Bergidylle 1 Auf dem Berge steht die Hütte, Wo der alte Bergmann wohnt; Dorten rauscht die grüne Tanne, Und erglänzt der goldne Mond. In der Hütte steht ein Lehnstuhl, Ausgeschnitzelt wunderlich, Der darauf sitzt, der ist glücklich, Und der Glückliche bin Ich! Auf dem Schemel sitzt die Kleine, Stützt den Arm auf meinen Schoß; Äuglein wie zwei blaue Sterne, Mündlein wie die Purpurros. Und die lieben, blauen Sterne Schaun mich an so himmelgroß, Und sie legt den Liljenfinger Schalkhaft auf die Purpurros. Nein, es sieht uns nicht die Mutter, Denn sie spinnt mit großem Fleiß, Und der Vater spielt die Zither, Und er singt die alte Weis. Und die Kleine flüstert leise, Leise, mit gedämpftem Laut; Manches wichtige Geheimnis Hat sie mir schon anvertraut. »Aber seit die Muhme tot ist, Können wir ja nicht mehr gehn Nach dem Schützenhof zu Goslar, Dorten ist es gar zu schön. Hier dagegen ist es einsam, Auf der kalten Bergeshöh, Und des Winters sind wir gänzlich Wie begraben in dem Schnee. Und ich bin ein banges Mädchen, Und ich fürcht mich wie ein Kind Vor den bösen Bergesgeistern, Die des Nachts geschäftig sind.« Plötzlich schweigt die liebe Kleine, Wie vom eignen Wort erschreckt, Und sie hat mit beiden Händchen Ihre Äugelein bedeckt. Lauter rauscht die Tanne draußen, Und das Spinnrad schnurrt und brummt, Und die Zither klingt dazwischen, Und die alte Weise summt: »Fürcht dich nicht, du liebes Kindchen, Vor der bösen Geister Macht; Tag und Nacht, du liebes Kindchen, Halten Englein bei dir Wacht!« 2 Tannenbaum, mit grünen Fingern, Pocht ans niedre Fensterlein, Und der Mond, der stille Lauscher, Wirft sein goldnes Licht herein. Vater, Mutter schnarchen leise In dem nahen Schlafgemach, Doch wir beide, selig schwatzend, Halten uns einander wach. »Daß du gar zu oft gebetet, Das zu glauben wird mir schwer, Jenes Zucken deiner Lippen Kommt wohl nicht vom Beten her. Jenes böse, kalte Zucken, Das erschreckt mich jedesmal, Doch die dunkle Angst beschwichtigt Deiner Augen frommer Strahl. Auch bezweifl ich, daß du glaubest, Was so rechter Glauben heißt – Glaubst wohl nicht an Gott den Vater, An den Sohn und heilgen Geist?« Ach, mein Kindchen, schon als Knabe, Als ich saß auf Mutters Schoß, Glaubte ich an Gott den Vater, Der da waltet gut und groß; Der die schöne Erd erschaffen, Und die schönen Menschen drauf, Der den Sonnen, Monden, Sternen Vorgezeichnet ihren Lauf. Als ich größer wurde, Kindchen, Noch viel mehr begriff ich schon, Ich begriff, und ward vernünftig, Und ich glaub auch an den Sohn; An den lieben Sohn, der liebend Uns die Liebe offenbart, Und zum Lohne, wie gebräuchlich, Von dem Volk gekreuzigt ward. Jetzo, da ich ausgewachsen, Viel gelesen, viel gereist, Schwillt mein Herz, und ganz von Herzen Glaub ich an den heilgen Geist. Dieser tat die größten Wunder, Und viel größre tut er noch; Er zerbrach die Zwingherrnburgen, Und zerbrach des Knechtes Joch. Alte Todeswunden heilt er, Und erneut das alte Recht: Alle Menschen, gleichgeboren, Sind ein adliges Geschlecht. Er verscheucht die bösen Nebel Und das dunkle Hirngespinst, Das uns Lieb und Lust verleidet, Tag und Nacht uns angegrinst. Tausend Ritter, wohlgewappnet,
Hat der heilge Geist erwählt, Seinen Willen zu erfüllen, Und er hat sie mutbeseelt. Ihre treuen Schwerter blitzen, Ihre guten Banner wehn! Ei, du möchtest wohl, mein Kindchen, Solche stolze Ritter sehn? Nun, so schau mich an, mein Kindchen, Schau mich an, und küsse dreist; Denn ich selber bin ein solcher Ritter von dem heilgen Geist. 3 Still versteckt der Mond sich draußen Hinterm grünen Tannenbaum, Und im Zimmer unsre Lampe Flackert matt und leuchtet kaum. Aber meine blauen Sterne Strahlen auf in hellerm Licht, Und es glüht die Purpurrose, Und das liebe Mädchen spricht: »Kleines Völkchen, Wichtelmännchen, Stehlen unser Brot und Speck, Abends liegt es noch im Kasten, Und des Morgens ist es weg. Kleines Völkchen, unsre Sahne Nascht es von der Milch, und läßt Unbedeckt die Schüssel stehen, Und die Katze säuft den Rest. Und die Katz ist eine Hexe, Denn sie schleicht, bei Nacht und Sturm, Drüben nach dem Geisterberge, Nach dem altverfallnen Turm. Dort hat einst ein Schloß gestanden, Voller Lust und Waffenglanz; Blanke Ritter, Fraun und Knappen Schwangen sich im Fackeltanz. Da verwünschte Schloß und Leute Eine böse Zauberin, Nur die Trümmer blieben stehen, Und die Eulen nisten drin. Doch die selge Muhme sagte: Wenn man spricht das rechte Wort, Nächtlich zu der rechten Stunde, Drüben an dem rechten Ort: So verwandeln sich die Trümmer Wieder in ein helles Schloß, Und es tanzen wieder lustig Ritter, Fraun und Knappentroß; Und wer jenes Wort gesprochen, Dem gehören Schloß und Leut, Pauken und Trompeten huldgen Seiner jungen Herrlichkeit.« Also blühen Märchenbilder Aus des Mundes Röselein, Und die Augen gießen drüber Ihren blauen Sternenschein. Ihre goldnen Haare wickelt Mir die Kleine um die Händ, Gibt den Fingern hübsche Namen, Lacht und küßt, und schweigt am End. Und im stillen Zimmer alles Blickt mich an so wohlvertraut; Tisch und Schrank, mir ist als hätt ich Sie schon früher mal geschaut. Freundlich ernsthaft schwatzt die Wanduhr, Und die Zither, hörbar kaum, Fängt von selber an zu klingen, Und ich sitze wie im Traum. Jetzo ist die rechte Stunde, Und es ist der rechte Ort; Ja, ich glaube, von den Lippen Gleitet mir das rechte Wort. Siehst du, Kindchen, wie schon dämmert Und erbebt die Mitternacht! Bach und Tannen brausen lauter, Und der alte Berg erwacht. Zitherklang und Zwergenlieder Tönen aus des Berges Spalt, Und es sprießt, wie´n toller Frühling, Draus hervor ein Blumenwald; – Blumen, kühne Wunderblumen, Blätter, breit und fabelhaft, Duftig bunt und hastig regsam, Wie gedrängt von Leidenschaft. Rosen, wild wie rote Flammen, Sprühn aus dem Gewühl hervor; Liljen, wie kristallne Pfeiler, Schießen himmelhoch empor. Und die Sterne, groß wie Sonnen, Schaun herab mit Sehnsuchtglut; In der Liljen Riesenkelche Strömet ihre Strahlenflut. Doch wir selber, süßes Kindchen, Sind verwandelt noch viel mehr; Fackelglanz und Gold und Seide Schimmern lustig um uns her. Du, du wurdest zur Prinzessin, Diese Hütte ward zum Schloß, Und da jubeln und da tanzen Ritter, Fraun und Knappentroß. Aber ich, ich hab erworben Dich und Alles, Schloß und Leut; Pauken und Trompeten huldgen Meiner jungen Herrlichkeit!