bekanntschaft) und sagt: Es war ein Unsinn, daß Sie mir die Mali nicht gegeben haben. Darauf fragt er das Mädchen: Wie alt sind Sie denn? Antwort: Ich bin 1882 geboren. – Ah, dann sind Sie 28 Jahre alt.
Da der Traum im Jahre 1898 vorfällt, so ist das offenbar schlecht gerechnet, und die Rechenschwäche des Träumers darf der des Paralytikers an die Seite gestellt werden, wenn sie sich etwa nicht anders aufklären läßt. Mein Patient gehörte zu jenen Personen, deren Gedanken kein Frauenzimmer, das sie sehen, in Ruhe la**en können. Seine Nachfolgerin in meinem Ordinationszimmer war einige Monate hindurch regelmäßig eine junge Dame, der er begegnete, nach der er sich häufig erkundigte und mit der er durchaus höflich sein wollte. Diese war es, deren Alter er auf 28Jahre schätzte. Soviel zur Aufklärung des Resultats der scheinbaren Rechnung. 1882 war aber das Jahr, in dem er geheiratet hatte. Er hatte es nicht unterla**en können, auch mit den beiden anderen weiblichen Personen, die er bei mir traf, Gespräche anzuknüpfen, den beiden keineswegs jugendlichen Mädchen, die ihm abwechselnd die Tür zu öffnen pflegten, und als er die Mädchen wenig zutraulich fand, sich die Erklärung gegeben, sie hielten ihn wohl für einen älteren »gesetzten« Herrn.
IV
Einen anderen Zahlentraum, der durch durchsichtige Determinierung oder vielmehr Überdeterminierung ausgezeichnet ist, verdanke ich mitsamt seiner Deutung Herrn B. Dattner:
»Mein Hausherr, Sicherheitswachmann in Magistratsdiensten, träumt, er stünde auf der Straße Posten, was eine Wunscherfüllung ist. Da kommt ein Inspektor auf ihn zu, der auf dem Ringkragen die Nummer 22 und 62 oder 26 trägt. Jedenfalls aber seien mehrere Zweier daraufgewesen.
Schon die Zerteilung der Zahl 2262 bei der Wiedergabe des Traumes läßt darauf schließen, daß die Bestandteile eine gesonderte Bedeutung haben. Sie hätten gestern im Amt über die Dauer ihrer Dienstzeit gesprochen, fällt ihm ein. Ursache gab ein Inspektor, der mit 62Jahren in Pension gegangen sei. Der Träumer hat erst 22Dienstjahre und braucht noch 2Jahre 2Monate, um eine 90%ige Pension zu erreichen. Der Traum spiegelt ihm nun zuerst die Erfüllung eines langgehegten Wunsches, den Inspektorsrang, vor. Der Vorgesetzte mit der 2262 auf dem Kragen ist er selbst, er versieht seinen Dienst auf der Straße, auch ein Lieblingswunsch, hat seine 2Jahre und 2Monate abgedient und kann nun wie der 62jährige Inspektor mit voller Pension aus dem Amte scheiden.[Fußnote]
Wenn wir diese und ähnliche (später folgende) Beispiele zusammenhalten, dürfen wir sagen: Die Traumarbeit rechnet überhaupt nicht, weder richtig noch falsch; sie fügt nur Zahlen, die in den Traumgedanken vorkommen und als Anspielungen auf ein nicht darstellbares Material dienen können, in der Form einer Rechnung zusammen. Sie behandelt dabei die Zahlen in genau der nämlichen Weise als Material zum Ausdruck ihrer Absichten wie alle anderen Vorstellungen, wie auch die Namen und die als Wortvorstellungen kenntlichen Reden.
Denn die Traumarbeit kann auch keine Rede neu schaffen. Soviel von Rede und Gegenrede in den Träumen vorkommen mag, die an sich sinnig oder unvernünftig sein können, die an*lyse zeigt uns jedesmal, daß der Traum dabei nur Bruchstücke von wirklich geführten oder gehörten Reden den Traumgedanken entnommen hat und höchst willkürlich mit ihnen verfahren ist. Er hat sie nicht nur aus ihrem Zusammenhange gerissen und zerstückt, das eine Stück aufgenommen, das andere verworfen, sondern auch oft neu zusammengefügt, so daß die zusammenhängend scheinende Traumrede bei der an*lyse in drei oder vier Brocken zerfällt. Bei dieser Neuverwendung hat er oft den Sinn, den die Worte in den Traumgedanken hatten, beiseite gela**en und dem Wortlaut einen völlig neuen Sinn abgewonnen
"[Fußnote]
»Nächtlich am Busento lispeln...«
Weil sich seine Phantasie mit einem Stück dieses Zitats:
»Nächtlich am Busen«
begnügt. Es ist bekannt, daß der parodistische Witz auf dieses Stückchen Technik nicht verzichtet hat. Die Fliegenden Blätter brachten einst unter ihren Illustrationen zu deutschen »Kla**ikern« auch ein Bild zum Schillerschen ›Siegesfest‹, zu dem das Zitat vorzeitig abgeschlossen war.
»Und des frisch erkämpften Weibes
Freut sich der Atrid und strickt.«
Fortsetzung: Um den Reiz des schönen Leibes
Seine Arme hochbeglückt.
. Bei näherem Zusehen unterscheidet man an der Traumrede deutlichere, kompakte Bestandteile von anderen, die als Bindemittel dienen und wahrscheinlich ergänzt worden sind, wie wir ausgela**ene Buchstaben und Silben beim Lesen ergänzen. Die Traumrede hat so den Aufbau eines Brecciengesteines, in dem größere Brocken verschiedenen Materials durch eine erhärtete Zwischenma**e zusammengehalten werden.
In voller Strenge richtig ist diese Beschreibung allerdings nur für jene Reden im Traum, die etwas vom sinnlichen Charakter der Rede haben und als »Reden« beschrieben werden. Die anderen, die nicht gleichsam als gehört oder als gesagt empfunden werden (keine akustische oder motorische Mitbetonung im Traum haben), sind einfach Gedanken, wie sie in unserer wachen Denktätigkeit vorkommen und unverändert in viele Träume übergehen. Für das indifferent gehaltene Redematerial des Traumes scheint auch die Lektüre eine reich fließende und schwer zu verfolgende Quelle abzugeben. Alles aber, was im Traum als Rede irgendwie auffällig hervortritt, unterwirft sich der Zurückführung auf reale, selbst gehaltene oder gehörte Rede.
Beispiele für die Ableitung solcher Traumreden haben wir bereits bei der an*lyse von Träumen gefunden, die zu anderen Zwecken mitgeteilt worden sind. So in dem »harmlosen Markttraum« auf S. 195 f., in dem die Rede: Das ist nicht mehr zu haben, dazu dient, mich mit dem Fleischhauer zu identifizieren, während ein Stück der anderen Rede: Das kenne ich nicht, das nehme ich nicht, geradezu die Aufgabe erfüllt, den Traum harmlos zu machen. Die Träumerin hatte nämlich am Vortage irgendwelche Zumutung ihrer Köchin mit den Worten zurückgewiesen: Das kenne ich nicht, benehmen Sie sich anständig, und nun von dieser Rede das indifferent klingende erste Stück in den Traum genommen, um mit ihm auf das spätere Stück anzuspielen, das in die Phantasie, welche dem Traum zugrunde lag, sehr wohl gepaßt, aber dieselbe auch verraten hätte.
Ein ähnliches Beispiel an Stelle vieler, die ja alle das nämliche ergeben: Ein großer Hof, in dem Leichen verbrannt werden. Er sagt: Da geh' ich weg, das kann ich nicht sehen. (Keine deutliche Rede.) Dann trifft er zwei Fleischhauerbuben und fragt: Na hat's geschmeckt? Der eine antwortet: Na, not gut war's. Als ob es Menschenfleisch gewesen wäre.
Der harmlose Anlaß dieses Traumes ist folgender: Er macht nach dem Nachtmahl mit seiner Frau einen Besuch bei den braven, aber keineswegs appetitlichen Nachbarsleuten. Die gastfreundliche alte Dame befindet sich eben bei ihrem Abendessen und nötigt ihn (man gebraucht dafür scherzhaft unter Männern ein zusammengesetztes, s**uell bedeutsames Wort), davon zu kosten. Er lehnt ab, er habe keinen Appetit mehr. »Aber gehn S' weg, das werden Sie noch vertragen« oder so ähnlich. Er muß also kosten und rühmt dann das Gebotene vor ihr. »Das ist aber gut.« Mit seiner Frau wieder allein, schimpft er dann sowohl über die Aufdringlichkeit der Nachbarin als auch über die Qualität der gekosteten Speise. »Das kann ich nicht sehen«, das auch im Traum nicht als eigentliche Rede auftritt, ist ein Gedanke, der sich auf die körperlichen Reize der einladenden Dame bezieht, und zu übersetzen wäre, daß er diese zu schauen nicht begehrt.
Lehrreicher wird sich die an*lyse eines anderen Traumes gestalten, den ich wegen der sehr deutlichen Rede, die seinen Mittelpunkt bildet, schon an dieser Stelle mitteile, aber erst bei der Würdigung der Affekte im Traume aufklären werde. Ich träumte sehr klar: Ich bin nachts ins Brückesche Laboratorium gegangen und öffne auf ein leises Klopfen an der Tür dem (verstorbenen) Professor Fleischl, der mit mehreren Fremden eintritt und sich nach einigen Worten an seinen Tisch setzt. Dann folgt ein zweiter Traum: Mein Freund Fl. ist im Juli unauffällig nach Wien gekommen; ich begegne ihm auf der Straße im Gespräch mit meinem (verstorbenen) Freunde P. und gehe mit ihnen irgendwohin, wo sie einander wie an einem kleinen Tisch gegenübersitzen, ich an der schmalen Seite des Tischchens vorne. Fl. erzählt von seiner Schwester und sagt: In drei viertel Stunden war sie tot, und dann etwas wie: Das ist die Schwelle. Da P. ihn nicht versteht, wendet sich Fl. an mich und fragt mich, wieviel von seinen Dingen ich P. denn mitgeteilt habe. Darauf ich, von merkwürdigen Affekten ergriffen, Fl. mitteilen will, daß P. (ja gar nichts wissen kann, weil er) gar nicht am Leben ist. Ich sage aber, den Irrtum selbst bemerkend: Non vixit. Ich sehe dann P. durchdringend an, unter meinem Blicke wird er bleich, verschwommen, seine Augen werden krankhaft blau – und endlich löst er sich auf. Ich bin ungemein erfreut darüber, verstehe jetzt, daß auch Ernst Fleischl nur eine Erscheinung, ein Revenant war, und finde es ganz wohl möglich, daß eine solche Person nur so lange besteht, als man es mag, und daß sie durch den Wunsch des anderen beseitigt werden kann.
Dieser schöne Traum vereinigt so viele der am Trauminhalt rätselhaften Charaktere – die Kritik während des Traumes selbst, daß ich meinen Irrtum, Non vixit zu sagen anstatt Non vivit, selbst bemerke, den unbefangenen Verkehr mit Verstorbenen, die der Traum selbst für verstorben erklärt, die Absurdität der Schlußfolgerung und die hohe Befriedigung, die dieselbe mir bereitet –, daß ich »für mein Leben gern« die volle Lösung dieser Rätsel mitteilen möchte. Ich bin aber in Wirklichkeit unfähig, das zu tun – was ich nämlich im Traum tue –, die Rücksicht auf so teure Personen meinem Ehrgeiz aufzuopfern. Bei jeder Verhüllung wäre aber der mir wohlbekannte Sinn des Traumes zuschanden geworden. So begnüge ich mich denn, zuerst hier und dann an späterer Stelle einige Elemente des Traums zur Deutung herauszugreifen.
Das Zentrum des Traumes bildet eine Szene, in der ich P. durch einen Blick vernichte. Seine Augen werden dabei so merkwürdig und unheimlich blau, und dann löst er sich auf. Diese Szene ist die unverkennbare Nachbildung einer wirklich erlebten. Ich war Demonstrator am physiologischen Institut, hatte den Dienst in den Frühstunden, und Brücke hatte erfahren, daß ich einige Male zu spät ins Schülerlaboratorium gekommen war. Da kam er einmal pünktlich zur Eröffnung und wartete mich ab. Was er mir sagte, war karg und bestimmt; es kam aber gar nicht auf die Worte an. Das Überwältigende waren die fürchterlichen blauen Augen, mit denen er mich ansah und vor denen ich verging – wie P. im Traum, der zu meiner Erleichterung die Rollen verwechselt hat. Wer sich an die bis ins hohe Greisenalter wunderschönen Augen des großen Meisters erinnern kann und ihn je im Zorn gesehen hat, wird sich in die Affekte des jugendlichen Sünders von damals leicht versetzen können.
Es wollte mir aber lange nicht gelingen, das »Non vixit« abzuleiten, mit dem ich im Traum jene Justiz übe, bis ich mich besann, daß diese zwei Worte nicht als gehörte oder gerufene, sondern als gesehene so hohe Deutlichkeit im Traum besessen hatten. Dann wußte ich sofort, woher sie stammten. Auf dem Postament des Kaiser-Josef-Denkmals in der Wiener Hofburg sind die schönen Worte zu lesen:
»Saluti patriae vixit
non diu sed totus [Fußnote]
Saluti publicae vixit
non diu sed totus.
Das Motiv der Fehlleistung: patriae für publicae hat Witteis wahrscheinlich zutreffend erraten.
.«
Aus dieser Inschrift habe ich herausgeklaubt, was zu der einen, feindseligen Gedankenreihe in meinen Traumgedanken paßte und was heißen sollte: Der Kerl hat ja gar nichts dreinzureden, er lebt ja gar nicht. Und nun mußte ich mich erinnern, daß der Traum wenige Tage nach der Enthüllung des Fleischldenkmals in den Arkaden der Universität geträumt worden war, wobei ich das Denkmal Brückes wiedergesehen hatte und (im Unbewußten) mit Bedauern erwogen haben muß, wie mein hochbegabter und ganz der Wissenschaft ergebener Freund P. durch einen allzufrühen Tod seinen begründeten Anspruch auf ein Denkmal in diesen Räumen verloren. So setzte ich ihm dies Denkmal im Traum; mein Freund P. hieß mit dem Vornamen Josef [Fußnote].
Nach den Regeln der Traumdeutung wäre ich nun noch immer nicht berechtigt, das non vivit, das ich brauche, durch non vixit, das mir die Erinnerung an das Josefsmonument zur Verfügung stellt, zu ersetzen. Ein anderes Element der Traumgedanken muß dies durch seinen Beitrag ermöglicht haben. Es heißt mich nun etwas darauf achten, daß in der Traumszene eine feindselige und eine zärtliche Gedankenströmung gegen meinen Freund P. zusammentreffen, die erstere oberflächlich, die letztere verdeckt, und in den nämlichen Worten: Non vixit ihre Darstellung erreichen. Weil er sich um die Wissenschaft verdient gemacht hat, errichte ich ihm ein Denkmal; aber weil er sich eines bösen Wunsches schuldig gemacht hat (der am Ende des Traumes ausgedrückt ist), darum vernichte ich ihn. Ich habe da einen Satz von ganz besonderem Klang gebildet, bei dem mich ein Vorbild beeinflußt haben muß. Wo findet sich nur eine ähnliche Antithese, ein solches Nebeneinanderstellen zweier entgegengesetzter Reaktionen gegen dieselbe Person, die beide den Anspruch erheben, voll berechtigt zu sein, und doch einander nicht stören wollen? An einer einzigen Stelle, die sich aber dem Leser tief einprägt; in der Rechtfertigungsrede des Brutus in Shakespeares Julius Cäsar: »Weil Cäsar mich liebte, wein' ich um ihn; weil er glücklich war, freue ich mich; weil er tapfer war, ehr' ich ihn, aber weil er herrschsüchtig war, erschlug ich ihn.« Ist das nicht der nämliche Satzbau und Gedankengegensatz wie in dem Traumgedanken, den ich aufgedeckt habe? Ich spiele also den Brutus im Traum. Wenn ich nur von dieser überraschenden Kollateralverbindung noch eine andere bestätigende Spur im Trauminhalt auffinden könnte! Ich denke, dies könnte folgende sein: Mein Freund Fl. kommt im Juli nach Wien. Diese Einzelheit findet gar keine Stütze in Wirklichkeit. Mein Freund ist im Monat Juli meines Wissens niemals in Wien gewesen. Aber der Monat Juli ist nach Julius Cäsar benannt und könnte darum sehr wohl die von mir gesuchte Anspielung auf den Zwischengedanken, daß ich den Brutus spiele, vertreten
Merkwürdigerweise habe ich nun wirklich einmal den Brutus gespielt. Ich habe die Szene Brutus und Cäsar aus Schillers Gedichten vor einem Auditorium von Kindern aufgeführt, und zwar als vierzehnjähriger Knabe im Verein mit meinem um ein Jahr älteren Neffen, der damals aus England zu uns gekommen war – auch so ein Revenant–, denn es war der Gespiele meiner ersten Kinderjahre, der mit ihm wieder auftauchte. Bis zu meinem vollendeten dritten Jahre waren wir unzertrennlich gewesen, hatten einander geliebt und miteinander gerauft, und diese Kinderbeziehung hat, wie ich schon einmal angedeutet, über all meine späteren Gefühle im Verkehr mit Altersgenossen entschieden. Mein Neffe John hat seither sehr viele Inkarnationen gefunden, die bald diese, bald jene Seite seines in meiner unbewußten Erinnerung unauslöschlich fixierten Wesens wiederbelebten. Er muß mich zeitweilig sehr schlecht behandelt haben, und ich muß Mut bewiesen haben gegen meinen Tyrannen, denn es ist mir in späteren Jahren oft eine kurze Rechtfertigungsrede wiedererzählt worden, mit der ich mich verteidigte, als mich der Vater – sein Großvater – zur Rede stellte: Warum schlägst du John? Sie lautete in der Sprache des noch nicht Zweijährigen: Ich habe ihn ge(sch)lagt, weil er mich ge(sch)lagt hat. Diese Kinderszene muß es sein, die non vivit zum non vixit ablenkt, denn in der Sprache späterer Kinderjahre heißt ja das Schlagen – Wichsen; die Traumarbeit verschmäht es nicht, sich solcher Zusammenhänge zu bedienen. Die in der Realität so wenig begründete Feindseligkeit gegen meinen Freund P., der mir vielfach überlegen war und darum auch eine Neuausgabe des Kindergespielen abgeben konnte, geht sicherlich auf die komplizierte infantile Beziehung zu John zurück. Ich werde also auf diesen Traum noch zurückkommen.
G
ABSURDE TRÄUME – DIE INTELLEKTUELLEN LEISTUNGEN IM TRAUM
Bei unseren bisherigen Traumdeutungen sind wir so oft auf das Element der Absurdität im Trauminhalt gestoßen, daß wir die Untersuchung nicht länger aufschieben wollen, woher da**elbe rührt und was es etwa bedeutet. Wir erinnern uns ja, daß die Absurdität der Träume den Gegnern der Traumschätzung ein Hauptargument bot, um im Traum nichts anderes als ein sinnloses Produkt einer reduzierten und zerbröckelten Geistestätigkeit zu sehen.
Ich beginne mit einigen Beispielen, in denen die Absurdität des Trauminhalts nur ein Anschein ist, der bei besserer Vertiefung in den Sinn des Traumes sofort verschwindet. Es sind einige Träume, die – wie man zuerst meint, zufällig – vom toten Vater handeln.
I
Der Traum eines Patienten, der seinen Vater vor sechs Jahren verloren: Dem Vater ist ein großes Unglück widerfahren. Er ist mit dem Nachtzug gefahren, da ist eine Entgleisung erfolgt, die Sitze sind zusammengekommen, und ihm ist der Kopf quer zusammengedrückt worden. Er sieht ihn dann auf dem Bette liegen, mit einer Wunde über dem Augenbrauenrand links, die vertikal verläuft. Er wundert sich darüber, daß der Vater verunglückt ist (da er doch schon tot ist, wie er bei der Erzählung ergänzt). Die Augen sind so klar.
Nach der herrschenden Beurteilung der Träume hätte man sich diesen Trauminhalt so aufzuklären: Der Träumer hat zuerst, während er sich den Unfall seines Vaters vorstellt, vergessen, daß dieser schon seit Jahren im Grabe ruht; im weiteren Verlaufe des Träumens wacht diese Erinnerung auf und bewirkt, daß er sich über den eigenen Traum noch selbst träumend verwundert. Die an*lyse lehrt aber, daß es vor allem überflüssig ist, nach solchen Erklärungen zu greifen. Der Träumer hatte bei einem Künstler eine Büste des Vaters bestellt, die er zwei Tage vor dem Traume in Augenschein genommen hat. Diese ist es, die ihm verunglückt vorkommt. Der Bildhauer hat den Vater nie gesehen, er arbeitet nach ihm vorgelegten Photographien. Am Tage vor dem Traume selbst hat der pietätvolle Sohn einen alten Diener der Familie ins Atelier geschickt, ob auch der da**elbe Urteil über den marmornen Kopf fällen wird, nämlich, daß er zu schmal in der Querrichtung von Schläfe zu Schläfe ausgefallen ist. Nun folgt das Erinnerungsmaterial, das zum Aufbau dieses Traums beigetragen hat. Der Vater hatte die Gewohnheit, wenn geschäftliche Sorgen oder Schwierigkeiten in der Familie ihn quälten, sich beide Hände gegen die Schläfen zu drücken, als ob er seinen Kopf, der ihm zu weit würde, zusammenpressen wollte. – Als Kind von vier Jahren war unser Träumer zugegen, wie das Losgehen einer zufällig geladenen Pistole dem Vater die Augen schwärzte (die Augen sind so klar). – An der Stelle, wo der Traum die Verletzung des Vaters zeigt, trug der Lebende, wenn er nachdenklich oder traurig war, eine tiefe Längsfurche zur Schau. Daß diese Furche im Traum durch eine Wunde ersetzt ist, deutet auf die zweite Veranla**ung des Traumes hin. Der Träumer hatte sein kleines Töchterchen photographiert; die Platte war ihm aus der Hand gefallen und zeigte, als er sie aufhob, einen Sprung, der wie eine senkrechte Furche über die Stirne der Kleinen lief und bis zum Augenbrauenbogen reichte. Da konnte er sich abergläubischer Ahnungen nicht erwehren, denn einen Tag vor dem Tode der Mutter war ihm die photographische Platte mit deren Abbild gesprungen.
II
Ein zweites, ganz ähnliches Beispiel aus meinen eigenen Träumen: (Ich habe meinen Vater im Jahre 1896 verloren.)
Der Vater hat nach seinem Tode eine politische Rolle bei den Magyaren gespielt, sie politisch geeinigt, wozu ich ein kleines undeutliches Bild sehe: eine Menschenmenge wie im Reichstag; eine Person, die auf einem oder zwei Stühlen steht, andere um ihn herum. Ich erinnere mich daran, daß er auf dem Totenbette Garibaldi so ähnlich gesehen hat, und freue mich, daß diese Verheißung doch wahr geworden ist.
Diese Erhebung unserer Gedanken bereitet uns darauf vor, daß wir gerade mit dem »Gemeinen« zu tun bekommen sollen. Das »postmortale« der Temperaturerhöhung entspricht den Worten »nach seinem Tode« im Trauminhalt. Das Quälendste seiner Leiden war die völlige Darmlähmung (Obstruktion) der letzten Wochen gewesen. An diese knüpfen allerlei unehrerbietige Gedanken an. Einer meiner Altersgenossen, der seinen Vater noch als Gymnasiast verlor, bei welchem Anlaß ich ihm dann tief erschüttert meine Freundschaft antrug, erzählte mir einmal höhnend von dem Schmerz einer Verwandten, deren Vater auf der Straße gestorben und nach Hause gebracht worden war, wo sich dann bei der Entkleidung der Leiche fand, daß im Moment des Todes oder postmortal eine Stuhlentleerung stattgefunden hatte. Die Tochter war so tief unglücklich darüber, daß ihr dieses häßliche Detail die Erinnerung an den Vater stören mußte. Hier sind wir nun zu dem Wunsch vorgedrungen, der sich in diesem Traume verkörpert. Nach seinem Tode rein und groß vor seinen Kindern dastehen, wer möchte das nicht wünschen? Wohin ist die Absurdität dieses Traumes geraten? Ihr Anschein ist nur dadurch zustande gekommen, daß eine völlig zulässige Redensart, bei welcher wir gewöhnt sind, über die Absurdität hinwegzusehen, die zwischen ihren Bestandteilen vorhanden sein mag, im Traume getreulich dargestellt wird. Auch hier können wir den Eindruck nicht abweisen, daß der Anschein der Absurdität ein gewollter, absichtlich hervorgerufener ist.
Die Häufigkeit, mit welcher im Traume tote Personen wie lebend auftreten, handeln und mit uns verkehren, hat eine ungebührliche Verwunderung hervorgerufen und sonderbare Erklärungen erzeugt, aus denen unser Unverständnis für den Traum sehr auffällig erhellt. Und doch ist die Aufklärung dieser Träume eine sehr naheliegende. Wie oft kommen wir in die Lage, uns zu denken: Wenn der Vater noch leben würde, was würde er dazu sagen? Dieses Wenn kann der Traum nicht anders darstellen als durch die Gegenwart in einer bestimmten Situation. So träumt z.B. ein junger Mann, dem sein Großvater ein großes Erbe hinterla**en hat, bei einer Gelegenheit von Vorwurf wegen einer bedeutenden Geldausgabe, der Großvater sei wieder am Leben und fordere Rechenschaft von ihm. Was wir für die Auflehnung gegen den Traum halten, der Einspruch aus unserem besseren Wissen, daß der Mann doch schon gestorben sei, ist in Wirklichkeit der Trostgedanke, daß der Verstorbene das nicht zu erleben brauchte, oder die Befriedigung darüber, daß er nichts mehr dreinzureden hat.
Eine andere Art von Absurdität, die sich in Träumen von toten Angehörigen findet, drückt nicht Spott und Hohn aus, sondern dient der äußersten Ablehnung, der Darstellung eines verdrängten Gedankens, den man gerne als das Allerundenkbarste hinstellen möchte. Träume dieser Art erscheinen nur auflösbar, wenn man sich erinnert, daß der Traum zwischen Gewünschtem und Realem keinen Unterschied macht. So träumt z.B. ein Mann, der seinen Vater in dessen Krankheit gepflegt und unter dessen Tod schwer gelitten hatte, eine Zeit nachher folgenden unsinnigen Traum: Der Vater war wieder am Leben und sprach mit ihm wie sonst, aber (das Merkwürdige war), er war doch gestorben und wußte es nur nicht. Man versteht diesen Traum, wenn man nach »er war doch gestorben« einsetzt: infolge des Wunsches des Träumers und zu »er wußte es nicht« ergänzt: daß der Träumer diesen Wunsch hatte. Der Sohn hatte während der Krankenpflege wiederholt den Vater tot gewünscht, d.h. den eigentlich erbarmungsvollen Gedanken gehabt, der Tod möge doch endlich dieser Qual ein Ende machen. In der Trauer nach dem Tode wurde selbst dieser Wunsch des Mitleidens zum unbewußten Vorwurf, als ob er durch ihn wirklich beigetragen hätte, das Leben des Kranken zu verkürzen. Durch Erweckung der frühesten infantilen Regungen gegen den Vater wurde es möglich, diesen Vorwurf als Traum auszudrücken, aber gerade wegen der weltenweiten Gegensätzlichkeit zwischen dem Traumerreger und dem Tagesgedanken mußte dieser Traum so absurd ausfallen [Fußnote]
Die Träume von geliebten Toten stellen der Traumdeutung überhaupt schwierige Aufgaben, deren Lösung nicht immer befriedigend gelingt. Den Grund hiefür mag man in der besonders stark ausgeprägten Gefühlsambivalenz suchen, welche das Verhältnis des Träumers zum Toten beherrscht. Es ist sehr gewöhnlich, daß in solchen Träumen der Verstorbene zunächst als lebend behandelt wird, daß es dann plötzlich heißt, er sei tot, und daß er in der Fortsetzung des Traumes doch wieder lebt. Das wirkt verwirrend. Ich habe endlich erraten, daß dieser Wechsel von Tod und Leben die Gleichgültigkeit des Träumers darstellen soll (»Es ist mir da**elbe, ob er lebt oder gestorben ist«). Natürlich ist diese Gleichgültigkeit keine reale, sondern eine gewünschte, sie soll die sehr intensiven, oft gegensätzlichen Gefühlseinstellungen des Träumers verleugnen helfen und wird so zur Traumdarstellung seiner Ambivalenz. Für andere Träume, in denen man mit Toten verkehrt, hat oft folgende Regel orientierend gewirkt: Wenn im Traume nicht daran gemahnt wird, daß der Tote – tot ist, so stellt sich der Träumer dem Toten gleich, er träumt von seinem eigenen Tod. Die plötzlich im Traume auftretende Besinnung oder Verwunderung: Aber, der ist ja längst gestorben, ist eine Verwahrung gegen diese Gemeinschaft und lehnt die Todesbedeutung für den Träumer ab. Aber ich gestehe den Eindruck zu, daß die Traumdeutung Träumen dieses Inhalts noch lange nicht alle ihre Geheimnisse entlockt hat.
III
In dem Beispiel, das ich jetzt ausführe, kann ich die Traumarbeit dabei ertappen, wie sie eine Absurdität, zu der im Material gar kein Anlaß ist, absichtlich fabriziert. Es stammt aus dem Traume, den mir die Begegnung mit dem Grafen Thun vor meiner Ferialreise eingegeben hat. »Ich fahre in einem Einspänner und gebe Auftrag, zu einem Bahnhof zu fahren. ›Auf der Bahnstrecke selbst kann ich natürlich nicht mit Ihnen fahren‹, sage ich, nachdem er einen Einwand gemacht, als ob ich ihn übermüdet hätte; dabei ist es so, als wäre ich schon eine Strecke mit ihm gefahren, die man sonst mit der Bahn fährt.« Zu dieser verworrenen und unsinnigen Geschichte gibt die an*lyse folgende Aufklärungen: Ich hatte am Tage einen Einspänner genommen, der mich nach Dornbach in eine entlegene Straße führen sollte. Er kannte aber den Weg nicht und fuhr nach Art dieser guten Leute immer weiter, bis ich es merkte und ihm den Weg zeigte, wobei ich ihm einige spöttische Bemerkungen nicht ersparte. Von diesem Kutscher spinnt sich eine Gedankenverbindung zu den Aristokraten an, mit der ich später noch zusammentreffen werde. Vorläufig nur die Andeutung, daß uns bürgerlichem Plebs die Aristokratie dadurch auffällig wird, daß sie sich mit Vorliebe an die Stelle des Kutschers setzt. Graf Thun lenkt ja auch den Staatswagen von Österreich. Der nächste Satz im Traum bezieht sich aber auf meinen Bruder, den ich also mit dem Einspännerkutscher identifiziere. Ich hatte ihm heuer die gemeinsame Italienfahrt abgesagt (»Auf der Bahnstrecke selbst kann ich mit Ihnen nicht fahren«), und diese Absage war eine Art Bestrafung für seine sonstige Klage, daß ich ihn auf diesen Reisen zu übermüden pflege (was unverändert in den Traum gelangt), indem ich ihm zu rasche Ortsveränderung, zuviel des Schönen an einem Tage, zumute. Mein Bruder hatte mich an diesem Abend zum Bahnhof begleitet, war aber kurz vorher bei der Stadtbahnstation Westbahnhof ausgesprungen, um mit der Stadtbahn nach Purkersdorf zu fahren. Ich hatte ihm bemerkt, er könne noch eine Weile länger bei mir bleiben, indem er nicht mit der Stadtbahn, sondern mit der Westbahn nach Purkersdorf fahre. Davon ist in den Traum gekommen, daß ich mit dem Wagen eine Strecke gefahren bin, die man sonst mit der Bahn fährt. In Wirklichkeit war es umgekehrt (und »Umgekehrt ist auch gefahren«); ich hatte meinem Bruder gesagt: Die Strecke, die du mit der Stadtbahn fährst, kannst du auch in meiner Gesellschaft in der Westbahn fahren. Die ganze Traumverwirrung richte ich dadurch an, daß ich anstatt »Stadtbahn« – »Wagen« in den Traum einsetze, was allerdings zur Zusammenziehung des Kutschers mit dem Bruder gute Dienste leistet. Dann bekomme ich im Traume etwas Unsinniges heraus, was bei der Erklärung kaum entwirrbar scheint, und beinahe einen Widerspruch mit einer früheren Rede von mir (»Auf der Bahnstrecke selbst kann ich mit Ihnen nicht fahren«) herstellt. Da ich aber Stadtbahn und Einspännerwagen überhaupt nicht zu verwechseln brauche, muß ich diese ganze rätselhafte Geschichte im Traum absichtlich so gestaltet haben.
In welcher Absicht aber? Wir sollen nun erfahren, was die Absurdität im Traume bedeutet und aus welchen Motiven sie zugela**en oder geschaffen wird. Die Lösung des Geheimnisses im vorliegenden Falle ist folgende: Ich brauche im Traume eine Absurdität und etwas Unverständliches in Verbindung mit dem »Fahren«, weil ich in den Traumgedanken ein gewisses Urteil habe, das nach Darstellung verlangt. An einem Abende bei jener gastfreundlichen und geistreichen Dame, die in einer anderen Szene des nämlichen Traumes als »Haushälterin« auftritt, hatte ich zwei Rätsel gehört, die ich nicht auflösen konnte. Da sie der übrigen Gesellschaft bekannt waren, machte ich mit meinen erfolglosen Bemühungen, die Lösung zu finden, eine etwas lächerliche Figur. Es waren zwei Äquivoke mit »Nachkommen« und »Vorfahren«. Sie lauteten, glaube ich, so:
»Der Herr befiehlt's,
Der Kutscher tut's.
Ein jeder hat's,
Im Grabe ruht's.« (Vorfahren.)
Verwirrend wirkte es, daß das zweite Rätsel zur einen Hälfte identisch mit dem ersten war:
»Der Herr befiehlt's,
Der Kutscher tut's.
Nicht jeder hat's,
In der Wiege ruht's.« (Nachkommen.)
Als ich nun den Grafen Thun so großmächtig vorfahren sah, in die Figaro-Stimmung geriet, die das Verdienst der hohen Herren darin findet, daß sie sich die Mühe gegeben haben, geboren zu werden (Nachkommen zu sein), wurden diese beiden Rätsel zu Zwischengedanken für die Traumarbeit. Da man Aristokraten leicht mit Kutschern verwechseln kann und man dem Kutscher früher einmal in unseren Landen »Herr Schwager« zu sagen pflegte, konnte die Verdichtungsarbeit meinen Bruder in dieselbe Darstellung einbeziehen. Der Traumgedanke aber, der dahinter gewirkt hat, lautet: Es ist ein Unsinn, auf seine Vorfahren stolz zu sein. Lieber hin ich selber ein Vorfahr, ein Ahnherr. Wegen dieses Urteils: Es ist ein Unsinn, also der Unsinn im Traum. Jetzt löst sich wohl auch das letzte Rätsel dieser dunklen Traumstelle, daß ich mit dem Kutscher schon vorher gefahren, mit ihm schon vorgefahren.
Der Traum wird also dann absurd gemacht, wenn in den Traumgedanken als eines der Elemente des Inhalts das Urteil vorkommt: Das ist ein Unsinn, wenn überhaupt Kritik und Spott einen der unbewußten Gedankenzüge des Träumers motivieren. Das Absurde wird somit eines der Mittel, durch welches die Traumarbeit den Widerspruch darstellt, wie die Umkehrung einer Materialbeziehung zwischen Traumgedanken und Trauminhalt, wie die Verwertung der motorischen Hemmungsempfindung. Das Absurde des Traumes ist aber nicht mit einem einfachen »Nein« zu übersetzen, sondern soll die Disposition der Traumgedanken wiedergeben, gleichzeitig mit dem Widerspruch zu höhnen oder zu lachen. Nur in dieser Absicht liefert die Traumarbeit etwas Lächerliches. Sie verwandelt hier wiederum ein Stück des latenten Inhalts in eine manifeste Form [Fußnote]
Herr Ludwig ist ein großer Poet,
Und singt er, so stürzt Apollo
Vor ihm auf die Kniee und bittet und fleht,
»Halt ein, ich werde sonst toll, oh.«
Eigentlich sind wir einem überzeugenden Beispiel von solcher Bedeutung eines absurden Traumes schon begegnet. Jener ohne an*lyse gedeutete Traum von der Wagner-Vorstellung, die bis morgens ¾8Uhr dauert, bei der das Orchester von einem Turme aus dirigiert wird usw. (siehe [S.337](#page337)ff.), will offenbar besagen: Das ist eine verdrehte Welt und eine verrückte Gesellschaft. Wer's verdient, den trifft es nicht, und wer sich nichts daraus macht, der hat's, womit sie ihr Schicksal im Vergleich zu dem ihrer Cousine meint. – Daß sich uns als Beispiele für die Absurdität der Träume zunächst solche vom toten Vater dargeboten haben, ist auch keineswegs ein Zufall. Hier finden sich die Bedingungen für die Schöpfung absurder Träume in typischer Weise zusammen. Die Autorität, die dem Vater eigen ist, hat frühzeitig die Kritik des Kindes hervorgerufen; die strengen Anforderungen, die er gestellt, haben das Kind veranlaßt, zu seiner Erleichterung auf jede Schwäche des Vaters scharf zu achten; aber die Pietät, mit der die Person des Vaters besonders nach seinem Tode für unser Denken umgeben ist, verschärft die Zensur, welche die Äußerungen dieser Kritik vom Bewußtwerden abdrängt.
IV
Ein neuer absurder Traum vom toten Vater:
Ich erhalte eine Zuschrift vom Gemeinderat meiner Geburtsstadt, betreffend die Zahlungskosten für eine Unterbringung im Spital im Jahre 1851, die wegen eines Anfalls bei mir notwendig war. Ich mache mich darüber lustig, denn erstens war ich 1851 noch nicht am Leben, zweitens ist mein Vater, auf den es sich beziehen kann, schon tot. Ich gehe zu ihm ins Nebenzimmer, wo er auf dem Bette liegt, und erzähle es ihm. Zu meiner Überraschung erinnert er sich, daß er damals 1851 einmal betrunken war und eingesperrt oder verwahrt werden mußte. Es war, als er für das Haus T... gearbeitet. Du hast also auch getrunken, frage ich. Bald darauf hast du geheiratet? Ich rechne, daß ich ja 1856 geboren bin, was mir als unmittelbar folgend vorkommt.
Die Aufdringlichkeit, mit welcher dieser Traum seine Absurditäten zur Schau trägt, werden wir nach den letzten Erörterungen nur als Zeichen einer besonders erbitterten und leidenschaftlichen Polemik in den Traumgedanken übersetzen. Mit um so größerer Verwunderung konstatieren wir aber, daß in diesem Traum die Polemik offen betrieben und der Vater als diejenige Person bezeichnet ist, die zum Ziele des Gespötts gemacht wird. Solche Offenheit scheint unseren Voraussetzungen über die Zensur bei der Traumarbeit zu widersprechen. Zur Aufklärung dient aber, daß hier der Vater nur eine vorgeschobene Person ist, während der Streit mit einer anderen geführt wird, die im Traume durch eine einzige Anspielung zum Vorschein kommt. Während sonst der Traum von Auflehnung gegen andere Personen handelt, hinter denen sich der Vater verbirgt, ist es hier umgekehrt; der Vater wird ein Strohmann zur Deckung anderer, und der Traum darf darum so unverhüllt sich mit seiner sonst geheiligten Person beschäftigen, weil dabei ein sicheres Wissen mitspielt, daß er nicht in Wirklichkeit gemeint ist. Man erfährt diesen Sachverhalt aus der Veranla**ung des Traums. Er erfolgte nämlich, nachdem ich gehört hatte, ein älterer Kollege, dessen Urteil für unantastbar gilt, äußere sich abfällig und verwundert darüber, daß einer meiner Patienten die psychoan*lytische Arbeit bei mir jetzt schon ins fünfte Jahr fortsetze. Die einleitenden Sätze des Traumes deuten in durchsichtiger Verhüllung darauf hin, daß dieser Kollege eine Zeitlang die Pflichten übernommen, die der Vater nicht mehr erfüllen konnte (Zahlungskosten, Unterbringung im Spitale); und als unsere freundschaftlichen Beziehungen sich zu lösen begannen, geriet ich in denselben Empfindungskonflikt, der im Falle einer Mißhelligkeit zwischen Vater und Sohn durch die Rolle und die früheren Leistungen des Vaters erzwungen wird. Die Traumgedanken wehren sich nun erbittert gegen den Vorwurf, daß ich nicht schneller vorwärtskomme, der von der Behandlung dieses Patienten her sich dann auch auf anderes erstreckt. Kennt er denn jemanden, der das schneller machen kann? Weiß er nicht, daß Zustände dieser Art sonst überhaupt unheilbar sind und lebenslange dauern? Was sind vier bis fünf Jahre gegen die Dauer eines ganzen Lebens, zumal wenn dem Kranken die Existenz während der Behandlung so sehr erleichtert worden ist?
Das Gepräge der Absurdität wird in diesem Traume zum guten Teile dadurch erzeugt, daß Sätze aus verschiedenen Gebieten der Traumgedanken ohne vermittelnden Übergang aneinandergereiht werden. So verläßt der Satz: Ich gehe zu ihm ins Nebenzimmer usw., das Thema, aus dem die vorigen Sätze geholt sind, und reproduziert getreulich die Umstände, unter denen ich dem Vater meine eigenmächtige Verlobung mitgeteilt habe. Er will mich also an die vornehme Uneigennützigkeit mahnen, die der alte Mann damals bewies, und diese in Gegensatz zu dem Benehmen eines anderen, einer neuen Person, bringen. Ich merke hier, daß der Traum darum den Vater verspotten darf, weil dieser in den Traumgedanken in voller Anerkennung anderen als Muster vorgehalten wird. Es liegt im Wesen jeder Zensur, daß man von den unerlaubten Dingen das, was unwahr ist, eher sagen darf als die Wahrheit. Der nächste Satz, daß er sich erinnert, einmal betrunken und darum eingesperrt gewesen zu sein, enthält nichts mehr, was sich in der Realität auf den Vater bezieht. Die von ihm gedeckte Person ist hier niemand geringerer als der große – Meynert, dessen Spuren ich mit so hoher Verehrung gefolgt bin und dessen Benehmen gegen mich nach einer kurzen Periode der Bevorzugung in unverhüllte Feindseligkeit umschlug. Der Traum erinnert mich an seine eigene Mitteilung, er habe in jungen Jahren einmal der Gewohnheit gefrönt, sich mit Chloroform zu berauschen, und habe darum die Anstalt aufsuchen müssen, und an ein zweites Erlebnis mit ihm kurz vor seinem Ende. Ich hatte einen erbitterten literarischen Streit mit ihm geführt in Sachen der männlichen Hysterie, die er leugnete, und als ich ihn als Todkranken besuchte und nach seinem Befinden fragte, verweilte er bei der Beschreibung seiner Zustände und schloß mit den Worten: »Sie wissen, ich war immer einer der schönsten Fälle von männlicher Hysterie.« So hatte er zu meiner Genugtuung und zu meinem Erstaunen zugegeben, wogegen er sich so lange hartnäckig gesträubt. Daß ich aber in dieser Szene des Traumes Meynert durch meinen Vater verdecken kann, hat seinen Grund nicht in einer zwischen beiden Personen aufgefundenen an*logie, sondern ist die knappe, aber völlig zureichende Darstellung eines Konditionalsatzes in den Traumgedanken, der ausführlich lautet: Ja, wenn ich zweite Generation, der Sohn eines Professors oder Hofrats, wäre, dann wäre ich freilich rascher vorwärtsgekommen. Im Traume mache ich nun meinen Vater zum Hofrat und Professor. Die gröbste und störendste Absurdität des Traumes liegt in der Behandlung der Jahreszahl 1851, die mir von 1856 gar nicht verschieden vorkommt, als würde die Differenz von fünf Jahren gar nichts bedeuten. Gerade das soll aber aus den Traumgedanken zum Ausdruck gebracht werden. Vier bis fünf Jahre, das ist der Zeitraum, während dessen ich die Unterstützung des eingangs erwähnten Kollegen genoß, aber auch die Zeit, während welcher ich meine Braut auf die Heirat warten ließ, und durch ein zufälliges, von den Traumgedanken gern ausgenütztes Zusammentreffen auch die Zeit, während welcher ich jetzt meinen vertrautesten Patienten auf die völlige Heilung warten la**e. »Was sind fünf Jahre?« fragen die Traumgedanken. »Das ist für mich keine Zeit, das kommt nicht in Betracht. Ich habe Zeit genug vor mir, und wie jenes endlich geworden ist, was Ihr auch nicht glauben wolltet, so werde ich auch dies zustande bringen.« Außerdem aber ist die Zahl 51, vom Jahrhundert abgelöst, noch anders, und zwar im gegensätzlichen Sinne determiniert; sie kommt darum auch mehrmals im Traume vor. 51ist das Alter, in dem der Mann besonders gefährdet erscheint, in dem ich Kollegen plötzlich habe sterben sehen, darunter einen, der nach langem Harren einige Tage vorher zum Professor ernannt worden war.
V
Ein anderer absurder Traum, der mit Zahlen spielt.
Einer meiner Bekannten, Herr M., ist von keinem Geringeren als von Goethe in einem Aufsatze angegriffen worden, wie wir alle meinen, mit ungerechtfertigt großer Heftigkeit. Herr M. ist durch diesen Angriff natürlich vernichtet. Er beklagt sich darüber bitter bei einer Tischgesellschaft; seine Verehrung für Goethe hat aber unter dieser persönlichen Erfahrung nicht gelitten. Ich suche mir die zeitlichen Verhältnisse, die mir unwahrscheinlich vorkommen, ein wenig aufzuklären. Goethe ist 1832 gestorben; da sein Angriff auf M. natürlich früher erfolgt sein muß, so war Herr M. damals ein ganz junger Mann. Es kommt mir plausibel vor, daß er achtzehn Jahre alt war. Ich weiß aber nicht sicher, welches Jahr wir gegenwärtig schreiben, und so versinkt die ganze Berechnung im Dunkel. Der Angriff ist übrigens in dem bekannten Aufsatz von Goethe ›Natur‹ enthalten.
Wir werden bald die Mittel in der Hand haben, den Blödsinn dieses Traumes zu rechtfertigen. Herr M., den ich aus einer Tischgesellschaft kenne, hatte mich unlängst aufgefordert, seinen Bruder zu untersuchen, bei dem sich Zeichen von paralytischer Geistesstörung bemerkbar machen. Die Vermutung war richtig; es ereignete sich bei diesem Besuch das Peinliche, daß der Kranke ohne jeden Anlaß im Gespräch den Bruder durch Anspielung auf dessen Jugendstreiche bloßstellte. Den Kranken hatte ich nach seinem Geburtsjahre gefragt und ihn wiederholt zu kleinen Berechnungen veranlaßt, um seine Gedächtnisschwächung klarzulegen; Proben, die er übrigens noch recht gut bestand. Ich merke schon, daß ich mich im Traume benehme wie ein Paralytiker. (Ich weiß nicht sicher, welches Jahr wir schreiben.) Anderes Material des Traumes stammt aus einer anderen rezenten Quelle. Ein mir befreundeter Redakteur einer medizinischen Zeitschrift hatte eine höchst ungnädige, eine »vernichtende« Kritik über das letzte Buch meines Freundes Fl. in Berlin in sein Blatt aufgenommen, die ein recht jugendlicher und wenig urteilsfähiger Referent verfaßt hatte. Ich glaubte, ein Recht zur Einmengung zu haben, und stellte den Redakteur zur Rede, der die Aufnahme der Kritik lebhaft bedauerte, aber eine Remedur nicht versprechen wollte. Daraufhin brach ich meine Beziehungen zur Zeitschrift ab und hob in meinem Absagebriefe die Erwartung hervor, daß unsere persönlichen Beziehungen unter diesem Vorfall nicht leiden würden. Die dritte Quelle dieses Traumes ist die damals frische Erzählung einer Patientin von der psychischen Erkrankung ihres Bruders, der mit dem Ausrufe »Natur, Natur« in Tobsucht verfallen war. Die Ärzte hatten gemeint, der Ausruf stamme aus der Lektüre jenes schönen Aufsatzes von Goethe und deute auf die Überarbeitung des Erkrankten bei seinen naturphilosophischen Studien. Ich zog es vor, an den s**uellen Sinn zu denken, in dem auch die Mindergebildeten bei uns von der »Natur« reden, und daß der Unglückliche sich später an den Genitalien verstümmelte, schien mir wenigstens nicht unrecht zu geben. 18Jahre war das Alter dieses Kranken, als sich jener Tobsuchtsanfall einstellte.
Wenn ich noch hinzufüge, daß das so hart kritisierte Buch meines Freundes (»Man fragt sich, ist der Autor verrückt oder ist man es selbst«, hatte ein anderer Kritiker geäußert) sich mit den zeitlichen Verhältnissen des Lebens beschäftigt und auch Goethes Lebensdauer auf ein Vielfaches einer für die Biologie bedeutsamen Zahl zurückführt, so ist es leicht einzusehen, daß ich mich im Traume an die Stelle meines Freundes setze. (Ich suche mir die zeitlichen Verhältnisse ... ein wenig aufzuklären.) Ich benehme mich aber wie ein Paralytiker, und der Traum schwelgt in Absurdität. Das heißt also, die Traumgedanken sagen ironisch: »Natürlich, er ist der Narr, der Verrückte, und Ihr seid die genialen Leute, die es besser verstehen. Vielleicht aber doch umgekehrt?« Und diese Umkehrung ist nun ausgiebig im Trauminhalt vertreten, indem Goethe den jungen Mann angegriffen hat, was absurd ist, während leicht ein ganz junger Mensch noch heute den unsterblichen Goethe angreifen könnte, und indem ich vom Sterbejahre Goethes an rechne, während ich den Paralytiker von seinem Geburtsjahr an rechnen ließ.
Ich habe aber auch versprochen zu zeigen, daß kein Traum von anderen als egoistischen Regungen eingegeben wird. Somit muß ich rechtfertigen, daß ich in diesem Traume die Sache meines Freundes zu der meinigen mache und mich an seine Stelle setze. Meine kritische Überzeugung im Wachen reicht hiefür nicht aus. Nun spielt aber die Geschichte des 18jährigen Kranken und die verschiedenartige Deutung seines Ausrufs »Natur« auf den Gegensatz an, in den ich mich mit meiner Behauptung einer s**uellen Ätiologie für die Psychoneurosen zu den meisten Ärzten gebracht habe. Ich kann mir sagen: So wie deinem Freunde, so wird es auch dir mit der Kritik ergehen, ist dir zum Teil auch bereits so ergangen, und nun darf ich das »Er« in den Traumgedanken durch ein »Wir« ersetzen. »Ja, ihr habt recht, wir zwei sind die Narren.« Daß »mea res agitur«, daran mahnt mich energisch die Erwähnung des kleinen, unvergleichlich schönen Aufsatzes von Goethe, denn der Vortrag dieses Aufsatzes in einer populären Vorlesung war es, der mich schwa*kenden Abiturienten zum Studium der Naturwissenschaft drängte.
VI
Ich bin es schuldig geblieben, noch von einem anderen Traume, in dem mein Ich nicht vorkommt, zu zeigen, daß er egoistisch ist. Ich erwähnte auf S. 273 einen kurzen Traum, daß ProfessorM. sagt: »Mein Sohn, der Myop...«, und gab an, das sei nur ein Vortraum zu einem anderen, in dem ich eine Rolle spiele. Hier ist der fehlende Haupttraum, der uns eine absurde und unverständliche Wortbildung zur Aufklärung bietet: Wegen irgendwelcher Vorgänge in der Stadt Rom ist es notwendig, die Kinder zu flüchten, was auch geschieht. Die Szene ist dann vor einem Tore, Doppeltor nach antiker Art (die Porta Romana in Siena, wie ich noch im Traume weiß). Ich sitze auf dem Rand eines Brunnens und bin sehr betrübt, weine fast. Eine weibliche Person – Wärterin, Nonne – bringt die zwei Knaben heraus und übergibt sie dem Vater, der nicht ich bin. Der ältere der beiden ist deutlich mein Ältester, das Gesicht des anderen sehe ich nicht; die Frau, die den Knaben bringt, verlangt zum Abschied einen Kuß von ihm. Sie zeichnet sich durch eine rote Nase aus. Der Knabe verweigert ihr den Kuß, sagt aber, ihr zum Abschied die Hand reichend: Auf Geseres, und zu uns beiden (oder zu einem von uns): Auf Ungeseres. Ich habe die Idee, daß letzteres einen Vorzug bedeutet.
Dieser Traum baut sich auf einem Knäuel von Gedanken auf, die durch ein im Theater gesehenes Schauspiel Das neue Ghetto angeregt wurden. Die Judenfrage, die Sorge um die Zukunft der Kinder, denen man ein Vaterland nicht geben kann, die Sorge, sie so zu erziehen, daß sie freizügig werden können, sind in den zugehörigen Traumgedanken leicht zu erkennen.
»An den Wa**ern Babels saßen wir und weinten.« – Siena ist wie Rom durch seine schönen Brunnen berühmt: für Rom muß ich im Traume (vgl. S. 205 f.) mir irgendeinen Ersatz aus bekannten Örtlichkeiten suchen. Nahe der Porta Romana von Siena sahen wir ein großes, hell erleuchtetes Haus. Wir erfuhren, daß es das Manicomio, die Irrenanstalt sei. Kurz vor dem Traume hatte ich gehört, daß ein Glaubensgenosse seine mühselig erworbene Anstellung an einer staatlichen Irrenanstalt hatte aufgeben müssen.
Unser Interesse erweckt die Rede: Auf Geseres, wo man nach der im Traume festgehaltenen Situation erwarten mußte: Auf Wiedersehen, und ihr ganz sinnloser Gegensatz: Auf Ungeseres.
Geseres ist nach den Auskünften, die ich mir bei Schriftgelehrten geholt habe, ein echt hebräisches Wort, abgeleitet von einem Verbum goiser, und läßt sich am besten durch »anbefohlene Leiden, Verhängnis« wiedergeben. Nach der Verwendung des Wortes im Jargon sollte man meinen, es bedeute »Klagen und Jammern«. Ungeseres ist meine eigenste Wortbildung und zieht meine Aufmerksamkeit zuerst auf sich, macht mich aber zunächst ratlos. Die kleine Bemerkung zu Ende des Traumes, daß Ungeseres einen Vorzug gegen Geseres bedeute, öffnet den Einfällen und damit dem Verständnis die Pforten. Ein solches Verhältnis findet ja beim Kaviar statt; der ungesalzene wird höher geschätzt als der gesalzene. Kaviar fürs Volk, »noble Pa**ionen«: darin liegt eine scherzhafte Anspielung an eine der Personen meines Haushaltes verborgen, von der ich hoffe, daß sie, jünger als ich, die Zukunft meiner Kinder in acht nehmen wird. Dazu stimmt es dann, daß eine andere Person meines Haushaltes, unsere brave Kinderfrau, in der Wärterin (oder Nonne) vom Traum wohl kenntlich gezeigt wird. Zwischen dem Paar gesalzen–ungesalzen und Geseres–Ungeseres fehlt es aber noch an einem vermittelnden Übergang. Dieser findet sich in »gesäuert und ungesäuert«; bei ihrem fluchtartigen Auszug aus Ägypten hatten die Kinder Israels nicht die Zeit, ihren Brotteig gären zu la**en, und essen zur Erinnerung daran noch heute ungesäuertes Brot zur Osterzeit. Hier kann ich auch den plötzlichen Einfall unterbringen, der mir während dieses Stückes der an*lyse gekommen ist. Ich erinnerte mich, wie wir in den letzten Ostertagen in den Straßen der uns fremden Stadt Breslau herumspazierten, mein Freund aus Berlin und ich. Ein kleines Mädchen fragte mich um den Weg in eine gewisse Straße; ich mußte mich entschuldigen, daß ich ihn nicht wisse, und äußerte dann zu meinem Freunde: »Hoffentlich beweist die Kleine später im Leben mehr Scharfblick bei der Auswahl der Personen, von denen sie sich leiten läßt.« Kurz darauf fiel mir ein Schild in die Augen: Dr.Herodes, Sprechstunde... Ich meinte: »Hoffentlich ist der Kollege nicht gerade Kinderarzt.« Mein Freund hatte mir unterdessen seine Ansichten über die biologische Bedeutung der bilateralen Symmetrie entwickelt und einen Satz mit der Einleitung begonnen: »Wenn wir das eine Auge mitten auf der Stirne trügen wie der Zyklop...« Das führt nun zur Rede des Professors im Vortraum: Mein Sohn, der Myop. Und nun bin ich zur Hauptquelle für das Geseres geführt worden. Vor vielen Jahren, als dieser Sohn des Professors M., der heute ein selbständiger Denker ist, noch auf der Schulbank saß, erkrankte er an einer Augenaffektion, die der Arzt für besorgniserweckend erklärte. Er meinte, solange sie einseitig bleibe, habe sie nichts zu bedeuten, sollte sie aber auch auf das andere Auge übergreifen, so wäre es ernsthaft. Das Leiden heilte auf dem einen Auge schadlos ab; kurz darauf stellten sich aber die Zeichen für die Erkrankung des zweiten wirklich ein. Die entsetzte Mutter ließ sofort den Arzt in die Einsamkeit ihres Landaufenthalts kommen. Der schlug sich aber jetzt auf die andere Seite. »Was machen Sie für Geseres?« herrschte er die Mutter an. »Ist es auf der einen Seite gut geworden, so wird es auch auf der anderen gut werden.« Und so ward es auch.
Und nun die Beziehung zu mir und den Meinigen. Die Schulbank, auf der der Sohn des Professors M. seine erste Weisheit erlernt, ist durch Schenkung der Mutter in das Eigentum meines Ältesten übergegangen, dem ich im Traume die Abschiedsworte in den Mund lege. Der eine der Wünsche, die sich an diese Übertragung knüpfen la**en, ist nun leicht zu erraten. Diese Schulbank soll aber auch durch ihre Konstruktion das Kind davor schützen, kurzsichtig und einseitig zu werden. Daher im Traum Myop (dahinter Zyklop) und die Erörterungen über Bilateralität. Die Sorge um die Einseitigkeit ist eine mehrdeutige; es kann neben der körperlichen Einseitigkeit die der intellektuellen Entwicklung gemeint sein. Ja, scheint es nicht, daß die Traumszene in ihrer Tollheit gerade dieser Sorge widerspricht? Nachdem das Kind nach der einen Seite hin sein Abschiedswort gesprochen, ruft es nach der anderen hin das Gegenteil davon, wie um das Gleichgewicht herzustellen. Es handelt gleichsam in Beachtung der bilateralen Symmetrie!
So ist der Traum oft am tiefsinnigsten, wo er am tollsten erscheint. Zu allen Zeiten pflegten die, welche etwas zu sagen hatten und es nicht gefahrlos sagen konnten, gerne die Narrenkappe aufzusetzen. Der Hörer, für den die untersagte Rede bestimmt war, duldete sie eher, wenn er dabei lachen und sich mit dem Urteil schmeicheln konnte, daß das Unliebsame offenbar etwas Närrisches sei. Ganz so wie in Wirklichkeit der Traum, verfährt im Schauspiel der Prinz, der sich zum Narren verstellen muß, und darum kann man auch vom Traume aussagen, was Hamlet, wobei er die eigentlichen Bedingungen durch witzig-unverständliche ersetzt, von sich behauptet: »Ich bin nur toll bei Nord-Nord-West; weht der Wind aus Süden, so kann ich einen Reiher von einem Falken unterscheiden.« [Fußnote]
Ich habe also das Problem der Absurdität des Traumes dahin aufgelöst, daß die Traumgedanken niemals absurd sind – wenigstens nicht von den Träumen geistesgesunder Menschen – und daß die Traumarbeit absurde Träume und Träume mit einzelnen absurden Elementen produziert, wenn ihr in den Traumgedanken Kritik, Spott und Hohn zur Darstellung in ihrer Ausdrucksform vorliegt. Es liegt mir nur daran zu zeigen, daß die Traumarbeit überhaupt durch das Zusammenwirken der drei erwähnten Momente – und eines vierten noch zu erwähnenden – erschöpft ist, daß sie sonst nichts leistet als eine Übersetzung der Traumgedanken unter Beachtung der vier ihr vorgeschriebenen Bedingungen und daß die Frage, ob die Seele im Traume mit all ihren geistigen Fähigkeiten arbeitet oder nur mit einem Teile derselben, schief gestellt ist und an den tatsächlichen Verhältnissen abgleitet. Da es aber reichlich Träume gibt, in deren Inhalt geurteilt, kritisiert und anerkannt wird, in denen Verwunderung über ein einzelnes Element des Traumes auftritt, Erklärungsversuche gemacht und Argumentationen angestellt werden, muß ich die Einwendungen, die aus solchen Vorkommnissen sich ableiten, an ausgewählten Beispielen erledigen.
Meine Erwiderung lautet: Alles, was sich als scheinbare Betätigung der Urteilsfunktion in den Träumen vorfindet, ist nicht etwa als Denkleistung der Traumarbeit aufzufa**en, sondern gehört dem Material der Traumgedanken an und ist von dorther als fertiges Gebilde in den manifesten Trauminhalt gelangt. Ich kann meinen Satz zunächst noch überbieten. Auch von den Urteilen, die man nach dem Erwachen über den erinnerten Traum fällt, den Empfindungen, die die Reproduktion dieses Traumes in uns hervorruft, gehört ein guter Teil dem latenten Trauminhalt an und ist in die Deutung des Traumes einzufügen.
I
Ein auffälliges Beispiel hiefür habe ich bereits angeführt. Eine Patientin will ihren Traum nicht erzählen, weil er zu unklar ist. Sie hat eine Person im Traume gesehen und weiß nicht, ob es der Mann oder der Vater war. Dann folgt ein zweites Traumstück, in dem ein »Misttrügerl« vorkommt, an das folgende Erinnerung sich anschließt. Als junge Hausfrau äußerte sie einmal scherzhaft vor einem jungen Verwandten, der im Hause verkehrte, daß ihre nächste Sorge die Anschaffung eines neuen Misttrügerls sein müsse. Sie bekam am nächsten Morgen ein solches zugeschickt, das aber mit Maiglöckchen gefüllt war. Dieses Stück Traum dient der Darstellung der Redensart »Nicht auf meinem eigenen Mist gewachsen«. Wenn man die an*lyse vervollständigt, erfährt man, daß es sich in den Traumgedanken um die Nachwirkung einer in der Jugend gehörten Geschichte handelt, daß ein Mädchen ein Kind bekommen, von dem es unklar war, wer eigentlich der Vater sei. Die Traumdarstellung greift also hier ins Wachdenken über und läßt eines der Elemente der Traumgedanken durch ein im Wachen gefälltes Urteil über den ganzen Traum vertreten sein.
II
Ein ähnlicher Fall: Einer meiner Patienten hat einen Traum, der ihm interessant vorkommt, denn er sagt sich unmittelbar nach dem Erwachen: Das muß ich dem Doktor erzählen. Der Traum wird an*lysiert und ergibt die deutlichsten Anspielungen auf ein Verhältnis, das er während der Behandlung begonnen und von dem er sich vorgenommen hatte, mir nichts zu erzählen [Fußnote].
III
Ein drittes Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung:
Ich gehe mit P. durch eine Gegend, in der Häuser und Gärten vorkommen, ins Spital. Dabei die Idee, daß ich diese Gegend schon mehrmals im Traume gesehen habe. Ich kenne mich nicht sehr gut aus; er zeigt mir einen Weg, der durch eine Ecke in eine Restauration führt (Saal, nicht Garten); dort frage ich nach Frau Doni und höre, sie wohnt im Hintergrunde in einer kleinen Kammer mit drei Kindern. Ich gehe hin und treffe schon vorher eine undeutliche Person mit meinen zwei kleinen Mädchen, die ich dann mit mir nehme, nachdem ich eine Weile mit ihnen gestanden bin. Eine Art Vorwurf gegen meine Frau, daß sie sie dort gela**en.
Beim Erwachen fühle ich dann große Befriedigung, die ich damit motiviere, daß ich jetzt aus der an*lyse erfahren werde, was es bedeutet: Ich habe schon davon geträumt Die an*lyse lehrt mich aber nichts darüber; sie zeigt mir nur, daß die Befriedigung zum latenten Trauminhalt und nicht zu einem Urteile über den Traum gehört. Es ist die Befriedigung darüber, daß ich in meiner Ehe Kinder bekommen habe. P. ist eine Person, mit der ich ein Stück weit im Leben den gleichen Weg gegangen bin, die mich dann sozial und materiell weit überholt hat, die aber in ihrer Ehe kinderlos geblieben ist. Die beiden Anlässe des Traumes können den Beweis durch eine vollständige an*lyse ersetzen. Tags zuvor las ich in der Zeitung die Todesanzeige einer Frau Dona A..y (woraus ich Doni mache), die im Kindbett gestorben; ich hörte von meiner Frau, daß die Verstorbene von derselben Hebamme gepflegt worden sei wie sie selbst bei unseren beiden Jüngsten. Der Name Dona war mir aufgefallen, denn ich hatte ihn kurz vorher in einem englischen Romane zum erstenmal gefunden. Der andere Anlaß des Traums ergibt sich aus dem Datum desselben; es war die Nacht vor dem Geburtstage meines ältesten, wie es scheint, dichterisch begabten Knaben.
IV
Dieselbe Befriedigung verbleibt mir nach dem Erwachen aus dem absurden Traum, daß der Vater nach seinem Tode eine politische Rolle bei den Magyaren gespielt, und motiviert sich durch die Fortdauer der Empfindung, die den letzten Satz des Traumes begleitete: »Ich erinnere mich daran, daß er auf dem Totenbett Garibaldi so ähnlich gesehen, und freue mich darüber, daß es doch wahr geworden ist...« (Dazu eine vergessene Fortsetzung.) Aus der an*lyse kann ich nun einsetzen, was in diese Traumlücke gehört. Es ist die Erwähnung meines zweiten Knaben, dem ich den Vornamen einer großen historischen Persönlichkeit gegeben habe, die mich in den Knabenjahren, besonders seit meinem Aufenthalte in England, mächtig angezogen. Ich hatte das Jahr der Erwartung über den Vorsatz, gerade diesen Namen zu verwenden, wenn es ein Sohn würde, und begrüßte mit ihm hoch befriedigt schon den eben Geborenen. Es ist leicht zu merken, wie die unterdrückte Größensucht des Vaters sich in seinen Gedanken auf die Kinder überträgt; ja man wird gerne glauben, daß dies einer der Wege ist, auf denen die im Leben notwendig gewordene Unterdrückung derselben vor sich geht. Sein Anrecht, in den Zusammenhang dieses Traumes aufgenommen zu werden, erwarb der Kleine dadurch, daß ihm damals der nämliche – beim Kind und beim Sterbenden leicht verzeihliche – Unfall widerfahren war, die Wäsche zu beschmutzen. Vergleiche hiezu die Anspielung »Stuhlrichter« und den Wunsch des Traumes: Vor seinen Kindern groß und rein dazustehen.
V
Wenn ich nun Urteilsäußerungen, die im Traum selbst verbleiben, sich nicht ins Wachen fortsetzen oder sich dahin verlegen, heraussuchen soll, so werde ich's als große Erleichterung empfinden, daß ich mich hiefür solcher Träume bedienen darf, die bereits in anderer Absicht mitgeteilt worden sind. Der Traum von Goethe, der Herrn M. angegriffen hat, scheint eine ganze Anzahl von Urteilsakten zu enthalten. Ich suche mir die zeitlichen Verhältnisse, die mir unwahrscheinlich vorkommen, ein wenig aufzuklären. Sieht das nicht einer kritischen Regung gegen den Unsinn gleich, daß Goethe einen jungen Mann meiner Bekanntschaft literarisch angegriffen haben soll? »Es kommt mir plausibel vor, daß er 18Jahre alt war.« Das klingt doch ganz wie das Ergebnis einer allerdings schwachsinnigen Berechnung; und »Ich weiß nicht sicher, welches Jahr wir schreiben«, wäre ein Beispiel von Unsicherheit oder Zweifel im Traum.
Nun weiß ich aber aus der an*lyse dieses Traums, daß diese scheinbar erst im Traume vollzogenen Urteilsakte in ihrem Wortlaute eine andere Auffa**ung zula**en, durch welche sie für die Traumdeutung unentbehrlich werden und gleichzeitig jede Absurdität vermieden wird. Mit dem Satze: »Ich suche mir die zeitlichen Verhältnisse ein wenig aufzuklären«, setze ich mich an die Stelle meines Freundes, der wirklich die zeitlichen Verhältnisse des Lebens aufzuklären sucht. Der Satz verliert hiemit die Bedeutung eines Urteils, welches sich gegen den Unsinn der vorhergehenden Sätze sträubt. Die Einschaltung, »die mir unwahrscheinlich vorkommen«, gehört zusammen mit dem späteren »Es kommt mir plausibel vor«. Ungefähr mit den gleichen Worten habe ich der Dame, die mir die Krankengeschichte ihres Bruders erzählte, erwidert: »Es kommt mir unwahrscheinlich vor, daß der Ausruf ›Natur, Natur‹ etwas mit Goethe zu tun hatte: es ist mir viel plausibler, daß er die Ihnen bekannte s**uelle Bedeutung gehabt hat.« Es ist hier allerdings ein Urteil gefällt worden, aber nicht im Traum, sondern in der Realität, bei einer Veranla**ung, die von den Traumgedanken erinnert und verwertet wird. Der Trauminhalt eignet sich dieses Urteil an wie irgendein anderes Bruchstück der Traumgedanken.
Die Zahl 18, mit der das Urteil im Traume unsinnigerweise in Verbindung gesetzt ist, bewahrt noch die Spur des Zusammenhangs, aus dem das reale Urteil gerissen wurde. Endlich, daß »ich nicht sicher bin, welches Jahr wir schreiben«, soll nichts anderes als meine Identifizierung mit dem Paralytiker durchsetzen, in dessen Examen sich dieser eine Anhaltspunkt wirklich ergeben hatte.
Bei der Auflösung der scheinbaren Urteilsakte des Traumes kann man sich an die eingangs gegebene Regel für die Ausführung der Deutungsarbeit mahnen la**en, daß man den im Traume hergestellten Zusammenhang der Traumbestandteile als einen unwesentlichen Schein beiseite la**en und jedes Traumelement für sich der Zurückführung unterziehen möge. Der Traum ist ein Konglomerat, das für die Zwecke der Untersuchung wieder zerbröckelt werden soll. Man wird aber anderseits aufmerksam gemacht, daß sich in den Träumen eine psychische Kraft äußert, welche diesen scheinbaren Zusammenhang herstellt, also das durch die Traumarbeit gewonnene Material einer sekundären Bearbeitung unterzieht. Wir haben hier Äußerungen jener Macht vor uns, die wir als das vierte der bei der Traumbildung beteiligten Momente später würdigen werden.
VI
Ich suche nach anderen Beispielen von Urteilsarbeit in den bereits mitgeteilten Träumen. In dem absurden Traum von der Zuschrift des Gemeinderats frage ich: Bald darauf hast du geheiratet? Ich rechne, daß ich ja 1856 geboren bin, was mir unmittelbar folgend vorkommt. Das kleidet sich ganz in die Form einer Schlußfolge. Der Vater hat bald nach dem Anfall im Jahre 1851 geheiratet; ich bin ja der Älteste, 1856 geboren; also das stimmt. Wir wissen, daß dieser Schluß durch die Wunscherfüllung verfälscht ist, daß der in den Traumgedanken herrschende Satz lautet: vier oder fünf Jahre, das ist kein Zeitraum, das ist nicht zu rechnen. Aber jedes Stück dieser Schlußfolge ist nach Inhalt wie nach Form aus den Traumgedanken anders zu determinieren: Es ist der Patient, über dessen Geduld der Kollege sich beschwert, der unmittelbar nach Beendigung der Kur zu heiraten gedenkt. Die Art, wie ich mit dem Vater im Traume verkehre, erinnert an ein Verhör oder ein Examen, und damit an einen Universitätslehrer, der in der Inskriptionsstunde ein vollständiges Nationale aufzunehmen pflegte: Geboren, wann? 1856. – Patre? Darauf sagte man den Vornamen des Vaters mit lateinischer Endung, und wir Studenten nahmen an, der Hofrat ziehe aus dem Vornamen des Vaters Schlüsse, die ihm der Vorname des Inskribierten nicht jedesmal gestattet hätte. Somit wäre das Schlußziehen des Traumes nur die Wiederholung des Schlußziehens, das als ein Stück Material in den Traumgedanken auftritt. Wir erfahren hieraus etwas Neues. Wenn im Trauminhalte ein Schluß vorkommt, so kommt er ja sicherlich aus den Traumgedanken; in diesen mag er aber enthalten sein als ein Stück des erinnerten Materials, oder er kann als logisches Band eine Reihe von Traumgedanken miteinander verknüpfen. In jedem Falle stellt der Schluß im Traume einen Schluß aus den Traumgedanken dar [Fußnote].
Die an*lyse dieses Traumes wäre hier fortzusetzen. An das Verhör des Professors reiht sich die Erinnerung an den (zu meiner Zeit lateinisch abgefaßten) Index des Universitätsstudenten. Ferner an meinen Studiengang. Die fünf Jahre, die für das medizinische Studium vorgesehen sind, waren wiederum zu wenig für mich. Ich arbeitete unbekümmert in weitere Jahre hinein, und im Kreise meiner Bekannten hielt man mich für verbummelt, zweifelte man, daß ich »fertig« werden würde. Da entschloß ich mich schnell, meine Prüfungen zu machen, und wurde doch fertig: trotz des Aufschubs. Eine neue Verstärkung der Traumgedanken, die ich meinen Kritikern trotzig entgegenhalte. »Und wenn ihr es auch nicht glauben wollt, weil ich mir Zeit la**e; ich werde doch fertig, ich komme doch zum Schluß. Es ist schon oft so gegangen.«
Derselbe Traum enthält in seinem Anfangsstück einige Sätze, denen man den Charakter einer Argumentation nicht gut absprechen kann. Und diese Argumentation ist nicht einmal absurd, sie könnte ebensowohl dem wachen Denken angehören. Ich mache mich im Traume über die Zuschrift des Gemeinderates lustig, denn erstens war ich 1851 noch nicht auf der Welt, zweitens ist mein Vater, auf den es sich beziehen kann, schon tot. Beides ist nicht nur an sich richtig, sondern deckt sich auch völlig mit den wirklichen Argumenten, die ich im Falle einer derartigen Zuschrift in Anwendung bringen würde. Wir wissen aus der früheren an*lyse (S.422 f.), daß dieser Traum auf dem Boden von tief erbitterten und hohngetränkten Traumgedanken erwachsen ist; wenn wir außerdem noch die Motive zur Zensur als recht starke annehmen dürfen, so werden wir verstehen, daß die Traumarbeit eine tadellose Widerlegung einer unsinnigen Zumutung nach dem in den Traumgedanken enthaltenen Vorbild zu schaffen allen Anlaß hat. Die an*lyse zeigt uns aber, daß der Traumarbeit hier doch keine freie Nachschöpfung auferlegt worden ist, sondern daß Material aus den Traumgedanken dazu verwendet werden mußte. Es ist, als kämen in einer algebraischen Gleichung außer den Zahlen ein + und–, ein Potenz- und ein Wurzelzeichen vor und jemand, der diese Gleichung abschreibt, ohne sie zu verstehen, nähme die Operationszeichen wie die Zahlen in seine Abschrift hinüber, würfe aber dann beiderlei durcheinander. Die beiden Argumente la**en sich auf folgendes Material zurückführen. Es ist mir peinlich zu denken, daß manche der Voraussetzungen, die ich meiner psychologischen Auflösung der Psychoneurosen zugrunde lege, wenn sie erst bekannt geworden sind, Unglauben und Gelächter hervorrufen werden. So muß ich behaupten, daß bereits Eindrücke aus dem zweiten Lebensjahr, mitunter auch schon aus dem ersten, eine bleibende Spur im Gemütsleben der später Kranken zurückla**en und – obwohl von der Erinnerung vielfach verzerrt und übertrieben – die erste und unterste Begründung für ein hysterisches Symptom abgeben können. Patienten, denen ich dies an pa**ender Stelle auseinandersetze, pflegen die neugewonnene Aufklärung zu parodieren, indem sie sich bereit erklären, nach Erinnerungen aus der Zeit zu suchen, da sie noch nicht am Leben waren. Eine ähnliche Auf nähme dürfte nach meiner Erwartung die Aufdeckung der ungeahnten Rolle finden, welche bei weiblichen Kranken der Vater in den frühesten s**uellen Regungen spielt. (Vgl. die Auseinandersetzung (S.262f.) Und doch ist nach meiner gut begründeten Überzeugung beides wahr. Ich denke zur Bekräftigung an einzelne Beispiele, bei denen der Tod des Vaters in ein sehr frühes Alter des Kindes fiel, und spätere sonst unerklärbare Vorfälle bewiesen, daß das Kind doch Erinnerungen an die ihm so früh entschwundene Person unbewußt bewahrt hatte. Ich weiß, daß meine beiden Behauptungen auf Schlüssen beruhen, deren Gültigkeit man anfechten wird. Es ist also eine Leistung der Wunscherfüllung, wenn gerade das Material dieser Schlüsse, deren Beanständung ich fürchte, von der Traumarbeit zur Herstellung einwandfreier Schlüsse verwendet wird.
VII
In einem Traume, den ich bisher nur gestreift habe, wird eingangs die Verwunderung über das auftauchende Thema deutlich ausgesprochen.
»Der alte Brücke muß mir irgendeine Aufgabe gestellt haben; sonderbar genug bezieht sie sich auf Präparation meines eigenen Untergestells, Becken und Beine, das ich vor mir sehe wie im Seziersaal, doch ohne den Mangel am Körper zu spüren, auch ohne Spur von Grauen. Louise N. steht dabei und macht die Arbeit mit mir. Das Becken ist ausgeweidet, man sieht bald die obere, bald die untere Ansicht desselben, was sich vermengt. Dicke, fleischrote Knollen (bei denen ich noch im Traume an Hämorrhoiden denke) sind zu sehen. Auch mußte etwas sorgfältig ausgeklaubt werden, was darüber lag und zerknülltem Silberpapier glich [Fußnote]. Dann war ich wieder im Besitz meiner Beine und machte einen Weg durch die Stadt, nahm aber (aus Müdigkeit) einen Wagen. Der Wagen fuhr zu meinem Erstaunen in ein Haustor hinein, das sich öffnete und ihn durch einen Gang pa**ieren ließ, der, am Ende abgeknickt, schließlich weiter ins Freie führte. Schließlich wanderte ich mit einem alpinen Führer, der meine Sachen trug, durch wechselnde Landschaften. Auf einer Strecke trug er mich mit Rücksicht auf meine müden Beine. Der Boden war sumpfig; wir gingen am Rand hin; Leute saßen am Boden, ein Mädchen unter ihnen, wie Indianer oder Zigeuner. Vorher hatte ich auf dem schlüpfrigen Boden mich selbst weiter bewegt unter steter Verwunderung, daß ich es nach der Präparation so gut kann. Endlich kamen wir zu einem kleinen Holzhaus, das in ein offenes Fenster ausging. Dort setzte mich der Führer ab und legte zwei bereitstehende Holzbretter auf das Fensterbrett, um so den Abgrund zu überbrücken, der vom Fenster aus zu überschreiten war. Ich bekam jetzt wirklich Angst für meine Beine. Anstatt des erwarteten Überganges sah ich aber zwei erwachsene Männer auf Holzbänken liegen, die an den Wänden der Hütte waren, und wie zwei Kinder schlafend neben ihnen. Als ob nicht die Bretter, sondern die Kinder den Übergang ermöglichen sollten. Ich erwache mit Gedankenschreck.
Wer sich nur einmal einen ordentlichen Eindruck von der Ausgiebigkeit der Traumverdichtung geholt hat, der wird sich leicht vorstellen können, welche Anzahl von Blättern die ausführliche an*lyse dieses Traumes einnehmen muß. Zum Glück für den Zusammenhang entlehne ich dem Traume aber bloß das eine Beispiel für die Verwunderung im Traum, die sich in der Einschaltung »sonderbar genug« kundgibt. Ich gehe auf den Anlaß des Traumes ein. Es ist ein Besuch jener Dame LouiseN., die auch im Traum der Arbeit a**istiert. »Leih mir etwas zum Lesen.« Ich biete ihr She von Rider Haggard an. »Ein sonderbares Buch, aber voll von verstecktem Sinn«, will ich ihr auseinandersetzen; »das ewig Weibliche, die Unsterblichkeit unserer Affekte –« Da unterbricht sie mich: »Das kenne ich schon. Hast du nichts Eigenes?« – »Nein, meine eigenen unsterblichen Werke sind noch nicht geschrieben.« – »Also wann erscheinen denn deine sogenannten letzten Aufklärungen, die, wie du versprichst, auch für uns lesbar sein werden?« fragt sie etwas anzüglich. Ich merkte jetzt, daß mich ein anderer durch ihren Mund mahnen läßt, und verstumme. Ich denke an die Überwindung, die es mich kostet, auch nur die Arbeit über den Traum, in der ich soviel vom eigenen intimen Wesen preisgeben muß, in die Öffentlichkeit zu schicken.
»Das Beste, was du wissen kannst,
darfst du den Buben doch nicht sagen.«
Die Präparation am eigenen Leib, die mir im Traume aufgetragen wird, ist also die mit der Mitteilung der Träume verbundene Selbstan*lyse. Der alte Brücke kommt mit Recht hiezu; schon in diesen ersten Jahren wissenschaftlicher Arbeit traf es sich, daß ich einen Fund liegenließ, bis sein energischer Auftrag mich zur Veröffentlichung zwang. Die weiteren Gedanken aber, die sich an die Unterredung mit LouiseN. anspinnen, greifen zu tief, um bewußtzuwerden; sie erfahren eine Ablenkung über das Material, das in mir nebstbei durch die Erwähnung der She von Rider Haggard geweckt worden ist. Auf dieses Buch und auf ein zweites desselben Autors, Heart of the world, geht das Urteil »sonderbar genug«, und zahlreiche Elemente des Traumes sind den beiden phantastischen Romanen entnommen. Der sumpfige Boden, über den man getragen wird, der Abgrund, der mittels der mitgebrachten Bretter zu überschreiten ist, stammen aus der She; die Indianer, das Mädchen, das Holzhaus aus Heart of the world. In beiden Romanen ist eine Frau die Führerin, in beiden handelt es sich um gefährliche Wanderungen, in She um einen abenteuerlichen Weg ins Unentdeckte, kaum je Betretene. Die müden Beine sind nach einer Notiz, die ich bei dem Traume finde, reale Sensation jener Tage gewesen. Wahrscheinlich entsprach ihnen eine müde Stimmung und die zweifelnde Frage: Wie weit werden mich meine Beine noch tragen? In der She endet das Abenteuer damit, daß die Führerin, anstatt sich und den anderen die Unsterblichkeit zu holen, im geheimnisvollen Zentralfeuer den Tod findet. Eine solche Angst hat sich unverkennbar in den Traumgedanken geregt. Das »Holzhaus« ist sicherlich auch der Sarg, also das Grab. Aber in der Darstellung dieses unerwünschtesten aller Gedanken durch eine Wunscherfüllung hat die Traumarbeit ihr Meisterstück geleistet. Ich war nämlich schon einmal in einem Grab, aber es war ein ausgeräumtes Etruskergrab bei Orvieto, eine schmale Kammer mit zwei Steinbänken an den Wänden, auf denen die Skelette von zwei Erwachsenen gelagert waren. Genauso sieht das Innere des Holzhauses im Traum aus, nur ist Stein durch Holz ersetzt. Der Traum scheint zu sagen: »Wenn du schon im Grabe weilen sollst, so sei es das Etruskergrab«, und mit dieser Unterschiebung verwandelt er die traurigste Erwartung in eine recht erwünschte. Leider kann er, wie wir hören werden, nur die den Affekt begleitende Vorstellung in ihr Gegenteil verkehren, nicht immer auch den Affekt selbst. So wache ich denn mit »Gedankenschreck« auf, nachdem sich noch die Idee Darstellung erzwungen, daß vielleicht die Kinder erreichen werden, was dem Vater versagt geblieben, eine neuerliche Anspielung an den sonderbaren Roman, in dem die Identität einer Person durch eine Generationsreihe von zweitausend Jahren festgehalten wird.
VIII
In dem Zusammenhang eines anderen Traumes findet sich gleichfalls ein Ausdruck der Verwunderung über das im Traume Erlebte, aber verknüpft mit einem so auffälligen, weit hergeholten und beinahe geistreichen Erklärungsversuche, daß ich bloß seinetwegen den ganzen Traum der an*lyse unterwerfen müßte, auch wenn der Traum nicht noch zwei andere Anziehungspunkte für unser Interesse besäße. Ich reise in der Nacht vom 18. auf den 19.Juli auf der Südbahnstrecke und höre im Schlaf: »Hollthurn, zehn Minuten« ausrufen. Ich denke sofort an Holothurien – ein naturhistorisches Museum – daß hier ein Ort ist, wo sich tapfere Männer erfolglos gegen die Übermacht ihres Landesherrn gewehrt haben. – Ja, die Gegenreformation in Österreich! – Als ob es ein Ort in Steiermark oder Tirol wäre. Nun sehe ich undeutlich ein kleines Museum, in dem die Reste oder Erwerbungen dieser Männer aufbewahrt werden. Ich möchte aussteigen, verzögere es aber. Es stehen Weiber mit Obst auf dem Perron, sie kauern auf dem Boden und halten die Körbe so einladend hin. – Ich habe gezögert aus Zweifel, ob wir noch Zeit haben, und jetzt stehen wir noch immer. – Ich bin plötzlich in einem anderen Coupé, in dem Leder und Sitze so schmal sind, daß man mit dem Rücken direkt an die Lehne stößt Ich wundere mich darüber, aber ich kann ja im schlafenden Zustande umgestiegen sein. Mehrere Leute, darunter ein englisches Geschwisterpaar; eine Reihe Bücher deutlich auf einem Gestell an der Wand. Ich sehe »Wealth of nations«, »Matter and Motion« (von Maxwell), dick und in braune Leinwand gebunden. Der Mann fragt die Schwester nach einem Buch von Schiller, ob sie das vergessen hat. Es sind die Bücher bald wie die meinen, bald die der beiden. Ich möchte mich da bestätigend oder unterstützend ins Gespräch mengen ––– Ich wache, am ganzen Körper schwitzend, auf, weil alle Fenster geschlossen sind. Der Zug hält in Marburg.
Während der Niederschrift fällt mir ein Traumstück ein, das die Erinnerung übergehen wollte. Ich sage dem Geschwisterpaare auf ein gewisses Werk: It is from..., korrigiere mich aber: It is by... Der Mann bemerkt zur Schwester: Er hat es ja richtig gesagt.
Der Traum beginnt mit dem Namen der Station, der mich wohl unvollkommen geweckt haben muß. Ich ersetze diesen Namen, der Marburg lautete, durch Hollthurn. Daß ich Marburg beim ersten oder vielleicht bei einem späteren Ausrufen gehört habe, beweist die Erwähnung Schillers im Traum, der ja in Marburg, wenngleich nicht im steirischen, geboren ist. Nun reiste ich diesmal, obwohl erster Kla**e, unter sehr unangenehmen Verhältnissen. Der Zug war überfüllt, in dem Coupé hatte ich einen Herrn und eine Dame angetroffen, die sehr vornehm schienen und nicht die Lebensart besaßen oder es nicht der Mühe wert hielten, ihr Mißvergnügen über den Eindringling irgendwie zu verbergen. Mein höflicher Gruß wurde nicht erwidert; obwohl Mann und Frau nebeneinander saßen (gegen die Fahrtrichtung), beeilte sich die Frau doch, den Platz ihr gegenüber am Fenster vor meinen Augen mit einem Schirm zu belegen; die Türe wurde sofort geschlossen, demonstrative Reden über das Öffnen der Fenster gewechselt. Wahrscheinlich sah man mir den Lufthunger bald an. Es war eine heiße Nacht und die Luft im allseitig geschlossenen Coupé bald zum Ersticken. Nach meinen Reiseerfahrungen kennzeichnet ein so rücksichtslos übergreifendes Benehmen Leute, die ihre Karte nicht oder nur halb bezahlt haben. Als der Kondukteur kam und ich mein teuer erkauftes Billet vorzeigte, tönte es aus dem Munde der Dame unnahbar und wie drohend: Mein Mann hat Legitimation. Sie war eine stattliche Erscheinung mit mißvergnügten Zügen, im Alter nicht weit von der Zeit des Verfalls weiblicher Schönheit; der Mann kam überhaupt nicht zu Worte, er saß regungslos da. Ich versuchte zu schlafen. Im Traum nehme ich fürchterliche Rache an meinen unliebenswürdigen Reisegefährten; man würde nicht ahnen, welche Beschimpfungen und Demütigungen sich hinter den abgerissenen Brocken der ersten Traumhälfte verbergen. Nachdem dies Bedürfnis befriedigt war, machte sich der zweite Wunsch geltend, das Coupé zu wechseln. Der Traum wechselt so oft die Szene, und ohne daß der mindeste Anstoß an der Veränderung genommen wird, daß es nicht im geringsten auffällig gewesen wäre, wenn ich mir alsbald meine Reisegesellschaft durch eine angenehmere aus meiner Erinnerung ersetzt hätte. Hier aber tritt ein Fall ein, daß irgend etwas den Wechsel der Szene beanständete und es für notwendig hielt, ihn zu erklären. Wie kam ich plötzlich in ein anderes Coupé? Ich konnte mich doch nicht erinnern, umgestiegen zu sein. Da gab es nur eine Erklärung: ich mußte im schlafenden Zustande den Wagen verla**en haben, ein seltenes Vorkommnis, wofür aber doch die Erfahrung des Neuropathologen Beispiele liefert. Wir wissen von Personen, die Eisenbahnfahrten in einem Dämmerzustand unternehmen, ohne durch irgendein Anzeichen ihren abnormen Zustand zu verraten, bis sie an irgendeiner Station der Reise voll zu sich kommen und dann die Lücke in ihrer Erinnerung bestaunen. Für einen solchen Fall von »automatisme ambulatoire« erkläre ich also noch im Traume den meinigen.
Die an*lyse gestattet, eine andere Auflösung zu geben. Der Erklärungsversuch, der mich so frappiert, wenn ich ihn der Traumarbeit zuschreiben müßte, ist nicht originell, sondern aus der Neurose eines meiner Patienten kopiert. Ich erzählte bereits an anderer Stelle von einem hochgebildeten und im Leben weichherzigen Manne, der kurz nach dem Tode seiner Eltern begann, sich mörderischer Neigungen anzuklagen, und nun unter den Vorsichtsmaßregeln litt, die er zur Sicherung gegen dieselben treffen mußte. Es war ein Fall von schweren Zwangsvorstellungen bei voll erhaltener Einsicht. Zuerst wurde ihm das Pa**ieren der Straße durch den Zwang verleidet, sich von allen Begegnenden Rechenschaft abzulegen, wohin sie verschwunden seien; entzog sich einer plötzlich seinem verfolgenden Blick, so blieb ihm die peinliche Empfindung und die Möglichkeit in Gedanken, er könnte ihn beseitigt haben. Es war unter anderem eine Kainsphantasie dahinter, denn »alle Menschen sind Brüder«. Wegen der Unmöglichkeit, diese Aufgabe zu erledigen, gab er das Spazierengehen auf und verbrachte sein Leben eingekerkert zwischen seinen vier Wänden. In sein Zimmer gelangten aber durch die Zeitung beständig Nachrichten von Mordtaten, die draußen geschehen waren, und sein Gewissen wollte ihm in der Form des Zweifels nahelegen, daß er der gesuchte Mörder sei. Die Gewißheit, daß er ja seit Wochen seine Wohnung nicht verla**en habe, schützte ihn eine Weile gegen diese Anklagen, bis ihm eines Tages die Möglichkeit durch den Sinn fuhr, daß er sein Haus im bewußtlosen Zustand verla**en und so den Mord begangen haben könne, ohne etwas davon zu wissen. Von da an schloß er die Haustür ab, übergab den Schlüssel der alten Haushälterin und verbot ihr eindringlich, denselben auch nicht auf sein Verlangen in seine Hände gelangen zu la**en.
Daher stammt also der Erklärungsversuch, daß ich im bewußtlosen Zustande umgestiegen bin – er ist aus dem Material der Traumgedanken fertig in den Traum eingetragen worden und soll im Traume offenbar dazu dienen, mich mit der Person jenes Patienten zu identifizieren. Die Erinnerung an ihn wurde in mir durch naheliegende Assoziation geweckt. Mit diesem Manne hatte ich einige Wochen vorher die letzte Nachtreise gemacht. Er war geheilt, begleitete mich in die Provinz zu seinen Verwandten, die mich beriefen; wir hatten ein Coupé für uns, ließen alle Fenster die Nacht hindurch offen und hatten uns, solange ich wach blieb, vortrefflich unterhalten. Ich wußte, daß feindselige Impulse gegen seinen Vater aus seiner Kindheit in s**uellem Zusammenhange die Wurzel seiner Erkrankung gewesen waren. Indem ich mich also mit ihm identifizierte, wollte ich mir etwas an*loges eingestehen. Die zweite Szene des Traums löst sich auch wirklich in eine übermütige Phantasie auf, daß meine beiden ältlichen Reisegefährten sich darum so abweisend gegen mich benehmen, weil ich sie durch mein Kommen an dem beabsichtigten nächtlichen Austausch von Zärtlichkeiten gehindert habe. Diese Phantasie aber geht auf eine frühe Kinderszene zurück, in der das Kind, wahrscheinlich von s**ueller Neugierde getrieben, in das Schlafzimmer der Eltern eindringt und durch das Machtwort des Vaters daraus vertrieben wird.
Ich halte es für überflüssig, weitere Beispiele zu häufen. Sie würden alle nur bestätigen, was wir aus den bereits angeführten entnommen haben, daß ein Urteilsakt im Traume nur die Wiederholung eines Vorbilds aus den Traumgedanken ist. Zumeist eine übel angebrachte, in unpa**endem Zusammenhange eingefügte Wiederholung, gelegentlich aber, wie in unseren letzten Beispielen, eine so geschickt verwendete, daß man zunächst den Eindruck einer selbständigen Denktätigkeit im Traume empfangen kann. Von hier aus könnten wir unser Interesse jener psychischen Tätigkeit zuwenden, die zwar nicht regelmäßig bei der Traumbildung mitzuwirken scheint, die aber, wo sie es tut, bemüht ist, die nach ihrer Herkunft disparaten Traumelemente widerspruchsfrei und sinnvoll zu verschmelzen. Wir empfinden es aber vorher noch als dringlich, uns mit den Affektäußerungen zu beschäftigen, die im Traum auftreten, und dieselben mit den Affekten zu vergleichen, welche die an*lyse in den Traumgedanken aufdeckt.
H
Die Affekte im Traume
Eine scharfsinnige Bemerkung von Stricker hat uns aufmerksam gemacht, daß die Affektäußerungen des Traums nicht die geringschätzige Art der Erledigung gestatten, mit der wir erwacht den Trauminhalt abzuschütteln pflegen: »Wenn ich mich im Traume vor Räubern fürchte, so sind die Räuber zwar imaginär, aber die Furcht ist real«, und ebenso geht es, wenn ich mich im Traume freue. Nach dem Zeugnis unserer Empfindung ist der im Traum erlebte Affekt keineswegs minderwertig gegen den im Wachen erlebten von gleicher Intensität, und energischer als mit seinem Vorstellungsinhalte erhebt der Traum mit seinem Affektinhalt den Anspruch, unter die wirklichen Erlebnisse unserer Seele aufgenommen zu werden. Wir bringen diese Einreihung nun im Wachen nicht zustande, weil wir einen Affekt nicht anders psychisch zu würdigen verstehen als in der Verknüpfung mit einem Vorstellungsinhalt. Pa**en Affekt und Vorstellung der Art und der Intensität nach nicht zueinander, so wird unser waches Urteil irre.
An den Träumen hat immer Verwunderung erregt, daß Vorstellungsinhalte nicht die Affektwirkung mit sich bringen, die wir als notwendig im wachen Denken erwarten würden. Strümpell äußerte, im Traume seien die Vorstellungen von ihren psychischen Werten entblößt. Es fehlt im Traume aber auch nicht am gegenteiligen Vorkommen, daß intensive Affektäußerung bei einem Inhalte auftritt, der zur Entbindung von Affekt keinen Anlaß zu bieten scheint. Ich bin im Traume in einer gräßlichen, gefahrvollen, ekelhaften Situation, verspüre aber dabei nichts von Furcht oder Abscheu; hingegen entsetze ich mich andere Male über harmlose und freue mich über kindische Dinge.
Dieses Rätsel des Traumes verschwindet uns so plötzlich und so vollständig wie vielleicht kein anderes der Traumrätsel, wenn wir vom manifesten Trauminhalt zum latenten übergehen. Wir werden mit seiner Erklärung nichts zu schaffen haben, denn es besteht nicht mehr. Die an*lyse lehrt uns, daß die Vorstellungsinhalte Verschiebungen und Ersetzungen erfahren haben, während die Affekte unverrückt geblieben sind. Kein Wunder, daß der durch die Traumentstellung veränderte Vorstellungsinhalt zum erhalten gebliebenen Affekt dann nicht mehr paßt; aber auch keine Verwunderung mehr, wenn die an*lyse den richtigen Inhalt an seine frühere Stelle eingesetzt hat [Fußnote].
An einem psychischen Komplex, welcher die Beeinflussung der Widerstandszensur erfahren hat, sind die Affekte der resistente Anteil, der uns allein den Fingerzeig zur richtigen Ergänzung geben kann. Deutlicher noch als beim Traum enthüllt sich dies Verhältnis bei den Psychoneurosen. Der Affekt hat hier immer recht, wenigstens seiner Qualität nach; seine Intensität ist ja durch Verschiebungen der neurotischen Aufmerksamkeit zu steigern. Wenn der Hysteriker sich wundert, daß er sich vor einer Kleinigkeit so sehr fürchten muß, oder der Mann mit Zwangsvorstellungen, daß ihm aus einer Nichtigkeit ein so peinlicher Vorwurf erwächst, so gehen beide irre, indem sie den Vorstellungsinhalt – die Kleinigkeit oder die Nichtigkeit – für das Wesentliche nehmen, und sie wehren sich erfolglos, indem sie diesen Vorstellungsinhalt zum Ausgangspunkt ihrer Denkarbeit machen. Die Psychoan*lyse zeigt ihnen dann den richtigen Weg, indem sie im Gegenteile den Affekt als berechtigt anerkennt und die zu ihm gehörige, durch eine Ersetzung verdrängte Vorstellung aufsucht. Voraussetzung ist dabei, daß Affektentbindung und Vorstellungsinhalt nicht diejenige unauflösbare organische Einheit bilden, als welche wir sie zu behandeln gewöhnt sind, sondern daß beide Stücke aneinandergelötet sein können, so daß sie durch an*lyse voneinander lösbar sind. Die Traumdeutung zeigt, daß dies in der Tat der Fall ist.
Ich bringe zuerst ein Beispiel, in dem die an*lyse das scheinbare Ausbleiben des Affekts bei einem Vorstellungsinhalte aufklärt, der Affektentbindung erzwingen sollte.
I
Sie sieht in einer Wüste drei Löwen, von denen einer lacht, fürchtet sich aber nicht vor ihnen. Dann muß sie doch vor ihnen geflüchtet sein, denn sie will auf einen Baum klettern, findet aber ihre Cousine, die französische Lehrerin ist, schon oben usw.
Dazu bringt die an*lyse folgendes Material: Der indifferente Anlaß zum Traum ist ein Satz ihrer englischen Aufgabe geworden: Die Mähne ist der Schmuck des Löwen. Ihr Vater trug einen solchen Bart, der wie eine Mähne das Gesicht umrahmte. Ihre englische Sprachlehrerin heißt Miß Lyons (lions = Löwen). Ein Bekannter hat ihr die Balladen von Loewe zugeschickt. Das sind also die drei Löwen; warum sollte sie sich vor ihnen fürchten? – Sie hat eine Erzählung gelesen, in welcher ein Neger, der die anderen zum Aufstand aufgehetzt, mit Bluthunden gejagt wird und zu seiner Rettung auf einen Baum klettert. Dann folgen in übermütigster Stimmung Erinnerungsbrocken wie die: Die Anweisung, wie man Löwen fängt, aus den Fliegenden Blättern: Man nehme eine Wüste und siebe sie durch, dann bleiben die Löwen übrig. Ferner die höchst lustige, aber nicht sehr anständige Anekdote von einem Beamten, der gefragt wird, warum er sich denn nicht um die Gunst seines Chefs ausgiebiger bemühe, und der zur Antwort gibt, er habe sich wohl bemüht, da hineinzukriechen, aber sein Vordermann war schon oben. Das ganze Material wird verständlich, wenn man erfährt, daß die Dame am Traumtage den Besuch des Vorgesetzten ihres Mannes empfangen hatte. Er war sehr höflich mit ihr, küßte ihr die Hand, und sie fürchtete sich gar nicht vor ihm, obwohl er ein sehr »großes Tier« ist und in der Hauptstadt ihres Landes die Rolle eines »Löwen der Gesellschaft« spielt. Dieser Löwe ist also vergleichbar dem Löwen im Sommernachtstraum, der sich als Schnock, der Schreiner, demaskiert, und so sind alle Traumlöwen, vor denen man sich nicht fürchtet.
II
Als zweites Beispiel ziehe ich den Traum jenes Mädchens heran, das den kleinen Sohn der Schwester als Leiche im Sarg liegen sah, dabei aber, wie ich jetzt hinzufüge, keinen Schmerz und keine Trauer verspürte. Wir wissen aus der an*lyse, warum nicht. Der Traum verhüllte nur ihren Wunsch, den geliebten Mann wiederzusehen; der Affekt mußte auf den Wunsch abgestimmt sein und nicht auf dessen Verhüllung. Es war also zur Trauer gar kein Anlaß.
&In einer Anzahl von Träumen bleibt der Affekt wenigstens noch in Verbindung mit jenem Vorstellungsinhalte, welcher den zu ihm pa**enden ersetzt hat. In anderen geht die Auflockerung des Komplexes weiter. Der Affekt erscheint völlig gelöst von seiner zugehörigen Vorstellung und findet sich irgendwo anders im Traume untergebracht, wo er in die neue Anordnung der Traumelemente hineinpaßt. Es ist dann ähnlich, wie wir's bei den Urteilsakten des Traumes erfahren haben. Findet sich in den Traumgedanken ein bedeutsamer Schluß, so enthält auch der Traum einen solchen; aber der Schluß im Traume kann auf ein ganz anderes Material verschoben sein. Nicht selten erfolgt diese Verschiebung nach dem Prinzip der Gegensätzlichkeit.
&Die letztere Möglichkeit erläutere ich an folgendem Traumbeispiele, das ich der erschöpfendsten an*lyse unterzogen habe.
III
Ein Schloß am Meere, später liegt es nicht direkt am Meer, sondern an einem schmalen Kan*l, der ins Meer führt. Ein Herr P. ist der Gouverneur. Ich stehe mit ihm in einem großen dreifenstrigen Salon, vor dem sich Mauervorsprünge wie Festungszinnen erheben. Ich bin etwa als freiwilliger Marineoffizier der Besatzung zugeteilt. Wir befürchten das Eintreffen von feindlichen Kriegsschiffen, da wir uns im Kriegszustand befinden. Herr P. hat die Absicht wegzugehen; er erteilt mir Instruktionen, was in dem befürchteten Falle zu geschehen hat. Seine kranke Frau befindet sich mit den Kindern im gefährdeten Schloß. Wenn das Bombardement beginnt, soll der große Saal geräumt werden. Er atmet schwer und will sich entfernen; ich halte ihn zurück und frage, auf welche Weise ich ihm nötigenfalls Nachricht zukommen la**en soll. Darauf sagt er noch etwas, sinkt aber gleich darauf tot um. Ich habe ihn wohl mit den Fragen überflüssigerweise angestrengt. Nach seinem Tode, der mir weiter keinen Eindruck macht, Gedanken, ob die Witwe im Schlosse bleiben wird, ob ich dem Oberkommando den Tod anzeigen und als der nächste im Befehl die Leitung des Schlosses übernehmen soll. Ich stehe nun am Fenster und mustere die vorbeifahrenden Schiffe; es sind Kauffahrer, die auf dem dunklen Wa**er rapid vorbeisausen, einige mit mehreren Kaminen, andere mit bauschiger Decke (die ganz ähnlich ist wie die Bahnhofsbauten im – nicht erzählten – Vortraum). Dann steht mein Bruder neben mir, und wir schauen beide aus dem Fenster auf den Kan*l. Bei einem Schiff erschrecken wir und rufen: Da kommt das Kriegsschiff. Es zeigt sich aber, daß nur dieselben Schiffe zurückkehren, die ich schon kenne. Nun kommt ein kleines Schiff, komisch abgeschnitten, so daß es mitten in seiner Breite endigt; auf Deck sieht man eigentümliche becher- oder dosenartige Dinge. Wir rufen wie aus einem Munde: Das ist das Frühstücksschiff.
Die rasche Bewegung der Schiffe, das tiefdunkle Blau des Wa**ers, der braune Rauch der Kamine, das alles ergibt zusammen einen hochgespannten, düsteren Eindruck.
Die Örtlichkeiten in diesem Traume sind aus mehreren Reisen an die Adria zusammengetragen (Miramare, Duino, Venedig, Aquileja). Eine kurze, aber genußreiche Osterfahrt nach Aquileja mit meinem Bruder, wenige Wochen vor dem Traume, war mir noch in frischer Erinnerung. Auch der Seekrieg zwischen Amerika und Spanien und an ihn geknüpfte Besorgnisse um das Schicksal meiner in Amerika lebenden Verwandten spielen mit hinein. An zwei Stellen dieses Traums treten Affektwirkungen hervor. An der einen Stelle bleibt ein zu erwartender Affekt aus, es wird ausdrücklich hervorgehoben, daß mir der Tod des Gouverneurs keinen Eindruck macht; an einer anderen Stelle, wie ich das Kriegsschiff zu sehen glaube, erschrecke ich und verspüre im Schlaf alle Sensationen des Schreckens. Die Unterbringung der Affekte ist in diesem gut gebauten Traum so erfolgt, daß jeder auffällige Widerspruch vermieden ist. Es ist ja kein Grund, daß ich beim Tode des Gouverneurs erschrecken sollte, und es ist wohl angebracht, daß ich als Kommandant des Schlosses bei dem Anblicke des Kriegsschiffes erschrecke. Nun weist aber die an*lyse nach, daß HerrP. nur ein Ersatzmann für mein eigenes Ich ist (im Traum bin ich sein Ersatzmann). Ich bin der Gouverneur, der plötzlich stirbt. Die Traumgedanken handeln von der Zukunft der Meinigen nach meinem vorzeitigen Tode. Kein anderer peinlicher Gedanke findet sich in den Traumgedanken. Der Schreck, der im Traume an den Anblick des Kriegsschiffes gelötet ist, muß von dort losgemacht und hieher gesetzt werden. Umgekehrt zeigt die an*lyse, daß die Region der Traumgedanken, aus der das Kriegsschiff genommen ist, mit den heitersten Reminiszenzen erfüllt ist. Es war ein Jahr vorher in Venedig, wir standen an einem zauberhaft schönen Tag an den Fenstern unseres Zimmers auf der Riva Schiavoni und schauten auf die blaue Lagune, in der heute mehr Bewegung zu finden war als sonst. Es wurden englische Schiffe erwartet, die feierlich empfangen werden sollten, und plötzlich rief meine Frau heiter wie ein Kind: »Da kommt das englische Kriegsschiff!« Im Traume erschrecke ich bei den nämlichen Worten; wir sehen wieder, daß Rede im Traum von Rede im Leben abstammt. Daß auch das Element »englisch« in dieser Rede für die Traumarbeit nicht verlorengegangen ist, werde ich alsbald zeigen. Ich verkehre also hier zwischen Traumgedanken und Trauminhalt Fröhlichkeit in Schreck und brauche nur anzudeuten, daß ich mit dieser Verwandlung selbst ein Stück des latenten Trauminhalts zum Ausdruck bringe. Das Beispiel beweist aber, daß es der Traumarbeit freisteht, den Affektanlaß aus seinen Verbindungen in den Traumgedanken zu lösen und beliebig anderswo im Trauminhalte einzufügen.
Ich ergreife die nebstbei sich bietende Gelegenheit, das »Frühstücksschiff«, dessen Erscheinen im Traume eine rationell festgehaltene Situation so unsinnig abschließt, einer näheren an*lyse zu unterziehen. Wenn ich das Traumobjekt besser ins Auge fa**e, so fällt mir nachträglich auf, daß es schwarz war und durch sein Abschneiden in seiner größten Breite an diesem Ende eine weitgehende Ähnlichkeit mit einem Gegenstand erzielte, der uns in den Museen etruskischer Städte interessant geworden war. Es war dies eine rechteckige Ta**e [Platte?] aus schwarzem Ton, mit zwei Henkeln, auf der Dinge wie Kaffee- oder Teeta**en standen, nicht ganz unähnlich einem unserer modernen Service für den Frühstückstisch. Auf Befragen erfuhren wir, das sei die Toilette einer etruskischen Dame mit den Schminke- und Puderbüchsen darauf; und wir sagten uns im Scherz, es wäre nicht übel, so ein Ding der Hausfrau mitzubringen. Das Traumobjekt bedeutet also – schwarze Toilette, Trauer, und spielt direkt auf einen Todesfall an. Mit dem anderen Ende mahnt das Traumobjekt an den »Nachen« vom Stamme νέκυς, wie mein sprachgelehrter Freund mir mitgeteilt, auf den in Vorzeiten die Leiche gelegt und dem Meer zur Bestattung überla**en wurde. Hieran reiht sich, warum im Traume die Schiffe zurückkehren.
»Still, auf gerettetem Boot, treibt in den Hafen der Greis.«
Es ist die Rückfahrt nach dem Schiffbruch, das Frühstücksschiff ist ja wie in seiner Breite abgebrochen. Woher aber der Name » Frühstücks«-schiff? Hier kommt nun das »Englische« zur Verwendung, das wir bei den Kriegsschiffen erübrigt haben. Frühstück = breakfast, Fastenbrecher. Das Brechen gehört wieder zum Schiffbruch, das Fasten schließt sich der schwarzen Toilette an.
An diesem Frühstücksschiffe ist aber nur der Name vom Traume neugebildet. Das Ding hat existiert und mahnt mich an eine der heitersten Stunden der letzten Reise. Der Verpflegung in Aquileja mißtrauend, hatten wir uns von Görz Eßwaren mitgenommen, eine Flasche des vorzüglichsten Istrianer Weins in Aquileja eingekauft, und während der kleine Postdampfer durch den Kan*l delle Mee langsam in die öde Lagunenstrecke nach Grado fuhr, nahmen wir, die einzigen Pa**agiere, in heiterster Laune auf Deck das Frühstück ein, das uns schmeckte wie selten eines zuvor. Das war also das »Frühstücksschiff«, und gerade hinter dieser Reminiszenz frühesten Lebensgenusses verbirgt der Traum die betäubendsten Gedanken an eine unbekannte und unheimliche Zukunft.
Die Ablösung der Affekte von den Vorstellungsma**en, die ihre Entbindung hervorgerufen haben, ist das Auffälligste, was ihnen bei der Traumbildung widerfährt, aber weder die einzige noch die wesentlichste Veränderung, die sie auf dem Wege von den Traumgedanken zum manifesten Traum erleiden. Vergleicht man die Affekte in den Traumgedanken mit denen im Traume, so wird eines sofort klar: Wo sich im Traume ein Affekt findet, da findet er sich auch in den Traumgedanken, aber nicht umgekehrt. Der Traum ist im allgemeinen affektärmer als das psychische Material, aus dessen Bearbeitung er hervorgegangen ist. Wenn ich die Traumgedanken rekonstruiert habe, so übersehe ich, wie in ihnen regelmäßig die intensivsten Seelenregungen nach Geltung ringen, zumeist im Kampfe mit anderen, die ihnen scharf zuwiderlaufen. Blicke ich dann auf den Traum zurück, so finde ich ihn nicht selten farblos, ohne jeden intensiveren Gefühlston. Es ist durch die Traumarbeit nicht bloß der Inhalt, sondern auch oft der Gefühlston meines Denkens auf das Niveau des Indifferenten gebracht. Ich könnte sagen, durch die Traumarbeit wird eine Unterdrückung der Affekte zustande gebracht. Man nehme z.B. den Traum von der botanischen Monographie. Ihm entspricht im Denken ein leidenschaftlich bewegtes Plaidoyer für meine Freiheit, so zu handeln, wie ich handle, mein Leben so einzurichten, wie es mir einzig und allein richtig scheint. Der daraus hervorgegangene Traum klingt gleichgültig: Ich habe eine Monographie geschrieben, sie liegt vor mir, ist mit farbigen Tafeln versehen, getrocknete Pflanzen sind jedem Exemplare beigelegt. Es ist wie die Ruhe eines Leichenfeldes; man verspürt nichts mehr vom Toben der Schlacht.
Es kann auch anders ausfallen, in den Traum selbst können lebhafte Affektäußerungen eingehen; aber wir wollen zunächst bei der unbestreitbaren Tatsache verweilen, daß so viele Träume indifferent erscheinen, während man sich in die Traumgedanken nie ohne tiefe Ergriffenheit versetzen kann.
Die volle theoretische Aufklärung dieser Affektunterdrückung während der Traumarbeit ist hier nicht zu geben; sie würde das sorgfältigste Eindringen in die Theorie der Affekte und in den Mechanismus der Verdrängung voraussetzen. Ich will nur zwei Gedanken hier eine Erwähnung gönnen. Die Affektentbindung bin ich – aus anderen Gründen – genötigt, mir als einen zentrifugalen, gegen das Körperinnere gerichteten Vorgang vorzustellen, an*log den motorischen und sekretorischen Innervationsvorgängen. Wie nun im Schlafzustande die Aussendung motorischer Impulse gegen die Außenwelt aufgehoben erscheint, so könnte auch die zentrifugale Erweckung von Affekten durch das unbewußte Denken während des Schlafes erschwert sein. Die Affektregungen, die während des Ablaufs der Traumgedanken zustande kommen, wären also an und für sich schwache Regungen und darum die in den Traum gelangenden auch nicht stärker. Nach diesem Gedankengange wäre die »Unterdrückung der Affekte« überhaupt kein Erfolg der Traumarbeit, sondern eine Folge des Schlafzustandes. Es mag so sein, aber es kann unmöglich alles sein. Wir müssen auch daran denken, daß jeder zusammengesetztere Traum sich auch als das Kompromißergebnis eines Widerstreits psychischer Mächte enthüllt hat. Einerseits haben die wunschbildenden Gedanken gegen den Widerspruch einer zensurierenden Instanz anzukämpfen, anderseits haben wir oft gesehen, daß im unbewußten Denken selbst ein jeder Gedankenzug mit seinem kontradiktorischen Gegenteil zusammengespannt war. Da alle diese Gedankenzüge affektfähig sind, so werden wir im ganzen und großen kaum irregehen, wenn wir die Affektunterdrückung auffa**en als Folge der Hemmung, welche die Gegensätze gegeneinander und die Zensur gegen die von ihr unterdrückten Strebungen übt. Die Affekthemmung wäre dann der zweite Erfolg der Traumzensur, wie die Traumentstellung deren erster war.
Ich will ein Traumbeispiel einfügen, in dem der indifferente Empfindungston des Trauminhaltes durch die Gegensätzlichkeit in den Traumgedanken aufgeklärt werden kann. Ich habe folgenden kurzen Traum zu erzählen, den jeder Leser mit Ekel zur Kenntnis nehmen wird:
IV
Eine Anhöhe, auf dieser etwas wie ein Abort im Freien, eine sehr lange Bank, an deren Ende ein großes Abortloch. Die ganz hintere Kante dicht besetzt mit Häufchen Kot von allen Größen und Stufen der Frische. Hinter der Bank ein Gebüsch. Ich uriniere auf die Bank; ein langer Harnstrahl spült alles rein, die Kotpatzen lösen sich leicht ab und fallen in die Öffnung. Als ob am Ende noch etwas übrigbliebe.
Warum empfand ich bei diesem Traume keinen Ekel?
Weil, wie die an*lyse zeigt, an dem Zustandekommen dieses Traumes die angenehmsten und befriedigendsten Gedanken mitgewirkt hatten. Mir fällt in der an*lyse sofort der Augia**tall ein, den Herkules reinigt. Dieser Herkules bin ich. Die Anhöhe und das Gebüsch gehören nach Aussee, wo jetzt meine Kinder weilen. Ich habe die Kindheitsätiologie der Neurosen aufgedeckt und dadurch meine eigenen Kinder vor Erkrankung bewahrt. Die Bank ist (bis auf das Abortloch natürlich) die getreue Nachahmung eines Möbels, das mir eine anhängliche Patientin zum Geschenk gemacht hat. Sie mahnt mich daran, wie meine Patienten mich ehren. Ja selbst das Museum menschlicher Exkremente ist einer herzerfreuenden Deutung fähig. Sosehr ich mich dort davor ekle, im Traume ist es eine Reminiszenz an das schöne Land Italien, in dessen kleinen Städten bekanntlich die W.C. nicht anders ausgestattet sind. Der Harnstrahl, der alles rein abspült, ist eine unverkennbare Größenanspielung. So löscht Gulliver bei den Liliputanern den großen Brand; er zieht sich dadurch allerdings das Mißfallen der allerkleinsten Königin zu. Aber auch Gargantua, der Übermensch bei Meister Rabelais, nimmt so seine Rache an den Parisern, indem er auf Notre-Dame reitend seinen Harnstrahl auf die Stadt richtet. In den Garnierschen Illustrationen zum Rabelais habe ich gerade gestern vor dem Schlafengehen geblättert. Und merkwürdig wieder ein Beweis, daß ich der Übermensch bin! Die Plattform von Notre-Dame war mein Lieblingsaufenthalt in Paris; jeden freien Nachmittag pflegte ich auf den Türmen der Kirche zwischen den Ungetümen und Teufelsfratzen dort herumzuklettern. Daß aller Kot vor dem Strahle so rasch verschwindet, das ist das Motto: Afflavit et dissipati sunt, mit dem ich einmal den Abschnitt über Therapie der Hysterie überschreiben werde.
Und nun die wirksame Veranla**ung des Traums. Es war ein heißer Nachmittag im Sommer gewesen, ich hatte in den Abendstunden meine Vorlesung über den Zusammenhang der Hysterie mit den Perversionen gehalten, und alles, was ich zu sagen wußte, mißfiel mir so gründlich, kam mir alles Werts entkleidet vor. Ich war müde, ohne Spur von Vergnügen an meiner schweren Arbeit, sehnte mich weg von diesem Wühlen im menschlichen Schmutz, nach meinen Kindern und dann nach den Schönheiten Italiens. In dieser Stimmung ging ich vom Hörsaal in ein Café, um dort in freier Luft einen bescheidenen Imbiß zu nehmen, denn die Eßlust hatte mich verla**en. Aber einer meiner Hörer ging mit mir; er bat um die Erlaubnis dabeizusitzen, während ich meinen Kaffee trank und an meinem Kipfel würgte, und begann mir Schmeicheleien zu sagen. Wieviel er bei mir gelernt und daß er jetzt alles mit anderen Augen ansehe, daß ich den Augia**tall der Irrtümer und Vorurteile in der Neurosenlehre gereinigt, kurz, daß ich ein sehr großer Mann sei. Meine Stimmung paßte schlecht zu seinem Lobgesang; ich kämpfte mit dem Ekel, ging früher heim, um mich loszumachen, blätterte noch vor dem Schlafengehen im Rabelais und las eine Novelle von C. F. Meyer ›Die Leiden eines Knaben‹.
Aus diesem Material war der Traum hervorgegangen, die Novelle von Meyer brachte die Erinnerung an Kindheitsszenen hinzu (vgl. den Traum vom Grafen Thun, letztes Bild). Die Tagesstimmung von Ekel und Überdruß setzte sich im Traume insofern durch, als sie fast sämtliches Material für den Trauminhalt beistellen durfte. Aber in der Nacht wurde die ihr gegensätzliche Stimmung von kräftiger und selbst übermäßiger Selbstbetonung rege und hob die erstere auf. Der Trauminhalt mußte sich so gestalten, daß er in demselben Material dem Kleinheitswahn wie der Selbstüberschätzung den Ausdruck ermöglichte. Bei dieser Kompromißbildung resultierte ein zweideutiger Trauminhalt, aber auch durch gegenseitige Hemmung der Gegensätze ein indifferenter Empfindungston.
Nach der Theorie der Wunscherfüllung wäre dieser Traum nicht ermöglicht worden, wenn nicht der gegensätzliche, zwar unterdrückte, aber mit Lust betonte Gedankenzug des Größenwahns zu dem des Ekels hinzugetreten wäre. Denn Peinliches soll im Traume nicht dargestellt werden; das Peinliche aus unseren Tagesgedanken kann nur dann den Eintritt in den Traum erringen, wenn es seine Einkleidung gleichzeitig einer Wunscherfüllung leiht.
Die Traumarbeit kann mit den Affekten der Traumgedanken noch etwas anderes vornehmen, als sie zuzula**en oder zum Nullpunkt herabzudrücken. Sie kann dieselben in ihr Gegenteil verkehren. Wir haben bereits die Deutungsregel kennengelernt, daß jedes Element des Traums für die Deutung auch sein Gegenteil darstellen kann, ebensowohl wie sich selbst. Man weiß nie im vorhinein, ob das eine oder das andere zu setzen ist; erst der Zusammenhang entscheidet hierüber. Eine Ahnung dieses Sachverhaltes hat sich offenbar dem Volksbewußtsein aufgedrängt; die Traumbücher verfahren bei der Deutung der Träume sehr häufig nach dem Prinzip des Kontrasts. Solche Verwandlung ins Gegenteil wird durch die innige a**oziative Verkettung ermöglicht, die in unserem Denken die Vorstellung eines Dings an die seines Gegensatzes fesselt. Wie jede andere Verschiebung dient sie den Zwecken der Zensur, ist aber auch häufig das Werk der Wunscherfüllung, denn die Wunscherfüllung besteht ja in nichts anderem als in der Ersetzung eines unliebsamen Dings durch sein Gegenteil. Ebenso wie die Dingvorstellungen können also auch die Affekte der Traumgedanken im Traume ins Gegenteil verkehrt erscheinen, und es ist wahrscheinlich, daß diese Affektverkehrung zumeist von der Traumzensur bewerkstelligt wird. Affektunterdrückung wie Affektverkehrung dienen ja auch im sozialen Leben, das uns die geläufige an*logie zur Traumzensur gezeigt hat, vor allem der Verstellung. Wenn ich mündlich mit der Person verkehre, vor der ich mir Rücksicht auferlegen muß, während ich ihr Feindseliges sagen möchte, so ist es beinahe wichtiger, daß ich die Äußerungen meines Affekts vor ihr verberge, als daß ich die Wortfa**ung meiner Gedanken mildere. Spreche ich zu ihr in nicht unhöflichen Worten, begleite diese aber mit einem Blick oder einer Gebärde des Ha**es und der Verachtung, so ist die Wirkung, die ich bei dieser Person erziele, nicht viel anders, als wenn ich ihr meine Verachtung ohne Schonung ins Gesicht geworfen hätte. Die Zensur heißt mich also vor allem meine Affekte unterdrücken, und wenn ich ein Meister in der Verstellung bin, werde ich den entgegengesetzten Affekt heucheln, lächeln, wo ich zürnen, und mich zärtlich stellen, wo ich vernichten möchte.
Wir kennen bereits ein ausgezeichnetes Beispiel solcher Affektverkehrung im Traum im Dienste der Traumzensur. Im Traum »von des Onkels Bart« empfinde ich große Zärtlichkeit für meinen Freund R., während und weil die Traumgedanken ihn einen Schwachkopf schelten. Aus diesem Beispiele von Verkehrung der Affekte haben wir uns den ersten Hinweis auf die Existenz einer Traumzensur geholt. Es ist auch hier nicht nötig anzunehmen, daß die Traumarbeit einen derartigen Gegenaffekt ganz von neuem schafft; sie findet ihn gewöhnlich im Materiale der Traumgedanken bereitliegend und erhöht ihn bloß mit der psychischen Kraft der Abwehrmotive, bis er für die Traumbildung überwiegen kann. Im letzterwähnten Onkeltraum stammt der zärtliche Gegenaffekt wahrscheinlich aus infantiler Quelle (wie die Fortsetzung des Traumes nahelegt), denn das Verhältnis Onkel und Neffe ist durch die besondere Natur meiner frühesten Kindererlebnisse (vgl. die an*lyse S. 411 f.) bei mir die Quelle aller Freundschaften und alles Ha**es geworden.
Ein ausgezeichnetes Beispiel einer solchen Affektverkehrung gibt ein von Ferenczi berichteter Traum (1916): »Ein älterer Herr wird bei Nacht von seiner Frau geweckt, die ängstlich darüber wurde, daß er im Schlafe so laut und unbändig lachte. Der Mann erzählte später, folgenden Traum gehabt zu haben: Ich lag in meinem Bette, ein bekannter Herr trat ein, ich wollte das Licht aufdrehen, konnte es aber nicht, versuchte es immer wieder – vergebens. Daraufhin stieg meine Frau aus dem Bette, um mir zu helfen, aber auch sie vermochte nichts auszurichten; weil sie sich aber vor dem Herrn wegen ihres Negligés genierte, gab sie es schließlich auf und legte sich wieder ins Bett; all dies war so komisch, daß ich darüber fürchterlich lachen mußte. Die Frau sagte: ›Was lachst du, was lachst du?‹, ich aber lachte nur weiter, bis ich erwachte. – Tags darauf war der Herr äußerst niedergeschlagen, hatte Kopfschmerzen – vom vielen Lachen, das mich erschüttert hat, meinte er.
an*lytisch betrachtet, schaut der Traum minder lustig aus. Der ›bekannte Herr‹, der eintritt, ist in den latenten Traumgedanken das am Vortage geweckte Bild des Todes als des ›großen Unbekannten‹. Der alte Herr, der an Arteriosklerose leidet, hatte am Vortage Grund, ans Sterben zu denken. Das unbändige Lachen vertritt die Stelle des Weinens und Schluchzens bei der Idee, daß er sterben muß. Es ist das Lebenslicht, das er nicht mehr aufdrehen kann. Dieser traurige Gedanke mag sich an vor kurzem beabsichtigte, aber mißlungene Beischlafversuche angeknüpft haben, bei denen ihm auch die Hilfe seiner Frau im Negligé nichts half; er merkte, daß es mit ihm schon abwärts geht. Die Traumarbeit verstand es, die traurige Idee der Impotenz und des Sterbens in eine komische Szene und das Schluchzen in Lachen umzuwandeln.«
Es gibt eine Kla**e von Träumen, die auf die Bezeichnung als »heuchlerische« einen besonderen Anspruch haben und die Theorie der Wunscherfüllung auf eine harte Probe stellen. Ich wurde auf sie aufmerksam, als Frau Dr. M. Hilferding in der »Wiener Psychoan*lytischen Vereinigung« den im Nachstehenden abgedruckten Traumbericht Roseggers zur Diskussion brachte.
Rosegger (in Waldheimat, 2. Band) erzählt in der Geschichte ›Fremd gemacht‹ (S. 303): »Ich erfreue mich sonst eines gesunden Schlummers, aber ich habe die Ruhe von so mancher Nacht eingebüßt, ich habe neben meinem bescheidenen Studenten- und Literatendasein den Schatten eines veritabeln Schneiderlebens durch die langen Jahre geschleppt, wie ein Gespenst, ohne seiner loswerden zu können.
Es ist nicht wahr, daß ich mich tagsüber in Gedanken so häufig und lebhaft mit meiner Vergangenheit beschäftigt hätte. Ein der Haut eines Philisters entsprungener Welt- und Himmelsstürmer hat anderes zu tun. Aber auch an seine nächtlichen Träume wird der flotte Bursche kaum gedacht haben; erst später, als ich gewohnt worden war, über alles nachzudenken, oder auch, als sich der Philister in mir wieder ein wenig zu regen begann, fiel es mir auf, wieso ich denn – wenn ich überhaupt träumte – allemal der Schneidergesell war und daß ich solchergestalt schon so lange Zeit bei meinem Lehrmeister unentgeltlich in der Werkstatt arbeitete. Ich war mir, wenn ich so neben ihm saß und nähte und bügelte, sehr wohl bewußt, daß ich eigentlich nicht mehr dorthin gehöre, daß ich mich als Städter mit anderen Dingen zu befa**en habe; doch hatte ich stets Ferien, war stets auf der Sommerfrische, und so saß ich zur Aushilfe beim Lehrmeister. Es war mir oft gar unbehaglich, ich bedauerte den Verlust der Zeit, in welcher ich mich besser und nützlicher zu beschäftigen gewußt hätte. Vom Lehrmeister mußte ich mir mitunter, wenn etwas nicht ganz nach Maß und Schnitt ausfallen wollte, eine Rüge gefallen la**en; von einem Wochenlohn jedoch war gar niemals die Rede. Oft, wenn ich mit gekrümmtem Rücken in der dunklen Werkstatt so dasaß, nahm ich mir vor, die Arbeit zu kündigen und mich fremd zu machen. Einmal tat ich's sogar, jedoch der Meister nahm keine Notiz davon, und nächstens saß ich doch wieder bei ihm und nähte.
Wie mich nach solch langweiligen Stunden das Erwachen beglückte! Und da nahm ich mir vor, wenn dieser zudringliche Traum sich wieder einmal einstellen sollte, ihn mit Energie von mir zu werfen und laut auszurufen: es ist nur Gaukelspiel, ich liege im Bette und will schlafen... Und in der nächsten Nacht saß ich doch wieder in der Schneiderwerkstatt.
So ging es Jahre in unheimlicher Regelmäßigkeit fort. Da war es einmal, als wir, der Meister und ich, beim Alpelhofer arbeiteten, bei jenem Bauern, wo ich in die Lehre eingetreten war, daß sich mein Meister ganz besonders unzufrieden mit meinen Arbeiten zeigte. ›Möcht' nur wissen, wo du deine Gedanken hast!‹ sagte er und sah mich etwas finster an. Ich dachte, das Vernünftigste wäre, wenn ich jetzt aufstünde, dem Meister bedeutete, daß ich nur aus Gefälligkeit bei ihm sei, und wenn ich dann davonging. Aber ich tat es nicht. Ich ließ es mir gefallen, als der Meister einen Lehrling aufnahm und mir befahl, demselben auf der Bank Platz zu machen. Ich rückte in den Winkel und nähte. An demselben Tage wurde auch noch ein Geselle aufgenommen, bigott, es war der Böhm, der vor neunzehn Jahren bei uns gearbeitet hatte und damals auf dem Wege vom Wirtshause in den Bach gefallen war. Als er sich setzen wollte, war kein Platz da. Ich blickte den Meister fragend an, und dieser sagte zu mir: ›Du hast ja doch keinen Schick zur Schneiderei, du kannst gehen, du bist fremd gemacht.‹ – So übermächtig war hierüber mein Schreck, daß ich erwachte.
Das Morgengrauen schimmerte zu den klaren Fenstern herein in mein trautes Heim. Gegenstände der Kunst umgaben mich; im stilvollen Bücherschrank harrte meiner der ewige Homer, der gigantische Dante, der unvergleichliche Shakespeare, der glorreiche Goethe – die Herrlichen, die Unsterblichen alle. Vom Nebenzimmer her klangen die hellen Stimmchen der erwachenden und mit ihrer Mutter schäkernden Kinder. Mir war zumute, als hätte ich dieses idyllisch süße, dieses friedensmilde und poesiereiche, helldurchgeistigte Leben, in welchem ich das beschauliche menschliche Glück so oft und tief empfand, von neuem wiedergefunden. Und doch wurmte es mich, daß ich mit der Kündigung meinem Meister nicht zuvorgekommen, sondern von ihm abgedankt worden war.
Und wie merkwürdig ist mir das: Mit jener Nacht, da mich der Meister ›fremd gemacht‹ hatte, genieße ich Ruhe, träume nicht mehr von meiner in ferner Vergangenheit liegenden Schneiderzeit, die in ihrer Anspruchslosigkeit ja so heiter war und die doch einen so langen Schatten in meine späteren Lebensjahre hereingeworfen hat.«
In dieser Traumreihe des Dichters, der in seinen jungen Jahren Schneidergeselle gewesen war, fällt es schwer, das Walten der Wunscherfüllung zu erkennen. Alles Erfreuliche liegt im Tagesleben, während der Traum den gespenstigen Schatten einer endlich überwundenen unerfreulichen Existenz fortzuschleppen scheint. Eigene Träume von ähnlicher Art haben mich in den Stand gesetzt, einige Aufklärung über solche Träume zu geben. Ich habe als junger Doktor lange Zeit im chemischen Institut gearbeitet, ohne es in den dort erforderten Künsten zu etwas bringen zu können, und denke darum im Wachen niemals gern an diese unfruchtbare und eigentlich beschämende Episode meines Lernens. Dagegen ist es bei mir ein wiederkehrender Traum geworden, daß ich im Laboratorium arbeite, an*lysen mache, Verschiedenes erlebe usw.; diese Träume sind ähnlich unbehaglich wie die Prüfungsträume und niemals sehr deutlich. Bei der Deutung eines dieser Träume wurde ich endlich auf das Wort »an*lyse« aufmerksam, das mir den Schlüssel zum Verständnis bot. Ich bin ja seither »an*lytiker« geworden, mache an*lysen, die sehr gelobt werden, allerdings Psychoan*lysen. Ich verstand nun: wenn ich auf diese Art von an*lysen im Tagesleben stolz geworden bin, mich vor mir selbst rühmen möchte, wie weit ich es gebracht habe, hält mir nächtlicherweile der Traum jene anderen mißglückten an*lysen vor, auf die stolz zu sein ich keinen Grund hatte; es sind Strafträume des Emporkömmlings, wie die des Schneidergesellen, der ein gefeierter Dichter geworden war. Wie wird es aber dem Traume möglich, sich in dem Konflikt zwischen Parvenüstolz und Selbstkritik in den Dienst der letzteren zu stellen und eine vernünftige Warnung anstatt einer unerlaubten Wunscherfüllung zum Inhalt zu nehmen? Ich erwähnte schon, daß die Beantwortung dieser Frage Schwierigkeiten macht. Wir können erschließen, daß zunächst eine übermütige Ehrgeizphantasie die Grundlage des Traumes bildete; an ihrer Statt ist aber ihre Dämpfung und Beschämung in den Trauminhalt gelangt. Man darf daran erinnern, daß es masochistische Tendenzen im Seelenleben gibt, denen man eine solche Umkehrung zuschreiben darf. Ich könnte nichts dagegen haben, wenn man diese Art von Träumen als Strafträume von den Wunscherfüllungsträumen abtrennte. Ich würde darin keine Einschränkung der bisher vertretenen Theorie des Traumes erblicken, sondern bloß ein sprachliches Entgegenkommen für die Auffa**ung, welcher das Zusammenfallen von Gegensätzen fremdartig erscheint. Genaueres Eingehen auf einzelne dieser Träume läßt aber noch anderes erkennen. In dem undeutlichen Beiwerk eines meiner Laboratoriumsträume hatte ich gerade jenes Alter, welches mich in das düsterste und erfolgloseste Jahr meiner ärztlichen Laufbahn versetzte; ich hatte noch keine Stellung und wußte nicht, wie ich mein Leben erhalten sollte, aber dabei fand sich plötzlich, daß ich die Wahl zwischen mehreren Frauen hatte, die ich heiraten sollte! Ich war also wieder jung und vor allem, sie war wieder jung, die Frau, die alle diese schweren Jahre mit mir geteilt hatte. Somit war einer der unablässig nagenden Wünsche des alternden Mannes als der unbewußte Traumerreger verraten. Der in anderen psychischen Schichten tobende Kampf zwischen der Eitelkeit und der Selbstkritik hatte zwar den Trauminhalt bestimmt, aber der tiefer wurzelnde Jugendwunsch hatte ihn allein als Traum möglich gemacht. Man sagt sich auch manchmal im Wachen: Es ist ja sehr gut heute, und es war einmal eine harte Zeit; aber es war doch schön damals; du warst ja noch so jung [Fußnote].
Eine andere Gruppe von Träumen, die ich bei mir selbst häufig gefunden und als heuchlerisch erkannt habe, hat zum Inhalt die Versöhnung mit Personen, zu denen die freundschaftlichen Beziehungen längst erloschen sind. Die an*lyse deckt dann regelmäßig einen Anlaß auf, der mich auffordern könnte, den letzten Rest von Rücksicht auf diese ehemaligen Freunde beiseite zu setzen und sie wie Fremde oder wie Feinde zu behandeln. Der Traum aber gefällt sich darin, die gegensätzliche Relation auszumalen.
Bei der Beurteilung von Träumen, die ein Dichter mitteilt, darf man oft genug annehmen, daß er solche als störend empfundene und für unwesentlich erachtete Einzelheiten des Trauminhalts von der Mitteilung ausgeschlossen hat. Seine Träume geben uns dann Rätsel auf, die bei exakter Wiedergabe des Trauminhalts bald zu lösen wären.
O. Rank machte mich auch aufmerksam, daß im Grimmschen Märchen vom tapferen Schneiderlein oder ›Sieben auf einen Streich‹ ein ganz ähnlicher Traum eines Emporkömmlings erzählt wird. Der Schneider, der Heros und Schwiegersohn des Königs geworden ist, träumt eines Nachts bei der Prinzessin, seiner Gemahlin, von seinem Handwerk; diese, mißtrauisch geworden, bestellt nun Bewaffnete für die nächste Nacht, die das aus dem Traum Gesprochene anhören und sich der Person des Träumers versichern sollen. Aber das Schneiderlein ist gewarnt und weiß jetzt den Traum zu korrigieren.
Die Komplikation der Aufhebungs-, Subtraktions- und Verkehrungsvorgänge, durch welche endlich aus den Affekten der Traumgedanken die des Traumes werden, läßt sich an geeigneten Synthesen vollständig an*lysierter Träume gut überblicken. Ich will hier noch einige Beispiele der Affektregung im Traume behandeln, die etwa einige der besprochenen Fälle als realisiert erweisen.
V
In dem Traume von der sonderbaren Aufgabe, die mir der alte Brücke stellt, mein eigenes Becken zu präparieren, vermisse ich im Traume selbst das dazugehörige Grauen. Dies ist nun Wunscherfüllung in mehr als einem Sinne. Die Präparation bedeutet die Selbstan*lyse, die ich gleichsam durch die Veröffentlichung des Traumbuches vollziehe, die mir in Wirklichkeit so peinlich war, daß ich den Druck des bereitliegenden Man*skripts um mehr als ein Jahr aufgeschoben habe. Es regt sich nun der Wunsch, daß ich mich über diese abhaltende Empfindung hinaussetzen möge, darum verspüre ich im Traume kein Grauen. Das »Grauen« im anderen Sinne möchte ich auch gerne vermissen; es graut bei mir schon ordentlich, und dies Grau der Haare mahnt mich gleichfalls, nicht länger zurückzuhalten. Wir wissen ja, daß am Schlusse des Traums der Gedanke zur Darstellung durchdringt, ich würde es den Kindern überla**en müssen, in der schwierigen Wanderung ans Ziel zu kommen.
In den zwei Träumen, die den Ausdruck der Befriedigung in die nächsten Augenblicke nach dem Erwachen verlegen, ist diese Befriedigung das eine Mal motiviert durch die Erwartung, ich werde jetzt erfahren, was es heißt, »ich habe schon davon geträumt«, und bezieht sich eigentlich auf die Geburt der ersten Kinder, das andere Mal durch die Überzeugung, es werde jetzt eintreffen, »was sich durch ein Vorzeichen angekündigt hat«, und diese Befriedigung ist die nämliche, die seinerzeit den zweiten Sohn begrüßt hat. Es sind hier im Traume die Affekte verblieben, die in den Traumgedanken herrschen, aber es geht wohl in keinem Traume so ganz einfach zu. Vertieft man sich ein wenig in beide an*lysen, so erfährt man, daß diese der Zensur nicht unterliegende Befriedigung einen Zuzug aus einer Quelle erhält, welche die Zensur zu fürchten hat und deren Affekt sicherlich Widerspruch erregen würde, wenn er sich nicht durch den gleichartigen, gerne zugela**enen Befriedigungsaffekt aus der erlaubten Quelle decken, sich gleichsam hinter ihm einschleichen würde. Ich kann dies leider nicht an dem Traumbeispiel selbst erweisen, aber ein Beispiel aus anderer Sphäre wird meine Meinung verständlich machen. Ich setze folgenden Fall: Es gäbe in meiner Nähe eine Person, die ich ha**e, so daß in mir eine lebhafte Regung zustande kommt, mich zu freuen, wenn ihr etwas widerfährt. Dieser Regung gibt aber das Moralische in meinem Wesen nicht nach; ich wage es nicht, den Unglückswunsch zu äußern, und nachdem ihr unverschuldet etwas zugestoßen ist, unterdrücke ich meine Befriedigung darüber und nötige mich zu Äußerungen und Gedanken des Bedauerns. Jedermann wird sich schon in solcher Lage befunden haben. Nun ereigne es sich aber, daß die gehaßte Person sich durch eine Überschreitung eine wohlverdiente Unannehmlichkeit zuziehe; dann darf ich meiner Befriedigung darüber freien Lauf la**en, daß sie von der gerechten Strafe getroffen worden ist, und äußere mich darin übereinstimmend mit vielen anderen, die unparteiisch sind. Ich kann aber die Beobachtung machen, daß meine Befriedigung intensiver ausfällt als die der anderen; sie hat einen Zuzug aus der Quelle meines Ha**es erhalten, der bis dahin von der inneren Zensur verhindert war, Affekt zu liefern, unter den geänderten Verhältnissen aber nicht mehr gehindert wird. Dieser Fall trifft in der Gesellschaft allgemein zu, wo antipathische Personen oder Angehörige einer ungern gesehenen Minorität eine Schuld auf sich laden. Ihre Bestrafung entspricht dann gewöhnlich nicht ihrem Verschulden, sondern dem Verschulden vermehrt um das bisher effektlose Übelwollen, das sich gegen sie richtet. Die Strafenden begehen dabei zweifellos eine Ungerechtigkeit; sie werden aber an der Wahrnehmung derselben gehindert durch die Befriedigung, welche ihnen die Aufhebung einer lange festgehaltenen Unterdrückung in ihrem Inneren bereitet. In solchen Fällen ist der Affekt seiner Qualität nach zwar berechtigt, aber nicht sein Ausmaß; und die in dem einen Punkt beruhigte Selbstkritik vernachlässigt nur zu leicht die Prüfung des zweiten Punktes. Wenn einmal die Türe geöffnet ist, so drängen sich leicht mehr Leute durch, als man ursprünglich einzula**en beabsichtigte.
Der auffällige Zug des neurotischen Charakters, daß affektfähige Anlässe bei ihm eine Wirkung erzielen, die, qualitativ berechtigt, quantitativ über das Maß hinausgeht, erklärt sich auf diese Weise, soweit er überhaupt eine psychologische Erklärung zuläßt. Der Überschuß rührt aber aus unbewußt gebliebenen, bis dahin unterdrückten Affektquellen her, die mit dem realen Anlaß eine a**oziative Verbindung herstellen können und für deren Affektentbindung die einspruchsfreie und zugela**ene Affektquelle die erwünschte Bahnung eröffnet. Wir werden so aufmerksam gemacht, daß wir zwischen der unterdrückten und der unterdrückenden seelischen Instanz nicht ausschließlich die Beziehungen gegenseitiger Hemmung ins Auge fa**en dürfen. Ebensoviel Beachtung verdienen die Fälle, in denen die beiden Instanzen durch Zusammenwirken, durch gegenseitige Verstärkung, einen pathologischen Effekt zustande bringen. Diese andeutenden Bemerkungen über psychische Mechanik wolle man nun zum Verständnis der Affektäußerungen des Traumes verwenden. Eine Befriedigung, die sich im Traume kundgibt und die natürlich alsbald an ihrer Stelle in den Traumgedanken aufzufinden ist, ist durch diesen Nachweis allein nicht immer vollständig aufgeklärt. In der Regel wird man für sie eine zweite Quelle in den Traumgedanken aufzusuchen haben, auf welcher der Druck der Zensur lastet und die unter diesem Drucke nicht Befriedigung, sondern den gegenteiligen Affekt ergeben hätte, die aber durch die Anwesenheit der ersten Traumquelle in den Stand gesetzt wird, ihren Befriedigungsaffekt der Verdrängung zu entziehen und als Verstärkung zu der Befriedigung aus anderer Quelle stoßen zu la**en. So erscheinen die Affekte im Traume als zusammengefaßt aus mehreren Zuflüssen und als überdeterminiert in bezug auf das Material der Traumgedanken; Affektquellen, die den nämlichen Affekt liefern können, treten bei der Traumarbeit zur Bildung desselben zusammen [Fußnote].
Ein wenig Einblick in diese verwickelten Verhältnisse erhält man durch die an*lyse des schönen Traumes, in dem »Non vixit« den Mittelpunkt bildet (vgl. S. 408 ff.). In diesem Traum sind die Affektäußerungen von verschiedener Qualität an zwei Stellen des manifesten Inhalts zusammengedrängt. Feindselige und peinliche Regungen (im Traume selbst heißt es »von merkwürdigen Affekten ergriffen«) überlagern einander dort, wo ich den gegnerischen Freund mit den beiden Worten vernichte. Am Ende des Traumes bin ich ungemein erfreut und urteile dann anerkennend über eine im Wachen als absurd erkannte Möglichkeit, daß es nämlich Revenants gibt, die man durch den bloßen Wunsch beseitigen kann.
Ich habe die Veranla**ung dieses Traumes noch nicht mitgeteilt. Sie ist eine wesentliche und führt tief in das Verständnis des Traumes hinein. Ich hatte von meinem Freunde in Berlin (den ich mit Fl. bezeichnet habe) die Nachricht bekommen, daß er sich einer Operation unterziehen werde und daß in Wien lebende Verwandte mir die weiteren Auskünfte über sein Befinden geben würden. Diese ersten Nachrichten nach der Operation lauteten nicht erfreulich und machten mir Sorge. Ich wäre am liebsten selbst zu ihm gereist, aber ich war gerade zu jener Zeit mit einem schmerzhaften Leiden behaftet, das mir jede Bewegung zur Qual machte. Aus den Traumgedanken erfahre ich nun, daß ich für das Leben des teuren Freundes fürchtete. Seine einzige Schwester, die ich nie gekannt, war, wie ich wußte, in jungen Jahren nach kürzester Krankheit gestorben. (Im Traum: Fl. erzählt von seiner Schwester und sagt: in drei viertel Stunden war sie tot.) Ich muß mir eingebildet haben, daß seine eigene Natur nicht viel resistenter sei, und mir vorgestellt, daß ich auf weit schlimmere Nachrichten nun endlich doch reise – und zu spät komme, worüber ich mir ewige Vorwürfe machen könnte [Fußnote]. Dieser Vorwurf wegen des Zuspätkommens ist zum Mittelpunkt des Traumes geworden, hat sich aber in einer Szene dargestellt, in der der verehrte Meister meiner Studentenjahre Brücke mir mit einem fürchterlichen Blicke seiner blauen Augen den Vorwurf macht. Was diese Ablenkung der Szene zustande gebracht, wird sich bald ergeben; die Szene selbst kann der Traum nicht so reproduzieren, wie ich sie erlebt habe. Er läßt zwar dem anderen die blauen Augen, aber er gibt mir die vernichtende Rolle, eine Umkehrung, die offenbar das Werk der Wunscherfüllung ist. Die Sorge um das Leben des Freundes, der Vorwurf, daß ich nicht zu ihm hinreise, meine Beschämung (er ist »unauffällig« – zu mir – nach Wien gekommen), mein Bedürfnis, mich durch meine Krankheit für entschuldigt zu halten, das alles setzt den Gefühlssturm zusammen, der, im Schlaf deutlich verspürt, in jener Region der Traumgedanken tobt.
An der Traumveranla**ung war aber noch etwas anderes, was auf mich eine ganz entgegengesetzte Wirkung hatte. Bei den ungünstigen Nachrichten aus den ersten Tagen der Operation erhielt ich auch die Mahnung, von der ganzen Angelegenheit mit niemandem zu sprechen, die mich beleidigte, weil sie ein überflüssiges Mißtrauen in meine Verschwiegenheit zur Voraussetzung hatte. Ich wußte zwar, daß dieser Auftrag nicht von meinem Freunde ausging, sondern einer Ungeschicklichkeit oder Überängstlichkeit des vermittelnden Boten entsprach, aber ich wurde von dem versteckten Vorwurf sehr peinlich berührt, weil er – nicht ganz unberechtigt war. Andere Vorwürfe als solche, an denen »etwas daran ist«, haften bekanntlich nicht, haben keine aufregende Kraft. Zwar nicht in der Sache meines Freundes, aber früher einmal in viel jüngeren Jahren hatte ich zwischen zwei Freunden, die beide auch mich zu meiner Ehrung so nennen wollten, überflüssigerweise etwas ausgeplaudert, was der eine über den anderen gesagt hatte. Auch die Vorwürfe, die ich damals zu hören bekam, habe ich nicht vergessen. Der eine der beiden Freunde, zwischen denen ich damals den Unfriedenstifter machte, war Professor Fleischl, der andere kann durch den Vornamen Josef, den auch mein im Traume auftretender Freund und Gegner P. führte, ersetzt werden.
Von dem Vorwurf, daß ich nichts für mich zu behalten vermöge, zeugen im Traume die Elemente unauffällig und die Frage Fl.s, wieviel von seinen Dingen ich P. denn mitgeteilt habe. Die Einmengung dieser Erinnerung ist es aber, welche den Vorwurf des Zuspätkommens aus der Gegenwart in die Zeit, da ich im Brückeschen Laboratorium lebte, verlegt, und indem ich die zweite Person in der Vernichtungsszene des Traums durch einen Josef ersetze, la**e ich diese Szene nicht nur den einen Vorwurf darstellen, daß ich zu spät komme, sondern auch den von der Verdrängung stärker betroffenen, daß ich kein Geheimnis bewahre. Die Verdichtungs- und Verschiebungsarbeit des Traumes, sowie deren Motive, werden hier augenfällig.
Der in der Gegenwart geringfügige Ärger über die Mahnung, nichts zu verraten, holt sich aber Verstärkungen aus in der Tiefe fließenden Quellen und schwillt so zu einem Strom feindseliger Regungen gegen in Wirklichkeit geliebte Personen an. Die Quelle, welche die Verstärkung liefert, fließt im Infantilen. Ich habe schon erzählt, daß meine warmen Freundschaften wie meine Feindschaften mit Gleichalterigen auf meinen Kinderverkehr mit einem um ein Jahr älteren Neffen zurückgehen, in dem er der Überlegene war, ich mich frühzeitig zur Wehre setzen lernte, wir unzertrennlich miteinander lebten und einander liebten, dazwischen, wie Mitteilungen älterer Personen bezeugen, uns rauften und – verklagten. Alle meine Freunde sind in gewissem Sinne Inkarnationen dieser ersten Gestalt, die »früh sich einst dem trüben Blick gezeigt«, Revenants. Mein Neffe selbst kam in den Jünglingsjahren wieder, und damals führten wir Cäsar und Brutus miteinander auf. Ein intimer Freund und ein gehaßter Feind waren mir immer notwendige Erfordernisse meines Gefühlslebens; ich wußte beide mir immer von neuem zu verschaffen, und nicht selten stellte sich das Kindheitsideal so weit her, daß Freund und Feind in dieselbe Person zusammenfielen, natürlich nicht mehr gleichzeitig oder in mehrfach wiederholter Abwechslung, wie es in den ersten Kinderjahren der Fall gewesen sein mag.
Auf welche Weise bei so bestehenden Zusammenhängen ein rezenter Anlaß zum Affekt bis auf den infantilen zurückgreifen kann, um sich durch ihn für die Affektwirkung zu ersetzen, das möchte ich hier nicht verfolgen. Es gehört der Psychologie des unbewußten Denkens an und fände seine Stelle in einer psychologischen Aufklärung der Neurosen. Nehmen wir für unsere Zwecke der Traumdeutung an, daß sich eine Kindererinnerung einstellt oder eine solche phantastisch gebildet wird etwa folgenden Inhalts: Die beiden Kinder geraten in Streit miteinander um ein Objekt – welches, la**en wir dahingestellt, obwohl die Erinnerung oder Erinnerungstäuschung ein ganz bestimmtes im Auge hat–; ein jeder behauptet, er sei früher gekommen, habe also das Vorrecht darauf; es kommt zur Schlägerei, Macht geht vor Recht; nach den Andeutungen des Traums könnte ich gewußt haben, daß ich im Unrecht bin (den Irrtum selbst bemerkend); ich bleibe aber diesmal der Stärkere, behaupte das Schlachtfeld, der Unterlegene eilt zum Vater, respektive Großvater, verklagt mich, und ich verteidige mich mit den mir durch die Erzählung des Vaters bekannten Worten: Ich habe ihn gelagt, weil er mich gelagt hat, so ist diese Erinnerung oder wahrscheinlicher Phantasie, die sich mir während der an*lyse des Traums – ohne weitere Gewähr, ich weiß selbst nicht wie – aufdrängt, ein Mittelstück der Traumgedanken, das die in den Traumgedanken waltenden Affektregungen, wie eine Brunnenschale die zugeleiteten Gewässer, sammelt. Von hier aus fließen die Traumgedanken in folgenden Wegen: Es geschieht dir ganz recht, daß du mir den Platz hast räumen müssen; warum hast du mich vom Platze verdrängen wollen? Ich brauche dich nicht, ich werde mir schon einen anderen verschaffen, mit dem ich spiele usw. Dann eröffnen sich die Wege, auf denen diese Gedanken wieder in die Traumdarstellung einmünden. Ein solches »Ôte-toi que je m'y mette« mußte ich seinerzeit meinem verstorbenen Freunde Josef zum Vorwurf machen. Er war in meine Fußstapfen als Aspirant im Brückeschen Laboratorium getreten, aber dort war das Avancement langwierig. Keiner der beiden Assistenten rückte von der Stelle, die Jugend wurde ungeduldig. Mein Freund, der seine Lebenszeit begrenzt wußte und den kein intimes Verhältnis an seinen Vordermann band, gab seiner Ungeduld gelegentlich lauten Ausdruck. Da dieser Vordermann ein Schwerkranker war, konnte der Wunsch, ihn beseitigt zu wissen, außer dem Sinn: durch eine Beförderung, auch eine anstößige Nebendeutung zula**en. Natürlich war bei mir einige Jahre vorher der nämliche Wunsch, eine freigewordene Stelle einzunehmen, noch viel lebhafter gewesen; wo immer es in der Welt Rangordnung und Beförderung gibt, ist ja der Weg für der Unterdrückung bedürftige Wünsche eröffnet. Shakespeares Prinz Hai kann sich nicht einmal am Bett des kranken Vaters der Versuchung entziehen, einmal zu probieren, wie ihm die Krone steht. Aber der Traum straft, wie begreiflich, diesen rücksichtslosen Wunsch nicht an mir, sondern an ihm [Fußnote].
»Weil er herrschsüchtig war, darum erschlug ich ihn.« Weil er nicht erwarten konnte, daß ihm der andere den Platz räume, darum ist er selbst hinweggeräumt worden. Diese Gedanken hege ich unmittelbar, nachdem ich in der Universität der Enthüllung des dem anderen gesetzten Denkmals beigewohnt habe. Ein Teil meiner im Traume verspürten Befriedigung deutet sich also: Gerechte Strafe; es ist dir recht geschehen.
Bei dem Leichenbegängnis dieses Freundes machte ein junger Mann die unpa**end scheinende Bemerkung: Der Redner habe so gesprochen, als ob jetzt die Welt ohne den einen Menschen nicht mehr bestehen könne. Es regte sich in ihm die Auflehnung des wahrhaften Menschen, dem man den Schmerz durch Übertreibung stört. Aber an diese Rede knüpfen sich die Traumgedanken an: Es ist wirklich niemand unersetzlich; wie viele habe ich schon zum Grabe geleitet; ich aber lebe noch, ich habe sie alle überlebt, ich behaupte den Platz. Ein solcher Gedanke im Moment, da ich fürchte, meinen Freund nicht mehr unter den Lebenden anzutreffen, wenn ich zu ihm reise, läßt nur die weitere Entwicklung zu, daß ich mich freue, wieder jemanden zu überleben, daß nicht ich gestorben bin, sondern er, daß ich den Platz behaupte wie damals in der phantasierten Kinderszene. Diese aus dem Infantilen kommende Befriedigung darüber, daß ich den Platz behaupte, deckt den Hauptanteil des in den Traum aufgenommenen Affekts. Ich freue mich darüber, daß ich überlebe, ich äußere das mit dem naiven Egoismus der Anekdote zwischen Ehegatten: »Wenn eines von uns stirbt, übersiedle ich nach Paris.« Es ist für meine Erwartung so selbstverständlich, daß nicht ich der eine bin.
Man kann sich's nicht verbergen, daß schwere Selbstüberwindung dazugehört, seine Träume zu deuten und mitzuteilen. Man muß sich als den einzigen Bösewicht enthüllen unter all den Edlen, mit denen man das Leben teilt. Ich finde es also ganz begreiflich, daß die Revenants nur so lange bestehen, als man sie mag, und daß sie durch den Wunsch beseitigt werden können. Das ist also das, wofür mein Freund Josef gestraft worden ist. Die Revenants sind aber die aufeinanderfolgenden Inkarnationen meines Kindheitsfreundes; ich bin also auch befriedigt darüber, daß ich mir diese Person immer wieder ersetzt habe, und auch für den, den ich jetzt zu verlieren im Begriffe bin, wird sich der Ersatz schon finden. Es ist niemand unersetzlich.
Wo bleibt hier aber die Traumzensur? Warum erhebt sie nicht den energischsten Widerspruch gegen diesen Gedankengang der rohesten Selbstsucht und verwandelt die an ihm haftende Befriedigung nicht in schwere Unlust? Ich meine, weil andere einwurfsfreie Gedankenzüge über die nämlichen Personen gleichfalls in Befriedigung ausgehen und mit ihrem Affekt jenen aus der verbotenen infantilen Quelle decken. In einer anderen Schicht von Gedanken habe ich mir bei jener feierlichen Denkmalenthüllung gesagt: Ich habe so viele teure Freunde verloren, die einen durch Tod, die anderen durch Auflösung der Freundschaft; es ist doch schön, daß sie sich mir ersetzt haben, daß ich den einen gewonnen habe, der mir mehr bedeutet, als die anderen konnten, und den ich jetzt in dem Alter, wo man nicht mehr leicht neue Freundschaften schließt, für immer festhalten werde. Die Befriedigung, daß ich diesen Ersatz für die verlorenen Freunde gefunden habe, darf ich ungestört in den Traum hinübernehmen, aber hinter ihr schleicht sich die feindselige Befriedigung aus infantiler Quelle mit ein. Die infantile Zärtlichkeit hilft sicherlich die heute berechtigte verstärken; aber auch der infantile Haß hat sich seinen Weg in die Darstellung gebahnt.
Im Traume ist aber außerdem ein deutlicher Hinweis auf einen anderen Gedankengang enthalten, der in Befriedigung auslaufen darf. Mein Freund hat kurz vorher nach langem Warten ein Töchterchen bekommen. Ich weiß, wie sehr er seine früh verlorene Schwester betrauert hat, und schreibe ihm, auf dieses Kind würde er die Liebe übertragen, die er zur Schwester empfunden; dieses kleine Mädchen würde ihn den unersetzlichen Verlust endlich vergessen machen.
So knüpft auch diese Reihe wieder an den Zwischengedanken des latenten Trauminhalts an, von dem die Wege nach entgegengesetzten Richtungen auseinandergehen: Es ist niemand unersetzlich. Sieh', nur Revenants; alles was man verloren hat, kommt wieder. Und nun werden die a**oziativen Bande zwischen den widerspruchsvollen Bestandteilen der Traumgedanken enger angezogen durch den zufälligen Umstand, daß die kleine Tochter meines Freundes denselben Namen trägt wie meine eigene kleine Jugendgespielin, die mit mir gleichalterige Schwester meines ältesten Freundes und Gegners. Ich habe den Namen »Pauline« mit Befriedigung gehört, und um auf dieses Zusammentreffen anzuspielen, habe ich im Traum einen Josef durch einen anderen Josef ersetzt und fand es unmöglich, den gleichen Anlaut in den Namen Fleischl und Fl. zu unterdrücken. Von hier aus läuft dann ein Gedankenfaden zur Namengebung bei meinen eigenen Kindern. Ich hielt darauf, daß ihre Namen nicht nach der Mode des Tages gewählt, sondern durch das Andenken an teure Personen bestimmt sein sollten. Ihre Namen machen die Kinder zu »Revenants«. Und schließlich, ist Kinder haben nicht für uns alle der einzige Zugang zur Unsterblichkeit?
Über die Affekte des Traums werde ich nur noch wenige Bemerkungen von einem anderen Gesichtspunkte aus anfügen. In der Seele des Schlafenden kann eine Affektneigung – was wir Stimmung heißen – als dominierendes Element enthalten sein und dann den Traum mitbestimmen. Diese Stimmung kann aus den Erlebnissen und Gedankengängen des Tages hervorgehen, sie kann somatische Quellen haben; in beiden Fällen wird sie von ihr entsprechenden Gedankengängen begleitet sein. Daß dieser Vorstellungsinhalt der Traumgedanken das eine Mal primär die Affektneigung bedingt, das andere Mal sekundär durch die somatisch zu erklärende Gefühlsdisposition geweckt wird, bleibt für die Traumbildung gleichgültig. Dieselbe steht alle Male unter der Einschränkung, daß sie nur darstellen kann, was Wunscherfüllung ist, und daß sie nur dem Wunsche ihre psychische Triebkraft entlehnen kann. Die aktuell vorhandene Stimmung wird dieselbe Behandlung erfahren wie die aktuell während des Schlafes auftauchende Sensation (vgl. S. 242 ), die entweder vernachlässigt wird oder im Sinne einer Wunscherfüllung umgedeutet. Peinliche Stimmungen während des Schlafes werden zu Triebkräften des Traumes, indem sie energische Wünsche wecken, die der Traum erfüllen soll. Das Material, an dem sie haften, wird so lange umgearbeitet, bis es zum Ausdruck der Wunscherfüllung verwendbar ist. Je intensiver und je dominierender das Element der peinlichen Stimmung in den Traumgedanken ist, desto sicherer werden die stärkst unterdrückten Wunschregungen die Gelegenheit, zur Darstellung zu kommen, benützen, da sie durch die aktuelle Existenz der Unlust, die sie sonst aus eigenem erzeugen müßten, den schwereren Teil der Arbeit für ihr Durchdringen zur Darstellung bereits erledigt finden, und mit diesen Erörterungen streifen wir wieder das Problem der Angstträume, die sich als der Grenzfall für die Traumleistung herausstellen werden.
I
DIE SEKUNDÄRE BEARBEITUNG
Wir wollen endlich an die Hervorhebung des vierten der bei der Traumbildung beteiligten Momente gehen.
Setzt man die Untersuchung des Trauminhalts in der vorhin eingeleiteten Weise fort, indem man auffällige Vorkommnisse im Trauminhalt auf ihre Herkunft aus den Traumgedanken prüft, so stößt man auch auf Elemente, für deren Aufklärung es einer völlig neuen Annahme bedarf. Ich erinnere an die Fälle, wo man sich im Traume wundert, ärgert, sträubt, und zwar gegen ein Stück des Trauminhalts selbst. Die meisten dieser Regungen von Kritik im Traum sind nicht gegen den Trauminhalt gerichtet, sondern erweisen sich als übernommene und pa**end verwendete Teile des Traummaterials, wie ich an geeigneten Beispielen dargelegt habe. Einiges der Art fügt sich aber einer solchen Ableitung nicht; man kann das Korrelat dazu im Traummaterial nicht auffinden. Was bedeutet z. B. die im Traum nicht gar seltene Kritik: Das ist ja nur ein Traum? Dies ist eine wirkliche Kritik des Traums, wie ich sie im Wachen üben könnte. Gar nicht selten ist sie auch nur die Vorläuferin des Erwachens; noch häufiger geht ihr selbst ein peinliches Gefühl vorher, das sich nach der Konstatierung des Traumzustandes beruhigt. Der Gedanke: »Das ist ja nur ein Traum« während des Traumes beabsichtigt aber da**elbe, was er auf offener Bühne im Munde der schönen Helena von Offenbach besagen soll; er will die Bedeutung des eben Erlebten herabdrücken und die Duldung des Weiteren ermöglichen. Er dient zur Einschläferung einer gewissen Instanz, die in dem gegebenen Moment alle Veranla**ung hätte, sich zu regen und die Fortsetzung des Traums – oder der Szene – zu verbieten. Es ist aber bequemer, weiterzuschlafen und den Traum zu dulden, »weil's doch nur ein Traum ist«. Ich stelle mir vor, daß die verächtliche Kritik: Es ist ja nur ein Traum, dann im Traum auftritt, wenn die niemals ganz schlafende Zensur sich durch den bereits zugela**enen Traum überrumpelt fühlt. Es ist zu spät, ihn zu unterdrücken, somit begegnet sie mit jener Bemerkung der Angst, oder der peinlichen Empfindung, welche sich auf den Traum hin erhebt. Es ist eine Äußerung des esprit d'escalier von Seiten der psychischen Zensur.
An diesem Beispiel haben wir aber einen einwandfreien Beweis dafür, daß nicht alles, was der Traum enthält, aus den Traumgedanken stammt, sondern daß eine psychische Funktion, die von unserem wachen Denken nicht zu unterscheiden ist, Beiträge zum Trauminhalt liefern kann. Es fragt sich nun, kommt dies nur ganz ausnahmsweise vor, oder kommt der sonst nur als Zensur tätigen psychischen Instanz ein regelmäßiger Anteil an der Traumbildung zu?
Man muß sich ohne Schwa*ken für das letztere entscheiden. Es ist unzweifelhaft, daß die zensurierende Instanz, deren Einfluß wir bisher nur in Einschränkungen und Ausla**ungen im Trauminhalte erkannten, auch Einschaltungen und Vermehrungen desselben verschuldet. Diese Einschaltungen sind oft leicht kenntlich; sie werden zaghaft berichtet, mit einem »als ob« eingeleitet, haben an und für sich keine besonders hohe Lebhaftigkeit und sind stets an Stellen angebracht, wo sie zur Verknüpfung zweier Stücke des Trauminhalts, zur Anbahnung eines Zusammenhangs zwischen zwei Traumpartien dienen können. Sie zeigen eine geringere Haltbarkeit im Gedächtnis als die echten Abkömmlinge des Traummaterials; unterliegt der Traum dem Vergessen, so fallen sie zuerst aus, und ich hege die starke Vermutung, daß unsere häufige Klage, wir hätten soviel geträumt, das meiste davon vergessen und nur Bruchstücke behalten, auf dem alsbaldigen Ausfall gerade dieser Kittgedanken beruht. Bei vollständiger an*lyse verraten sich diese Einschaltungen manchmal dadurch, daß sich zu ihnen kein Material in den Traumgedanken findet. Doch muß ich bei sorgfältiger Prüfung diesen Fall als den selteneren bezeichnen; zumeist la**en sich die Schaltgedanken immerhin auf Material in den Traumgedanken zurückführen, welches aber weder durch seine eigene Wertigkeit noch durch Überdeterminierung Anspruch auf Aufnahme in den Traum erheben könnte. Die psychische Funktion bei der Traumbildung, die wir jetzt betrachten, erhebt sich, wie es scheint, nur im äußersten Falle zu Neuschöpfungen; solange es noch möglich ist, verwertet sie, was sie Taugliches im Traummaterial auswählen kann.
Was dieses Stück der Traumarbeit auszeichnet und verrät, ist seine Tendenz. Diese Funktion verfährt ähnlich, wie es der Dichter boshaft vom Philosophen behauptet: mit ihren Fetzen und Flicken stopft sie die Lücken im Aufbau des Traums. Die Folge ihrer Bemühung ist, daß der Traum den Anschein der Absurdität und Zusammenhangslosigkeit verliert und sich dem Vorbilde eines verständlichen Erlebnisses annähert. Aber die Bemühung ist nicht jedesmal vom vollen Erfolge gekrönt. Es kommen so Träume zustande, die für die oberflächliche Betrachtung tadellos logisch und korrekt erscheinen mögen; sie gehen von einer möglichen Situation aus, führen dieselbe durch widerspruchsfreie Veränderungen fort und bringen es, wiewohl dies am seltensten, zu einem nicht befremdenden Abschluß. Diese Träume haben die tiefgehendste Bearbeitung durch die dem wachen Denken ähnliche psychische Funktion erfahren; sie scheinen einen Sinn zu haben, aber dieser Sinn ist von der wirklichen Bedeutung des Traums auch am weitesten entfernt. an*lysiert man sie, so überzeugt man sich, daß hier die sekundäre Bearbeitung des Traums am freiesten mit dem Material umgesprungen ist, am wenigsten von dessen Relationen beibehalten hat. Es sind das Träume, die sozusagen schon einmal gedeutet worden sind, ehe wir sie im Wachen der Deutung unterziehen. In anderen Träumen ist diese tendenziöse Bearbeitung nur ein Stück weit gelungen; so weit scheint Zusammenhang zu herrschen, dann wird der Traum unsinnig oder verworren, vielleicht um sich noch ein zweites Mal in seinem Verlaufe zum Anschein des Verständigen zu erheben. In anderen Träumen hat die Bearbeitung überhaupt versagt; wir stehen wie hilflos einem sinnlosen Haufen von Inhaltsbrocken gegenüber.
Ich möchte dieser vierten den Traum gestaltenden Macht, die uns ja bald als eine bekannte erscheinen wird – sie ist in Wirklichkeit die einzige uns auch sonst vertraute unter den vier Traumbildnern–, ich möchte diesem vierten Momente also die Fähigkeit, schöpferisch neue Beiträge zum Traume zu liefern, nicht peremptorisch absprechen. Sicherlich aber äußert sich auch ihr Einfluß, wie der der anderen, vorwiegend in der Bevorzugung und Auswahl von bereits gebildetem psychischen Material in den Traumgedanken. Es gibt nun einen Fall, in dem ihr die Arbeit, an den Traum gleichsam eine Fa**ade anzubauen, zum größeren Teil dadurch erspart bleibt, daß im Material der Traumgedanken ein solches Gebilde, seiner Verwendung harrend, bereits fertig vorgefunden wird. Das Element der Traumgedanken, das ich im Auge habe, pflege ich als »Phantasie« zu bezeichnen; ich gehe vielleicht Mißverständnissen aus dem Wege, wenn ich sofort als das an*loge aus dem Wachleben den Tagtraum namhaft mache [Fußnote]. Die Rolle dieses Elements in unserem Seelenleben ist von den Psychiatern noch nicht erschöpfend erkannt und aufgedeckt worden; M.Benedikt hat mit dessen Würdigung einen, wie mir scheint, vielversprechenden Anfang gemacht. Dem unbeirrten Scharfblick der Dichter ist die Bedeutung des Tagtraums nicht entgangen; allgemein bekannt ist die Schilderung, die A.Daudet im Nabab von den Tagträumen einer der Nebenfiguren des Romans entwirft. Das Studium der Psychoneurosen führt zur überraschenden Erkenntnis, daß diese Phantasien oder Tagträume die nächsten Vorstufen der hysterischen Symptome – wenigstens einer ganzen Reihe von ihnen – sind; nicht an den Erinnerungen selbst, sondern an den auf Grund der Erinnerungen aufgebauten Phantasien hängen erst die hysterischen Symptome. Das häufige Vorkommen bewußter Tagesphantasien bringt diese Bildungen unserer Kenntnis nahe; wie es aber bewußt solche Phantasien gibt, so kommen überreichlich unbewußte vor, die wegen ihres Inhalts und ihrer Abkunft vom verdrängten Material unbewußt bleiben müssen. Eine eingehendere Vertiefung in die Charaktere dieser Tagesphantasien lehrt uns, mit wie gutem Rechte diesen Bildungen derselbe Name zugefallen ist, den unsere nächtlichen Denkproduktionen tragen, der Name: Träume. Sie haben einen wesentlichen Teil ihrer Eigenschaften mit den Nachtträumen gemein; ihre Untersuchung hätte uns eigentlich den nächsten und besten Zugang zum Verständnis der Nachtträume eröffnen können.
Wie die Träume sind sie Wunscherfüllungen; wie die Träume basieren sie zum guten Teil auf den Eindrücken infantiler Erlebnisse; wie die Träume erfreuen sie sich eines gewissen Nachla**es der Zensur für ihre Schöpfungen. Wenn man ihrem Aufbau nachspürt, so wird man inne, wie das Wunschmotiv, das sich in ihrer Produktion betätigt, das Material, aus dem sie gebaut sind, durcheinandergeworfen, umgeordnet und zu einem neuen Ganzen zusammengefügt hat. Sie stehen zu den Kindheitserinnerungen, auf die sie zurückgehen, etwa in demselben Verhältnis wie manche Barockpaläste Roms zu den antiken Ruinen, deren Quadern und Säulen das Material für den Bau in modernen Formen hergegeben haben.
In der »sekundären Bearbeitung«, die wir unserem vierten traumbildenden Moment gegen den Trauminhalt zugeschrieben haben, finden wir dieselbe Tätigkeit wieder, die sich bei der Schöpfung der Tagträume ungehemmt von anderen Einflüssen äußern darf. Wir könnten ohne weiteres sagen, dies unser viertes Moment sucht aus dem ihm dargebotenen Material etwas wie einen Tagtraum zu gestalten. Wo aber ein solcher Tagtraum bereits im Zusammenhange der Traumgedanken gebildet ist, da wird dieser Faktor der Traumarbeit sich seiner mit Vorliebe bemächtigen und dahin wirken, daß er in den Trauminhalt gelange. Es gibt solche Träume, die nur in der Wiederholung einer Tagesphantasie, einer vielleicht unbewußt gebliebenen, bestehen, so z.B. der Traum des Knaben, daß er mit den Helden des Trojanischen Krieges im Streitwagen fährt. In meinem Traume »Autodidasker« ist wenigstens das zweite Traumstück die getreue Wiederholung einer an sich harmlosen Tagesphantasie über meinen Verkehr mit dem ProfessorN. Es rührt aus der Komplikation der Bedingungen her, denen der Traum bei seinem Entstehen zu genügen hat, daß häufiger die vorgefundene Phantasie nur ein Stück des Traumes bildet oder daß nur ein Stück von ihr zum Trauminhalt hin durchdringt. Im ganzen wird dann die Phantasie behandelt wie jeder andere Bestandteil des latenten Materials; sie ist aber oft im Traume noch als Ganzes kenntlich. In meinen Träumen kommen oft Partien vor, die sich durch einen von den übrigen verschiedenen Eindruck hervorheben. Sie erscheinen mir wie fließend, besser zusammenhängend und dabei flüchtiger als andere Stücke desselben Traums; ich weiß, dies sind unbewußte Phantasien, die im Zusammenhange in den Traum gelangen, aber ich habe es nie erreicht, eine solche Phantasie zu fixieren. Im übrigen werden diese Phantasien wie alle anderen Bestandteile der Traumgedanken zusammengeschoben, verdichtet, die eine durch die andere überlagert u.dgl.; es gibt aber Übergänge von dem Falle, wo sie fast unverändert den Trauminhalt oder wenigstens die Traumfa**ade bilden dürfen, bis zu dem entgegengesetzten Fall, wo sie nur durch eines ihrer Elemente oder eine entfernte Anspielung an ein solches im Trauminhalt vertreten sind. Es bleibt offenbar auch für das Schicksal der Phantasien in den Traumgedanken maßgebend, welche Vorteile sie gegen die Ansprüche der Zensur und des Verdichtungszwanges zu bieten vermögen.
Bei meiner Auswahl von Beispielen für die Traumdeutung bin ich Träumen, in denen unbewußte Phantasien eine erhebliche Rolle spielen, möglichst ausgewichen, weil die Einführung dieses psychischen Elements weitläufige Erörterungen aus der Psychologie des unbewußten Denkens erfordert hätte. Gänzlich umgehen kann ich jedoch die »Phantasie« auch in diesem Zusammenhange nicht, da sie häufig voll in den Traum gelangt und noch häufiger deutlich durch ihn durchschimmert. Ich will etwa noch einen Traum anführen, der aus zwei verschiedenen, gegensätzlichen und einander an einzelnen Stellen deckenden Phantasien zusammengesetzt erscheint, von denen die eine die oberflächliche ist, die andere gleichsam zur Deutung der ersteren wird [Fußnote].
Der Traum lautet – es ist der einzige, über den ich keine sorgfältigen Aufzeichnungen besitze – ungefähr so: Der Träumer – ein unverheirateter junger Mann – sitzt in seinem, richtig gesehenen, Stammwirtshause; da erscheinen mehrere Personen, ihn abzuholen, darunter eine, die ihn verhaften will. Er sagt zu seinen Tischgenossen: Ich zahle später, ich komme wieder zurück. Aber die rufen hohnlächelnd: Das kennen wir schon, das sagt ein jeder. Ein Gast ruft ihm noch nach: Da geht wieder einer dahin. Er wird dann in ein enges Lokal geführt, wo er eine Frauensperson mit einem Kinde auf dem Arm findet. Einer seiner Begleiter sagt: Das ist der Herr Müller. Ein Kommissär, oder sonst eine Amtsperson, blättert in einem Packe von Zetteln oder Schriften und wiederholt dabei: Müller, Müller, Müller. Endlich stellt er an ihn eine Frage, die er mit ja beantwortet. Er sieht sich dann nach der Frauensperson um und merkt, daß sie einen großen Bart bekommen hat.
Die beiden Bestandteile sind hier leicht zu sondern. Das Oberflächliche ist eine Verhaftungsphantasie, sie scheint uns von der Traumarbeit neu gebildet. Dahinter aber wird als das Material, das von der Traumarbeit eine leichte Umformung erfahren hat, die Phantasie der Verheiratung sichtbar, und die Züge, die beiden gemeinsam sein können, treten wieder wie bei einer Galtonschen Mischphotographie besonders deutlich hervor. Das Versprechen des bisherigen Junggesellen, seinen Platz am Stammtische wieder aufzusuchen, der Unglaube der durch viele Erfahrungen gewitzigten Kneipgenossen, der Nachruf: Da geht (heiratet) wieder einer dahin, das sind auch für die andere Deutung leicht verständliche Züge. Ebenso das Jawort, das man der Amtsperson gibt. Das Blättern in einem Stoß von Papieren, wobei man denselben Namen wiederholt, entspricht einem untergeordneten, aber gut kenntlichen Zug aus den Hochzeitsfeierlichkeiten, dem Vorlesen der stoßweise angelangten Glückwunschtelegramme, die ja alle auf denselben Namen lauten. In dem persönlichen Auftreten der Braut in diesem Traum hat sogar die Heiratsphantasie den Sieg über die sie deckende Verhaftungsphantasie davongetragen. Daß diese Braut am Ende einen Bart zur Schau trägt, konnte ich durch eine Erkundigung – zu einer an*lyse kam es nicht – aufklären. Der Träumer war tags zuvor mit einem Freunde, der ebenso ehefeindlich ist wie er, über die Straße gegangen und hatte diesen Freund auf eine brünette Schönheit aufmerksam gemacht, die ihnen entgegenkam. Der Freund aber hatte bemerkt: Ja, wenn diese Frauen nur nicht mit den Jahren Bärte bekämen wie ihre Väter.
Natürlich fehlt es auch in diesem Traume nicht an Elementen, bei denen die Traumentstellung tiefer gehende Arbeit verrichtet hat. So mag die Rede: »Ich werde später zahlen« auf das zu befürchtende Benehmen des Schwiegervaters in betreff der Mitgift zielen. Offenbar halten den Träumer allerlei Bedenken ab, sich mit Wohlgefallen der Heiratsphantasie hinzugeben. Eines dieser Bedenken, daß man mit der Heirat seine Freiheit verliert, hat sich in der Umwandlung zu einer Verhaftungsszene verkörpert.
Wenn wir nochmals darauf zurückkommen wollen, daß die Traumarbeit sich gerne einer fertig vorgefundenen Phantasie bedient, anstatt eine solche erst aus dem Material der Traumgedanken zusammenzusetzen, so lösen wir mit dieser Einsicht vielleicht eines der interessantesten Rätsel des Traumes. Ich habe auf S. 52 f. den Traum von Maury erzählt, der, von einem Brettchen im Genick getroffen, mit einem langen Traum, einem kompletten Roman aus den Zeiten der großen Revolution, erwacht. Da der Traum für zusammenhängend ausgegeben wird und ganz auf die Erklärung des Weckreizes angelegt ist, von dessen Eintreffen der Schläfer nichts ahnen konnte, so scheint nur die eine Annahme übrigzubleiben, daß der ganze reiche Traum in dem kurzen Zeitraume zwischen dem Auffallen des Brettes auf Maurys Halswirbel und seinem durch diesen Schlag erzwungenen Erwachen komponiert worden und stattgefunden haben muß. Wir würden uns nicht getrauen, der Denkarbeit im Wachen eine solche Raschheit zuzuschreiben, und gelangten so dazu, der Traumarbeit eine bemerkenswerte Beschleunigung des Ablaufs als Vorrecht zuzugestehen.
Gegen diese rasch populär gewordene Folgerung haben neuere Autoren (Le Lorrain, 1894 und 1895, Egger, 1895, u. a.) lebhaften Einspruch erhoben. Sie zweifeln teils die Exaktheit des Traumberichts von Seiten Maurys an, teils versuchen sie darzutun, daß die Raschheit unserer wachen Denkleistungen nicht hinter dem zurückbleibt, was man der Traumleistung ungeschmälert la**en kann. Die Diskussion rollt prinzipielle Fragen auf, deren Erledigung mir nicht nahe bevorzustehen scheint. Ich muß aber bekennen, daß die Argumentation, z. B. Eggers, gerade gegen den Guillotinentraum Maurys mir keinen überzeugenden Eindruck gemacht hat. Ich würde folgende Erklärung dieses Traumes vorschlagen: Wäre es denn so sehr unwahrscheinlich, daß der Traum Maurys eine Phantasie darstellt, die in seinem Gedächtnis seit Jahren fertig aufbewahrt war und in dem Momente geweckt – ich möchte sagen: angespielt – wurde, da er den Weckreiz erkannte? Es entfällt dann zunächst die ganze Schwierigkeit, eine so lange Geschichte mit all ihren Einzelheiten in dem überaus kurzen Zeitraum, der hier dem Träumer zur Verfügung steht, zu komponieren; sie war bereits komponiert. Hätte das Holz Maurys Nacken im Wachen getroffen, so wäre etwa Raum für den Gedanken gewesen: Das ist ja geradeso, als ob man guillotiniert würde. Da er aber im Schlaf von dem Brette getroffen wird, so benützt die Traumarbeit den anlangenden Reiz rasch zur Herstellung einer Wunscherfüllung, als ob sie denken würde (dies ist durchaus figürlich zu nehmen): »Jetzt ist eine gute Gelegenheit, die Wunschphantasie wahr zu machen, die ich mir zu der und der Zeit bei der Lektüre gebildet habe.« Daß der geträumte Roman gerade ein solcher ist, wie ihn der Jüngling unter mächtig erregenden Eindrücken zu bilden pflegt, scheint mir nicht bestreitbar. Wer hätte sich nicht gefesselt gefühlt – und zumal als Franzose und Kulturhistoriker – durch die Schilderungen aus der Zeit des Schreckens, in der der Adel, Männer und Frauen, die Blüte der Nation, zeigte, wie man mit heiterer Seele sterben kann, die Frische ihres Witzes und die Feinheit ihrer Lebensformen bis zur verhängnisvollen Abberufung festhielt? Wie verlockend, sich da mitten hinein zu phantasieren als einer der jungen Männer, die sich mit einem Handkuß von der Dame verabschieden, um unerschrocken das Gerüst zu besteigen! Oder wenn der Ehrgeiz das Hauptmotiv des Phantasierens gewesen ist, sich in eine jener gewaltigen Individualitäten zu versetzen, die nur durch die Macht ihrer Gedanken und ihrer flammenden Beredsamkeit die Stadt beherrschen, in der damals das Herz der Menschheit krampfhaft schlägt, die Tausende von Menschen aus Überzeugung in den Tod schicken und die Umwandlung Europas anbahnen, dabei selbst ihrer Häupter nicht sicher sind und sie eines Tages unter das Messer der Guillotine legen, etwa in die Rolle der Girondisten oder des Heros Danton? Daß die Phantasie Maurys eine solche ehrgeizige gewesen ist, darauf scheint der in der Erinnerung erhaltene Zug hinzuweisen »von einer unübersehbaren Menschenmenge begleitet«.
Diese ganze, seit langem fertige Phantasie braucht aber während des Schlafes auch nicht durchgemacht zu werden; es genügt, wenn sie sozusagen »angetupft« wird. Ich meine das folgendermaßen: Wenn ein paar Takte angeschlagen werden und jemand wie im Don Juan dazu sagt: Das ist aus Figaros Hochzeit von Mozart, so wogt es in mir mit einem Male von Erinnerungen, aus denen sich im nächsten Moment nichts einzelnes zum Bewußtsein erheben kann. Das Schlagwort dient als Einbruchsstation, von der aus ein Ganzes gleichzeitig in Erregung versetzt wird. Nicht anders brauchte es im unbewußten Denken zu sein. Durch den Weckreiz wird die psychische Station erregt, die den Zugang zur ganzen Guillotinenphantasie eröffnet. Diese wird aber nicht noch im Schlaf durchlaufen, sondern erst in der Erinnerung des Erwachten. Erwacht, erinnert man jetzt in ihren Einzelheiten die Phantasie, an die als Ganzes im Traum gerührt wurde. Man hat dabei kein Mittel zur Versicherung, daß man wirklich etwas Geträumtes erinnert. Man kann dieselbe Erklärung, daß es sich um fertige Phantasien handelt, die durch den Weckreiz als Ganzes in Erregung gebracht werden, noch für andere auf den Weckreiz eingestellte Träume verwenden, z.B. für den Schlachtentraum Napoleons vor der Explosion der Höllenmaschine. Unter den Träumen, welche Justine Tobowolska in ihrer Dissertation über die scheinbare Zeitdauer im Traume gesammelt hat, erscheint mir jener der beweisendste, den Macario (1857) von einem Bühnendichter, Casimir Bonjour, berichtet [Fußnote]. Dieser Mann wollte eines Abends der ersten Aufführung eines seiner Stücke beiwohnen, war aber so ermüdet, daß er auf seinem Sitz hinter den Kulissen gerade in dem Momente einnickte, als sich der Vorhang hob. In seinem Schlaf machte er nun alle fünf Akte seines Stückes durch und beobachtete alle die verschiedenartigen Zeichen von Ergriffenheit, welche die Zuhörer bei den einzelnen Szenen äußerten. Nach der Beendigung der Vorstellung hörte er dann ganz selig, wie sein Name unter den lebhaftesten Beifallsbezeigungen verkündet wurde. Plötzlich wachte er auf. Er wollte weder seinen Augen noch seinen Ohren trauen, die Vorstellung war nicht über die ersten Verse der ersten Szene hinausgekommen; er konnte nicht länger als zwei Minuten geschlafen haben. Es ist wohl nicht zu gewagt, für diesen Traum zu behaupten, daß das Durcharbeiten der fünf Akte des Bühnenstücks und das Achten auf das Verhalten des Publikums bei den einzelnen Stellen keiner Neuproduktion während des Schlafes zu entstammen braucht, sondern eine bereits vollzogene Phantasiearbeit in dem angegebenen Sinne wiederholen kann. Die Tobowolska hebt mit anderen Autoren als gemeinsame Charaktere der Träume mit beschleunigtem Vorstellungsablauf hervor, daß sie besonders kohärent erscheinen, gar nicht wie andere Träume, und daß die Erinnerung an sie weit eher eine summarische als eine detaillierte ist. Dies wären aber gerade die Kennzeichen, welche solchen fertigen, durch die Traumarbeit angerührten Phantasien zukommen müßten, ein Schluß, welchen die Autoren allerdings nicht ziehen. Ich will nicht behaupten, daß alle Weckträume diese Erklärung zula**en oder daß das Problem des beschleunigten Vorstellungsablaufs im Traume auf diese Weise überhaupt wegzuräumen ist.
Es ist unvermeidlich, daß man sich hier um das Verhältnis dieser sekundären Bearbeitung des Trauminhalts zu den Faktoren der Traumarbeit bekümmere. Geht es etwa so vor sich, daß die traumbildenden Faktoren, das Verdichtungsbestreben, der Zwang, der Zensur auszuweichen, und die Rücksicht auf Darstellbarkeit in den psychischen Mitteln des Traumes, vorerst aus dem Material einen vorläufigen Trauminhalt bilden und daß dieser dann nachträglich umgeformt wird, bis er den Ansprüchen einer zweiten Instanz möglichst genügt? Dies ist kaum wahrscheinlich. Man muß eher annehmen, daß die Anforderungen dieser Instanz von allem Anfang an eine der Bedingungen abgeben, denen der Traum genügen soll, und daß diese Bedingung ebenso wie die der Verdichtung, der Widerstandszensur und der Darstellbarkeit gleichzeitig auf das große Material der Traumgedanken induzierend und auswählend einwirken. Unter den vier Bedingungen der Traumbildung ist aber die letzterkannte jedenfalls die, deren Anforderungen für den Traum am wenigsten zwingend erscheinen. Die Identifizierung dieser psychischen Funktion, welche die sogenannte sekundäre Bearbeitung des Trauminhaltes vornimmt, mit der Arbeit unseres wachen Denkens ergibt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit aus folgender Erwägung: Unser waches (vorbewußtes) Denken benimmt sich gegen ein beliebiges Wahrnehmungsmaterial ganz ebenso wie die in Frage stehende Funktion gegen den Trauminhalt. Es ist ihm natürlich, in einem solchen Material Ordnung zu schaffen, Relationen herzustellen, es unter die Erwartung eines intelligibeln Zusammenhangs zu bringen. Wir gehen darin eher zu weit; die Kunststücke der Taschenspieler äffen uns, indem sie sich auf diese unsere intellektuelle Gewohnheit stützen. In dem Bestreben, die gebotenen Sinneseindrücke verständlich zusammenzusetzen, begehen wir oft die seltsamsten Irrtümer oder fälschen selbst die Wahrheit des uns vorliegenden Materials. Die hieher gehörigen Beweise sind zu sehr allgemein bekannt, um breiter Anführung zu bedürfen. Wir lesen über sinnstörende Druckfehler hinweg, indem wir das Richtige illusionieren. Ein Redakteur eines vielgelesenen französischen Journals soll die Wette gewagt haben, er werde in jeden Satz eines langen Artikels durch den Druck einschalten la**en, »von vorne« oder »von hinten«, ohne daß einer der Leser es bemerken würde. Er gewann die Wette. Ein komisches Beispiel von falschem Zusammenhange ist mir vor Jahren bei der Zeitungslektüre aufgefallen. Nach jener Sitzung der französischen Kammer, in welcher Dupuy durch das beherzte Wort: »La séance continue« den Schreck über das Platzen der von einem Anarchisten in den Saal geworfenen Bombe aufhob, wurden die Besucher der Galerie als Zeugen über ihre Eindrücke von dem Attentat vernommen. Unter ihnen befanden sich zwei Leute aus der Provinz, deren einer erzählte, unmittelbar nach Schluß einer Rede habe er wohl eine Detonation vernommen, aber gemeint, es sei im Parlament Sitte, jedesmal, wenn ein Redner geendigt, einen Schuß abzufeuern. Der andere, der wahrscheinlich schon mehrere Redner angehört hatte, war in da**elbe Urteil verfallen, jedoch mit der Abänderung, daß solches Schießen eine Anerkennung sei, die nur nach besonders gelungenen Reden erfolge.
Es ist also wohl keine andere psychische Instanz als unser normales Denken, welche an den Trauminhalt mit dem Anspruch herantritt, er müsse verständlich sein, ihn einer ersten Deutung unterzieht und dadurch das volle Mißverständnis desselben herbeiführt. Für unsere Deutung bleibt es Vorschrift, den scheinbaren Zusammenhang im Traum, als seiner Herkunft nach verdächtig, in allen Fällen unbeachtet zu la**en und vom Klaren wie vom Verworrenen den gleichen Weg des Rückgangs zum Traummaterial einzuschlagen.
Wir merken aber dabei, wovon die oben, S. 327 f., erwähnte Qualitätenskala der Träume von der Verworrenheit bis zur Klarheit wesentlich abhängt. Klar erscheinen uns jene Traumpartien, an denen die sekundäre Bearbeitung etwas ausrichten konnte, verworren jene anderen, wo die Kraft dieser Leistung versagt hat. Da die verworrenen Traumpartien so häufig auch die minder lebhaft ausgeprägten sind, so dürfen wir den Schluß ziehen, daß die sekundäre Traumarbeit auch für einen Beitrag zur plastischen Intensität der einzelnen Traumgebilde verantwortlich zu machen ist.
Soll ich für die definitive Gestaltung des Traums, wie sie sich unter der Mitwirkung des normalen Denkens ergibt, irgendwo ein Vergleichsobjekt suchen, so bietet sich mir kein anderes als jene rätselhaften Inschriften, mit denen die Fliegenden Blätter so lange ihre Leser unterhalten haben. Für einen gewissen Satz, des Kontrastes halber dem Dialekt angehörig und von möglichst skurriler Bedeutung, soll die Erwartung erweckt werden, daß er eine lateinische Inschrift enthalte. Zu diesem Zwecke werden die Buchstabenelemente der Worte aus ihrer Zusammenfügung zu Silben gerissen und neu angeordnet. Hie und da kommt ein echt lateinisches Wort zustande, an anderen Stellen glauben wir Abkürzungen solcher Worte vor uns zu haben, und an noch anderen Stellen der Inschrift la**en wir uns mit dem Anscheine von verwitterten Partien oder von Lücken der Inschrift über die Sinnlosigkeit der vereinzelt stehenden Buchstaben hinwegtäuschen. Wenn wir dem Scherze nicht aufsitzen wollen, müssen wir uns über alle Requisite einer Inschrift hinwegsetzen, die Buchstaben ins Auge fa**en und sie unbekümmert um die gebotene Anordnung zu Worten unserer Muttersprache zusammensetzen.
Die sekundäre Bearbeitung ist jenes Moment der Traumarbeit, welches von den meisten Autoren bemerkt und in seiner Bedeutung gewürdigt worden ist. In heiterer Verbildlichung schildert H. Ellis dessen Leistung (1911, Einleitung, 10):
»Wir können uns die Sache tatsächlich so denken, daß das Schlafbewußtsein zu sich sagt: Hier kommt unser Meister, das Wachbewußtsein, der ungeheuer viel Wert auf Vernunft, Logik u. dgl. legt. Schnell! Faß die Dinge an, bringe sie in Ordnung, jede Anordnung genügt – ehe er eintritt, um vom Schauplatze Besitz zu ergreifen.«
Die Identität dieser Arbeitsweise mit der des wachen Denkens wird besonders klar von Delacroix (1904, 926) behauptet:
»Cette fonction d'interprétation n'est pas particulière au rêve; c'est le même travail de coordination logique que nous faisons sur nos sensations pendant la veille.«
J. Sully vertritt dieselbe Auffa**ung. Ebenso Tobowolska:
»Sur ces successions incohérentes d'hallucinations, l'esprit s'efforce de faire le même travail de coordination logique qu'il fait pendant la veille sur les sensations. Il relie entre elles par un lien imaginaire toutes ces images décousues et bouche les écarts trop grands qui se trouvaient entre elles.« (1900, 93.)
Einige Autoren la**en diese ordnende und deutende Tätigkeit noch während des Träumens beginnen und im Wachen fortgesetzt werden. So Paulhan (1894, 546):
»Cependant j'ai souvent pensé qu'il pouvait y avoir une certaine déformation, ou plutôt reformation, du rêve dans le souvenir... La tendence systématisante de l'imagination pourrait fort bien achever après le réveil ce qu'elle a ébauché pendant le sommeil. De la sorte, la rapidité réelle de la pensée serait augmentée en apparence par les perfectionnements dus à l'imagination éveillée.«
Leroy et Tobowolska (1901, 592):
»Dans le rêve, au contraire, l'interprétation et la coordination se font non seulement à l'aide des données du rêve, mais encore à l'aide de celles de la veille...«
Es konnte dann nicht ausbleiben, daß dieses einzig erkannte Moment der Traumbildung in seiner Bedeutung überschätzt wurde, so daß man ihm die ganze Leistung, den Traum geschaffen zu haben, zuschob. Diese Schöpfung sollte sich im Moment des Erwachens vollziehen, wie es Goblot (1896) und noch weitergehend Foucault (1906) annehmen, die dem Wachdenken die Fähigkeit zuschreiben, aus den im Schlaf auftauchenden Gedanken den Traum zu bilden.
Leroy et Tobowolska (1901) sagen über diese Auffa**ung: »On a cru pouvoir placer le rêve au moment du réveil, et ils ont attribué à la pensée de la veille la fonction de construire le rêve avec les images présentes dans la pensée du sommeil.«
An die Würdigung der sekundären Bearbeitung schließe ich die eines neuen Beitrags zur Traumarbeit, den feinsinnige Beobachtungen von H. Silberer aufgezeigt haben. Silberer hat, wie an anderer Stelle erwähnt (s. S. 339–40), die Umsetzung von Gedanken in Bilder gleichsam in flagranti erhascht, indem er sich in Zuständen von Müdigkeit und Schlaftrunkenheit zu geistiger Tätigkeit nötigte. Dann entschwand ihm der bearbeitete Gedanke, und an seiner Statt stellte sich eine Vision ein, welche sich als der Ersatz des meist abstrakten Gedankens erwies. (Siehe die Beispiele S. 340.) Bei diesen Versuchen ereignete es sich nun, daß das auftauchende, einem Traumelement gleichzusetzende Bild etwas anderes darstellte als den der Bearbeitung harrenden Gedanken, nämlich die Ermüdung selbst, die Schwierigkeit oder Unlust zu dieser Arbeit, also den subjektiven Zustand und die Funktionsweise der sich mühenden Person anstatt des Gegenstands ihrer Bemühung. Silberer nannte diesen bei ihm recht häufig eintretenden Fall das »funktionale Phänomen« zum Unterschiede von dem zu erwartenden »materialen«.
Z. B.: »Ich liege eines Nachmittags äußerst schläfrig auf meinem Sofa, zwinge mich aber, über ein philosophisches Problem nachzudenken. Ich suche nämlich die Ansichten Kants und Schopenhauers über die Zeit zu vergleichen. Es gelingt mir infolge meiner Schlaftrunkenheit nicht, die Gedankengänge beider nebeneinander festzuhalten, was zum Vergleich nötig wäre. Nach mehreren vergeblichen Versuchen präge ich mir noch einmal die Kantische Ableitung mit aller Willenskraft ein, um sie dann auf die Schopenhauersche Problemstellung anzuwenden. Hierauf lenke ich meine Aufmerksamkeit der letzteren zu; als ich jetzt auf Kant zurückgreifen will, zeigt es sich, daß er mir wieder entschwunden ist, vergebens bemühe ich mich, ihn von neuem hervorzuholen. Diese vergebliche Bemühung, die in meinem Kopf irgendwo verlegten Kant-Akten sogleich wiederzufinden, stellt sich mir nun bei geschlossenen Augen plötzlich wie im Traumbild als anschaulich-plastisches Symbol dar: Ich verlange eine Auskunft von einem mürrischen Sekretär, der, über einen Schreibtisch gebeugt, sich durch mein Drängen nicht stören läßt. Sich halb aufrichtend, blickt er mich unwillig und abweisend an.« (Silberer, 1909, 513 f.)
Andere Beispiele, die sich auf das Schwa*ken zwischen Schlaf und Wachen beziehen.
»Beispiel Nr. 2. – Bedingungen: Morgens beim Erwachen. In einer gewissen Schlaftiefe (Dämmerzustand) über einen vorherigen Traum nachdenkend, ihn gewissermaßen nach- und austräumend, fühle ich mich dem Wachbewußtsein näher kommend, ich will jedoch in dem Dämmerzustand noch verbleiben.
Szene: Ich schreite mit einem Fuß über einen Bach, ziehe ihn aber alsbald wieder zurück, trachte, herüben zu bleiben.« (Silberer, 1912, 625.) »Beispiel Nr. 6. – Bedingungen wie im Beispiele Nr. 4. (Er will noch ein wenig liegen bleiben, ohne zu verschlafen.) Ich will mich noch ein wenig dem Schlafe hingeben.
Szene: Ich verabschiede mich von jemand und vereinbare mit ihm (oder ihr), ihn (sie) bald wieder zu treffen.«
Das »funktionale« Phänomen, die »Darstellung des Zuständlichen anstatt des Gegenständlichen«, beobachtete Silberer wesentlich unter den zwei Verhältnissen des Einschlafens und des Aufwachens. Es ist leicht zu verstehen, daß nur der letztere Fall für die Traumdeutung in Betracht kommt. Silberer hat an guten Beispielen gezeigt, daß die Endstücke des manifesten Inhalts vieler Träume, an die das Erwachen unmittelbar anschließt, nichts anderes darstellen als den Vorsatz oder den Vorgang des Erwachens selbst. Dieser Absicht dient: das Überschreiten einer Schwelle (»Schwellensymbolik«), das Verla**en eines Raums, um einen anderen zu betreten, das Abreisen, Heimkommen, die Trennung von einem Begleiter, das Eintauchen in Wa**er und anderes. Ich kann allerdings die Bemerkung nicht unterdrücken, daß ich die auf Schwellensymbolik zu beziehenden Elemente des Traumes in eigenen Träumen wie in denen der von mir an*lysierten Personen ungleich seltener angetroffen habe, als man nach den Mitteilungen von Silberer erwarten sollte.
Es ist keineswegs undenkbar oder unwahrscheinlich, daß diese »Schwellensymbolik« auch für manche Elemente mitten im Zusammenhange eines Traumes aufklärend würde, z. B. an Stellen, wo es sich um Schwa*kungen der Schlaftiefe und Neigung, den Traum abzubrechen, handelte. Doch sind gesicherte Beispiele für dieses Vorkommen noch nicht erbracht. Häufiger scheint der Fall der Überdeterminierung vorzuliegen, daß eine Traumstelle, welche ihren materialen Inhalt aus dem Gefüge der Traumgedanken bezieht, überdies zur Darstellung von etwas Zuständlichem an der seelischen Tätigkeit verwendet wurde.
Das sehr interessante funktionale Phänomen Silberers hat ohne Verschulden seines Entdeckers viel Mißbrauch herbeigeführt, indem die alte Neigung zur abstrakt-symbolischen Deutung der Träume eine Anlehnung an da**elbe gefunden hat. Die Bevorzugung der »funktionalen Kategorie« geht bei manchen so weit, daß sie vom funktionalen Phänomen sprechen, wo immer intellektuelle Tätigkeiten oder Gefühlsvorgänge im Inhalt der Traumgedanken vorkommen, obwohl dieses Material nicht mehr und nicht weniger Anrecht hat, als Tagesrest in den Traum einzugehen, als alles andere.
Wir wollen anerkennen, daß die Silbererschen Phänomene einen zweiten Beitrag zur Traumbildung von Seite des Wachdenkens darstellen, welcher allerdings minder konstant und bedeutsam ist als der erste, unter dem Namen »sekundäre Bearbeitung« eingeführte. Es hatte sich gezeigt, daß ein Stück der bei Tage tätigen Aufmerksamkeit auch während des Schlafzustandes dem Traume zugewendet bleibt, ihn kontrolliert, kritisiert und sich die Macht vorbehält, ihn zu unterbrechen. Es hat uns nahegelegen, in dieser wachgebliebenen seelischen Instanz den Zensor zu erkennen, dem ein so starker eindämmernder Einfluß auf die Gestaltung des Traumes zufällt. Was die Beobachtungen von Silberer dazugeben, ist die Tatsache, daß unter Umständen eine Art von Selbstbeobachtung dabei mittätig ist und ihren Beitrag zum Trauminhalt liefert. Über die wahrscheinlichen Beziehungen dieser selbstbeobachtenden Instanz, die besonders bei philosophischen Köpfen vordringlich werden mag, zur endopsychischen Wahrnehmung, zum Beachtungswahn, zum Gewissen und zum Traumzensor geziemt es sich, an anderer Stelle zu handeln [Fußnote].
Ich gehe nun daran, diese ausgedehnten Erörterungen über die Traumarbeit zu resümieren. Wir fanden die Fragestellung vor, ob die Seele alle ihre Fähigkeiten in ungehemmter Entfaltung an die Traumbildung verwende oder nur einen in seiner Leistung gehemmten Bruchteil derselben. Unsere Untersuchungen leiten uns dazu, solche Fragestellung überhaupt als den Verhältnissen inadäquat zu verwerfen. Sollen wir aber bei der Antwort auf demselben Boden bleiben, auf den uns die Frage drängt, so müssen wir beide einander scheinbar durch Gegensatz ausschließenden Auffa**ungen bejahen. Die seelische Arbeit bei der Traumbildung zerlegt sich in zwei Leistungen: die Herstellung der Traumgedanken und die Umwandlung derselben zum Trauminhalt. Die Traumgedanken sind völlig korrekt und mit allem psychischen Aufwand, dessen wir fähig sind, gebildet; sie gehören unserem nicht bewußtgewordenen Denken an, aus dem durch eine gewisse Umsetzung auch die bewußten Gedanken hervorgehen. So viel an ihnen auch wissenswert und rätselhaft sein möge, diese Rätsel haben doch keine besondere Beziehung zum Traume und verdienen nicht, unter den Traumproblemen behandelt zu werden [Fußnote]. Hingegen ist jenes andere Stück Arbeit, welches die unbewußten Gedanken in den Trauminhalt verwandelt, dem Traumleben eigentümlich und für da**elbe charakteristisch. Diese eigentliche Traumarbeit entfernt sich nun von dem Vorbild des wachen Denkens viel weiter, als selbst die entschiedensten Verkleinerer der psychischen Leistung bei der Traumbildung gemeint haben. Sie ist nicht etwa nachlässiger, inkorrekter, vergeßlicher, unvollständiger als das wache Denken; sie ist etwas davon qualitativ völlig Verschiedenes und darum zunächst nicht mit ihm vergleichbar. Sie denkt, rechnet, urteilt überhaupt nicht, sondern sie beschränkt sich darauf umzuformen. Sie läßt sich erschöpfend beschreiben, wenn man die Bedingungen ins Auge faßt, denen ihr Erzeugnis zu genügen hat. Dieses Produkt, der Traum, soll vor allem der Zensur entzogen werden, und zu diesem Zwecke bedient sich die Traumarbeit der Verschiebung der psychischen Intensitäten bis zur Umwertung aller psychischen Werte; es sollen Gedanken ausschließlich oder vorwiegend in dem Material visueller und akustischer Erinnerungsspuren wiedergegeben werden, und aus dieser Anforderung erwächst für die Traumarbeit die Rücksicht auf Darstellbarkeit, der sie durch neue Verschiebungen entspricht. Es sollen (wahrscheinlich) größere Intensitäten hergestellt werden, als in den Traumgedanken nächtlich zur Verfügung stehen, und diesem Zwecke dient die ausgiebige Verdichtung, die mit den Bestandteilen der Traumgedanken vorgenommen wird. Auf die logischen Relationen des Gedankenmaterials entfällt wenig Rücksicht; sie finden schließlich in formalen Eigentümlichkeiten der Träume eine versteckte Darstellung. Die Affekte der Traumgedanken unterliegen geringeren Veränderungen als deren Vorstellungsinhalt. Sie werden in der Regel unterdrückt; wo sie erhalten bleiben, von den Vorstellungen abgelöst und nach ihrer Gleichartigkeit zusammengesetzt. Nur ein Stück der Traumarbeit, die in ihrem Ausmaß inkonstante Überarbeitung durch das zum Teil geweckte Wachdenken, fügt sich etwa der Auffa**ung, welche die Autoren für die gesamte Tätigkeit der Traumbildung geltend machen wollten.