Er sitzt auf dem Küchentisch im Schneidersitz In der kleinen Küche, verstreut um ihn liegen Kreide, Stoffbahnen, Schnipsel und Garn, Er summt vor sich hin und seine Hände fliegen. Sie führen Nadel und Faden geschickt, Pfeilschnell und wohlbedacht durch das Gewebe, Hebt die Hand, hält inne, hält Nadel und Garn Für einen prüfenden Blick in der Schwebe. Die Kinder kennen das Bild nur zu gut, Das Zuschneiden, Auftrennen, Nähen und Messen, Sie woll'n, da** der Tisch wieder ihnen gehört Für die kurze Zeit vor dem Abendessen. Und sie fragen die Mutter, was näht er denn grad', Und die Mutter flüstert, fast als wär's ein Verrat: Vaters Mantel Er näht ihn aus schweren kostbaren Tuch, Er näht ihn für immer, er näht ihn mit Liebe. Das hat er gelernt, als er vierzehn war, Und noch immer spürt er die Rohrstockhiebe, Wenn der Meister in blinden Zorn geriet, Weil ein Muster sich nicht in ein Muster fügte, Unsichtbar, nur einen Fadenbreit, Und das kleinste Versehen mit Schlägen rügte. Vom ersten Tageslicht bis in die Nacht, Und keinen Feiertag gab's bei dem Schinder. Zu fünft waren sie und sie nähten für ihn, Zu fünft und sie waren noch allesamt Kinder. Die Nähstube kalt und der Lohn jämmerlich. Aber diesen Mantel, den näht er für sich! Vaters Mantel Zu Haus acht Geschwister in karger Zeit, Er bringt sie durch mit dem Geschick seiner Hände, Näht, bügelt, wäscht für sie und er füllt Ihre Teller, wenn's eng wird zum Monatsende. Er heftet den Kragen an das Revers, Um das Fischgrätmuster genau anzusetzen, Näht das seidige Futter ein und er sieht
Sich heimkehren aus dem Krieg in einem Fetzen. Sieht sich im gottverla**enen Unterstand Noch für all die andern armen Teufel nähen, Fußlappen aus Fahnen und Uniform, Auf denen sie dann in Gefangenschaft gehen. Den Krümel Tabak teilt er brüderlich, Aber diesen Mantel, den näht er für sich! Vaters Mantel Er hat ihn betrachtet mit stillem Stolz: Die Stulpen am Ärmel, der aufrechte Kragen, Die Knöpfe, die Patten, die schnurgrade Naht, Im Dorf hat noch keiner so einen getragen. Er näht für die Frau und die Kinder jetzt Hosen und Rock, macht Neues aus alten Dingen, Macht Mützen und näht Kleider für das Dorf Aus den Stoffresten, die ihm die Leute bringen. Sie kommen gern auf einen kleinen Schwatz Herein, wenn sie das fertige Stück abholen, Sie loben die Arbeit, zahlen den Lohn, Und durch die Küchentür blicken sie verstohlen Auf den Flur: Da hängt er fein säuberlich Auf dem Bügel, ein Meisterstück Stich für Stich! Vaters Mantel Ich sehe ihn vor mir im Schneidersitz, Um ihn verstreut Schnipsel und Stoffreste, Das Maßband ausgerollt um seinen Hals, Bunte Fäden wie Orden auf seiner Weste. Er hat mir den Mantel geschenkt, als er Ihm groß geworden war in späten Jahren, Er hat mich geadelt mit dem Geschenk Und dem Vertrau'n, ihn in Ehren zu bewahren. Das gute Tuch, neu wie am ersten Tag, Die Stulpen, die Ärmel, der aufrechte Kragen! Ich trag ihn und trag die Erinnerung An den Schneider an ganz besonderen Tagen, Mit Freude, aufrecht und feierlich, Ich bin mir bewusst, heut trage ich Vaters Mantel.