Kapitel XIX
Vous pleurez, Madame?
Oh, mögen die Augen, die jetzt so schöne Tränen vergießen, noch lange die Welt mit ihren Strahlen erleuchten, und eine warme, liebe Hand möge sie einst zudrücken in der Stunde des Todes! Ein weiches Sterbekissen, Madame, ist auch eine gute Sache in der Stunde des Todes und möge Ihnen alsdann nicht fehlen; und wenn das schöne, müde Haupt darauf niedersinkt und die schwarzen Locken herabwallen über das verbleichende Antlitz: Oh, dann möge Ihnen Gott die Tränen vergelten, die für mich geflossen sind – denn ich bin selber der Ritter, für den Sie geweint haben, ich bin selber jener irrende Ritter der Liebe, der Ritter vom gefallenen Stern.
Vous pleurez, Madame?
Oh, ich kenne diese Tränen! Wozu soll die längere Verstellung? Sie, Madame, sind ja selbst die schöne Frau, die schon in Godesberg so lieblich geweint hat, als ich das trübe Märchen meines Lebens erzählte – Wie Perlen über Rosen rollten die schönen Tränen über die schönen Wangen – der Dachs schwieg, das Abendgeläute von Königswinter verhallte, der Rhein murmelte leiser, die Nacht bedeckte die Erde mit ihrem schwarzen Mantel, und ich saß zu Ihren Füßen, Madame, und sah in die Höhe, in den gestirnten Himmel – Im Anfang hielt ich Ihre Augen ebenfalls für zwei Sterne – Aber wie kann man solche schöne Augen mit Sternen verwechseln? Diese kalten Lichter des Himmels können nicht weinen über das Elend eines Menschen, der so elend ist, daß er nicht mehr weinen kann.
Und ich hatte noch besondere Gründe, diese Augen nicht zu verkennen – in diesen Augen wohnte die Seele der kleinen Veronika.
Ich habe nachgerechnet, Madame, Sie sind geboren just an dem Tage, als die kleine Veronika starb. Die Johanna in Andernacht hatte mir vorausgesagt, daß ich in Godesberg die kleine Veronika wiederfinden würde – und ich habe Sie gleich wieder erkannt – Das war ein schlechter Einfall, Madame, daß Sie damals starben, als die hübschen Spiele erst recht losgehen sollten. Seit die fromme Ursula mir gesagt »Das tut der Tod«, ging ich allein und ernsthaft in der großen Gemäldegalerie umher, die Bilder wollten mir nicht mehr so gut gefallen wie sonst, sie schienen mir plötzlich verblichen zu sein, nur ein einziges hatte Farbe und Glanz behalten – Sie wissen, Madame, welches Stück ich meine: –
Es ist der Sultan und die Sultanin von Delhi.
Erinnern Sie sich, Madame, wie wir oft stundenlang davor standen und die fromme Ursula so wunderlich schmunzelte, wenn es den Leuten auffiel, daß die Gesichter auf jenem Bilde mit den unsrigen so viele Ähnlichkeit hatten? Madame, ich finde, daß Sie auf jenem Bilde recht gut getroffen waren, und es ist unbegreiflich, wie der Maler Sie sogar bis auf die Kleidung darstellte, die Sie damals getragen. Man sagt, er sei wahnsinnig gewesen und habe Ihr Bild geträumt. Oder saß seine Seele vielleicht in dem großen, heiligen Affen, der Ihnen damals wie ein Jockei aufwartete? – in diesem Falle mußte er sich wohl des silbergrauen Schleiers erinnern, den er einst mit rotem Wein überschüttet und verdorben hat – Ich war froh, daß Sie ihn ablegten, er kleidete Sie nicht sonderlich, wie denn überhaupt die europäische Tracht für Frauenzimmer viel kleidsamer ist als die indische. Freilich, schöne Frauen sind schön in jeder Tracht. Erinnern Sie sich, Madame, daß ein galanter Brahmine – er sah aus wie Ganesa, der Gott mit dem Elefantenrüssel, der auf einer Maus reitet – Ihnen einst das Kompliment gemacht hat: die göttliche Maneka, als sie aus Indras goldner Burg zum königlichen Büßer-Wiswamitra hinabgestiegen, sei gewiß nicht schöner gewesen als Sie, Madame!
Sie erinnern sich dessen nicht mehr? Es sind ja kaum 3000 Jahre, seitdem Ihnen dieses gesagt worden, und schöne Frauen pflegen sonst eine zarte Schmeichelei nicht so schnell zu vergessen.
Indessen für Männer ist die indische Tracht weit kleidsamer als die europäische. Oh, meine rosaroten, lotosgeblümten Pantalons von Delhi! hätte ich euch getragen, als ich vor Signora Laura stand und um Liebe flehete – das vorige Kapitel hätte anders gelautet! Aber, ach! ich trug damals strohgelbe Pantalons, die ein nüchterner Chinese in Nanking gewebt – mein Verderben war hineingewebt – und ich wurde elend.
Oft sitzt ein junger Mensch in einem kleinen deutschen Kaffeestübchen und trinkt ruhig seine Ta**e Kaffee, und unterdessen im weiten, fernen China wächst und blüht sein Verderben und wird dort gesponnen und verwebt, und trotz der hohen Chinesischen Mauer weiß es seinen Weg zu finden zu dem jungen Menschen, der es für ein Paar Nankinghosen hält und diese arglos anzieht und elend wird – Und, Madame, in der kleinen Brust eines Menschen kann sich gar viel Elend verstecken und so gut versteckt halten, daß der arme Mensch selbst es tagelang nicht fühlt, und guter Dinge ist, und lustig tanzt und pfeift, und trällert – lalarallala, lalarallala, lalaral – la – la – la.