Ratcliff Der Traumgott brachte mich in eine Landschaft, Wo Trauerweiden mir »Willkommen« winkten Mit ihren langen, grünen Armen, wo die Blumen Mit klugen Schwesteraugen still mich ansahn, Wo mir vertraulich klang der Vögel Zwitschern, Wo gar der Hunde Bellen mir bekannt schien, Und Stimmen und Gestalten mich begrüßten, Wie einen alten Freund, und wo doch alles So fremd mir schien, so wunderseltsam fremd. Vor einem ländlich schmucken Hause stand ich, In meiner Brust bewegte sichs, im Kopfe Wars ruhig, ruhig schüttelte ich ab Den Staub von meinen Reisekleidern, Grell klang die Klingel, und die Tür ging auf. Da waren Männer, Frauen, viel bekannte Gesichter. Stiller Kummer lag auf allen Und heimlich scheue Angst. Seltsam verstört, Mit Beileidsmienen fast, sahn sie mich an, Daß es mir selber durch die Seele schauert', Wie Ahnung eines unbekannten Unheils. Die alte Margret hab ich gleich erkannt; Ich sah sie forschend an, jedoch sie sprach nicht. »Wo ist Maria!« fragt ich, jedoch sie sprach nicht, Griff leise meine Hand, und führte mich Durch viele lange, leuchtende Gemächer, Wo Prunk und Pracht und Totenstille herrschte, Und führt' mich endlich in ein dämmernd Zimmer, Und zeigt', mit abgewandtem Angesicht, Nach der Gestalt, die auf dem Sofa saß. »Sind Sie Maria?« fragt ich. Innerlich Erstaunt ich selber ob der Festigkeit, Womit ich sprach. Und steinern und metallos Scholl eine Stimm: »So nennen mich die Leute.« Ein schneidend Weh durchfröstelte mich da, Denn jener hohle, kalte Ton war doch Die einst so süße Stimme von Maria! Und jenes Weib im fahlen Lilakleid, Nachlässig angezogen, Busen schlotternd, Die Augen gläsern starr, die Wangenmuskeln Des weißen Angesichtes lederschlaff – Ach, jenes Weib war doch die einst so schöne, Die blühend holde liebliche Maria! »Sie waren lang auf Reisen!« sprach sie laut, Mit kalt unheimlicher Vertraulichkeit, »Sie schaun nicht mehr so schmachtend, liebster Freund, Sie sind gesund, und pralle Lend und Wade Bezeugt Solidität.« Ein süßlich Lächeln Umzitterte den gelblich bla**en Mund. In der Verwirrung sprachs aus mir hervor: »Man sagte mir, Sie haben sich vermählt!« »Ach ja!« sprach sie gleichgültig laut und lachend, »Hab einen Stock von Holz, der überzogen Mit Leder ist, Gemahl sich nennt; doch Holz Ist Holz!« Und klanglos widrig lachte sie, Daß kalte Angst durch meine Seele rann,
Und Zweifel mich ergriff: – sind das die keuschen, Die blumenkeuschen Lippen von Maria? Sie aber hob sich in die Höh, nahm rasch Vom Stuhl den Kaschmir, warf ihn Um ihren Hals, hing sich an meinen Arm, Zog mich von hinnen, durch die offne Haustür, Und zog mich fort durch Feld und Busch und Au. Die glühend rote Sonnenscheibe schwebte Schon niedrig, und ihr Purpur überstrahlte Die Bäume und die Blumen und den Strom, Der in der Ferne majestätisch floß. »Sehn Sie das große goldne Auge schwimmen Im blauen Wa**er?« rief Maria hastig. »Still, armes Wesen!« sprach ich, und ich schaute Im Dämmerlicht ein märchenhaftes Weben. Es stiegen Nebelbilder aus den Feldern, Umschlangen sich mit weißen, weichen Armen; die Veilchen sahn sich zärtlich an, sehnsüchtig Zusammenbeugten sich die Liljenkelche; Aus allen Rosen glühten Wollustgluten; Die Nelken wollten sich im Hauch entzünden; In selgen Düften schwelgten alle Blumen, Und alle weinten stille Wonnetränen, Und alle jauchzten: Liebe! Liebe! Liebe! Die Schmetterlinge flatterten, die hellen Goldkäfer summten feine Elfenliedchen, Die Abendwinde flüsterten, es rauschten Die Eichen, schmelzend sang die Nachtigall – Und zwischen all dem Flüstern, Rauschen, Singen Schwatzte mit blechern klanglos kalter Stimme Das welke Weib, das mir am Arme hing: »Ich kenn ihr nächtlich Treiben auf dem Schloß; Der lange Schatten ist ein guter Tropf, Er nickt und winkt zu allem, was man will; Der Blaurock ist ein Engel; doch der Rote, Mit blankem Schwert, ist ihnen spinnefeind.« Und noch viel buntre, wunderliche Reden Schwatzt' sie in einem fort, und setzte sich, Ermüdet, mit mir nieder auf die Moosbank, Die unterm alten Eichenbaume steht. Da saßen wir beisammen, still und traurig, Und sahn uns an, und wurden immer traurger. Die Eiche säuselte wie Sterbeseufzer, Tiefschmerzlich sang die Nachtigall herab. Doch rote Lichter drangen durch die Blätter, Umflimmerten Marias weißes Antlitz, Und lockten Glut aus ihren starren Augen, Und mit der alten, süßen Stimme sprach sie: »Wie wußtest Du, daß ich so elend bin? Ich las es jüngst in deinen wilden Liedern.« Eiskalt durchzogs mir da die Brust, mir grauste Ob meinem eignen Wahnsinn, der die Zukunft Geschaut, es zuckte dunkel durch mein Hirn, Und vor Entsetzen bin ich aufgewacht.