"He, Väterchen Franz, versoffner Chronist
He, Väterchen Franz, sag du, wie es ist –
He, Väterchen Franz, he, Väterchen Franz
Erzähle die Geschichte – erzähle sie ganz!"
Nun gut – Väterchen Franz hebt an:
"Seht ihr drüben, Mitbewohner, das Hygieneinstitut
Da, wo heut die weißen Riesen die Gehirne waschen? – Gut!
Genau bis dorthin reichte damals unsre Vaterstadt
Und da lebten die im Aussatz, die man nicht ertragen hat:
Der SS-Offizier, der nachts nicht schlief, sondern schrie
Und der Zoodirektor abgehalftert wegen Sodomie –
Der schwule Kommunist mit TBC und ohne Pa**
Und der abgefallne Priester, der noch schwarze Messen las –
Das Hasenschartenkind, das biss, wenn's bitte sagen sollt'
Und der Schreiner, der partout, so wie Jesus leben wollt'!"
"He, Väterchen Franz, versoffner Chronist
He, Väterchen Franz, sag du, wie es ist –
He, Väterchen Franz, he, Väterchen Franz
Erzähle die Geschichte – erzähle sie ganz!"
Nun gut – Väterchen Franz fährt fort:
"Viele Jahre lebten sie dort zwischen Trümmern, Schrott und Müll
Aßen Krähen, tranken Wermut, rauchten Pfefferminz mit Dill –
Ihre Haare waren lang und ihre Bärte kraus und dick
Und sie stanken wie die Füchse, jeder hatte seinen Tick:
Der SS-Offizier, der suchte Ma**engräber und
Stach überall mit einer Eisenstange in den Grund –
Der Zoodirektor schuf aus Pappe, Polsterzeug und Draht
Ein riesengroßes Tier, das seufzen konnte, wenn man´s trat –
Der Kommunist, der malte rote Sonnen, prophezeite schon
Für das nächste Wochenende die Weltrevolution!"
"He, Väterchen Franz, versoffner Chronist
He, Väterchen Franz, sag du, wie es ist –
He, Väterchen Franz, he, Väterchen Franz
Erzähle die Geschichte – erzähle sie ganz!"
Nun gut – Väterchen Franz fährt fort:
"Und der Priester psalmodierte monoton von früh bis spät
Ein aus Kurs-, Konzils- und Kriegsbericht bestehendes Gebet
Und der Schreiner, der vermehrte meist den Wermutwein-Vorrat
Und das Kind baute den Ratten eine richt'ge Rattenstadt.
Und so hätten sie gelebt, vielleicht bis heute irgendwann –
Doch es fing dann diese peinliche Geschichte plötzlich an:
Töchter und die Söhne aus den allerbesten Familien
Die zogen, zunächst heimlich, später offen nach dorthin
Sangen rohe Lieder, tranken, liebten sich die kreuz und quer
Und sie ließen ihre Haare wachsen – wuschen sich nicht mehr!"
"He, Väterchen Franz, versoffner Chronist
He, Väterchen Franz, sag du, wie es ist –
He, Väterchen Franz, he, Väterchen Franz
Erzähle die Geschichte – erzähle sie ganz!"
Nun gut – Väterchen Franz fährt fort:
"Viele schlugen sogar mit den Fäusten ihre Erbschaft aus
Schütteten die Mitgift in das Fa** voll Saus und Braus –
Sie verbannten – dazu tanzend – gar den Abendlandaltar
Und verleugneten ganz öffentlich die gelbe Gefahr!
Das ging nun freilich weiter als ein high-life-Schabernack –
Voll Angst verschloss man alle Tempeltüren, auch am Tag!
Doch im Hirtenbrief erklärte unser Zeitungszar zuletzt
Das saubere Empfinden unsrer Stadt als grob verletzt –
Sprach dem Senat das Misstraun aus, befahl im barschen Ton
Dem fetten Polizeichef eine Säuberungsaktion!"
"He, Väterchen Franz, versoffner Chronist
He, Väterchen Franz, sag du, wie es ist –
He, Väterchen Franz, he, Väterchen Franz
Erzähle die Geschichte – erzähle sie ganz!"
Nun gut – Väterchen Franz fährt fort:
"Es war an einem Montag, als die Säuberung begann –
Zwanzig Bagger robbten sich ans Aussatzrevier 'ran!
Das Hasenschartenkind, das mit den Ratten spielte, das
Bemerkte sie als erstes, brüllte, schlüpfte in ein Fa**!
Der SS-Offizier, der grade bohrte, hört' es schrein
Gab Alarm, legte die Stange so wie eine Lanze ein –
Galoppierte auf die Bagger zu, sang das Horst-Wessel-Lied
Der Baukolonnenführer riss die Hand hoch und sang mit!
Die Baggerrachen, tief am Boden, fauchten – und in ein'
Preschte, blind vor Glück und Wut, der SS-Ritter hinein!"
"He, Väterchen Franz, versoffner Chronist
He, Väterchen Franz, sag du, wie es ist –
He, Väterchen Franz, he, Väterchen Franz
Erzähle die Geschichte – erzähle sie ganz!"
Nun gut – Väterchen Franz fährt fort:
"Es formierten sich die Bagger dann zu einem off'nen Kreis
Rollten vor zu jenem Panzerlied – der Tag war glühend heiß!
Mit riesengroßem Seufzern fiel das riesengroße Tier
Ineinander – ein paar Eisenraupen knirschten drüberher!
Dann zunächst fing man mit Netzen alle Bürgerkinder ein
Warf den zappeligen Fang in große Waschtröge hinein –
Nur die Aussätzigen ließ man, und die rannten hin und her
Doch der Kreis wurd' enger – schloss sich – und dann sah man sie nicht mehr!
Schließlich spritzte man noch Napalm! – Wollt ihr wissen, was geschah –
Wie das Hasenschartenkind, zum Beispiel, hinterher aussah?
"Nee, Väterchen Franz, versoffner Chronist
Nee, Väterchen Franz, sei's, wie es ist –
Nein, Väterchen Franz, nein, Väterchen Franz
Hör auf mit der Geschichte – Kunst ist doch Genuss!"
Nun gut – Väterchen Franz macht Schluss!